Und wieder ein kleines Stück weiter - so langsam auf dem Weg zur Tour der Leiden... (Bilder wieder am Schluss)
Teil 6: Euskal Herria (Span./Frz. Baskenland, Pyrenées I)Mi, 9.7., Pobena - Santurzi - Portugalete - Bilbao - Asua - Derio - Mungia - Fruiz - Gernika-Lumo - Alto Autzagana (230m) - Durango - Manaria (~)
C: wild 0 €
AE: SV
116 km, 14,2 km/h, 1.190 Hm
Um es vorweg zu nehmen: Gab es bisher kleine Störungen und Abweichungen, hin und wieder schlechtes Wetter und einen eher bescheiden Sommmer – so beginnen mit dem Baskenland die massiven Probleme – garstige Wetterverhältnis, Krankheit, entsprechender Leistungseinbruch und deutliche Routenänderung.
Der Tag ist durchgehend sonnig und eher heiß. Morgens nervt die junge Herbergsbetreuerin mit dem ständigen Hinweis das Zelt schneller abzubauen – wegen der „Leute“. Obwohl ich fix bin, sind die meisten Pilger noch früher wieder auf Wanderung, müssen sie eben weniger zusammenpacken. Es gibt hier sogar ein einfaches Frühstück. Ich fahre zunächst in einem weiten Bogen um die Bucht (man hätte einen Strandweg via La Arena nehmen können), reichlich stinkende Petroindustrie trübt den Geruchssinn. Das gegenüber der Fabrikanlagen ein recht exklusives Hotel bestehen kann, wundert mich doch sehr. Die Straße hat zunächst ein Radspur, dann sagt ein Schild, Straße via Handelshafen gesperrt. Ich versuche es trotzdem, erst eine Schranke, wenig später ein Zaun und ein bewachtes Einfahrtsportal. Auch auf Nachfrage ist die Durchfahrt am Meer entlang definitiv nicht möglich (auf Michelin-Karte als normale Straße dargestellt).
Um nach Santurzi bzw. Portugalete zu gelangen, gibt es mehrere Alternativen, topographisch und in punkto Ausschilderung ist die Lage aber unübersichtlich. Ich fahre über einen Berg, sehe von dort eine Straße mit Radspur parallel und unterhalb meiner Route. Hilfestellung bekomme ich zwischnedrin noch von einem Rennradler. Schließlich steil hinab durch Stadtgebiet zum Hafengelände von Portugalete. Einige kapitale Fische werden gerade direkt zwischen Kutter und Fischmarkthalle verkauft. Nach Norden der Hafen für die großen Personenliner, nach Süden beginnt eine raumgreifende Promenade. Viele sporttreibende Basken am Morgen, viele Männer marschieren oder joggen mit nacktem Oberköper. Ein fester, schneller Schritt auch bei den Frauen. Die Tennisanlagen ebenfalls schon gut besucht.
Dann das architektonische Highlight, Unesco-Weltkulturerbe: die Puente Colgante, eine die Hafenbucht überspannende, filigran-aufwändige Stahlkonstruktion, mit einer einer am Seil aufgehängten „Schwebefähre“ – die älteste noch im Betrieb befindliche auf dem Globus. Das 1893 erstellte Bauwerk stammt übrigens unverkennbar von einem Schüler des Erbauers des Eiffelturms. Personen wie Autos können damit übersetzen. Man kann auch per Aufzug mit Führungspersonal hinauffahren und über die Stahlkonstruktion oben entlang laufen. Umher noch mehr Fotomotive, schöne Bürgerhäuser, das Rathaus. Die Promenade noch ein Stück weiter, dann verhindert einen riesiges Industrieareal die Weiterfahrt am Wasser. Es folgen mühsame Steigungen durch Stadt- und Wohngebiete, teils auch Ödland. Extremer Verkehr.
