Zur nächsten Großstadt (für norwegische Verhältnisse) Brønnøysund war es letzten Mittwoch nicht mehr weit. Ich hatte nur ca. 80 Kilometer hinzuradeln und wollte dort wieder die Gastfreundschaft eines Couchsurfers genießen. Leo aber, mein Gastgeber, sollte erst gegen Mitternacht zuhause eintreffen, so dass ich den halben Tag in der Gegend totschlagen hätte müssen. Aus irgendeinem Grund musste3 er 12 Stunden mit dem Auto von Oslo heimfahren. Zunächst war ich geneigt, ihm dankend abzusagen, da ich erst am Wochenende in Trondheim eineinhalb Tage pausierte. Letztlich dachte ich mir aber, dass das Couchgesurfe stets lohnenswert ist und ich außerdem ja gut in der Zeit liege. Leo gab mir den Tipp, auf einem Berg am Inselzipfel zu wandern. Torghatten hieß er und war nur 15 Kilometer entfernt. Tatsächlich war es ein Berg mit einem Loch mittendrin - quasi einer großen Höhe, durch die man durchspazieren konnte und um den Berg herum wieder zurück zum Parkplatz zurück gelang. Passiert man die Höhe, hat man einen herrlichen Ausblick auf die Fjordlandschaft dahinter mit den vielen kleinen versprengten Inselchen. Das Wetter war wie die letzten Tage stets sonnig und sollte sich, bis auf den Tag darauf als Ausnahme, auch nicht ändern. Daher gelangen mir viele wunderschöne Bilder.
Doch auch den kurzen Wanderausflug beendete ich schon um ca. 21 Uhr, sodass ich in der Innenstadt den letzten Bericht schrieb, um die Zeit gar bis Mitternacht abzuwarten. Hell blieb es ja sowieso, aber die Bürgersteige wurden bereits hochgeklappt und die Stadt war tot. Leo ist Halbfranzose, was man ihn auch ansieht, finde ich. Trotz seiner langen Autofahrt war er abends noch immer gut gelaunt, was wohl daran lag, dass er sich daheim erstmal einen Joint anzündete. Er bot ihn mir auch an, lehnte aber höflichst ab. Teufelszeug! Schließlich wollte ich am Tag darauf ja fit bleiben und radeln. Eine Flasche deutsches Bier aber hätte er auch zuhause und würde sie gerne mit mir teilen, damit wir gemütlich schlafen können. Es war ein Drittel Liter von einem Doppelbock. Okay! Als wir darüber etwas redeten, meinte er, dass man bei den 12 Prozent zu sehr den Alkohol herausschmeckt. Ich klärte ihn darüber auf, was es mit einem Bockbier und erst recht einem Doppelbock aufsich hatte und das ja gerade typisch dafür sei. Er aber meinte, es hatte im Vinmonopolet das beste Alkohol-Preis-Verhältnis und kaufte es deshalb. Ich konnte nicht anders, dagegenzuhalten und meinte, dass der Alk ja nicht unbedingt den Geschmack ausmacht und an diesem man nicht sparen sollte. Zumal das viel günstigere norwegische Supermarktbier auch nicht unbedingt schlecht ist, wie ich feststellte.
Mir geht es noch immer so, dass ich einfach kein Zeitgefühl habe, wenn es nicht dunkel wurde. Denn es wurde halb vier Uhr morgens, bis er mir noch von seiner wohl erfolglosen DJ-Karriere erzählte und auch seinen fünf Jahren Gefängnis in Indien, da er mit 19 am Flughafen dort mit 2 Kilo Gras erwischt wurde. Hui, okay! So wie ich es verstanden habe, arbeitet er nun als irgendwas-IT-Manager für die norwegische Verwaltung. Wie er resozialisiert wurde, erfuhr ich aber nicht weiter.
