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#776711 - 12/04/11 10:33 PM Yunnan und Sichuan Mai 2011
zulukurt
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:cnChina

Reisebericht Yunnan - Sichuan Mai/Juni 2011 (Teil I)

Nachdem ich bereits wenige Tage nach der Tour in der Länderrubrik einige Infos zur Strecke und den Strassenverhältnissen niedergeschrieben habe, folgt nun der Reisebericht.

Nach der Tansania-Mosambik-Tour im September 2010 waren Uwe und ich schnell dabei eine neue Tour zu planen, da wir uns als ein ausgezeichnetes Team erwiesen hatten. Wir griffen Uwes alte Idee Yunnan auf und hatten zuerst vor von Laos nach Yunnan hineinzufahren oder eine Rundtour von Kunming aus zu starten. Doch bei näherer Beschäftigung mit der Region und dem Abgleichen unserer Interessen zeigte sich dann schnell, daß wir gerne in den tibetischen Regionen in Yunnan u. Sichuan fahren wollten, worin wir noch bestärkt wurden, als wir den KLM Direktflug Amsterdam – Chengdu entdeckten. Dann kamen wir schnell auf folgende Route: Chengdu – Panzihua – Lijiang(Startpunkt der Radreise) - Shigu - Weixi - Deqin/Deqen - Benzilan - Derong - Xiangcheng - Litang - Tagong - Bamei - Danba – Wolong (Ende der Radreise) – Chengdu – Xi àn – Chengdu
Eine chinesische Urlaubsbekanntschaft von Uwe bot uns an, uns in Chengdu in Empfang zu nehmen und uns bis Lijiang zu begleiten, was sich natürlich als sehr hilfreich erwies.

Fotos gibt es hier: Fotos China2011 Teil I

29.4.
Der Tag beginnt ausgezeichnet! Von „meiner“ Bäckerin bekomme ich zum Abschied eine Umarmung und meine Brötchen und Teilchen geschenkt. Gegen 9:00 steigen wir in Bielefeld in den Zug, der bis zum Amsterdamer Flughafen durchfährt. Dort angekommen packen wir in Ruhe unsere Räder ein, da wir aber Stülpkartons (unten offen) benutzen, müssen wir unterschreiben, daß KLM für eventuelle Schäden keine Haftung übernimmt. Leider müssen wir dann auch 100€ statt der telefonisch erfragten 80€ pro Rad zahlen. Da ärgert man sich doch ein wenig!

30.4.
Die Einreise am Flughafen Chengdu ist völlig unproblematisch. Zwar fragt ein Zollbeamter nach unseren Rädern, doch er gibt sich mit unserer Auskunft, daß wir sie wieder mit nach Hause nehmen, sofort zufrieden. Draußen erwartet uns bereits Ying und mit Mühe bringen wir unsere Räder samt gepäck in dem Van unter, den Ying samt Fahrer von einer Freundin geliehen hat. Die Temperaturen sind hochsommerlich und es ist ordentlich schwül. Bei der Fahrt in die Stadt wird mir sofort klar, daß ich am Ende der Tour nicht nach Chengdu mit dem Rad hineinfahren werde! In einem kleinen Laden am Bahnhof deponieren wir unsere Kartons. Am Bahnhof stellt sich dann heraus, daß Ying keine „Plätze“ für unsere Räder reserviert hat, die könnten erst in 2 Tagen nachgeschickt werden. Wir beschließen es trotzdem zu versuchen und mit Dreistigkeit und der Löwin Ying an unserer Seite schaffen wir es schließlich bis in den Warteraum für die 2 Klasse. Nachdem Ying eine Stunde auf die Verantwortlichen eingeredet hat, dürfen wir mit den anderen Fahrgästen zu unserem Nachtzug (Softsleeper 2 Klasse). Dort will man uns wieder den Zutritt verwehren, doch „no Problem“ wiederholend, bringen wir die Räder in unser Abteil und siehe da: No Problem. Zu befürchten ist allerdings, daß wir für Westler etwas Rufschädigung mit der ganzen Aktion betrieben haben. Beim Verlassen der Stadt sehen wir noch die unendlich vielen Baustellen, wo riesige Blocks hochgezogen werden, dann wird es dunkel.

1.5.
Am Morgen fahren wir durch ein schönes weites Flußtal und ab und zu sind Windkrafträder zu sehen. In Panzihua geht es vom Bahnhof direkt weiter per Bus zum Busbahnhof. Uwe und ich müssen uns nur um unser Gepäck kümmern, alles andere regelt Ying. Super! Nach einer leckeren Mahlzeit beginnt die 8 stündige Fahrt nach Lijiang. Nach den ersten 2 Stunden durch eine von Industrie und Tagebau entstellte Landschaft geht es höher in die Berge hinein. Einzelgehöfte, Pinien und Reisterassen, die selbst winzige Ecken belegen, prägen die Gegend. Kurz vor Lijiang geht es dann wieder heftig in Serpentinen zum Yangtze hinunter. Die Weltkulturerbe-Stadt Lijiang selbst liegt in einem weiten, intensiv genutzten Tal auf etwas über 2000 m Höhe und wird von bis zu 5600m hohen Bergen umrahmt. In der geschüzten restaurierten Altstadt hat Ying bereits in einer netten Pension Zimmer für uns reserviert, von der aus wir die vor allem mit chineschischen Touristen überfüllte Stadt erkunden. Lijiang läßt sich vielleicht mit dem deutschen Rotenburg ob der Tauber vergleichen, eine hochtouristische Bilderbuchstadt. Der größte Teil der Altstadt besteht aus Souvenirgeschäften und Restaurants und ist doch malerisch. Für die chin. Touristen stellen die Westler eine nette Zusatzattraktion da. Weiß Gott auf wie vielen Fotos ich, gefragt und ungefragt, zu sehen bin.

2.5.
Das Frühstück ist für uns kaum genießbar, doch in der Stadt finden sich dann Alternativen und wir legen uns schon einmal einen Vorrat Instantkaffee und Schokoriegel zu. Wir erkunden weiter die Altstadt mit Palastanlage und Pagode und der Black Dragon Pool Park bietet reichlich Fotomotive mit schneebedeckten Bergen im Hintergrund. An diesem Tag mußte ich mich von einem alten Vorurteil trennen: Wir Deutsche sind nicht die Weltmeister im Verbotsschilder aufstellen! Am Nachmittag richten wir schon einmal die Räder her, bevor wir es uns am Abend in einem Restaurant an einem der vielen Kanäle unter roten Lampions gemütlich machen. Das Bestellen des üppigen Mahls überlassen wir natürlich Ying.

3.5.
Für den heutigen Tag hat Ying für uns eine Bustagestour zur TLG (Tiger Leaping Gorge) gebucht. Auf dem Weg dorthin hält der Bus an einem Aussichtsturm, von dem man die für Chinesen äußerst bedeutsame erste Biegung des Yangtze erahnen kann. Vor allem aber können die Chinesen vor diesem Hintergrund ihrem liebsten Hobby frönen, dem Posen für die Kamera, von dem sie auch der Nieselregen nicht abhalten kann. Zudem kann man dort getrocknete Salamander und ähnlich feine Dinge erstehen. Für uns sind die 4 alten Herren auf ihren bepackten chin. Mountainbikes, die auf dem Weg nach Lhasa sind, jedoch deutlich interessanter! Die ersten der vielen chin. Reiseradler die wir insgesamt zu sehen bekommen werden. Ansonsten werden wir noch 2 Japaner und einen aus Singapore stammenden Chinesen treffen, die aufgrund ihres Aussehens hoffen nach Lhasa durchzukommen.
Die TLG ist schon recht beeindruckend, obwohl sie ihre volle Pracht wohl vorallem auf dem Höhenwanderweg entfaltet. Der Yangtze strömt hier auf gerade mal 1800m Höhe zwischen Fünftausendern hindurch. Aber auch hier ist die Touristenflut ziemlich beeindruckend, schließlich gilt die TLG in China als eine der ganz großen Sehenswürdigkeiten. Chin. Reiseleiter zeichnen sich übrigens, wie wir an diesem Tag lernen, durch einen ausgeprägten Kommandoton aus.
Zurück in Lijiang kehren wir in einem typischen Hotpot-Restaurant ein, das wohl nicht mit durstigen Deutschen gerechnet hatte, als es als Lockangebot jedes Bier für nur einen Yuan anbot.