Eine moderne Designbrücke symbolisiert die Fahrt in das Avantgarde-Ambiente Bilbaos. Zunächst jedoch hohe Bürgerhäuser, in geordneten Straßenzügen, breite Boulevards. Nicht unbedingt gut ausgeschildert, lande ich nach Nase und Karte fahrend am Park nahe dem Guggenheim-Museum. Kleine, hübsche Tempel, von Junkies belagert. Weiträumiger Park mit Wasserfontäne und Ententeich. Museum für moderne Kunst hier. Die Avantgarde in dieser Stadt omnipräsent.
Wenig weiter dann das Guggenheim-Museum, von Baustellen umgeben. Surrealistischer, beeindruckender Bau, der Blumenhund davor allseits beliebtes Fotomotiv für die internationalen Touristen, Japaner fehlen auch heute nicht. Die Zeit für mich bereits weit vorangeschritten, verzichte daher auf einen Innenbesuch. Am Ufer des Kanals Radwege, blumengesäumte Promenadenwege. Dahinter tobt der Autowahnsinn auf den Straßen. Die Ausfahrt aus Bilbao nach Süden wohl noch einfach. Von mir gesucht die nach Norden Richtung Sopelana jedoch irreführend. Versuche es zunächst am Kanal entlang. Ein Autofahrer erkennt mein Ansinnen, warnt mich, dass es eine Sackgasse ist. Zurück, entscheide ich mich entgültig, abzukürzen, nach Mungia. Doch diese Ausfahrt nur durch verkehrsreichen Tunnel, für Radler offiziell gesperrt. Alternative nicht ausgeschildert.
Nach einigen Nachfragen gelange ich schließlich auf eine Schnellstraße Richtung Flughafen, mit giftigen Steigungen, in der heißen Mittagssonne und neben rauschenden Verkehrsströmen sehr nervig, zermürbend. Für mich weiterhin verwirrend, erreiche ich schließlich doch die alte Straße nach Mungia – auch noch gut befahren, obwohl parallel Schnellstraße vorhanden. Sehr spät ein Eis aus einer Tankstelle, habe wohl zu lange das Essen hinausgeschoben, wegen Hitze auch keinen Hunger. Versorgung dann in Mungia, nette Wohnstadt, einige historische Bauten. Ich fühle mich schlapp und müde.
Weniger Befahren dann die Route nach Gernika-Lumo – überraschend grüner, teils dschungelartiger Wald dann, leichte Hügel, launige Kurven, weniger befahren. Sehr viel Rennradler allerdings unterwegs. Allein heute sehe ich mehr Rennradler als auf der gesamten Tour bisher in Restspanien – die Basken sind radverrückt. Aber auch autoverrückt. Ab Gernika-Lumo nach Amorebieta extrem dichter Verkehr. Strecke sonst eigentlich ganz nett. Kein Höhengewinn, weil nach Autzagana-Pass wieder hinunter. Ebene, leicht zu fahrende Strecke, weiterhin guter Verkehr trotz paralleler Autobahn. In Durango zahllose Wohnkasernen (generell prägend für die Außenbezirke großer Städte in Spanien).
Mit dem Abzweig zum Urkiola-Pass deutlich weniger Verkehr. Bereits Abendschatten von den Bergen her. Noch leichte Bergfahrt im unteren Teil. In Izurtza dann scheinbar eine Überraschung: Ein JH-Hinweis. Ich suche sie am Waldrand mit einem alten Turm. Ich erfahre schließlich, die JH gibt es nicht mehr. So bereite ich mich auf ein erneutes Wildcamping ein. Der Urkiola-Pass ist nicht mehr zu schaffen. In der Dämmerung fahre ich nach Manaria die ersten steilen Meter an Richtung Pass. Finde schließlich einen Waldweg mit Zugang zu einer Bergweide, guter Platz. Dosenproviant muss als Abendessen herhalten.
