Das hintere Laufrad war geflickt und ich machte mich ab Nesna wieder an die Fjordumfahrungen. Es lockten einige Schnellboot-Verbindungen, die teilweise langen Strecken einfach gen Norden abzukürzen, ich bin aber im Nachhinein froh, nicht in Versuchung gekommen zu sein. Denn schließlich wollte ich so viel radeln wie möglich und nur Fähren nehmen, wenn nötig. Auch wurde ich mit herrlichen Ausblicken zum und vom Fjordende belohnt, wo immer öfter gewaltige Berge mit Schneekuppen den Hintergrund gestalteten. Auch wenn einige Hundert Höhenmeter an Steigung zu bewältigen waren. Dabei waren sie nicht wirklich schlimm. Ans Bergaufschleichen hatte ich mich längst gewöhnt. Unerträglich war nur die häufige Kombination aus mittlerweile bis zu 30 Grad wolkenloser Sonne (in Nord-Norwegen!) Und der Horde an Stubenfliegen, Stechmücken und Killerbremsen, die sich bei dieser einstelligen Geschwindigkeit und dem Flüssigkeitsverlust auf einen stürzen. Während die Stubenfliegen einfach nur nerven, hat Norwegen eine grausame Art von Bremsen, die so groß wie Wespen sind, viel zahlreicher und penetranter sowie deftiger zwicken als die, die ich von zuhause kannte. Beim Wildcampen war diese Kombination an luftverpestenden Insekten ebenfalls stets zugegen, sodass ich zappelnd wie ein Hampelmann und so schnell wie möglich mein Zelt aufbaute, um schnell ins Innere zu flüchten. Mehrmals nahm ich mir vor, zu kochen. Hatte mich aber dann meistens dagegen entschieden, da an der Innenwand die Plage lauerte und ich nicht mehr wagen wollte, das Zelt zu öffnen. Kalte Küche war daher nicht allzu schlimm bei den Südsee-Temperaturen, die hier aktuell in Norwegen vorhanden sind. Selbst in Bodö war es bis spät in die Nacht bis zu 28 Grad heiß.
Bis Bodö aber lagen noch zwei Tagesstrecken vor mir. An den Fähren kommt man mit den wartenden Reiseradlern eigentlich immer ins Gespräch - erst recht mit solchen, die deutsch sprechen. So lernte ich auch Fabian kennen. Ein ca. 50-jähriger Architekt und mit rheinländischer Frohnatur gleich sympatisch. Er war mit klassischem Reiserad unterwegs und steuerte stets Hotels, Hütten und Campingplätze an. Ich teilte seine gemütliche Reise-Einstellung, auch wenn mein Gepäck ein sportlicheres Vorankommen vermuten lassen könnte. Die nächsten beiden Tagen radelten wir gar bis Bodö zusammen. Ich bot ihm Windschatten bergauf, damit er sein Schlachtschiff - so nenne ich liebevoll konventionelle, vollbepackte Reiseräder - hochhieven konnte. Es war natürlich mehr scherzhaft als mit echten Effizienzgedanken. Und so genossen wir wohl beide den Smalltalk, kleinere Scherze und das Baden an Fjordstränden. Er stoppte den ersten Tag an einem Campingplatz, der eher für Dauercamper ausgelegt war und außer ein Wiesenstück und eine lausige Dusche wenig bot. Ich sparte mir die überteuerten 20 Euro für die Nacht auf dem etwas besseren Parkplatz, verabschiedete mich von Fabian und campte 20 Kilometer weiter hinten am Strand - wunderschön und kostenlos.
Da ich ein Spätaufsteher bin und Fabian stets um 9 Uhr losradelt, war er mir am Tag darauf etwas voraus. Gegen Mittag hatte ich ihn aber an einem Berg eingeholt. Ich konnte mich bestens an ihn von hinten heranschleichen und erschreckte ihn beim Überholen. `Wo willst du denn hin?!`, fragte ich, als ich so plötzlich neben ihm auftauchte. Er konnte natürlich nicht anders als laut zu lachen. Dass es nur noch ca. 60 Kilometer bis Bodö sein sollte, entspannte uns und wir machten auf halber Strecke Halt an einem Gebirgsfluss, der wenige Meter weiter im Fjord mündete. Obwohl es die letzten Tage stets über 25 Grad heiß war, war das Meer noch immer saukalt und wollte kein bisschen wärmer werden. Man hielt es daher nur wenige Sekunden im Wasser aus. Die Erfrischung aber war herrlich, nachdem man auf dem Rad in der Sonne schwitzte. Der Gebirgsbach war sogar etwas wärmer, wie uns Einheimische bestätigten und das Baden war hier die perfekte Entspannung.