4.5.
Heute geht es los und es nieselt bei 17 bis 18 Grad vor sich hin. Wir verabschieden uns von Ying, die die Gegend per Bus erkunden will, und sitzen gegen 8:00 im Sattel, nachdem wir uns noch einmal ordentlich mit Bargeld eingedeckt haben. Nach kurzer Zeit kommt die Sonne teilweise durch und wir machen erstmal gut 500 Höhenmeter bevor es später dann auf guter aber verkehrsreicher Straße wieder 800 Meter runter zum Yangtze geht. Unterwegs treffen wir wieder ein paar einheimische Radler auf dem Weg nach Lhasa mit sehr kreativen Gepäckkonstruktionen. Als wir schließlich die 214, die nach Shangri La/Zhongdian führt, überquert haben und weiter nach Shigu fahren, läßt der Verkehr schlagartig nach und wir rollen direkt am Yangtze entlang. Shigu liegt direkt an der 1. Biegung des Yangtze und hat touristisch wohl schon bessere Zeiten gesehen, doch immerhin gibt es ein gutes günstiges Hotel und ein paar Restaurants, so daß wir es nach nur 57 km gut sein lassen. Am Abend können wir im Ort noch ein Filmteam beobachten, daß eine Art trad. Theater aufnimmt.

5.5.
Auf gutem Asphalt rollen wir den Yangtze bei heiterem Wetter in Richtung Norden entlang und machen so gut Kilometer. Der Blick über den breiten Fluß, die terassierten Hänge und die hohen Berge ist ein Traum. Bereits gegen 11:00 kehren wir ein und ich bestelle erfolgreich Danchaofan (gebratener Reis mit Ei) und ein alter Herr zeigt uns stolz seine riesigen Pfeifen. Nach ca. 60 km nehmen wireine Nebenstrecke nach Westen in Richtung Weixi und Mekong. Wir fahren ein schönes Tal mit vielen ansehnlichen Dörfern hoch und so langsam beginnt die Kletterei. Nach insgesamt 93 km finden wir mit etwas Mühe in einem Dorf eine Privatunterkunft auf dem Hof von 2 alten Herrschaften.

6.5.
Oh Schreck, nach der Nacht auf der Pritsche geht es meinem Rücken ( meiner Schwachstelle) gar nicht gut. Doch glücklicherweise spüre ich die Schmerzen im Sattel kaum und nach 2 weiteren Tagen waren sie auch wieder verschwunden. Den weiteren Weg finden wir nur mit einiger Fragerei. Schließlich kämpfen wir uns auf einem schlechteren Feldweg auf knapp 3000m hoch. Auf dieser Strecke sehen wir auch die ersten blühenden Rhododendren. Scheinbar oben angekommen müssen wir erkennen, daß es nach einem ebenen Stück noch weiter bergauf geht. Trotz der Anstrengung ist es aufgrund der sommerlichen Temperaturen und den tollen Aussichten ein schöner Tag. Schließlich erreichen wir den Pass auf ca. 3300m Höhe. Auf der anderen Seite ist die Landschaft ganz verändert, Yakweiden prägen das Bild und die Frauen tragen ganz andere aber wunderschöne bunte Trachten mit breitkrempigen Hüten. Zu welcher Ethnie die Menschen gehören wissen wir leider nicht (Lisu?). Nirgendwo in China gibt es so viele Minderheiten wie in Yunnan und noch haben wir die tibetischen Gegenden noch nicht erreicht.
Nach dem langen Anstieg gibt ein Mahl aus getrocknetem Yakfleisch und Snickers neue Kraft für die viel Konzentration erfordernde Abfahrt nach Weixi, auf der es gut 1000m runter geht. Nach gut 65 km sind wir am Ziel und erstaunt über Größe und Modernität des Ortes. Als wir später im Restaurant sitzen, stelle ich fest, daß ich mein Besteck vergessen habe (Stäbchen gehen gar nicht, bin bekennender Grobmotoriker) und gehe noch einmal zurück zum Hotel. Dort steht bereits ein Streifenwagen mit laufendem Blaulicht und mir schwant nichts Gutes. Der Hotelier hatte nicht gewußt, wie er Westler korrekt einzuchecken hat und daher vorsichtshalber die Polizei gerufen. Westl. Touristen sind im Mekongtal doch recht selten. Der ein wenig Englisch sprechende Polizist entschuldigte sich zigmal bei mir und schließlich wurden mein Pass und das Visum fotokopiert und die Sache war erledigt.

7.5.
Die Baustelle beginnt! Direkt am Ortsausgang von Weixi beginnt sie und wir ahnen noch nicht, daß sie für uns 150 km lang sein wird. So nerven uns zu Anfang die aggressiven Köter mehr als Staub, Schlamm, Geröll und Baustellenfahrzeuge. Immerhin können wir uns regelmäßig von den Bautrupps bestaunen und teilweise bejubeln lassen. Nach gut 25 km erreichen wir den Mekong und stellen frustriert fest, daß die Baustelle nicht endet.
Das meist enge Mekongtal ist eigentlich superschön, doch wenn teilweise eine Talseite wie wegrasiert ist, leidet das touristische Potenzial doch gewaltig. Teilweise müssen die Hänge oberhalb der neuen Straße bis zu 200m hoch befestigt werden und der Abraum wird einfach den Hang rüntergeschüttet, dementsprechend ist auch der Zustand der alten Strasse auf der wir teilweise noch fahren und die sonst durch die Baustellenfahrzeuge ruiniert ist. Gebaut wird mit einem unglaublichen Einsatz von Menschen und Material. Gewaltige Stützmauern werden von Hand gebaut und Mörtel u. Beton werden z.T. von Hand angerührt. Alle paar Kilometer muß eine Brücke errichtet werden und alle geschätzten 80 Brücken zw. Weixi und Deqen sind ungefähr im gleichen Baustadium.
Das Vorankommen ist mühsam und so nutzen wir eine Brücke, um für ein paar km auf die westliche Talseite zu wechseln. Dort geht es auf kleinen Wegen durch durch Felder, Wälder und kleine Dörfer, doch nach 10 km ist Schluss und wir müssen wieder rüber. Als wir in einem Dorf kein Restaurant finden und in einem Laden nach Essen fragen, werden wir ins Wohnzimmer der Familie gelotst und von Mutter und Tochter für eine schmale Mark ausgezeichnet bekocht. Wir wechseln dann noch einmal die Talseite, doch aufgrund von Erdrutschen ist der „Feldweg“ teilweise grenzwertig wenn auch schön. Am Abend machen in dem Städtchen Yezhi nach 78 km Feierabend. Auch hier bekommen wir Besuch von der Polizei, weil der Hotelier mit uns überfordert ist. Eine Polizistin in Uniform und ihr Chef in Zivil wollen unsere Pässe und Visa sehen und haben noch eine Übersetzerin mitgebracht. Die Atmosphäre ist aber entspannt und freundlich und von viel Neugierde geprägt. Man organisiert ein paar Getränke und schließlich sitzen wir fast eine Stunde nett beisammen. Wir erfahren, daß wir am nächsten Tag noch einmal für ein paar Km auf die andere Flußseite wechseln können und das die gesamte Strecke nur an 2 Tagen pro Woche für den Verkehr freigegeben ist, wir aber passieren dürften.

8.5.
Die Baustelle ist heute deutlich heftiger als am Vortag. Geröll und Staub ohne Ende und zwischendurch wartet man an eine Felswand gedrückt ab bis 20 Lkw an einem vorbei sind und man wieder Sehen und Atmen kann. Für nur 6 km können wir nocheinmal die Talseite wechseln, was für eine Erholung! Dann geht es weiter über grobes Geröll, nur notdürftig von einem Bagger planiert, zwischen Bausmaschinen u. Lkw hindurch. Zwischendurch ist die Piste wegen Sprengungen oder Erdrutschen gesperrt, doch meist geht es schnell wieder weiter. Leider lockert sich irgendwann mein Lenkkopflager und erst am Abend in einem Dorf können wir es mit Mühe wieder festziehen. Für den Rest der Reise wird es vor sich hin knacken, doch es hält. Als wir in Badi eine Pause machen, werden wir ein wenig aufgemuntert. „I love you“ schallte es uns von der anderen Straßenseite ausdauernd entgegen: ein Mädchenpensionat. Kurz darauf ist die Straße gesperrt u. da es schon 18:00 ist nehmen wir ein Zimmer in einem Hof, in dem auch LKW-Fahrer und Bauarbeiter wohnen. Allerdings ignorieren wir das Bett und die Decken lieber und packen die Isomatten und Schlafsäcke aus. Essen bekommen wir in einer schäbigen Baracke gegenüber, in der ordentlich gezockt und gesoffen wird. Es wird ein lustiger Abend. Der Tag war anstrengend, doch geschafft haben wir gerade mal 70km mit einem Schnitt von 11,1.