Do, 10.7., Manaria - Pto. d. Urkiola (713m) - Landa - Gordoa - Etxarri-Aranatz
C: Etxarri-Aranatz ca. 9,70 €
AE: Fischsuppe, Filetsteak, Rw, Kuchen, Cafe 16,50 €
81 km, 16,0 km/h, 675 Hm
Die Nacht war nach dem milden Abend dann doch überraschend kühl. Durch die Berge hier sehr späte Morgensonne. Ich habe einen schweren Kopf, leichte Übelkeit. Möglicherweise eine Folge der durchgängigen Sonnenfahrt gestern, des wohl zu wenigen, zu späten Essens. Ich starte erst um 10 Uhr 30, komme kaum den Berg hoch. Steil der Anstieg, ein paar eindrucksvolle Gebirgsblicke, erinnern kurzweilig an Dolomiten oder Julische Alpen, dann ist die Sicht durch dichten Wald behindert. Oben wenig Aussicht. Ein Restaurant mit Übernachtungsmöglichkeit wäre dagewesen.
Auf der Abfahrt gelange ich durch ein pittosreskes Baskendorf – Otxandio. Es ist äußerst schwierig, Lebensmittelläden auszumachen. Oft kein Schild an der Tür, keine Auslage, abgedunkelte Fenster. Geradezu eine Geheimniskrämerei. Auffällig auch das überall präsente Unabhängigkeitsstreben der Basken. Auf vielen Straßenschildern mit dem Namen der Hauptstadt Vitoria-Gasteiz ist der erste, spanische Namensteil durchgestrichen. Andere politische Sprüche findet man aufgesprüht hier überall in der Provinz.
Nur wenig später ein Stausee, äußerst ruhig gelegen. Ich versuche mittels Schlaf meine Kopfschmerzen und die Malad abzumildern. Doch irgendwie kann ich nicht gut entspannen. Der schwere Kopf bleibt. Viele Höhenmeter traue ich mir nicht mehr zu. Da ohnehin in Verzug, streiche ich den Besuch von Vitoria-Gasteiz und die Schleife durch die Sierra de Urbasa – wie ich einem Prospekt am Camping des Abends erkenne, eine eigentlich lohnenswerte Route. Die schnellste Route hier nach Osten führt über Landa an dem großen Stausee Ullibari vorbei. Der See allerdings nur anfangs mit den gut besuchten Badeplatz zu sehen, danach die meist gerade Route hügelig über Wiesen, Felder, Weiden und Dörfer – wenig aufregend, mal ein nettes Kirchlein herausragend. Insgesamt leicht, leider trocknet ein zäher Gegenwind die Schleimhäute schnell aus. Wieder viele Rennradler, eine Gruppe muss wegen Reifenpanne eines Mitgliedes anhalten. Auffällig, dass fast immer auch Frauen dabei sind.
Immer noch mit Kopfschmerzen und leichter Übelkeit schleppe ich mich über das Land, versuche auch immer mal wieder das Tempo hochzuhalten. Das geht noch, Steigungen aber fallen mir besonders schwer. Es ist gleichermaßen heiß in der Sonne wie aber auch die Luft immer ein bisschen kühl erscheint. Häufige Pausen. Nach Süden schließlich bauen sich die Berge der Sierra de Urbasa auf – basaltartige Felskanten am Horizont wie ich sie aus den französischen Regionen Drôme oder Dordogne kenne. Ich sehne das Ende des Tages herbei, hoffe auf einen erholsamen Schlaf.
Der Camping in Etxarri-Aranatz außerhalb, durch den Ort, über die Bahnlinie und dann innerhalb eines Eichenwaldes schön gelegen. Der Besitzer ruft mir von der Restaurant-Terrasse in drei Sprachen zu – nur in Spanisch nicht – auch ein politisches Bekenntnis – Basken sprechen lieber Englisch als das verhasste Spanisch. Der hohe Bildungsstandard und geübte Mehrsprachigkeit begünstigen dies. Das Abendessen gut, die Übelkeit verschwindet, dafür spüre ich im Laufe der erneut kühlen Nacht Halschmerzen und eine Infektion meiner Nebenhöhlen. Das Immunsystem hat ein Loch bekommen.
