Oslo habe ich recht bald verlassen, wie schon geschrieben habe, am letzten Samstag. Das Wetter war bewölkt und die Vorstädte in Richtung Lillehamer zogen sich ewig. Mehrere Stunden fuhr ich noch durch schmucklose Wohn- und Industriegebiete. Es dauerte, bis es wieder etwas ländlicher wurde und die Landschaft sollte erst wieder etwas attraktiver werden, bis ich den großen See Mjøsa erreichte. Er zieht sich in einem Tal an den einzigen größeren Ortschaften Hamar und Lillehammer mehr als 100 Kilometer durchs Land. Ein Panorama eines Alpensees bot sich mir zwar nicht, aber dennoch war die Strecke rechts am See vorbei durch schöne Flecken geprägt.
Für diesen Reiseradler-Alltag durch mittelmäßige Gebiete hatte ich mir extra Hörbücher mitgenommen. Nachdem ich schon einige zweimal gehört hatte, denn nach einem Tag mit 8 Stunden Hörzeit war ein Buch durch, hob ich mir den dicksten Schinken noch auf. Herr der Ringe aber dauerte 158 Stunden und sollte mich et was länger unterhalten. Kenner des Buches aber wissen, dass die Geschichte anfangs ziemlich zäh hinzieht. Den ganzen Sonntag habe ich pausenlos dem Märchenonkel gelauscht und Frodo war noch immer nicht aufgebrochen! Dafür war ich nun bestens informiert in der Geschichte der Pfeifenrauchkunde der Hobbits.
Leider verlief die Landstraße in eine Baustelle, welche in die Quasi-Autobahn mündete. Und bevor ich mich versah, radelte ich auch schon auf der verengten Autobahn ohne Überholspur. Laut Karte sollte sich die Strecke hier 40 km lang ziehen - fast bis nach Hamar. Eine Stunde lang rauschten Lkws mit Haaresbreite an mir vorbei. Manche Autofahrer hupten, was ich innerlich fluchend versuchte zu ignorieren. Denn ich hatte keine Alternative, wenn ich weiter gen Norden fahren wollte. Zum Glück aber gab es bald eine kleine Abzweigung, ein Umweg, der rechts den Berg hoch ging. Lieber schwitzen statt sterben, dachte ich mir. Denn die Fahrbahn wurde immer enger, sodass mich nichtmal ein Auto hätte überholen können, wenn nur ein Hauch an Gegenverkehr vorhanden war. Und so erreichte ich Hamar unversehrt und campte gleich hinter der Stadt.
Lillehammer aber sollte nur ca. 60 km entfernt sein. Dort war ein weiterer Zwischenstopp geplant, ich hatte nämlich einen Couchsurfer gefunden. Nach nicht mal einer Woche hatte ich also wieder eine Dusche und ein Dach über den Kopf beim Schlafen. Dementsprechend gemütlich radelte ich in die Olympiastadt von 1994 ein. Mein Gastgeber war Hans, ein 50-jähriger Zeitungsausträger, wie sein Profil verriet. Ansonsten spärliche Infos über die Person, aber gute Referenzen. Ohnehin sind mir ältere Leute beim Couchsurfen lieber als 20-jährige Grünschnäbel. Mit ihnen lässt es sich einfach besser auskommen und unterhalten..
Ich sollte bei Hans zuhause auftauchen. Dank mobilem Internet und Google mit der Adresse kein Problem. Zuvor wollte ich jedoch alleine in die Innenstadt und mir einen Eindruck vom Ort verschaffen. Ich fotografierte ein schickes Gebäude, da tippt mich ein grauhaariger Zwei-Meter-Mann an. Es war Hans und er erkannte mich an meinen Profilbildern. Ich war natürlich überrascht über diesen Zufall. Er entgegnete nur: ¨It`s a small town!¨ Okay. Jetzt, wo ich ihn etwas kennengelernt habe, traue ich ihm durchaus zu, dass er mir in der Innenstadt aufgelauert hatte. Denn wie er erzählte, hatte er eh gerade Urlaub und er verbrachte seine Zeit damit, durch Cafés, dem Bahnhof oder der Bibliothek zu tingeln, um dort seine Zeit zu vertreiben. Das hatten wir auch zunächst zusammen gemacht, während er mir zu jedem Ort auch was zu berichten wusste. Das war mir nur recht, schließlich wollte ich ja etwas erfahren über die Orte, die ich bereise. Hans aber redete so viel, dass irgendwie immer mindestens die Hälfte an mir vorbei ging. Um dennoch weiterhin interessiert zu wirken - was ich ja auch eigentlich war - versuchte ich, einige Zwischenfragen zu stellen. Aber keine Chance, Hans zu unterbrechen! Er hebte etwas die Stimme und das Tempo, was einen Dialog schlicht unmöglich machte. Schließlich merkte ich, dass ich mir die Mühe auch garnicht machen musste.
