Hallo S.,

dass Politiker gescholten werden, ist normal. Die Schelte wird ihnen aber recht ordentlich versüßt. Es ist durchaus nicht so, dass ich den erforderlichen Zwang vergnüglich finde. Er würde mich nämlich auch treffen.

Warum ich Zwang für unumgänglich halte? Die Gründe dafür sind alltäglich. Ich sehe ihn am allgegenwärtigen, täglichen Fuhrpark meiner lieben Kollegen, vor allem solcher, deren Arbeitsweg < 10 km ist. Ich sehe ihn im alltäglichen Konsumrausch, im irrsinnigen Verpackungswahn, in der alltäglichen Energieverschwendung, im allgemeinen Zentralisierungs- und Globalisierungswahn und nicht zuletzt an mir selbst. Ich sehe mich jetzt mal stellvertretend für den deutschen Michel:

Die aufgenommene Hypothek auf die Zukunft zahle ich unabhängig von meinem moralischen oder unmoralischen Verhalten, zwangsläufig, wie jeder andere auch. Also bin ich unmoralisch, weils bequem ist, weil ich zu schwach bin, mich gegen den allgegenwärtigen Wahnsinn durchzusetzen und weil ich mich nicht selbst aus der Gesellschaft ausschließen will. Ich persönlich verzichte nur aufs Auto und aufs Fernsehen, ich fliege in den Urlaub, weils billig ist und schnell geht, wie andere auch. Ich will nicht den heiligen Samariter spielen und am Zahltag trotzdem bluten. Ergo, der Staat muß ein paar Schrauben drehen, die dazu führen, dass die Vernunft wieder eine Chance bekommt.

Es geht mir hier sicher nicht um die Durchsetzung meiner Interessen, sondern darum, dass überhaupt was durchgesetzt wird. Ich erwarte von einer Politik, die nicht in der Lage ist, einen vernünftigen Flaschenpfand durchzusetzen, die kein bundesweites Rauchverbot auf die Reihe bekommt, die jahrelang an einer Gesundheitsreform ohne nennenswertem Resultat herumdoktort, die die alljährlichen Krawalle z. B. in Leipzig bei "Courage gegen rechts" zeigenden Chaoten toleriert, die es als Reform verkauft, uns in die Tasche zu greifen, durchaus nicht, dass sie Klima- oder Umweltprobleme löst. Deshalb bin ich passiv und zynisch - weil hilflos!

Wie komme ich zum Vorwurf der Lobbypolitik? Was ist das, wenn unser Verkehrsminister auf der Automesse aus einem Porsche steigt und behauptet, man müsse die CO² - Steuer in Abhängigkeit von der Nutzlast erheben? Dieses Steuermodell würde dazu führen, dass ein Porsche Cayenne steuerlich günstiger davonkommt, als manche Familienkutsche. Wo bleibt da der "Abstimmungsprozess"? Vor allem wer führt ihn, wer wird überhaupt gefragt? Wo war dein gepriesener Abstimmungsprozess bei der Einführung des Euro, wer hat uns gefragt, ob wir Soldaten in alle Welt schicken und deren Einsatz bezahlen wollen? Wer hat abgestimmt, als die Bahn privatisiert wurde? Die damit verbundenen Streckenstilllegungen habe ich vorausgesehen, die meisten anderen auch. Wo bleibt der Abstimmungsprozess bei der Besteuerung von Flugbenzin oder der möglichen Mineralölsteuerbefreiung der Bahn?

Ich bin mir natürlich bewusst, dass mein "Staatsverständnis" bei vielen nicht ankommt und als "verstörend" empfunden wird. Ich lasse mir da häufig Vorwürfe wie "ewiggestriger Genosse" oder sogar "Nazi" gefallen - wenn ich mal auf dem Chaotenvolk am Völkerschlachtdenkmal herumhacke. Es ist aber durchaus nicht so, dass ich anderen Ideen zur Lösung der Problematik verschlossen bin. Ich habe nur noch keine gehört, ich habe auch noch nicht gehört, dass überhaupt irgendjemand ernsthaft probiert, ein paar Lösungsvorschläge anzubieten. Das macht mir Angst vor der Zukunft.

@Pingu: Ich zweifle nicht die Komplexität der Klimavorgänge an, sondern meine die deutliche Erkennbarkeit der Folgen von Umweltzerstörung und Klimaveränderung, auch deren zunehmende finanzielle Messbarkeit mit den daraus resultierenden menschlichen Tragödien. Daraus Handlungsbedarf abzuleiten, scheint mir selbstverständlich, aber jeden einzelnen einfach mal so machen lassen? verwirrt

Gruß und Schluss vom Peter