Fr, 11.7., Etxarri-Aranatz - Irurtzun - Lekunberri - Alto de Uitzi (799m) - Leitza - Pto. d. Usateguieta (695m) - Doneztebe - Irurita - Arizkun - Pto. Izpegui (672m) - St. Etienne-de-Baigorry - St. Jean Pied-de-Port
C: Municipal 4,50 €
AE: Salat Chèvre Chaud, Spaghetti Bolognese, Rw, Cafe 21 €
134 km, 14,8 km/h, 1.540 Hm
Der Tag zu Beginn noch leicht sonnig, Schleierwolken. Die entlegende Route über die NA 1510 schlage ich aus, um ein wenig aufzuholen (schwierige Bergroute). Unklar für mich, ob ab Irurtzun nach Lekunberri parallel zur Autobahn eine Straße existiert (laut Michelin-Karte nicht). Es gibt aber tatsächlich eine Alternativverbindung! – Hätte ich auf die Autobahn ausweichen müssen, wäre es unangenehm geworden, weil sehr starker Verkehr und bald auch ordentlich ansteigend. Auf der Nebenstrecke fast kein Verkehr, zunächst schluchtartig, danach stufenartig steile Rampen. Starker Gegenwind, kalt, dicht bewölkt.
Lekunberri lädt mit attraktiven Häuserfassaden ein. Zeit zu Verweilen habe ich bei dem kalten Wind keine. Kurz vor dem Aspirotz-Pass zweigt die Straße zum Alto de Uitzi ab, wieder schwach frequentiert. Oben auch dieser Pass kurz sehr steil. Auch Leitza mit baskischen Vorzeigehäusern. Einen erneuten Versuch, eine Mittagsrast auf einer Bank einzulegen, muss ich abbrechen. Der kalte Wind bohrt sich derart unerbittlich durch die Kleidung, dass ich nicht ruhig sitzen kann. Ist das Sommer im Süden?
Wo die Pyrenäen beginnen, ist nicht klar definiert. Geografen setzen die Grenze meistens im Val Bidasoa an. Betrachte ich die Landschaft hier mit den sanften günen Hügeln, so würde ich die Verbindung Pamplona–Tolosa weiter westlich als Grenze ansehen – so macht es auch der Reise-Know-How-Reiseführer. Jedenfalls beginnt hier eine liebliche Berglandschaft, die Straße alleenartig mit sanfter Steigung, darunter die sattgrünen Wiesen, von Bächen durchflossen. Von dem nicht ausgewiesenen Usateguita-Pass schlängelt sich dann die Straße mit nur mäßigem Gefälle als Höhenstraße durch dichten Buchenwald, dann Lärchen, Birken, bevor sie stärker abfällt und aus den Wäldern Felsen hervorlugen, die eine kleine Schlucht bilden.
Kurz vor Santesteban finde ich eine geschütze Ecke für die späte Mittagsrast. Es bleibt auch hier auf niedriger Meereshöhe ungenehm kalt. Nicht mehr als 11, 12 °C meistens, vielleicht mal kurz 14 °C. Der Wind setzt die Fühltemperatur nochmal runter. Das Kribbeln im Hals führt nunmehr zu Husten. Ich spüre das Unheil aus den Tiefen der Lunge kommen. Die besorgten Hustenbonbons verpuffen wirkungslos.
Auch Santesteban zählt zu den bekannt schönen Ortschaften des Baskenlandes. Nach leichter Fahrt durch Weideland mit vielen Dörfern zweige ich nach Osten ab. Nach Erratz, der letzten spanischen Ortschaft vor der französischen Grenze, beginnt die Passauffahrt, mittelschwer, durch urigen Eichenwald und eindrucksvolle Kehren. Der Reiz der floralen Landschaft wird allerdings stark eingetrübt – immer tiefere Wolken überziehen das Land, es regnet nun langsam immer stärker. Ich versuche unter Bäumen die extremen Schauern abzuwarten, der Wind treibt aber immer neue kräftige Regengüsse heran. Ich verliere erneut eine Menge Zeit, was aber jetzt nicht mehr wichtig ist.
