Raus aus der Komfortzone, tönte ich im letzten Bericht noch. Aber in Trondheim hatte ich wieder einen Couchsurfer gefunden, sodass ich bis Sonntag abermals zwei Nächte nicht zelten musste und gepflegt auf einer bequemen Couch schlafen konnte. Eine Dusche, unendlich Strom und Internet sind schon was feines. Wenn auch ich es nicht unbedingt brauche, es aber durchaus zu schätzen weiß. Aber deswegen suche ich keine Couchsurfer. Vielmehr möchte ich mit den Leuten vor Ort in Kontakt kommen. Das kann kein noch so komfortables Hotel bieten.
Mein Gastgeber Mikhail, kurz Misha, aber war Russe. Es muss ja auch nicht unbedingt ein Norweger sein. Er war 29, sah 10 Jahre jünger aus und promovierter Informatiker. Ich hatte ihn zunächst für einen Studenten gehalten. Er meinte, er sei schon sieben Jahre in Trondheim an der Uni als Wissenschaftler angestellt. Seine Abschlüsse machte er in Moskau. Ich fragte nicht weiter nach seinem Werdegang, aber überlegte kurz und war der Meinung, dass er sein Abi mit zwölf gemacht haben muss. Den ganzen Freitag Abend skypte er mit seiner Freundin in Russland. Es war mir nicht unrecht, denn für größeren Smalltalk hatten wir das ganze Wochenende Zeit und ich konnte an meinem Reisebericht schreiben, wofür ich abends im Zelt oft zu müde bin. Später verriet er mir, dass er schon seit Jahren eine Fernbeziehung führe und daran auch nichts ändern wolle. Okay. Er würde in Trondheim bleiben und sie in Russland. Ich konnte mir zwar keine dauerhaft zufriedenstellende Beziehung vorstellen, aber bohrte nicht weiter nach. Da gegen Mitternacht es gerade mal ein kleinwenig dämmerte und die Sonne nicht mehr unterzugehen schien, merkte ich auch nicht wie spät es war. Ich pflege im Zelt lange zu schlafen, oft bis 10 Uhr und komme daher recht spät los. Und so schlief ich auch erst gegen halb zwei, als ich doch mal auf die Uhr schaute und mir dachte, dass ich morgen nicht den ganzen Tag verpennen möchte. Dennoch schlief ich wieder bis 10 Uhr.
Ich machte Samstag mittags einige Besorgungen in der Innenstadt, bis mich Misha am Nachmittag mit einigen Freunden zum Angeln einlud. Hab` ich zwar noch nie gemacht, aber gut. Ich wollte ohnehin erst sonntags weiterfahren. Die drei Freunde, allesamt in Trondheim lebende Russen, waren recht umgängliche Kollegen. Sie bemühten sich, mich zu integrieren, indem sie oft englisch sprachen und viel mit mir redeten. Wie Misha hatten sie alle irgendein mathematisch-technisches Studium hintersich und arbeiteten als Ingenieur o.ä. Daher musste ich sie zwangsweise an die Serie Big Bang Theory denken. Obwohl keiner richtig nerdig oder gar freakig wirkte.
Zu fünft in einem uralten BMW gepfercht fuhren wir ca. Eine Stunde westwärts an einem See, der voller Fische sein soll. Zuvor besorgten wir Grillfleisch im Supermarkt. Ich meine, dass dazu ein Bierchen nicht fehlen darf und wollte den Jungs und mir zwei Sixpacks kaufen. Eines reiche, meinten sie. Ohne auf den Preis zu schauen war ich mal eben 25 Euro los, wie ich hinterher merkte. Dass Bier in Skandinavien teurer ist als im deutschen Bier-Eldorado, war mir klar. Aber dass eine Dose im Supermarkt soviel kostet wie ein Cocktail in der Bar? Nagut, Lehrgeld also bezahlt.
Am See angekommen meinte ich, dass ich grillen könnte, während die geübten Angler die Rute auswerfen. Nichts da - es sei gar nicht so schwer und sie bräuchten mein Anfängerglück. Also lies ich es mir zeigen und ich hatte tatsächlich das Auswerfen und Einholen drauf - nach einigen gordischen Knoten in der Angelschnur, versteht sich. Nach nur fünf Minuten fing auch der Fliegenfischer unter den Anglern den ersten Fisch. Nicht gerade groß und ich könnte auch nicht wirklich sagen, was für einer es war. Dennoch, so viel sei vorweg gesagt, es sollte der einzige Fang des Tages bleiben. Wegen des schnellen Erfolges und ihrem Bericht vom letzten Angelausflug, wo sie wohl insgesamt acht Fische gefangen hatten und die Hälfte davon einfrieren mussten, war ich voller Eifer, meinen ersten Fisch zu fangen. Ich spürte oft einen Widerstand am Haken, aber er blieb lediglichan einem Stein oder Grasbüschel im Wasser hängen.Es war grausam, da jedesmal ein Funken Hoffnung dabei war, dass es sich doch um einen Fisch handelte. Ständig fragte ich, ob ich es so richtig mache und es bestimmte Techniken beim Einholen gebe. Nein - alles Glückssache, hieß es. Ich empfand Angeln stets als langweilig. Nun aber kann ich verstehen, wie man stundenlang Gefallen daran findet, eine Rute ins Wasser zu schmeißen. Aufgrund der erfolglosen Angelei blieb uns zum Glück noch das Grillfleisch und Bier. So mussten wir nicht hungrig heim fahren.