9.5.
Am Morgen heißt es, die Straße sei für mindestens 2 Tage gesperrt. Wir fahren trotzdem los, werden aber an einer Schranke klar zurückgewiesen. 2 Tage hier Dreck rumsitzen? Das kann es nicht sein. Daher fahren wir 5km bis zur letzten Brücke zurück und versuchen einen Weg auf dem westl. Ufer zu finden. Doch vergebens und so fahren wir zurück zu unserer Unterkunft. Dort hatten wir gerade mit dem Fahrer eines Kleinlaster einen Preis für eine Fahrt zurück bis 15 km vor Weixi ausgehandelt (dort geht die Hauptroute zurück zum Yangtze ab) und die Räder auf der Ladefläche festgezurrt, da kommt die Nachricht, daß auch der Rückweg aufgrund eines Erdrutsches mindestens für einen Tag versperrt sei. Als wir uns noch frustriert anschauen, kommt einer unsere Zechkumpane vom Vorabend angelaufen und signalisiert uns, daß wir durchgelassen werden. Und tatsächlich dürfen wir passieren, was für ein Wechselbad der Gefühle! Die Piste ist nicht ohne und immer wieder rieselt es oben herab, doch haben wir sie in den ersten Stunden praktisch für uns allein. Das Farbspiel der Felsen und des Erdreichs ist toll und zwischendurch verengt sich das Tal zur Schlucht. Doch so schön bleibt es nicht, denn der Verkehr kommt zurück und mit ihm der Staub. Auch die Bestellung des Mittagessens geht schief. Es gibt pure Fettwürfel vom Schwein in ausgelassenem Fett. Uwe isst alles, doch ich begnüge mich mit trockenem Reis. Mittlerweile sind wir in tibetischem Gebiet, der Baustil hat sich dementsprechend verändert und die ersten Stupas und Gebetsfahnen tauchen auf. In einem kleinen Ort namens Yunling, der auf einem Felsporn über dem Mekong liegt, finden wir eine gute Unterkunft. Überall laufen Menschen in trad. Gewändern herum, zum Empfang irgendeiner hochrangigen Regierungsdelegation, die zuvor hupend an uns vorbeigefahren ist. (60 km , Schnitt10,29)

10.5.
Unser heutiges Ziel ist Deqen, das nur wenige Km von der Grenze zur Provinz Tibet entfernt ist. Als wir am Morgen weiter „unsere“ Baustelle beradeln wollen, wird uns bedeutet, daß diese wegen Sprengungen gesperrt sei. Kurz darauf hält ein SUV und der Beifahrer erklärt und in passablem Englisch, das die Strasse komplett gesperrt sei. Leider sagt er uns nicht, daß wir einfach die alte Straße nehmen können und bis wir das herausfinden, vergeht noch eine Weile. Doch dann geht es oberhalb von Yunling in Serpentinen den Berg hoch und die Aussicht wird zunehmend spektakulärer. Die ersten 40 Tageskilometer gehören zu den schönsten der ganzen Tour. Unter windet sich der Mekong auf 2000m Höhe durch das Tal, darüber liegen sattgrüne Gerstenfelder an den beige-braunen Hängen gesprenkelt mit den weißen tibetischen Wohnwürfeln und ganz weit oben sind schneebedeckte 5000 zu sehen. Aber es wird auch ein extrem heißer Tag. Am frühen Nachmittag quetschen wir uns in den Schatten eines neugepflanzten Straßenbäumchens und blicken auf die gewaltige Baustelle, die weiter unter im Tal verläuft. Das erste was wir von dem Städtchen Deqen auf 3200 m zu Gesicht bekommen ist eine in Bau befindliche Neustadt, auch hier ist der Bauboom voll angekommen. Doch wir wollen weiter zum Touriort am Ausichtspunkt von Feilai Si, der auf 3400 m liegt. In meinem 3 Jahre alten Reiseführer war von einem Dutzend Guesthouses und ein oder zwei Hotels die Rede, doch es sind locker 5 o. 6 große neue Hotels hinzugekommen und weitere befinden sich im Bau. Auf der Straße treffen wir dann Ying wieder, die sich gerade mit den 4 älteren chinesischen Radlern unterhält, die wir vor 6 Tagen am Yangtze getroffen hatten. Der heutige Tag verlangte uns auf ca. 60 km gut 1500 Höhenmeter ab.

11.5.
Am heutigen Pausentag wollten wir uns ein wenig die Beine vertreten und zum Mingyong Gletscher auf der anderen Seite des Mekong wandern. Doch erst einmal hieß es warten, da Ying gut eine Stunde brauchte, um einen Fahrer zu finden, der uns zu ihrem Preis zum Ausgangspunkt der Tagestour bringen wollte. Dann ging es erst mal 1500 m in Serpentinen runter zum Mekong, wo Eintritt kassiert wird. An der Brücke mußten wir dann eine weitere Stunde aufgrund eines Erdrutsches warten, so daß es schon ordentlich heiß war, als wir zu Fuß starteten. Die meisten chinesen ließen auf dem Rücken von Maultieren bis zum Gletscher bringen.Die Strecke durch den Wald ist sehr schön und gibt immer mal wieder tolle Aussichten frei. Es lohnt auf jeden Fall vom Ende des Gletschers noch 200 Höhenmeter weiter bis zu einem kleinen Tempel aufzusteigen, denn der 6800 m hohe heilige Berg Kagbo ist von dort viel besser zu sehen. Von einer Aussichtsplattform sahen wir mehrfach wie gößere Gletscherstücke abbrachen und donnernd zerschellten. Es macht den Eindruck, daß der Mingyonggletscher in letzter Zeit deutlich geschrumpft ist. Am Ende des Tages haben wir zu Fuß immerhin 900 Höhenmeter bewältigt und wissen zum Glück noch nicht, daß wir am nächsten Morgen etwas Muskelkater haben werden.

12.5.
Am Morgen bei Sonnenaufgang liegt die gewaltige Bergkette mit dem Kagbo im Zentrum traumhaft im Morgenlicht und wir können uns nur schwer losreißen.
Nach der kurzen Abfahrt zurück nach Deqen, decken wir uns durchgefroren erst einmal üppig mit Vorräten ein. Leider finden wir keinen ATM der Westkarten akzeptiert, d.h. einen finden wir schon, doch der ist defekt.
Am Ortsausgang beginnt dann sofort die Kletterei, wenngleich es nie steil wird. Leider fahren wir wieder durch eine, wenn auch recht weit fortgeschrittene, Baustelle und auch der LKW Verkehr ist z.T. nicht ohne. Als wir in der Mittagszeit in einem heftigen Baustellenabschnitt ein Päuschen machen, beginnt ein Bus wild zu hupen und aus einem der Fenster hängt Ying und wirft uns einen Beutel mit Kuchen und Obst zu. Perfekt! Touren mit Begleitfahrzeug sind vielleicht doch nicht so schlecht ;-)
Die letzten Kilometer hoch zum ersten der 3 Pässe fahren wir dann zum Glück auf der guten alten Strasse. Schön ist es hier, doch leider auch recht kalt und es beginnt zu nieseln. Bei einer weiteren Pause halten drei chin. Motorradfahrer auf ihrem fetten BMW Maschinen. Sie kommen von der Küste und befinden sich auf einer China-Umrundung. Im März hatten sie noch ein Motorradtraining bei BMW in Deutschland absolviert. Nach dem 2. der 3 Pässe machen wir durchgefroren eine Pause auf 4000 m Höhe in einem Bretterverschlag, der zugleich Wohnung, Laden und Restaurant ist. Hauptsächlich lebt die Familie aber davon, daß die LKW Wasser für ihre Bremsen tanken können. Wir freuen uns aber über die heiße Instantsuppe.
Kurz darauf treffen wir wieder 3-4 chin. Radler, die auf dem Weg nach Lhasa sind. Eine Vertändiging ist leider nicht möglich. Ob sie wissen, daß sie hinter Feilai Si wieder bis auf 2000 m zum Mekong runtermüssen? Hinter dem letzten der Pässe fahren wir noch 300 oder 400 Höhenmeter ab und schlagen schließlich in einem ruhigen Baustellenabschnitt unsere Zelte auf. Etwas Besseres war nicht zu finden und es dämmerte bereits. (69 km, 12,3 kmh).