Da es am Abend bei Leo so spät wurde, kam ich am Tag darauf auch erst gegen mittags los. Es sollte mit der Fähre zur Insel Vega gehen. Die weicht etwas vom Fernradwanderweg ab, soll aber schön sein. Leider war das Wetter aber genau an diesem Tag nicht wirklich schön. Naja, ich kann ja nicht immer so ein Riesenglück haben, was ich bisher wirklich hatte. Ich sollte aber anders Glück haben. Denn auf der Fähre lernt man ja schnell andere Radler kennen. Eine davon war Sünnje, eine deutsche Meeresbiologin, die nur mit Rucksack auf dem Gepäckträger einige Tage allein mit dem Rad unterwegs war. Auch ein friesischeer Name, den ich noch nie vorher noch nie gehört hatte. Sie ist ein zierliches Nordlicht aus Kiel, das aber schon seit mehr als zehn Jahren hier in Nord-Norwegen lebt. Wir unterhielten uns die ganze Fahrt zum Dorf in der Mitte der Insel, bis uns unsere Wege trennten, denn ich musste wieder zurück zur Fähre. Die fuhr nämlich nur drei Tage die Woche und dann auch nur zwei Mal. Daher hatte ich nur zwei Stunden dort. Die nette Aussicht auf die Inselberge war eh von Nebel und Wolken bedeckt, daher fand ich den Kurztrip auf der Insel nicht allzu schade. Ohnehin wollte ich abends einen Tausender auf der Nachbarinsel besteigen und oben campen. Den Tipp hatte ich von Leo, dem alten Extrem-Trekker. Mit Sünnje verabredete ich mich in Bodø. Dort wohnt sie und wenn ich in ein paar Tagen dort eintreffen sollte, war auch sie schon längst wieder daheim, denn sie nahm das Schnellboot nach Hause.
Ich fuhr also insgesamt nur ca. 80 Kilometer am Tag, bis ich abends an den sog. Sieben Schwestern ankam. Eine davon sollte ich abends besteigen (hust). Kvasstind war ein Berg der `Schwestern`. Auf meiner Karte war es der kürzeste Weg zu einem der Gipfel hoch und Leo meinte, ich sei ohnehin in circa zwei Stunden oben, wenn ich fit sei. Aber das war ich ja schließlich nach mehr als 2500 km Radtour! Die Infotafel am Parkplatz des Berges wies darauf hin, dass der Weg in der schwierigsten der vier Wanderweg-Kategorien seien soll. Auch das schreckte mich nicht ab. Ha! Ich bin ja schließlich etwas alpenerfahren! Ich zurrte also Packtasche und Satteltasche links und rechts am Rucksack fest, sperrte mein Rad unten ab und machte mich gegen 20 Uhr auf den Weg hoch. Die erste Hürde war aber eine Sumpfebene, die vom Nieselregen aufgeweicht wurde und meine offenen Klickpedalschuhe schon nach wenigen Schritten mir nasse Socken bescherten. Ja, die Wechselbeläge hatte ich vorher montiert. Ich verfluchte meine nicht ganz billigen aber absolut undichten Radelschuhe, was mir neben dem Nieselwetter die Lust am Trip zusätzlich vermieste. Mich hielt nur die Vorstellung das baldige Campen auf den Berg bei Laune sowie die aufweißende Wolkendecke über das Meer, die später auch über mir am Berg verschwunden war und mir fast bis Mitternacht wieder Sonnenschein bescheren sollte. Da war es wieder, mein Wetterglück!
Zunächst war der Aufstieg zwar steil aber durchaus machbar. Die vielen Höhenmeter mit dem Rad fand ich um einiges anstrengender, wenngleich ich auch das Wandern nicht wirklich gewöhnt war, sondern das radeln. Der Rucksack war mit den Taschen natürlich schwer, mindestens 20 Kilo und nicht gerade ideal angelegt. Aber auch der war tragbar. Ich hatte bereits nach einer Stunde einen schönen Ausblick über das Fjordland, machte aber den Fehler, aufs GPS zu gucken. Es bescheinigte mir, dass ich erst ca. 250 Meter hoch war. Gefühlt war es das Doppelte natürlich. Das Handy lies ich daher besser in der Tasche, denn der Weg war gut markiert. Dennoch erinnerte ich mich an Leos Worte von wegen zwei Stunden Aufstieg. Ich war bereits eine unterwegs und hatte gerade einmal ein Viertel der Höhe! Auf der Infotafel stand etwas von drei Stunden. Und dennoch sollten es mindestens vier werden. Wenn ich denn wirklich bis zum Gipfel gekommen wäre. Doch das bin ich zu meiner großen Enttäuschung nicht. Natürlich sollte sich der Weg