Der obere Teil des Izpegui-Passes ist wieder offen, mit weitem Blick auf die typischen grünen Hügelberge der westlichen Pyrenäen. Der Pass bildet die Ländergrenze. Auf der französischen Seite ist die Straße noch schmäler, sehr verwegen in den Berg gebaut, weniger ausgeprägt aber die Kehren. Gleich der erste Ort in Frankreich ist nicht weniger hübsch als der letzte in Spanien. Hier allerdings das typische baskische Fachwerk, die Balken meist in dunklen Rottönen. Überall Hinweise auf lokalen Käseverkauf. Sogar Wein wird hier in der klimatisch eigentlich nicht so günstigen Zone angebaut. Der Regen nun abgeebbt, suche ich noch St. Jean-Pied-de-Port zu erreichen. Dorthin ist zwar kein Pass, aber doch ein kräftiger Hügel zu bezwingen.
Die Pyrenäen liegen so dicht in den Wolken, dass ich Zweifel an einer Fortsetzung der Tour durch die Berge bekomme. In St. Jean nieselt es leicht, ringe mich dann doch zur Camping-Übernachtung durch, die Luft milder als zuvor in Spanien. Der Camping zudem gleich an der alten Stadtmauer gelegen, große Bäume vorhanden. Obwohl ich Energie nachlegen müsste, kann ich kaum etwas essen, bestelle ein Portion zuviel. Die Erkältung setzt sich immer tiefer im Brustkasten fest. Durch die Nase kaum noch Atmung.
Sa, 12.7., St. Jean Pied-de-Port - C. d'Haltza (782m) - C. d. Burdincurutcheta (1135m) - Iraty (Lac)
C: Berghütte 0 €
AE: heiße Schoki, Salat, Lammkotelett, bask. Kuchen, Rw 21 €
28 km, 8,0 km/h, 935 Hm
Der Tag des Verderbens. Wäre der Vortag schlimm genug gewesen, so gibt es noch Steigerungen. Schon Morgens regnet es noch mäßig und dank Baum kann ich wenigstens das Zelt abbauen. Unter den überdachten Waschbecken lässt sich das Gerät notdürfttig trocken reiben. Die ersten Pilger entschwinden im Regen mit Poncho bewaffnet. Erst Landregen, dann Gewitter. Als der Regen wieder schwächer wird, gehe ich zunächst mit Rad durch die Stadt. Eine wunderschön pittoreskes Ortsbild, baskisches Fachwerk, romantische Brücklein, Stadttor, unzählige Geschäfte mit Souvenirs und lokalen Produkten – Schinken, Würste, Käse, Schnäpse, Weine – auch edle Textil-Boutiquen. Kaum schaue ich in einen Laden, schon tränt der Himmel erneut. Auch die Händler haben wenig Spaß an diesem Tag. Miserables Geschäft – außer: Regenponchos! – Wieder Warten im Cafe. Es ist bereits Mittag. Endlich ein wenig Trockenheit, ein Käseverkäufer macht mir etwas Hoffnung für den Nachmittag.
Das Kernproblem aber bleibt: Hier auf 200-300 müM hängen bereits düstere Wolken, drohen ständig heftige Schauern und ist es schon bedenklich kühl. Was also in den Bergen. Sie liegen in dicken Wolken. Dann die Erkältung. Soll ich ganz aus den Bergen rausfahren? – Nach Pau und dann gar mit dem Zug ans Mittelmeer, vielleicht dort ein Hauch von Sommer? – Ich versuche es dennoch in die Berge, wenigstens über Larrau. Mit der Verzögerung des Tages und dem bereits zuvor angestauten Rückstand, muss ich in jedem Fall die geplanten Pässe via spanische Grenze ausfallen lassen.
