Tolle Frage und eine ebenso tolle Einführung von Dir. Ich traue mich gar nicht, irgendetwas dazu zu sagen, aber es kribbelt irgendwie in den Fingern. Du hast wohl einen zentralen Nerv bei mir getroffen. Spontan und ohne darüber nachzudenken, sind mir bleibende Erinnerungen – jedenfalls für die Variante, dass ich alleine unterwegs bin/war:
Die Mischung aus Neugier, Unverständnis und Bewunderung bei den nicht radelnden Menschen, auf die man unterwegs so trifft
Im Gegensatz zum vorgegebenen Alltag und seiner Fremdbestimmung, das Gefühl ständig freie und eigene Entscheidungen über existenzielle Dinge treffen zu können, ja zu müssen. Das trifft mich immer wieder mit kolossaler Wucht und einer Mischung aus Sorge und Euphorie
Das Gefühl, etwas Ungewöhnliches zu tun, das nur von Wenigen geteilt wird, verbunden mit meinem Bedauern über diese Tatsache
Das Gefühl, körperlich von Tag zu Tag fitter, athletischer und leistungsfähiger zu werden
Das völlige Unverständnis über den gesellschaftlichen Mainstream
Das Gefühl, mich ständig um alles und jede Kleinigkeit selbst kümmern zu müssen
Das Gefühl, ein unverbesserlicher Romantiker und Außenseiter zu sein
Das Gefühl, dass es keine bessere Gelegenheit zum klaren Denken gibt, als auf Radreise zu sein
Das Gefühl, dass mich dieses klare Denken davon wegführt, gesellschaftliche Normen und ihre Irrationalitäten anzuerkennen
Das Gefühl, unendlich glücklich und stolz zu sein und dass meine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem Hier und Jetzt miteinander verschmelzen
Das Gefühl und die Sicherheit, zu wissen, was wichtig ist für mich und was nicht
Das Gefühl der tiefsten Liebe, Sehnsucht und Dankbarkeit zu meiner Frau
Die Klarheit der Gefühle und des Denkens, die ich im Alltag wegen dem ganzen Schrott nicht realisieren kann
Die tief empfundene Freude an mir selbst, meinem Rad und der Welt, in der ich lebe
Die tief empfundene Dankbarkeit, dass ich bislang nicht hungern oder übermäßig leiden musste
Das Gefühl, unendlich stark zu sein und alles zu können, auch wenn es unüberwindlich erscheint
Das Gefühl, dass es viel klüger wäre, mehr - oder wenigstens öfter - unterwegs zu sein
Das Gefühl, mir ganz gewaltig den Arsch abzufrieren und den ganzen Kram gehörig zu verfluchen
All das vermisse ich, wenn ich nicht auf Radtour bin. Oder mit anderen Worten: All das bleibt von Radreisen als Erinnerung in mir