schwierig bis fast unmöglich gestalten und ich wusste, warum er auf der Infotafel als der schwierigste Wanderweg kategorisiert wurde. Als es nämlich ab einigen Hundert Höhenmetern nur noch steinig wurde, sollte man das nackte, flache und steile Gestein hoch. Das zumindest verrieten die Wegmarkierungen. Ungläubig dessen blickte ich immer wieder um mich, musste dann aber teils auf allen vieren vorsichtig hochkriechen. Zum Glück war es nicht mehr nass. In der Schräge hatte ich mit den Trekking-Schuhen noch guten Halt, wenn der Felsen trocken war. War er aber nass - keine Chance. Was mich zusätzlich beunruhigte war, dass an vielen Stellen kein fester Tritt möglich war und es ziemlich steil bergab ging. Sollte ich stürzen, konnte es also ziemlich weh tun. Letztlich erreichte ich auf 500 Höhenmetern eine herrliche Hochebene, die kleinen Bächen und Seen gespickt war. Dort hätte ich bleiben und gleich mein Zelt aufschlagen sollen. Mein Ehrgeiz und die strahlende Sonne gegen 22 Uhr aber brachten mich an den letzten und schwierigsten, wenn auch nicht gefährlichsten, Teil des Aufstiegs. Hier kam ich aber nur auf 750 Meter, bis die Sonne wirklich unterging. Der Gipfel war sowieso in Wolken eingedeckt, ich hätte dort also nichts sehen können. Auch die Hochebene füllte sich mit Wolken und ein kräftiger Wind zog auf, sodass ich gegen halb zwölf endlich entschied, vernünftig zu sein und zur Hochebene herunterstieg. Es war halb eins, bis mein Zelt stand. Ich war fix und fertig, wie nach keinem 120-Kilometer-Radeltag. Daher schlief ich abermals bis mittags und nahm zur Belohnung ein Bad in einem der kleinen Gebirgsseen auf der Hochebene, bevor ich mich auf den grausligen Abstieg machte. Die ersten Wanderer, die bereits wieder den Berg bestiegen und in ca. 100 Meter Entfernung den Weg entlang gingen, waren mir dann auch egal. Auch wenn die ganze Entspannung nach dem zweistündigen Abstieg von 500 Höhenmetern auf quasi Null natürlich wieder verflogen war.
Das Radeln setzte ich somit erst gegen nachmittag fort und es sollte nur 40 Kilometer zur nächsten Fähre sein. Es ging etwas ungewöhnlich schwerfällig. Daher beschloss ich nach der Fährfahrt, es für diesen Tag auch sein zu lassen. Denn direkt hinter Nesna fand ich einen wunderbaren Platz zum Campen. Flach, wie selten in Norwegen, mit Sitzgruppe, nicht einsehbar und direkt am Fjord. Seit langem mal wieder schmiss ich den Kocher an und beschloss, mir warme Nudeln zu gönnen und den frühen Feierabend in die Wartung meines Rades zu investieren. Ich merkte, dass das in Oslo neu gekaufte Hinterrad einen leichten Seitenschlag hatte. Ich zückte also meinen Speichenschlüssel. Schließlich entdeckte ich mein Dauerpech: wieder eine gebrochene Speiche! Das schwere Radeln lag also nicht an meiner Fitness, sondern an der Bremse, die wegen des Achters leicht am Hinterrad schliff. Ha, aber ich hatte extra fürs neue Laufrad in Trondheim Ersatzspeichen gekauft. Als ich eine aber anlegte, merkte ich: Einen guten Zentimeter zu kurz! Ich ließ einen Gewaltschrei los, um mein endloses Pech zu verarbeiten. Schließlich war ich hier allein. Und ich hätte die zu kurzen Speichen dem Händler am liebsten quer in den A... naja, lassen wir das. Er hat jedoch die Speichenlänge am Laufrad gemessen, daher hab ich die Speichen, die er mir gab, nicht nocheinmal überprüft. Verzweifelt ging ich schlafen und lotete alle Möglichkeiten aus. Zum Glück sind die Schnellboot-Verbindungen gut, ich hätte also von Nesna nach Bodø kommen können, wenngleich das Ticket mit ca. 60 Euro happig gewesen wäre.
Nach Nesna zurück war es jedoch nicht weit und mein Glück mit der Radwerkstatt im Outdoorladen sowie mein Unglück mit der Möwe hatte ich ja schon beschrieben.
Daher soll es das für heute gewesen sein, denn hier in Bodø habe ich noch fast einen ganzen Tag Aufenthalt und viel Zeit zum Schreiben, bis ich mich zum Traena-Festival (
www.trena.net) aufmache! Wie ich mich freue!
Gruß aus Bodø
Manuel