Noch im unteren Teil treffe ich auf zwei Franzosen, die auf einem durch Elektromotor angetrieben Stehroller fahren. Einer der beiden ist behindert, kann offenbar nicht mehr radfahren. Sie wollen eine ähnliche Route wie ich fahren, auch noch zur Tour de France am Tourmalet. Diese Elektroroller fahren erstaunlich schnell auch die gifitgen Steigungen hoch, sind deutlich schneller als ich mit dem Rad, bergrunter ist es umgedreht. So begegnen wir uns noch mehrmals. Am Berg müssen sie den Akku austauschen, daher überhole ich sie dort auch noch einmal. Mittlerweile fahre ich in der Wolke, der Col d’Iraty (mit einem Zwischenpass) sehr steil. Es regnet noch erträglich, aber immer mehr. Die Luft schlecht zum Atmen, ohnehin meine Nase dicht. Mit Erreichen des Col de Burdincurutcheta – was für ein Zungenbrecher! – verstärkt sich der Regen heftig, die Zwischenabfahrt tut ein übriges. Von Aussicht brauchen wir hier nicht reden.
In der Talmulde vor der weiteren Auffahrt zum Col d’Iraty liegt ein See, in tief trauerndem Tränenschleier. Direkt an der Straße ein Bistro, hat geöffnet. Die beiden Elektrorollerfahrer sind bereits da. Sie sind aber nicht nur zum Trocknen da: Ihr Problem sind die Akkus. Insgesamt habe sie drei dabei, also ein Ersatzakku für zwei Leute. In einsamen Regionen wird es zuweilen schwierig. Sie laden die Akkus ein wenig auf, um den Col d’Iraty noch zu schaffen und in Larrau zu übernachten. Die Bistrowirtin bucht ihnen ein Hotelzimmer. Bald fahren sie weiter, ich versuche es ein wenig später auch.
Ich selbst dachte eigentlich, locker über Larrau hinauszukommen. Doch bei dem Regen wäre ich froh, es bis dorthin zu schaffen. Ca. 300 Hm zum Pass. Dann aber noch eine Abfahrt, das Schwierigste bei solchem Wetter. Es regnet nunmehr noch stärker. Es wäre mörderisch den Berg hinaufzufahren, vom Runterfahren erst gar nicht zu reden. Als ich außen unterstehe, fährt die Wirtin weg, geschlossen. Die Luft mittlerweile bedenklich kalt. Ein breiter, großer Mann strebt vom See her auf mich und das Bistro zu. Dünn bekleidet, offene Sandalen, ziemlich lumpig, mit Zigarette, wandelt er ruhigen Schrittes durch die kalte und stark windige Luft, durch den peitschenden Regen. Geradezu gemütlich. Hat der Mann keine Nerven? – Er frägt mich, ob das Bistro offen ist, sieht ja eigentlich, dass zu ist. „Nein, es ist geschlossen, war aber auf bis vor einer Stunde“, bemerke ich in meinem dürftigen Französisch. Er wiederholt das noch zweimal, nuschelt etwas in den Bart, geht wieder zurück, ebenso unbenommen und ruhig wie zuvor.
Das Schicksal nimmt weiter seinen Lauf. Muss ich etwa hier auf 30 cm trockenen Betonrand übernachten? – In nasskalter Einöde? – Ohnehin schon geschwächt und kränkelnd? – Nach schlappen 25 km Tagesleistung? – Nebenan ist noch ein Bauernhof, eine Frau und ein Mann fahren weg. Sie sagt mir, wenig weiter am See vorbei sei ein unbewohntes Haus, wo man übernachten kann, eine Art Berghütte. Da es auf Tagesende zugeht, die Weiterfahrt ausgeschlossen, raffe ich mich auf. Der Wind fegt böig über die Weiden, treibt einem das Wasser ins Gesicht. Ich merke, die Nacht wird sehr kalt. Hinter dem Hügel sind gleich mehrere Häuser. An einem steht Restaurant. Scheint offen zu sein. Es ist wohl nicht das gesuchte Übernachtungshaus. Trozdem, Essen wäre ja nicht schlecht. Und vielleicht bekomme ich weitere Hilfe oder gar Quartier.