13.5.
Es hat die ganze nacht leicht geregnet und so stehen wir am Morgen im Matsch und der Nebel gönnt uns anfangs nur 20m Sicht. Bibbernd geht es langsam auf der alten Strasse bergab und auch der blühende Rhododendron kann uns nicht aufmuntern. Ab 3000 m wird es dann zwar wieder recht warm und trocken, doch dafür dürfen wir uns bis Benzilan wieder komplett durch eine Baustelle quälen, so daß wir die Abfahrt mit ihren insgesamt 1600 Höhenmetern heute kaum einmal genießen konnten. Benzilan liegt gerade mal auf 2000m Höhe und dort war Sommer und die Getreidefelder waren bereits abgeerntet. Am Startpunkt am Morgen hatte der Frühling noch nicht richtig begonnen!
Ein paar Kilometer vor Benzilan besichtigten wir ein tibetisches Kloster, doch Mönche waren kaum zu sehen, denn die waren alle mit ihren Motorrädern in Benzilan, wie wir später feststellten, und füllten dort die Restaurants und Billardkneipen.
An einem Aussichtspunkt über dem Yangtze treffen wir mal wieder ein größere gemischte Gruppe chin. Radler und es gibt ein großes Hallo, zumal der Leiter der Gruppe passabel Englisch spricht. Auch er ist wie alle Chinesen, die wir treffen, überrascht, als wir ihm erklären, daß wir nicht nach Tibet und Lhasa dürfen. Benzilan selbst macht nichts her, liegt aber schön am Yangtze und bietet gut Einkaufsmöglichkeiten und reichlich Unterkünfte. Unser Zimmer war so groß, daß wir gut unsere Zelte trocknen konnten. (50 km)

14.5.
Als wir in Benzilan erfuhren, daß die Strasse nach Zhongdian/Shangri La weitgehend aus Baustelle bestehen sollte, entschieden wir uns endgültig für die bereits präferierte Route über Derong nach Litang. Wir überquerten also den Yangtze und folgten ihm ein paar Kilometer nach Norden, um dann einem Nebenfluss bis Derong zu folgen. Nach dem Höhentraining der letzten Tage rollte es sich auf der guten verkehrsarmen Strasse bei sommerlichen Temperaturen und vergleichsweise ebener Strecke ausgezeichnet. Wir kamen durch sehenswerte Landschaften und schöne tibetische Dörfer, in denen viele Häuser renoviert wurden oder schon waren. Alle waren frisch weiß gestrichen und hatten oder bekamen üppig mit Schnitzereien und bunten Farben verzierte Fenster. Viele Gehöfte verfügten über Solar-Warmwasseranlagen und auch in unseren billigen Unterkünften gab es fast immer Warmwasser. Das las sich im gar nicht so alten Reiseführer noch ganz anders. Insgesamt ergab sich so der Eindruck, daß auch in diesen abgelegenen Gegenden der chinesische Wirtschaftsboom zumindest in Form von Geld (Transferleistungen?) angekommen ist.
Wir hatten nun Yunnan verlassen waren in der Provinz Sichuan. (Weiß eigentlich jemand, warum es in Yunnan Mars, Snickers und andere westliche Süßigkeiten gibt und in Sichuan nicht? Daß die regionalen Biersorten wechseln kann ich ja verstehen, aber…)
In Derong gingen wir noch mal Obst und Kuchen einkaufen und vergassen auch nicht ein paar Dosen Bier für den Abend. Ein paar Kilometer hinter dem Ort bogen wir nach Westen in Richtung Xiangcheng ab. Wir waren lange unsicher, ob die kleine Schotterpiste der richtige Weg war, obwohl wir mehrfach gefragt hatten. Doch die Strecke war ein Traum. Erst ging es einen rauschenden Bergbach entlang, der sich dann durch eine enge Schlucht kämpfte und später ging es dann durch kleine Dörfer malerisch aussehende Dörfer. Dort fragten wir mehrfach nach einer Unterkunft, auch bei Mönchen, doch ohne Erfolg. Schließlich schlugen wir unsere Zelte dirkt am Fluss in einem Weidenwäldchen auf. Obwohl Strasse und Dorf ganz nah waren und uns auch einige Leute sahen, blieben wir ungestört. (Unsere längste Etappe: 108 km)

15.5.
Das schöne Wetter blieb uns vorerst treu und weiter ging es durch dieses schöne Tal. Nach 14 km trafen wir dann wieder auf eine Teerstraße, die vermutlich auch von Derong kam, aber ich kann nur jedem „unsere“ Abkürzung ans Herz legen. Es ging bis auf einen 3815 m hohen Pass hinauf (Start bei ca. 2500m) und gleich wieder eine schöne Abfahrt hinab in weites Hochtal auf 3400 mit vielen Gehöften und einem kleinen Dorf. Dort fanden wir in einem Schuppen ein Zimmer und zogen mal wieder unsere Schlafsäcke den Betten vor. Viel Schlaf bekam ich nicht, da die Dorfhunde im Mondschein der klaren Nacht alles gaben. (63 km)

16.5.
Bei eisigen Temperaturen krochen wir aus unseren Schlafsäcken und beim Blick auf die Berge gab es eine kleine Überraschung: Neuschnee bis auf 3700m. Wir folgten die ersten Kilometer einem nur langsam ansteigenden Tal bis wir an eine Kreuzung kamen, die es auf unseren Karten gar nicht gab. Nun ging es in Serpentinen 12 knackige Serpentinen auf 4150m hoch. Es ist immer wieder schön, wenn man die Gebetsfahnen erblickt und weiß, daß man gleich auf dem Pass ist! Da selbst hier oben taute, war die Strasse überall frei.
Vom Pass aus ist Xiangcheng unten im Tal schon gut zu sehen, doch durch die Kurvenreiche Strasse sind es noch 30 km, allerdings nur bergab. Auch konnten wir schon gut erkennen was uns am Folgetag erwarten würde! Oben packten wir uns für die Abfahrt erst mal warm ein. Die Strasse war ausgezeichnet und so ging es flott bergab. Die Aussicht blieb toll und die Hänge waren mit verschiedenen blühenden Rhododendronarten übersät und die Temperaturen waren im Tal auf 3100 m Höhe schon wieder frühlingshaft. Am Ortseingang besichtigten wir erst einmal ein schönes frisch restauriertes Kloster, bevor wir uns ein Zimmer suchten. Überrascht wurden wir von dem gewaltigen Polizeiaufgebot in der Stadt, so daß wir schon Sorge hatten in irgendwas hineingeraten zu sein, vor allem als uns ein Polizist anblaffte, als wir am Rand der Haußstraße hielten und uns aufforderte weiterzufahren. Doch insgesamt war die Stimmung auch der vielen Tibeter in der Stadt sehr entspannt und es stellte sich heraus, daß am Nachmittag im Zentrum nur eine Veranstaltung mit viel Prominenz stattfand. Empfehlen können wir das kleine Restaurant an der Hauptstrasse mit Namen „Beautiful Chonqing Girls“. Wie attraktiv die Chefinnen sind, soll jeder selber beurteilen, doch das Essen ist richtig gut und es wird Englisch gesprochen. (64km)

So weit erst mal.

Gruß
Jörg
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#777237 - 12/06/11 08:32 PM Re: Yunnan und Sichuan Mai 2011 [Re: zulukurt]
Karl der Bergische
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Danke für den interessanten Bericht und die guten Bilder. Hoffe auf Fortsetzung des Berichts. Eine Strecke, die ich auch gerne mal fahren würde. Allerdings habe ich bisher keine Raderfahrungen in fernen Ländern. Schaun wir mal!
Karl
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#777315 - 12/07/11 03:56 AM Re: Yunnan und Sichuan Mai 2011 [Re: zulukurt]
estate
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Hey danke für den Bericht!
Damit habt ihr mir eine neue Tour auf meine Wunschliste gelegt.
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#777402 - 12/07/11 10:49 AM Re: Yunnan und Sichuan Mai 2011 [Re: Karl der Bergische]
zulukurt
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Bei dem Wetter wird der 2. Teil wohl nicht so lang auf sich warten lassen.
"Raderfahrungen in fernen Länder" bekommt man halt nur, wenn man in fernen Ländern Rad fährt zwinker Nein, Scherz beiseite, es ist eigentlich immer einfacher, als man es sich zu Hause vorstellt. Vor der Afrikatour im letzten Jahr hatte ich außerhalb Europas auch noch keine Raderfahrung, bin allerdings z.T. auch allein weltweit mit dem Rucksack unterwegs gewesen. Vielleicht findest Du für eine erste Tour dieser Art ja einen erfahrenen Reisepartner. Ich hatte mit Uwe sozusagen 20 Jahre geballte Erfahrung an meiner Seite, das beruhigt natürlich.

