Hallo Thies und alle anderen auf der Sattelfindungs-Odyssee,
Zitat:
@Brooksianer: Ihr schreibt immer, wie glücklich ihr mit euren eingerittenen Exemplaren seid und wie bequem sie sind. Mich würde aber auch interessieren, wie sich so ein Sattel am Anfang, noch nicht eingeritten anfühlt/anfühlen darf. Bretthart? Unbequem? So, dass man garnicht weiß, wo man seinen Allerwertesten da jetzt eigentlich genau plazieren soll? Taubheitsgefühle? Oder lässt sich von Anfang an schon erahnen, wie er sich mal anfühlen wird?
Ich habe es nie gewagt, es meinem Hintern anzutun, einen trockenen Kernledersattel einzufahren. Kurze Probefahrten mit unbehandelten nagelneuen Brooks- oder Ideale-Sätteln ließen mich das Schlimmste befürchten. Oft sehe ich und fahre gelegentlich solche schmerzhaft eingerittenen Exemplare. Man merkt deutlich die Spuren, die die Kontur des Radlers im Profil des Sattels hinterlassen haben. Ihm mögen sie passen, es sind ja seine. Das Leder ist natürlich hart und federt nicht.
Meine drei Räder haben den B17 Standard. Einer ist Original und erhielt vor der Montage eine Dosis Proofide hauptsächlich von unten im Backofen bei ca. 45 Grad. Eine gute halbe Dose ist dabei draufgegangen bis das Leder weitgehend durchtränkt war. Mit einer alten Zahnbürste läßt sich das gut verteilen. Zwischen den einzelnen Fettsaugschichten hatte ich zwischenzeitlich einen alten Wollsocken über den Sattel gezogen und ihn mit einem Kunststoffhammer in den drei Problemzonen (2x Sitzknochen und Dammbereich) kräftig traktiert und durchgewalkt. Dabei habe ich festgestellt, daß der Sattel erst einmal schon eine gehörige Portion Fett braucht, damit sich beim hämmern die Oberfläche nicht kräuselt resp. kleine Risse entstehen. Also vorerst von Hand gut durchwalken. Die Aktion hat einen ganzen Abend und eine Flasche Roten gedauert und meine Muskulatur gekräftigt. So bearbeitet war der Sattel von Anfang an deutlich bequemer als jeder mir bekannte Plastik/Gel - sonstwas-Sattel. Das Leder ließ sich von Hand kräftig elastisch verformen. Nach ca.1000km war er aber erst vollständig eingefahren.
Die Sättel zwei und drei habe ich in Anlehnung an einen Swift erstmal geshaped. Dazu mit dem Cuttermesser seitlich die Flanken auf Swiftform gebracht. Dadurch federt die Lederdecke in der Mitte besser durch. Die Flanken habe ich zwecks Vermeidens von Scheuern an den unteren Rändern außen mit dem Cuttermesser ausgedünnt. Die Schnittflächen wurden mit Lederfarbe behandelt. Der nächste Schritt war, die Satteldecke zwecks Erhöhung des Federungskomforts von unten um etwa eineinhalb Millimeter auszudünnen. Mit diesem Tool war`s kein Problem. Danach war eine Fettbehandlung wie zuvor, jedoch diesmal mit Lanolin (Wollfett, erhältlich in Apotheken) angesagt. Ein Döschen mit 50g ging dabei pro Sattel drauf. Nachdem das Leder geschmeidig war, habe ich das "Hufeisen", das hinten das Leder hält, in eine von hinten gesehene runde Form gebracht, sowie die seitlichen Schenkel vorne etwas nach unten gebogen. Dadurch läßt sich`s freier Pedalieren. Im Endeffekt kommen sie von der Form und der Lederdicke dem Swift sehr nahe. Solchermaßen behandelt brauchten die Sättel eigentlich keine Einfahrzeit. Sie waren von Anfang an sehr bequem und wurden nur noch unmerklich komfortabler. Diese Maßnahmen habe ich mir nicht aus den Fingern gesogen, sondern ein ehemaliger alter Rennfahrer erzählte mir, daß diese Methode so schon seit Urzeiten von Rennfahrern gehandhabt wird. Das Leder ist von Anfang an so stark gefettet, daß