Tatsächlich bekommt man einfache Menüs, und für den Abend hat sich eine größere Familie oder Gruppe angemeldet, wie die Auslage an einem Tisch andeutet. Sie kommen dann etwas später. Zunächst trinke ich erst mal einen heißen Kakao. Schließlich bestelle ich auch Essen. Mittlerweile ist ein einzelner Ire eingetroffen, mit dem ich mich etwas unterhalte. Er wandert in den Bergen, kein Pilger, sucht eher anspruchsvolle Wanderrouten. Er hat sich bereits in besagten Übernachtungshaus einquartiert, ist nur zum Essen rübergekommen. Der Ire ist schnell wieder weg, ich bedeute ihm ein Wiedersehen in der Hütte. Ich bekomme von der Wirtin noch ein Handtuch ausgeliehen, kann ein wenig Socken und Schuhe antrocken, der offen heizt als wäre Winter. Trotzdem habe ich ständig Schüttelfrost.
Gesättigt springe nach draußen, es ist nahezu dunkel, Stühle sind bereits vom Wind umgerissen, mein Rad steht noch. Schnell bin ich an besagtem Haus – eigentlich keine Hütte. Vorne gar ein ordentliche Toilette und eine Dusche – für 50 Cent sogar Warmdusche (ein 50-Cent-Stück liegt sogar noch neben dem Geldkasten). Vielleicht dusche ich noch, aber eigentlich fühle ich mich zu unwohl. Nebenan dann die Stahltür, ich rüttele daran, scheint zu. Dann öffnet der Mann mit Sandalen von zuvor – ein Stein lag vor Tür, weil der Wind sie sonst aufschlagen würde. Der Mann will mich erst nicht reinlassen. Frägt mich, was ich hier wolle. Dann lässt er mich doch rein. Vorne ist Schotter, ein großer Tisch, nach hinten zwei längsartige Raumteile mit Holzbohlen. Also eine Art Massenlager für Wanderer.
Der Ire ist unsichtbar bereits im hintersten Teil am Schlafen. Der Franzose hat seinen Proviant auf dem Tisch und weit umher ausgebreitet, lauter Tüten. Es ist klar: Er ist ein Penner, betrachtet den Raum als sein Revier. Nur mürrisch duldet er Wanderern hier zu übernachten, für die die Hütte gedacht ist. Er trinkt aus einem 5-Liter-Kanister Wein, raucht. Zunächst versuchen wir uns in einer freundlichen Unterhaltung – mit meinem Französisch nur schwer möglich. Zum Duschen ist mir mittlerweile gar nicht mehr zumute, möchte nur noch schlafen. Lege mich mit Matte und Schlafsack hin, es ist fast dunkel, nur ein kleines Teelicht brennt noch auf dem Tisch. Der Franzose aber macht keine Anstalten zur Ruhe zu kommen. Er trinkt und redet mit sich selbst… und redet … redet … und trinkt … und spielt am Feuerzeug … und raucht … und redet … und trinkt … und SCHREIT! – Sagt, ich solle den Raum verlassen. – Mir fehlt der Wortschatz, um geeignet zu antworten. Er wird wieder ruhig. Draußen stürmt es, die Tür wackelt ein wenig, einmal fürs Klo hinaus: es ist saukalt, nahe Null Grad. Er trinkt wieder. Redet wieder mit sich selbst. Der Ire macht ein paar kernige Bemerkungen in Englisch, er solle sich hinlegen und schlafen. Er kann noch weniger französisch. Es bewirkt nichts. Und so geht das die GANZE Nacht! Er wiederholt sich, sitzt bis zum Morgen auf dem Tisch und redet und redet, trinkt und trinkt, raucht. Dann schreit er wieder aus heiterem Himmel usw. usw. – Was für eine Nacht!
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Fortsetzung folgt.