Gruß
Jörg
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#777795 - 12/08/11 01:55 PM Re: Yunnan und Sichuan Mai 2011 [Re: zulukurt]
thomas56
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Hi Jörg,
ein schöner Bericht, lebendig vor allem durch die vielen Begebenheiten am Rande.
Vor 2 Wochen habe ich auch noch am Mekong gestanden, nur ein paar 1000km weiter südlich. grins
Ich freue mich auf Teil 2.
Gruss
Thomas
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#782999 - 12/26/11 10:32 PM Re: Yunnan und Sichuan Mai 2011 [Re: zulukurt]
zulukurt
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So, hier der 2.Teil der Tour und der Link zu den Bildern:

https://picasaweb.google.com/10147426678...feat=directlink

Der erste Teil endete in Xiangcheng zwischen Derong und Litang

17.5.
Wir wollen früh los, da uns heute wieder viele Höhenmeter erwarten, doch daraus wird leider nicht so richtig was, weil erst nach 45 Minuten Krachschlagen ein Hotelangestellter kommt und uns das Tor aufschließt. Wir haben strahlend blauen Himmel bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt. Die ersten 30 km sind ein ständiges rauf und runter mit wenig Höhengewinn. Im Tal das wir langsam hochfahren gibt es viel Bergbau und die LKW die den Abraum abtransportieren sind in z.T abenteuerlichem Zustand. Einer überholt uns mit 2 total zerfetzten Reifen. Schließlich geht es in Serpentinen zum Eingang einer wildromantischen Schlucht, in der die Strasse in die Felswand gehauen ist. Überall blühen Rhododendren, doch wie so oft erlauben die Lichtverhältnisse keine ordentlichen Fotos. Langsam geht die Schlucht in ein weiteres Tal mit Weiden und Buschwald über, doch der Frühling ist hier oben noch nicht so richtig angekommen. Das Wasser der kleinen Bäche ist zum Glück ausgezeichnet und da uns klar wird, daß wir den vor uns liegenden 4700 m hohen Pass heute wohl nicht mehr schaffen und beginnen wir uns nach einer Campsite umzuschauen, als vor uns eine kleine Siedlung auftaucht. Es handelt sich dabei um eine Art Touristendorf im mehr oder weniger traditionellen Baustil der Gegend inklusive kleinem Tempel und Stupa. Noch ist aber nichts los und die Ferienhäuser sind z.T. noch von Hirtenfamilien belegt. Angenehmerweise gibt es auch einen kleinen Laden mit Restaurant und so gibt es ein leckeres Abendessen und heißen Tee. Übernachten können wir im ungenutzten „Speisesaal“, der nicht viel mehr als ein Bretterverschlag ist. Nach 58 Tageskilometern und ca. 1800 Höhenmeter befinden wir uns auf ca. 4200 m.

18.5.
Am frühen Morgen haben wir in der Hütte 0 Grad. Wir frühstücken hastig ein Stück Kuchen und haben es eilig Bewegung zu bekommen. Leider liegen die ersten Kilometer im Schatten, aber der Pass liegt schon sichtbar in der Sonne. Kurz unterhalb des Passes stehen etliche Motorräder und an den Hängen sind vereinzelt Menschen zu sehen, aber das Vieh befindet sich noch auf den tiefer gelegenen Weiden. Was wollen die alle hier oben? Der Pass liegt laut Schild auf 4708 und ich steige noch auf einen „kleinen Hügel“ und genieße eine sensationelle Aussicht. Ganz in der Ferne liegt ein 6800 m hoher schneebedeckter Riese (den Namen weiß ich leider nicht mehr u. der Reiseführer hat die Tour nicht überlebt). Auf beiden Seiten des Passes ist die Strasse 2-3 km geschottert, doch der Rest runter ins auf 3800m gelegene Sangdui ist ausgezeichnet, so daß wir die Abfahrt richtig genießen können. Eine Pinkelpause müssen wir allerdings um 50 m verlegen, da uns der bestialische Gestank eines Yakkadavers vertreibt.

In Sangdui sieht man sofort, das auf dieser Seite des Passes eine andere tibetische Volksgruppe lebt. Die Trachten der Frauen sind viel dunkler und auch der Baustil hat sich verändert. Die äußere Form der Häuser hat sich zwar kaum verändert, doch sind hier alle Gebäude unverputzt und die Fenster und Türen sind nicht mehr kunterbunt bemalt, sondern nur noch in den Farben Schwarz, Weiß und Rot gestrichen.
Im Ort gönnen wir uns bereits um 11:00 ein üppiges Essen und können auch unsere Vorräte ergänzen. Wir verlassen Sangdui in Richtung Norden und fahren ein sanft ansteigendes Flußtal hinauf. Die Landschaft hat fast etwas Skandinavisches und auf Blumen übersäten Wiesen am Fluß machen wir eine Pause für ein Schläfchen. Hier „unten“ auf 3800m hat die Sonne schon richtig Kraft und wir legen uns in den Schatten.

Vielleicht 6km hinter Sangdui beginnt dann der Aufstieg auf das Haizi Plateau. Die Moräne des ehemaligen Gletschers wirkt wie ein Fluss aus riesigen Murmeln. Kurz unterhalb des eigentlichen Plateaus haben Hirten bereits ihre Zeltlager aufgeschlagen. Das bis zu 4600 m hohe Plateau besteht aus einer Mischung aus Felsen, Seen und Sümpfen und zu bestimmten Zeiten soll es ein Wasservogelparadies sein, doch jetzt wirkt es wie ausgestorben. Eigentlich hofften wir aufgrund der Höhe, nicht auf dem Plateau übernachten zu müssen, doch es zieht und zieht sich, so daß wir uns irgendwann doch auf die Suche nach einem nicht von der Strasse einsehbaren windgeschützten Platz machen, an dem man außerdem noch Heringe in den Boden bekommt. Gar nicht so einfach, doch schließlich finden wir nicht nur eine geeignete sondern auch noch schöne Stelle, allerdings auf fast 4600 m. Wir beeilen uns mit dem Kochen, da es schnell kälter wird und verschwinden noch in der Dämmerung in unseren Zelten. 65km

19.5.
In der Nacht werden wir beide irgendwann wach und haben Atemnot, nicht wirklich schlimm, doch ich mußte mir schon ein paar Mal sagen „bleib cool, tief durchatmen“. Gerne hätte ich dann einen Schluck getrunken, doch zeigte sich meine mangelnde Erfahrung bei solchen Verhältnissen, denn die Flasche war durchgefroren, da ich sie nicht mit in den Schlafsack genommen hatte. Aber wenigstens hat sich mein neuer Schlafsack bei den von Uwe gemessenen -9 Grad bewährt. Da unser Zeltplatz in der Morgensonne liegt, sind die Temperaturen am Morgen auszuhalten und die Flaschen tauen recht schnell auf. Auf ein Frühstück verzichten wir wieder einmal und fahren erst mal los. Nach nur 3-4 km gibt es eine rasante Abfahrt von ca. 500 Höhenmetern in ein von Yaks schwarzgesprenkeltes Tal. Ein versteckter Platz zum Zelten wäre hier nicht zu finden gewesen, doch da es hier deutlich wärmer ist, frühstücken wir erst mal, während wir den nächsten Pass mit knapp 4700m vor uns liegen sehen.

In Hochform sind wir heute beide nicht und erstmalig haben wir so richtig das Gefühl, das die Höhe ihren Tribut fordert. Doch die folgende gut 20 km lange Abfahrt runter auf 3600m ist ein großer Spass mit schöner Landschaft im strahlenden Sonnenschein. In einem kleinen Dorf bekommen wir eine reichhaltige Nudelsuppe bei deren Verzehr uns eine Gruppe junger Mütter zuschaut wie wir uns mit den langen Nudeln herumschlagen. Die selbstbewussten Frauen flirten sogar ein wenig mit uns und sind sichtlich angetan von unseren Bärten, besonders von Uwes rotblondem Exemplar. Ein paar Kilometer weiter liegen an einer Brücke ein paar Raststätten. Dort bremst neben mir ein SUV ab und eine Frau will mir eine Palette Joghurt schenken. Nett gemeint, doch die 2 kg will ich wirklich nicht zum nächsten Pass hochschleppen, was ich pantomiemisch vesuche zu erklären.

Auf dem letzten Pass vor dem weiten Tal in dem Litang liegt, befindet sich ein kleiner über und über mit Gebetsfahnen geschmückter heiliger Berg. Fahrzeuge halten kurz und die Leute werfen Bündelweise Opfergeld in die Luft. Das Tal von Litang ist eine einzige große Yakweide und ziemlich eben, doch der Wind läßt uns zum Abschluss noch mal richtig kämpfen. 90 km

20.5.
Wir legen wie geplant einen Pausentag in dem auf 4100m Höhe gelegenen Litang ein. Wäsche und Einkäufe müssen gemacht werden und wir gönnen uns 4 Mahlzeiten inklusive eines ausgezeichneten Yaksteaks. Die Hauptstrassen sind geprägt von chinesischen Händlern und Restaurants und das Stadtbild ist im Zentrum mal wieder viel moderner als erwartet. Ein älteres französisches Paar, das vor über 10 Jahren zum ersten Mal in Litang war, erzählt, das sie den Ort kaum wiedererkannt hätten. „Damals“ hätten noch Pferde das Stadtbild geprägt, nun sind es Motorräder und Autos.