Nachfetten kaum noch nötig bzw. möglich ist. Regen? Bevor der Sattel was hat, hat man ne Lungenentzündung. Ansonsten gibt`s Plastiktüten. Gegen verfärbte Hosen helfen schwarze Radhosen oder Lycrasattelüberzüge. Das Gute an Kernledersätteln ist, daß man sie sich weitestgehend an die eigene Anatomie anpassen kann. Für mein nächstes, noch aufzubauendes Rad habe ich mir den Swift hingelegt. Dünneres Leder als der B17 und gleich die Form, die ich haben will. Ob das Titangestell Richtarbeiten verträgt weiß ich nicht. Denke es ist diesbezüglich nicht so robust wie das Stahlgestell des B17. Das Leder klingt auch nicht so holzhart wie das des neuen B17 und anderer Brookssättel. Laut besagtem Rennfahrer ziehen sich mit Lanolin behandelte Lederdecken mit der Zeit (viele 10 TKM), so daß der Weg der Spannschraube nicht mehr ausreicht und die Decke neu aufgenietet werden muß. Um das zu vermeiden, bin ich bereit was anderes auszuprobieren und so habe ich mir als Fett von einer Reiterin Bienenwachs-Lederfitöl für Pferdesättel aufschwatzen lassen. Es zog bei erhöhter Raumtemperatur ein wie nix und die Lederdecke wurde sofort ohne zu walken so geschmeidig wie bei meinen aufwendig behandelten B17. Welchen Einfluß dieses Öl auf die Langlebigkeit des Leders hat, muß sich erst noch herausstellen. Meinen Schuhen tut`s überaus gut. Ist allerdings ein anderer Lastfall.
Allgemeines zu den verschiedenen Modellen von Brooks: Bis auf den Colt, der eine stark nach oben gewölbte Decke hat und so nachgiebig wie ne Staumauer gegen den Wasserdruck des Stausees ist, sind sie alle nach dem Hängemattenprinzip aufgebaut. Die Decke wird vorne und hinten durch Blechteile gehalten. Komfortabel wird’s erst in einem gewissen Abstand zu ihnen. Bei Damensätteln wurden die Nasen zwecks Kompatibilität mit Röcken in der Länge gekürzt. Das dabei die nutzbare Länge der Decke abnimmt ist evident. Da die Sättel von Männern konstruiert wurden, ist dieser Umstand völlig unerheblich und nebenbei konnte so mal wieder die männliche Überlegenheit in Sachen Ausdauer bei Radtouren erfolgreich demonstriert werden. Zwei Freundinnen bleiben solchen Traditionen fern und fahren seit vielen Jahren den B17 Standard, von Anfang an gut gefettet aber weiterhin nicht speziell behandelt. Die Decken sind elastisch und im Dammbereich, der Bereich mit den drei Löchern und davor, da wo bei Damensätteln schon Blech beginnt, mittlerweile sehr geschmeidig und weisen dort durch das Walken des Leders Kräuselspuren in Längsrichtung auf. Die Sättel wandern von neuem Rad zu neuem Rad. Wenn sie meine in Swiftform gebogene B17 fahren, tun sie dies nicht lange, denn die Sitzknochen hängen im Freien und alles was entlastet sein sollte liegt dann auf. Ist halt ne Sache des Sitzknochenabstandes. Mit einem Swift dürfte es ihnen ebenso gehen. Überlegenswert dürfte bei einem breiteren Sitzknochenanstand der B17 pre-aged sein, der über den Fachhandel u.a. bei Wiener bike parts (Großhändler) erhältlich ist.
Fazit: Alles in allem haben wir im Freundeskreis mit Brookssätteln (etwa ein Dutzend) gute bis sehr gute Erfahrungen gemacht. Eine Einschränkung gibt`s halt: montieren und sofort Komfort haben ist nicht. Sofortigen Komfort gibt`s erst bei zuvor erfolgter gründlicher Einfettungsprozedur. Ideale empfiehlt einen Abend mit Rotwein. Ob Brooks ein feines Ale oder Bitter empfiehlt entzieht sich meiner Kenntnis, das es hervorragend damit geht und obendrein Spaß macht, habe ich im Selbstversuch mehrfach erfolgreich verifiziert.