In Bodö schließlich angekommen war ich ja mit der aus Kiel stammenden Meeresbiologin Sünnje verabredet, die einige Jahre älter ist als ich und schon viele Jahre in Tromsö und sogar Spitzbergen wohnte. Wie im letzten Bericht geschrieben, lernte ich sie - wie Fabian - auf einer Fährüberfahrt einige Tage zuvor kennen. Fabian checkte im Hotel ein und ich bei Sünnje im Gästezimmer. Abends trafen wir uns zu dritt an der Hafenmole und genehmigten uns auf einem Felsen am Meer. Nur der herrliche Horizont in kompletten Orange verriet, dass es bereits Mitternacht war.
Über ein Festival auf einer weit westlich abgelegenen einsamen Insel namens Traena berichtete mir bereits Leo in Brönnöysund. Ich war begeistert von der einmaligen Szenerie mit weiten Campingflächen auf den Inselebenen und einem Konzert in einer Höhle im Felsen. Schnellboote fuhren zwar von Bodö und auch anderswo hin, es hätte aber fast eine Woche Radelpause bedeutet. Zudem auch recht teuer für ein kleines Musikfestival mit unbekannten Queerbeet-Bands. Auch waren die beiden Schnellboot-Überfahrten so teuer wie das gesamte Festivalticket und keinesfalls darin integriert. Hinzu kam die teure Verpflegung - auch wenn die Insel über einen Supermarkt verfügte.
Sünnje aber würde auch mit Freunden dort hingehen und mich auch gerne mitnehmen. Die Zeit dafür hätte ich auch. Und was ebenso terminlich passte war die Ankunft von Gerrit in Bodö am Montag nach dem Festival-Wochenende. Ihn hatte ich ja vor Oslo bereits kennengelernt und auch er wollte wie ich Ende des Monats mit seinem Liegerad am Nordkap sein. Da letztlich alles passte, entschied ich mich für Traena, auch wenn direkte Schnellboote dorthin ausgebucht waren. Ich musste also wieder gen Süden reisen um dann von dort eine reguläre Fähre nehmen.
Ich hatte also nur den Dienstag totzuschlagen, den ich mit Sightseeing in Bodö verbrachte. Am Mittwoch musste ich schon mittags nach Süden aufbrechen, um schließlich am Donnerstag nach Traena übersetzen zu können. Am Info-Terminal aber musste ich erfahren, dass die Bootsverbindung nach Stockvagen im Süden bereits ausgebucht war. Ich hatte aber von dort das Ticket nach Traena schon gekauft. Ich war gewohnt, dass man die regulären Bootstickets immer an Bord kauft und wusste garnicht, dass man sie vorher reservieren konnte und in diesem Fall auch sollte. Ich war verzweifelt und ließ mir vom Bus-Terminal eine mögliche Verbindung zur Ablegestelle heraussuchen, was sich als extrem schwierig erwies. Ich hätte Zug fahren müssen, dann ewig Bus und wäre in ca. 36 Stunden gerade noch rechtzeitig dortgewesen. Zum Glück checkte ich zuvor noch im Internet die Direktboote, deren Verfügbarkeit stets wechselte. Laut der Traena-Webseite war die Verbindung in einer halben Stunde noch nicht ausgebucht. Das Ticket dafür konnte man natürlich nur online und mit Kreditkarte kaufen, was mit meiner nicht funktionierte. Ich sprintete also zum Boot und wollte fragen, ob ich es bar an Bord kaufen konnte. Da es eine privat gecharterte Verbindung war, ging es natürlich nicht. Ich war schon auf dem Boot und hatte unwissend die eigentliche Hürde bereits passiert, als der Kapitän mich zur Dame vor dem Boot schickte. Die hatte nur eine ausgedruckte Liste von Leuten, die das Ticket gekauft hatten. Das heißt: Selbst wenn ich es jetzt vorher noch online gekauft hätte, hätte sie mich nicht an Bord gehen lassen können. Ich sollte Glück haben und ein Passagier bekam mein Flehen an die Dame mit, dass ich ja ein anderes Ticket habe, es aber nicht nutzen konnte und ansonsten keine Möglichkeit hatte, überzusetzen. Er meinte, ein Freund schaffe es nicht und ich könne sein übriges Ticket haben. Hallelulja! Ich sollte also direkt in drei Stunden in Traena sein anstatt erst in zwei Tagen!
Geschafft von dem Hin und Her und meinem Glück überwältigte mich an Bord die nächste Überraschung: Dort treffe ich Leute von meinem Norwegischkurs aus Nürnberg! Da geh ich auf ein Festival auf einer kleinen Insel am Polarkreis und bin von Leuten umgeben, die ich kenne und kennengelernt habe!
Da ich mit der Fähre nun gleich auf die Lofoten ankomme, erzähle ich von Traena selbst das nächste Mal.
Gruß aus Moskenes
Manuel