Im Zentrum befindet sich ein großer Markt, auf dem ausschließlich die Caterpillar-Funghi gehandelt werden. Das sind nur im Hochgebirge vorkommende von einem Pilz befallene Raupen und gerade ist Hochsaison, wie wir von der gut Englisch sprechenden Chefin des Pottala Guest House erfahren, in dem wir abgestiegen sind (empfehlenswert). Sie entschuldigt sich noch für den zur Zeit etwas schlechten Service bei ihr, doch sie habe Arbeitskräftemangel, da alle in den Bergen zum Sammeln seien. Früher habe ein erfahrener Sammler manchmal bis zu 100 Stück pro Tag gefunden, heute selten mehr als 15-20. In den nächsten Tagen hören wir Verschiedenes, wofür die Dinger gut sein sollen. Mal heißt es, sie seien gut für die Potenz, ein anderes Mal das sie die Abwehrkräfte stärken usw.

Am Morgen besuchen wir nach anfänglichem Zögern einen etwas außerhalb gelegenen „Begräbnisplatz“, an dem die Tibeter die zerteilten Körper ihrer Verstorbenen den Geiern überlassen. Ich bin nicht so richtig traurig darüber, daß heute entgegen der Ankündigung doch keine Zeremonie stattfand. Geier sind trotzdem reichlich zu sehen. Zurück in der Stadt stürzen sich 2 hübsche chinesische Polizistinnen auf mich und wollen unbedingt mit mir fotgrafiert werden. Daran hat Uwe auch heute noch zu knabbern ;-) Anschließend besuchen wir das große Kloster von Litang, eine kleine Stadt in der Stadt. Auch hier herrscht wieder rege Bau- und Restaurierungstätigkeit. Als wir vom Dach eines Tempels die fantastische Aussicht über Kloster und Stadt aber auch die umliegenden Berge genießen, kommen 2 Mönche und beginnen auf ihren Muschelhörnern zu blasen.

Leider kommen wir auch in Litang nicht an Bargeld, denn die Automaten akzeptieren wieder nur chinesische Karten und die 2 Banken, in denen wir nachfragen, wollen keine Dollar oder Euro wechseln. Das Internet im Guest House funktioniert nur mäßig und wieder mal hat Uwe bei gmx.de weniger Probleme als ich bei web.de. Am Abend organisieren wir uns noch die Weiterfahrt für den nächsten Morgen im Kleinbus Richtung Osten. Gut 220 km wollen wir so bis zur Abzweigung nach Tagong zurücklegen, zum einen aus Zeitgründen und zum anderen weil wir auf diesem Stück viel Verkehr erwarten.

21.5.
Der Bulli kommt fast eine Stunde früher als angekündigt, die Räder und das Gepäck werden auf dem Dach verschnürt, dann quetschen wir uns in die Sardinenbüchse.Wir bereuen unsere Entscheidung trotzdem nicht, denn der gesamte Abschnitt der 314 ist in erbärmlichem Zustand. Feinste schlammige Schlaglochpiste! Und der Verkehr ist zumindest im Vergleich mit allem was wir bisher hatten heftig. Der Höhepunkt ist eine Militärkolonne mit 300 Fahrzeugen. Unser Fahrer liefert sich leider mit anderen Minibussen immer wieder mal ein Rennen. Abgesehen von einem Flußtal (ca. 2000m ) liegt fast das gesamte Stück auf 4000 Metern und höher.

Erst um 16:30 erreichen wir Xinduqiao an der Kreuzung nach Tagong. Uwe beschließt es nicht darauf ankommen zu lassen, ob unser Bargeld bis Chengdu reicht und fährt mit dem Kleinbus weiter nach Kangding, während ich Gepäck und Räder in eine Absteige schleppe. Das gerade mal 6 qm große Doppelzimmer kostet ca. 5 €, aber es gibt sogar eine warme Dusche im 1,5 qm Gemeinschaftsbad, das auch die Witsfamilie nutzt. Als ich später in einem Restaurant sitze kommt eine sechsköpfige chinesische Radlertruppe herein, leider spricht keiner wirklich Englisch. Aus dem Bus heraus haben wir heute bestimmt 50 chinesische Radler gezählt. Lhasa ruft! Uns auch, aber wir dürfen ja nicht, worüber sich die Chinesen, mit denen wir darüber sprachen, immer sehr wunderten.

Erst gegen 21:00 Uhr ist Uwe zurück und hat auch unter Nutzung meiner Karte ordentlich Geld mitgebracht. Im letzten noch geöffneten Restaurant setzt sich ein hübscher Jüngling zu uns und macht mir schöne Augen, doch schließlich akzeptiert er mein Desinteresse.

22.5.
Während wir am Morgen an der Haupstrasse eine Nudelsuppe schlürfen, sehen wir wieder etliche Gruppen von chin. Lhasaradlern starten. In der Nacht hat es geregnet und so müssen wir uns durch Pfützen und Schlamm die 4 km zurück zur Abzweigung nach Tagong quälen. Dabei überholen wir 3 Jungs auf nagelneuen Mountainbikes. An der Abzweigung haben sie uns wieder eingeholt und fahren die nächsten 20 km mit uns zusammen. Sie wollen hoch zur 317 und über Garze und Quamdo nach Lhasa fahren. Sie kommen aus dem Osten und haben gerade die Schule beendet. Eine Radtour haben sie noch nie zuvor gemacht, sind aber nach Chengdu geflogen und haben sich dort die Räder und die Ausrüstung gekauft und los ging es. Die Strasse ist seit der Abzweigung in ausgezeichnetem Zustand und da es auch flach ist, lassen wir es ordentlich rollen. Wir schauen uns ein kleines Kloster an und bemerken bei genauerem Hinsehen, das die Wandbemalungen eine bedruckte Kunststofftapete sind.

Als die ersten Hügel kommen, haben wir alten Säcke mit doppelt soviel Gepäck die Jungs plattgefahren und wir verabschieden uns. Hier auf unter 3500m sind die Hügel alle mit frischem Gras überzogen und an vielen Hängen stehen ganze (Gebets.) Fahnenwälder. In Tagong bekommen wir in einer von einer Westlerin betriebenen Herberge den ersten richtigen Kaffee seit 3 Wochen. Ein wenig „klostermüde“ verzichten wir auf die Besichtigung des dortigen großen Klosters, auch da der Eintritt schon ein wenig unverschämt ist. Am Ortsausgang liegt dann vor den schneebedeckten Gipfeln des Zheduo Shan ein Tempel mit goldenem Dach. Der Tempel selbst ist recht neu nicht weiter die Rede wert, doch als Fotomotiv ist das goldene Dach vor den grünen Hügeln und weißen Bergen erste Wahl.
Nun fahren wir durch die bekannten Tagong Graslands, ein weites hügeliges Weideland mit unzähligen Yaks und einigen Pferdeherden.

Immer wieder kommen wir heute an wassergetriebenen Gebetsmühlen vorbei. Ist das nun schlau oder faul oder beides? In Bamei schauen wir uns eine riesige Gebetsmühle an, die bestimmt 4-5 m hoch ist. Obwohl es noch früh ist, machen wir in Bamei Feierabend, da etliche finstere Wolken aufziehen. Zum Abendessen gönnen wir uns eine erstaunlich gute Flasche Rotwein aus Yunnan (warum heißt der nur Great Wall, die ist schließlich 2500 km weiter nördlich?). Das war heute die einfachste Etappe der gesamten Tour mit 69 km und nur einem nennenstwerten Anstieg.

23.5.
Am Morgen ist es kühl und feucht und in den Bergen vor uns hängt die Suppe. Erst geht es weiter durch grüne Hügel, die alle von Erosionrinnen zerfurcht sind, in denen ein fast schwarzes Gestein ins Tal gespült wird. Bevor es richtig hoch geht sehen wir in einem Talkessel wieder einmal ein großes Kloster liegen. Auf Schotter geht es dann langsam hoch auf 4000m, wo es bei eisigem Wind und Nebel doch ganz schön ungemütlich ist. Auf der anderen Seite des Passes erwartet uns leider erst mal eine schlammige Baustelle bevor die Piste zu einer kleinen asphaltierten Strasse wird und wir in die enge wunderschöne Schlucht des Yak Rivers einbiegen, die wir angesichts der feuchten Kälte leider so gar nicht genießen können. Krüppelige Nadelbäume klammern sich an den Felswänden fest, Adler kreisen halb in den Wolken, unter uns rauscht der Wildbach, die Rhododendren blühen und wir wir frieren. Nach gut 10 km bergab öffnet sich die Schlucht und es wird wieder schön warm. An den Steilhängen bestimmt 500 m über uns klebt ein kleines Dorf nach dem anderen.

