Vorletzten Mittwoch fuhr ich also mit dem Schnellboot von Bodö nach Traena. Die Fahrt ging ca. drei Stunden gen Südwesten - Traena ist eine klitzekleine Inselgruppe am äußersten Westen von Norwegen. Die Fahrtzeit war natürlich alles andere als langweilig. Wie das letzte Mal beschrieben, war ich zunächst heilfroh, eine schnelle und sichere Überfahrt zum Festival gefunden zu haben und suchte erstmal einen Sitzplatz im fast ausgebuchten Boot. `Manu?`, rief jemand hinter mir. Ich drehte mich um und glaubte es nicht: Verena und Klaus aus meinem Norwegischkurs in Nürnberg! Aufgeregt unterhielten wir uns darüber, wie wir alle auf das Traena-Festival aufmerksam gekommen sind, wie wir bis hier her anreisten und wie meine Reise bisher verlief. Ich war ja zu diesem Zeitpunkt schon fünf Wochen unterwegs. Klaus besitzt eine Hütte nähe Alesund, weswegen er mit seiner Freundin oft in Norwegen ist. Ich konnte mich erinnern, dass wir uns im Sprachkurs darüber unterhielten, dass die beiden jährlich dort Urlaub machten. Und Klaus nach 20 Jahren im Besitz einer Hütte in Norwegen nun endlich mal die Sprache lernen wollte. Den beiden aber ging es mit der Sprache wie mir: Die Kompaktkurse lehrten uns wichtige Basics, nicht aber so weit, um das gesprochene Kauderwelsch der Norweger zu verstehen. Geschweige denn, dass man eine kleine Unterhaltung führen könnte. Ich redete stets englisch, denn selbst wenn mein norwegisch richtig war und verstanden wurde, verstand ich von der Antwort überhaupt nichts, sofern sie nicht ein Ja oder Nei war. Und Englisch redet selbst der älteste Ur-Norweger perfekt, da hier keine Filme synchronisiert werden, sondern nur untertitelt.
Mit Verena und Klaus war ich also schon Mittwochs auf der Festivalinsel. Sünnje, die mich in Bodö beherbergte und bei der mein Rad und überflüssiges Gepäck verstaut war, kam mit Freunden erst einen Tag später an. Diese sollten praktischerweise auch allesamt in Norwegen lebende Deutsche sein. Das Programm ging auch erst donnerstags los. So hatte ich Zeit, mit Verena und Klaus die Insel ohne großen Andrang zu erkunden und einige Aussichtspunkte zu genießen. Das Wetterglück verließ mich noch immer nicht: Wolkenloser Himmel bei Sonnenschein und 25 Grad! Im Gegensatz zu mir buchten die beiden Herzogenauracher eine Unterkunft. Die Veranstalter bestückten eine Turnhalle mit Pavillons für Besucher, die sich nicht aufs Wetterglück verlassen wollten. Die Jahre zuvor war das Wetter durchaus ungemütlich, teilweise Sturm und Dauerregen. In der Turnhalle konnte man sich für 50 Euro pro Nacht und Person eine Pavillon mieten. Bettzeug nicht inklusive. Die beiden buchten bereits ein halbes Jahr im Voraus und ärgerten sich nun bei diesem Wetter über die gewaltigen Zusatzkosten. Zumal auch auf dem Campingplatz Duschen und für ein Festival recht annehmbare Toiletten zur Verfügung standen. Dennoch ärgerten mich einige Nebenkosten. So sollte Campen 12 Euro extra kosten und um auf dem Gelände bei den Bier- und Fressbuden bezahlen zu können, musste man eine Chipkarte aufladen, die Grundgebühr kostet. Beides sparte ich mir: Der Campingplatz wurde nicht kontrolliert und die teuren Buden auf dem ohnehin kleinen Gelände nutzte ich nicht. Zumal ein Supermarkt im Dorf vorhanden war. Dort kostete der halbe Liter Dosenbier immerhin nur 4 Euro anstatt 10!
Gegen Abend merkte ich, wie mein Zelt eingebaut wurde und schwedische Jugendliche ein Party-Pavillon davon errichteten. Gegen 11 versuchte ich zu schlafen, als die Gruppe auch noch einen Stromgenerator direkt neben meinem Zelt anschmissen. Genug! Ich musste umziehen. Zum Glück war mein Zelt freistehend, sodass ich es in die Ü30-Area tragen konnte. Ansonsten aber war das Festival nicht mit einem ähnlichen in Deutschland vergleichbar: Man campte überall wo frei war, Alkoholkonsum hielt sich - wenig überraschend - stark in Grenzen und die ganze Insel wurde stets sauber vom Müll gehalten. Dementsprechend waren auch ältere Leute auf dem Festival. Auch die Musik war Queerbeet. Von einem norwegischen Avril Lavine Verschnitt über einen finnischen Synthie-Pop-Solokünstler über eine schwedische Hardcore-Band war wirklich jede Musikrichtig vertreten. Nachmittags spielten etwas ruhigere Bands und vor der Hauptbühne wurden Tische und Stühle aufgestellt! Auch noch nie gesehen...
