Was für mich ein Problem mit Radreisen ist, ist die Anreise. Außerhalb von Europa dauert es entweder tierisch lang oder man muss fliegen. Das Fliegen finde ich dann für ein paar Wochen auch wieder vor mir nicht rechtfertigbar. Wie seht ihr das?
Klar kann man auch in Deutschland und Europa viele schöne Touren machen wobei es für mich die Abwechselung ist, die den Reiz ausmachen.
Ich fange hinten an: Die Abwechslung liegt in Europa selbst. Es gibt keinen Kontinent, der auf so kleinem Raum solch abwechlsungsreiche Landschaften bietet. Dazu kommen recht ausgeprägte in den miesten Teilen vier Jahreszeiten, die Landschaften verändern und so nur bedingt auf anderen Kontinenten ausgeprägt sind. Ich sehe auch oft Weltbilder, die bei vielen Betrachtern höchstes Jauchzen hervorrufen und "da will ich auch hin" ausrufen lassen. Ich selbst merke dann, das kommt mir irgendwie bekannt vor, weil ich Ähnliches schon gesehen habe - in Europa! Das gilt sicherlich nicht für alle Landschaften und auch nicht unbedingt für die Dimensionen, die auf Kosten der Vielfalt außerhalb Europas oft größer sind.
Fliegen/Welt: Ich bin bisher nur wenige Male über den Atlantik geflogen, davon einmal aus "dienstlichen" Gründen - allesamt aber außerhalb meiner Radreisekarriere der letzten zwei Jahrzehnte. Mich würden durchaus weitere Ziele in aller Welt interessieren. Es gibt alte Vorlieben, die ich aber radtechnisch kritisch sehe, nicht attraktiv, zuviel Aufwand für Impfungen, Visa, extreme Witterung, zu robuste Pisten usw. Dazu gehören auch Länder, in denen ich noch alte Freunde habe, die für mich aber keine guten Radreiseländer sind. Diesbezüglich haben sich auch mein Reiseprioritäten geändert, die ich meist besser in Europa erfüllt vorfinde. Ich habe mich zu vielen Zeiten weit mehr für Kulturen interessiert, als ich selbst je bereist oder beruflich beackert habe, und für die ich nicht die sprachlischen Grundlagen besitze. Es gibt vielleicht auch neue Ziele, die ich anstreben würde, wenn ich nicht an anderen Bedingungen scheitern würde (Geld, Zeit usw.).
Dazu Flüge vermeiden würde ich aber nicht. Für mich ist entscheidend wie authentisch, enthusiastisch und empathisch ich einem Reiseziel zugeneigt bin. Mich düngt leider bei vielen Lufthoppern, dass das Zählen von Flaggen von bereisten Ländern wichtiger ist als die Beschäftigung mit der Kultur des Reiselandes und eine nachhaltig Verbindung auf- oder vorzubauen (über Freunde, Sprache, Kultur etc.). Damit meine ich nicht romantisierte Blaupausen, zu denen manche Globetrotter neigen, ihre Erfahrungen verklärend mitzuteilen. Die Ex-und-Hopp-Gesellschaft für Alltagsprodukte hat längst schon auf Reisetätigkeiten und Lebenshaltungen übergegriffen - nicht selten, um damit Zuhause zu prahlen inklusive in Social Media. Es geht mehr um Hypes, um "must-haves", um das Gefühl etwas verpasst zu haben als um Überzeugungen, Hinwendung, Leidenschaft. Ob Fliegen in die Welt auch nur für ein paar Wochen sinngestaltend ist, hängt für mich von der Haltung ab, mit der man verreist. Es ist für mich daher primär keine ökologische Frage.
Fliegen/Europa: Grundsätzlich gilt das oben Gesagte auch hier, sogar für alle anderen Verkehrsmittel. Wer nur aus Langweile oder wegen eines Hypes herumreist, sollte grundstätzlich zuhause bleiben.
Allerdings gibt es in Europa mehr ökologische verträgliche Alternativen zum Fliegen als für die Restwelt. Diese ernsthaft auch einzubeziehen, halte ich heute für jeden verpflichtend gegeben - übrigens nicht nur für Veloreisende. Europa ist aber groß und es kommt darauf an, ob es zumutbare Alternativen gibt. Die europäischen Bahnen haben leider versagt, ein zukunftsweisendes Netz aufzubauen. So sind heute immer noch Mitteldistanzen wie Mittel- und Süditalien, Spanien oder weite Teile des Balkans nicht (unbedingt) zumutbar mit Bahn & Co. erreichbar. Ich halte es für gerechtfertigt, auch Flüge dahin zu nutzen. Für europäische Nahziele wie Berlin - Wien oder Frankfurt - Nizza halte ich aber Flüge für verzichtbar, wenngleich ich einräumen muss, dass es die Bahnen auch dort nicht einfach machen. Es gibt aber Hoffnung, neue Anstöße bis in die Mitteldistanzen sind bereits gegeben, beispielsweise für Spanien und Italien. Wer ohnehin schon ein Auto besitzt, kann ja auch dieses zur Anfahrt nutzen, Busse sind in der Ökobilanz ohnehin zur Bahn konkurrenzfähig, wenn auch bei mir nicht beliebt. Fährschiffe z.B. im Mittelmeer sind verträglicher als quasi alle Ökoberechnungen, weil dort oft Birnen mit Äpfel verglichen werden. Es kommt hier also noch mehr darauf an, geeignete Verkehrsmittel und Zumutbarkeit willentlich und ernsthaft abzuwägen.