In einem der Dörfer treffen wir einen Australier mit einem LHT, der uns erzählt, daß er von Danba (unserem Etappenziel) aus nicht nach Norden fahren durfte und an einer Polizeistation zurückgeschickt wurde. Erst zurück in Danba erfuhr er den Grund: in einem Kloster in Aba bestimmt 400 km weiter nördlich hatte sich ein Mönch selbstverbrannt, woraufhin der gesamte Bezirk Barkam für Ausländer gesperrt wurde. Auch wir wollten eigentlich noch einen Schlenker nach Norden über Barkam machen, haben es dann aber gar nicht erst versucht. Für uns geht es fernab der Tragödie weiter durch das schöne sonnige Tal, das sich kurz vor Danba wieder zu einer Schlucht verengt, durch die uns ein so heftiger Wind entgegenbläst, daß wir gerade noch 12 kmh schaffen. Der Ort (ca. 70000 Einwohner) liegt am Zusammenfluss von 3 Flüssen in einem engen Tal und besteht weitgehend aus modernen 4-6 stöckigen Gebäuden mit einer Fußgängerzone im Zentrum.
Am Abend besuchen wir ein besseres Restaurant und „endlich“ habe ich Hühnerfüße und –Kämme auf dem Teller. Neidisch schaue ich auf Uwes Teller, gut schaut es es aus, nachdem er einen Haufen Chilischoten rausgesucht hat. 91 Tageskilometer, davon fast 60 km Abfahrt.

24.5.
Heute wollen wir eins der umliegenden Dörfer anschauen, doch erst mal geht es in die Fußgängerzone, wo es bei einem Bäcker ausgezeichnete Kuchenteilchen gibt. Das Leben in Danba wirkt recht widersprüchlich, auf der einen Seite das moderne Erscheinungsbild mit Fußgängerzone, Mode- und Markenläden und auf der anderen Seite, sitzen auf den Bänken alte Frauen, teilweise in Tracht, und spinnen per Hand Wolle. Zum Markt kommen die Bäuerinnen aus den Dörfern in ihren schönen bunten Trachten im nagelneuen Kleinwagen.

Nach dem Frühstück entscheiden wir uns für das Dorf Suopo. Dort gibt es eine Reihe schmaler hoher Türme, die meisten sind um die 800 Jahre alt und ihr ursrünglicher Zweck ist noch immer ungeklärt. Es ist ein komisches wackeliges Gefühl auf den unbeladenen Rädern, doch wir merken wie viel Kraft jetzt am Ende der Tour in unseren Beinen und Lungen steckt, zumal wir uns auf nur 1900 m Höhe befinden. In Suopo lassen wir die Räder stehen und steigen auf zum Teil gepflasterten Wegen ein paar hundert Meter auf, vorbei an den Türmen und einzeln stehenden Gehöften. Überall verlaufen kleine Bewässerungkänäle, doch so manches Feld wird nicht mehr bestellt. Von oben haben einen guten Blick über das ganze Tal und sehen, daß auch auf der anderen Talseite etliche dieser Türme stehen. An einem Kiosk im Dorf zeigt mir der Besitzer stolz einen Bildband einer französischen Wissenschaftlerin über Türme in diesem Teil Sichuans.

Am Abend machen wir neue Pläne, da ja der Schlenker nach Norden entfällt und wir somit 3 Tage „über haben“. Wir beschliessen eine alte Idee umzusetzen und nach der Ankunft in Chengdu noch per Bus nach Xian zur Terrakottaarmee zu fahren. Doch zuvor hatten wir noch ein nettes Abendessen mit 2 Biologiestudentinnen, die seit Tagen vergeblich eine bestimmte Pflanze in den Bergen suchten und nun nur noch einen Tag übrig hatten.

25.5.
Uwe serviert mir zum Geburtstag den Kaffee am Bett, ansonste ist es ein Reisetag wie jeder andere auch. Heute soll es auf guter Strasse durch ein sanft ansteigendes Tal über 61 km ins auf 2500 m hoch gelegene Xiaojin gehen. Das Tal ist fruchtbar und so kommen wir durch viele Dörfer, in denen die Trachten immer mal wieder zu wechseln scheinen. Irgendwann wundern wir uns, das die Orte alle ganz neu wirken und alle Gebäude mit der gleichen Farbe gestrichen sind, bis uns einfällt, das es in der Region vor wenigen Jahren ein katastrophales Erdbeben gegeben hatte. Doch erst nach einer Weile sehen wir auch eine Reihe von Ruinen.
In einem der Dörfer erleben wir unsere einzige Polizeikontrolle, die jedoch in entspannter freundlicher Atmosphäre verläuft. Kurz vor Xiaojin kehren wir ein und als wir am Essen sind redet ein gut gekleideter Herr minutenlang auf uns ein, doch auch Uwes 40 Worte Chinesisch helfen hier nicht weiter, so daß wir außer das er Arzt ist nichts verstehen. Erst später stellen wir fest, daß der Arzt, der mitlerweile gegangen war, unsere Rechnung bezahlt hatte.

In Xiaojin haben wir ein wenig Probleme eine Unterkunft zu finden. Dem ersten Hotel sind wir wohl zu „abgerissen“ und werden abgelehnt, das 2. lehnen wir ab, weil es stinkt, das 3. ist uns zu teuer und so landen wir schließlich in einem Gästehaus mit dem wohl dreckigsten Teppich aller Zeiten. Ansonsten ist es aber völlig o.K. und hat eine schöne Dachterrasse. Wir vertreiben uns den Nachmittag mit einem Stadtbummel Eigentlich gibt es ja nichts besonderes zu sehen, aber von einer Parkbank aus zu beobachten wie auf dem zentralen Platz des Ortes 200 Frauen z.T. in Businesskostümen auf Highheels zu dröhnender Musik eine Mischung aus Schattenboxen und Aerobic machen, ist mal was neues. Auf der Konkurrenzveranstaltung auf der anderen Platzseite geht es nicht minder laut aber ein wenig traditioneller zu und unter den Teilnehmerinnen befinden sich auch einige ältere Frauen in Trachten. Das ganze findet unter den Augen der Helden der Revolution statt, den dort ein großes Denkmal gewidmet ist.

26.5.
Was war das für eine be*******ne Nacht! Rumschreiende Leute, ein Nachbar, der die ganze Nacht laut TV geschaut hat und überhaupt! Leider geht der Tag dann so weiter. Nach den ersten 3 Metern im Sattel fällt mir wieder die leichte 8 im Hinterrad ein, die ich über die etwas schwierige Unterkunftssuche ganz vergessen hatte. Wir beschliessen erst aus dem Ort herauszufahren und uns dann um das Rad zu kümmern. Es geht eine rasante Abfahrt hinunter und ich merke wie die 8 schlimmer wird, wie die Bremse hoppelt und schließlich fast blockiert. Vorsichtig lasse ich das Rad ausrollen und dann sehen wir den Schlamassel. Die Felge ist auf fast 10 cm länge gerissen und eingesackt – nichts geht mehr!

Andererseits ist der Ort für eine solche Panne geradezu ideal. Wir stehen an einer kleinen Kreuzung an der eine handvoll Minibusse auf Kunden warten, nun haben sie einen. Angesichts der Tatsache das es sich um unseren vorletzten Radtag handelt, ist klar, daß ich nicht versuche ein neues Hinterrad (bzw. Felge) zu organisieren. Uwe radelt die entspannten 60 km nach Rilong, während ich per Minibus vorfahre und in einem netten Backpackerladen Quartier mache. Der Wirt spricht gut Englisch und das Internet ist schnell, nur seine Bierpreise sind unverschämt. In Rilong sind die Erdbebenschäden noch deutlich zu sehen. Im touristischen Zentrum stürzte jedes 2. Gebäude ein oder erlitt Totalschaden. Ein paar große Hotelruinen stehen noch. Doch es wurde auch schon einiges wieder neu gebaut, wie z.B. ein großes Nationalparkzentrum mit riesiger Tickethalle.