Mit dieser seltsamen aber wohl interessanten Person verbrachte ich also den restlichen Tag in Lillehammer. Nach einer ewigen Stadtführung auf dem Rad, lud er mich in einem wirklich nobel aussehendem Restaurand zum Abendessen ein. Nachdem wir alles vonwegen ¨Das ist doch nicht nötig!¨ usw. Hinter uns hatten, wies ich ihn auf meine Radlerkluft hin. Die war wieder solch einem Etablissement angemessen noch, naja, sagen wir mal frisch! Denn er fing mich ja schließlich ab und wir tingelten mit meinem Sack und Pack durch die Stadt. Ich hatte also keine Chance, mich irgendwie sozialtauglich herzurichten - geschweige denn zu duschen oder umzuziehen. Er verstand, sodass wir zumindest draußen saßen. Das Menü aber war top. Lasagne mit Blattsalat und als Nachtisch einen Käsekuchen - den leckersten, den ich je gegessen habe. Er sagte mir, dass das Menü pro Person nur 120 Kronen kostete, also 15 Euro. Das war für norwegische Verhältnisse und erst recht dieser Qualität schier unglaublich.
Begeistert vom Essen, dachte ich, dass wir nun nach Hause fahren werden und ich endlich der lang ersehnten Dusche fröhnen könnte. Von wegen - es sollte noch nach Maihaugen, einer Art Freilichtmuseum, gehen. Der Eintritt von knapp 20 Euro verschmerzte ich, da ich mir ja das Abendessen sparte. Er war so hoch, da den ganzen Tag dort Veranstaltungen geboten wurden, es war Mittsommernacht. Die waren aber alle schon vorbei, denn es war schon nach 9 Uhr. Ich freute mich dennoch über meine erste Stabkirche und viele hergerichtete historische Gebäude.
Es war schon kurz vor 12, als wir Maihaugen verließen und der Tag war noch immer strahlendhell. Daran hatte ich mich noch nicht gewöhnt, wenn ich auch im Zelt stets mit Augenmaske schlafe. Ich schlief die Nacht richtig gut in meinem eigenenm Zimmer bei Hans. Er hatte ein kleines, recht vollgestopftes aber gemütliches Bungalow am Stadtrand. Um 10 weckte er mich schließlich fast schon fordernd. Ich erzähhlte ihm über meine weitere Reise. Die Radroute ging in Lillehammer 700 Höhenmeter in die Berge. Er riet mir eindringlich, im Mjösa-Tal zu bleiben, es sei doch so schön. Ich aber erklärte ihm, dass ich genug von der Zivilisation hatte und endlich in die unberührt wirkende Natur vordringen wollte, nachdem ich bisher die ganze Tour fast ausschließlich in bewohnten Gegenden verbrachte.
Ich sollte nicht enttäuscht werden: Einmal den Berg hochgestrampelt wurde ich durch ein Waldpanorama belohnt, das mich in die Ferne schweifen lässt und die unendlichen Weiten Norwegens erahnen lässt, die nun noch vor mir lagen. Herr der Ringe brauchte ich nun nicht mehr, ich hatte nun endlich mein eigenes Abenteuer und radelte trotz ständigem Auf und Ab und unbefestigten Wegen durch Wald- und Feldwege mit ständig wechselnden Panoramen. Natürlich war die Landschaft von einigen Hütten gesprenkelt, die ihr zusätzlich einen gewissen Charme verliehen.
Einen Haken aber hatte die Route oben entlang des Tals. Ungefähr am Ende des Mjösa, sollte es zum kleinen Ort Ringebu wieder hinab zum See gehen, nur um die ganzen 700 hm gleich an anderer Seite wieder hochzuradeln. Ich machte zwar eine Alternativroute ausfindig, aber ob diese 20 km radelbar waren, wusste ich nicht. Schlimmstenfalls hätte das einen ganzen Tag Schieben bedeutet. So fuhr ich also in 15 Minuten ca. 15 Kilometer herunter und machte eine lange Pause in Ringebu, denn ich wusste, was mir bevorsteht und wollte mich nicht aufraffen. Zudem war es schon 19 Uhr. Ich überlegte, hier unten die Nacht zu verbringen, jedoch hätte mich die Steigung am Morgen noch mehr angekotzt. Es half nichts, 15 km lang in ca. Eineinhalb Stunden den ganzen Berg also wieder hoch. Oben aber tat sich eine baumlose Tundra vor mir auf, die mich zunächst begeisterte. Schließlich ging es auch hier noch latent bergauf und der Wind wehte unerträglich. Zum ersten Mal hatte ich mich richtig warm einzupacken. Dennoch war die Strecke aufregend mit weiten Steppen voller Moos und anderem Gestrüpp sowie einigen schneebedeckten Bergspitzen, die auch hinter anderen Hügeln immer wieder vorlugen. Das Zelt war auf der Steppe nicht zu verstecken und ich hatte es für die Nacht gegen den Wind richtig fest abzuspannen.
Wo es aber hoch geht, geht es auch immer hinunter. Damit tröstete ich mich stets bei endlosen Steigungen und fand Gefallen an der dünn besiedelten Gegend zwischen Lillehammer und Trondheim. Dort, in der drittgrößten Stadt Norwegens kam ich schließlich Freitag Abends an.
Ich stellte fest, dass ich einen Tag zuvor ungefähr die Hälfte meiner Strecke zurückgelegt haben muss. Ich bin nun schon so weit gereist und durch so viele Städte, dass ich es mir nur schwer vorstellen kann, dass noch einmal soviel an Norwegens Fjorden entlang zurückzulegen ist. Ich freue mich einerseits, andererseits fürchte ich mich fast ein wenig. Denn das Wetter wird nicht besser und wärmer werden und die Gegenden immer dünner besiedelt. Insgesamt aber freue ich mich auf das Abenteuer, wofür ich schließlich diese Reise mache.
Raus aus der Komfortzone, rein ins Abenteuer!