Die norwegischen Deutschen traf ich schließlich Donnerstag Abend und zog erst einmal zu ihrem Camp. Allesamt Biologen, die sich über die Arbeit kennenlernten. Das einzige Paar der fünfköpfigen Clique hatte sogar die ca. zweijährige Tochter dabei. Auf so einem `Erwachsenfestival` wie ich es liebevoll nannte, war so etwas problemlos möglich. An den Zelten spielte jeder mit der kleinen Marie, was für gute Stimmung sorgte. Nur abends mussten sich die Eltern schichtweise abwechseln, um die Bands sehen zu können. Bin ich froh, solche Verpflichtungen noch nicht zu haben.
Die ganze Insel war ins Festival integriert. So gab es einige Highlights im Programm. Etwa ein Konzert eines isländischen Bluesrocker am Freitag um 12 Uhr mittags in der kleinen Dorfkirche. Oder aber ein Konzert eines norwegischen Folksängers in einer offenen, recht großen Höhle auf der Nachbarinsel. Dort schipperten kleine Boote die Meute zwischen den Inseln hin und her. Natürlich kostete das auch extra... Oh, Norwegen! Dennoch ließ ich das nicht aus, denn wann erlebe ich soetwas noch einmal? Stets meine Rechtfertigung für das ganze sündhaft teure Festival, das mich die nächsten zwei Wochen zum Wildcampen und zu Fertignudeln verdammte. Aber das war es mir wert.
Die Rückfahrt sollte ähnlich abenteuerlich werden. Natürlich war auch dafür das Schnellboot direkt nach Bodö ausgebucht. Ich hatte also geplant, die reguläre Fähre zum nächsten Festland zu nehmen und von dort auf eine sechsstündige Busfahrt auf mich zu nehmen. Insgesamt wäre ich wohl den halben Tag unterwegs gewesen. Diesmal machte ich mir aber die laschen Kontrollen zu Nutze und ging dreisterweise aufs Schnellboot. Ich hatte ja ein ebenso teures Ticket, wenn auch für die Busfahrt - so rechtfertigte ich moralische Bedenken im Hinterkopf. Die verstummten aber ganz schnell, als ich mit den anderen im Boot saß und und glücklich über die gesparte, qualvoll lange Busfahrt war.
Es war Sonntag und das WM-Finale stand an. Zum gemeinsamen Fußballschauen bei den Kindseltern lud ich mich dezent selbst ein. Ich wollte als Dank ein Sixpack Bier mitnehmen, bis Sünnje mich daran erinnerte, dass es sonntags in ganz Norwegen keinen Alkohol zu kaufen gibt. Und ich fragte mich noch, warum alle am Samstag in Traena Bier einkaufen und es nicht vor Ort restlos vernichteten. Hatte ich eben etwas Grillfleisch besorgt. Die junge Familie wohnte in Sandstraumen, einem kleinen Ort 30 km vor Bodö. Mir blieb also nichts anderes übrig, als die Strecke am Sonntag zurückzufahren - hinwärts nach Bodö bin ich schon einmal vorbeigekommen - und am Montag letztlich wieder in die Stadt reinzufahren. Es war ein netter Grillabend mit einigen Deutschen. Das Spiel schauten wir per Livestream auf einem kleinen Fernseher, der kaum größer war als der Bildschirm des Laptops. Ohne Brille saß ich dementsprechend einen Meter davor. Ich konnte einige norwegische Gepflogenheiten unter den in Norwegen lebenden Deutschen feststellen. Etwa, dass jeder nur sein selbstgebrachtes Bier konsumiert und es spät abends Kaffee gab. Nachdem ich netterweise ein Bier abbekommen habe, konnte ich danach und erst recht um die späte Uhrzeit keinen Kaffee trinken. Ich erklärte mir diese Angewohnheit damit, dass den Norwegern abends zu schnell das wenige weil teure Bier ausgeht und man einen Kaffee braucht, um nicht um halb zwölf müde zu werden. In Deutschland wären für so eine Party zwei Kästen Bier organisiert gewesen, während des Spiels drei davon pro Person konsumiert worden und noch einmal so viel, um keinen Kaffee abends zu brauchen, wie die armen Norweger mit striker Alkoholpolitik. Dass es aber keine ausgelassene WM-Party wurde, war mir klar. Schließlich mussten alle am nächsten Tag arbeiten. Natürlich hatte ich dafür Verständnis, es kann nicht jeder zwei Monate auf Tour sein, wie ich.
Am Montag radelte ich also wieder in Bodö ein und war hier nun genau eine Woche lang. Dank meiner großzügigen Zeitplanung, konnte ich mir das gut leisten und sollte mich auch bis jetzt, kurz vor Alte, nicht in Zeitprobleme bringen - im Gegenteil. Denn wie ich schon berichtete, war ich mit Gerrit verabredet. Wieder ein deutscher Biologe, der in Norwegen lebt - ihn hatte ich ja kurz vor Oslo kennengelernt und besucht. Er war mit seinem Liegerad unterwegs und sollte genau an diesem Tag in Bodö eintreffen. Seine Tour deckte sich in Zeit und Strecke mit meiner, sodass wir damals beschlossen, die letzten ca. 1100 Kilometer zusammenzufahren. Nun hab ich ihn schon eine ganze Woche in meinem Windschatten ;-)
Über unsere Tour über die Lofoten und die immer schöner werdende Landschaft im nächsten Bericht.
Gruß aus Nord-Troms
Manuel