Abends war ich ziemlich k.o. Nicht etwa, weil die Angelei so anstrengend war, wohl eher, weil ich eine geballte Kombination aus Fleisch, Bier, Chips und lange Autofahren nicht mehr gewohnt war. 120 Kilometer radel ich mittlerweile ohne spürbare Erschöpfung am Abend. Aber so ein Angel- und Grill-Ausflug schlauchte mich bis jetzt auf meiner ganzen Tour am meisten. Alles wohl Gewohnheitssache.
Ich schlief gut 10 Stunden fast bis Sonntag mittag. Ich ärgerte mich, denn eine kurze Touri-Tour durch die Stadt und zumindest einen halben Radeltag wollte ich schaffen. Ich beeilte mich damit, schnell aufzubrechen, aber das Wetter, dass die letzten Tage ausnahmslos sonnig war, spielte nun nicht mehr mit. Einen Tag vorher berichtete ich v on meinem Glück, vielleicht durch zwei kurze Schauer gefahren zu sein. Nun aber nieselte es den ganzen Tag. Und als hätte ich es nicht schon genug verschrieen, kam der Regen genau dann richtig runter, als ich gerade in die Innenstadt aufgebrochen bin. Der Regen kann mich mal, dachte ich mir, und ich saß ihn an einer Bushaltestelle ca. Eine Stunde lang aus. Meine Geduld wurde belohnt und ich konnte eine kurze Tour durch die Innenstadt fahren, inklusive Festung. Später setzte ich mit der Fähre nach Vanviken über und radelte noch etwas die Route entlang, bis nach 50 Kilometer der Nieselregeln mit die Lust nahm.
Am Montag, nur einen Tag später wolkenloser Sonnenschein. Oh Norwegen! Ich freute mich über die beste Aussicht auf die schöne Fjordlandschaft. Dank des Trainingslagers in den Bergen machte mir das kleinere Auf und Ab kaum mehr zu schaffen und ich genoss viele kleine Inseln in den Fjorden, die sich links und rechts vor mir auftaten und zu denen meine Route über Brücken auch entlang lief. An den anderen Ufern taten sich alle Arten von Hügeln auf. Einige rund und grün, andere grau und kahl und anfangs sogar noch solche mit schneebedeckten Kuppen. Ich war begeistert nun endlich das Norwegen zu erkunden, wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Wenn auch die Bevölkerung und auch Supermarktdichte geringer sein mag, so ist sie nicht so dünn wie befürchtet. Ich fühle mich noch immer in der Komfortzone. An einem Kaffeestopp am vormittag oder gar einem Supermarkt mangelt es mir noch immer nicht. Wenn die Landschaft so bleibt oder garn och schöner wird - und das soll sie ja - kann es von mir aus gerne so bleiben.
Ich liege nun gut in der Zeit. Es ist erst ein Monat rum und habe bereits mehr als die Hälfte geschafft.Ich beschloss, etwas weniger Kilometer zu schaufeln und mehr zu genießen. In einem menschenleeren, abgelegenen Fjord entdeckte ich ein Bootsanlegeplatz. Es war bereits 19 Uhr und beschloss nach 90 Kilometer Schhluss zu machen für den Tag, denn es war ein perfekter Badeplatz. Das Wasser war glasklar und ich konnte dank der Sonne bis auf den ca. Drei Meter tiefen Grund schauen. Das Bad, dass ich bis ca. Göteborg fast täglich genießen konnte, war mit der Abgeschiedenheit und herrlichen Landschaft umso intensiver. Dazu kam, dass ich direkt auf einer Wiese daneben perfekt campen konnte und schlief zufrieden wie selten zuvor schnell ein, als die Sonne hinter der Bergkuppe verschwand.
Das Fjord-Hopping hat begonnen, noch sind mir die Fähren gut gewogen und fahren stets ohne größere Verzögerung. Ich habe zwar alle Fährenpläne auf dem Handy, wohl aber nicht immer die richtigen, wie ich nun feststellen durfte. Für manche Verbindungen nur die Winterroute. Na zum Glück hab ich mobiles Internet.
Aktuell bin ich in Brønnøysund und warte, ja, schon wieder auf einen Couchsurfer