Während ich bei gutem Essen an der Hauptstrasse warte, schiebt eine Belgierin, nach Souvenirs Ausschau haltend, ihren LHT vorbei. Sie hat mit ihrem Freund gerade erst ihren 2. Radtag hinter sich und die beiden haben es sich von Wolong kommend am 4500m hohen Pass zwischen Wolong und Rilong (3200m) ziemlich besorgt. Eine vernünftige Akklimatisierung ist von der Seite kaum möglich und die beiden litten unter Atemnot, Kopfschmerzen, Schwindel und leichter Übelkeit.

Am Abend beschliessen wir, daß Uwe am nächsten Tag weiterradelt, und ich ihn dann am übernächsten Tag per Geländewagentaxi in Wolong einsammle. Ich will den radfreien Tag für eine schöne Bergtour nutzen.
27.5.
Das Glück ist zurück, ich habe strahlend blauen Himmel für meine Wanderung. Ich entscheide mich für den Weg zum Dahaizi See und Schusters Rappen, während eine Gruppe Chinesen sich per Pferd an den Aufstieg macht. Die ersten Kilometer verlaufen auf einem Grat, der wiede einmal von blühenden Rhododendren gesäumt wird, die einen schönen und kitschigen Vordergrund für Fotos der schneebedeckten Gebirgskette der 5 (?) Schwestern (Siguniang Shan, bis 6250m) abgeben.
An einer kleinen Stupa lerne ich ein junges Paar aus Chengdu kennen, deren Namen übersetzt Ocean Young und King bedeuten. Mit den beiden werde ich den gesamten Tag verbringen. King spricht nur wenig Englisch, ist 25 Jahre alt, Sport- und Chinesischlehrer und träumt davon in Köln an der Sporthochschule zu studieren. Sie ist 23, spricht gut Englisch und arbeitet als Buchhalterin.
Wir sind noch nicht lange gemeinsam unterwegs, da kommt uns eine Frau entgegen, die auf einem Pony zwei in Säcken verstaute Yakkälbchen zum Verkauf ins Tal bringt. Nach einem kurzem Gespräch fragt mich King mit einem breiten Grinsen: „Tonight, beef and beer?“. Ich nicke, verstehe aber erst kurz darauf worum es geht. Die beiden haben eins der Kälbchen gekauft und laden mich für den Abend zum Barbecue ein. Traditionell werden in dieser Zeit die überzähligen männlichen Kälber geschlachtet, bevor sie beginnen Gras zu fressen.
Der Weg hat den Grat verlassen und wir sind in ein weites Tal eingebogen und Wiesen und flechtenverhangener Buschwald wechseln sich ab, während die Kulisse immer grandioser wird. Nach vielleicht 3 ½ Stunden sind wir am See und beschließen noch ein wenig weiter bis zum einem zweiten kleineren See weiterzugehen. Immer wieder kommen wir an Yakskeletten oder Kadavern vorbei. Überall blühen hier oben blaue Primeln (?), gelbe Kuhschellen (?) und Zwergrhododendren. Da der Rückweg auf dem selben Pfad zurückgeht entscheiden wir uns die erste Wegeshälfte dem Bergbach zu folgen, was zu einiger Kriecherei durchs Gebüsch, Gestampfe durch sumpfige Stellen und Balanceakten auf Stämmen über den Bergbach führt. Anders gesagt, der Tag ist perfekt!
Am späten Nachmittag sind wir wieder im Tal und nehmen unser Kälbchen in Empfang, das dann leider recht unsanft in den Kofferraum eines Taxis geworfen wird. Am Schlachtplatz, der direkt neben 3 Stupas liegt, angekommen, wird gleich zur Tat geschritten und King schächtet das Tier mit eigner Hand, überlässt das weitere Schlachten dann aber den Profis (und deren Kindern) vor Ort. Serviert bekommen wir das knusprig gegrillte Fleisch dann in einer Art Theater, in dem gerade eine tibetische Folklorevorstellung für chinesische Touristen begonnen hat. Zum Fleisch gibt es ein wenig Brot und ansonsten nur Flüssiges: Buttertee, einen lokalen Wein und Bier und Schnaps. Mit letzterem muss ich mit allen anwesenden anderen männlichen Gästen anstoßen, die Gelegenheit mit einem Westler zu trinken will sich keiner entgehen lassen und ich ziere mich nur am Anfang.


28.5.
Am Morgen denke ich dann, das es eine gute Idee ist, den Pass nach Wolong in einem motorisierten Fahrzeug in Angriff zu nehmen! Der Schädel brummt doch ganz ordentlich. In Wolong, das noch immer zum Großteil von dem Erdbeben zerstört ist, hat Uwe sein Rad gut sichtbar an der Strasse geparkt. Wir laden ihn ein und weiter geht es durch eine üble und verkehrsreiche Bausstelle, die bis zur Ostgrenze des Wolong NP reicht. Am späten Nachmittag sind wir zurück in Chengdu, wo wir für den nächsten Tag dann gleich den Bus nach Xian buchen.

29.5.
Ereignislose Fahrt nach Xian.

30.5.
Am Morgen holen wir Ying vom Bahnhof und weiter geht es zur Terrakottaarmee. Schon sehr beeindruckend! Aber auch die Besuchermassen!

31.5.
Besichtigung von Xian. Am frühen Abend geht es dann per Nachtbus zurück nach Chengdu.

1.6.
Um 5:30 sind wir wieder in Chengdu und per Fahrradrikscha geht es zum Hostel.

2. + 3.6.
Wir schauen uns Chengdu samt Sehenswürdigkeiten an, gehen ein wenig shoppen, gehen gut Essen und gehen mit Ying und ihrer Freundin, die uns bei unserer Ankunft ihr Auto zur Verfügung gestellt hatte, in Chengdus Ausgehviertel aus. Ich war so grelle auf ein Weißbier, das ich dort satte 8€ für eins gezahlt habe!

4.6.
Am Morgen holen wir unsere arg ramponierten Kartons ab und kaufen noch ein Rolle Klebeband zum Flicken. Am Flughafen verpacken wir die Räder, Probleme gibt es keine und wir Starten und Landen planmäßig. Da es am Abend keine Zugverbindung mehr von Amsterdam nach Bielefeld gibt, beziehen wir unser gebuchtes Zimmer in einem recht günstigen Flughafenhotel.

5.6.
Mittags sind wir entspannt wieder zu Hause in Bielefeld.



Zum Schluß noch ein paar Bermerkungen zur Tour.

Es war eine gelungene Radreise ohne nennenswerte Komplikationen. Wir sind durch beeindruckende Landschaften gefahren, hatten viele kulturelle Highlights auf dem Weg, haben viel erlebt und freundliche Menschen (Tibeter und Chinesen) getroffen.

Der Kontakt zu den Tibetern beschränkte sich leider meist auf den Gruß Tashi Delek (der immer hocherfreut erwidert wurde), da wir kaum Tibeter trafen die Englisch sprachen. Wir führten etliche Gespräche mit jungen gut ausgebildeten Chinesen, meist aus Großstädten stammend, die gerade selbst als Touristen unterwegs waren. Wenn wir vorsichtig politische Themen streiften, zeigten sie sich in der Regel als politisch völlig unwissend oder auf Regierungslinie liegend. Ich erinnere mich gut an die beiden Biologiestudentinnen, die Tibet toll finden, die Tibeter aber eher als ungebildete Barbaren sehen, die man zu ihrem eigenen Wohl zwingen muß, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Für jeden sichtbar ist die chinesische Strategie, die tibetischen Regionen durch Zuwanderung zu kolonialisieren, ansonsten bleibt für den Durchreisenden naturgemäß viel im Dunkeln. Auffällig ist sicher noch die hohe Polizeipräsenz selbst in extrem ländlichen tibetischen Gegenden, während in den Großstädten Xian und Chengdu kaum Polizei zu sehen war. Eine weitere Auffälligkeit war der Bauboom in den Klöstern. Wir haben nicht ein Kloster gesehen, in dem nicht massiv gebaut und restauriert wurde. Ob das dafür erforderliche Geld ausschließlich von den Gläubigen selbst kommt? Ein Chinese erzählte uns, daß das Geld teilweise über Mittelsmänner von der Regierung an die Klöster fließt. Soll dort Einfluß und Ruhe erkauft werden?
Bei der Nutzung des Internets fiel natürlich auf, daß es unmöglich war, bei Spiegel Online Seiten über China zu öffnen und als Uwe einmal Yings Internetzugang nutzte, funktionierte das beim ersten Mal ohne Probleme, 2 Stunden später jedoch nicht mehr. Zufall?

Zum Thema Höhenakklimatisierung kann ich sagen, daß wir abgesehen von der einen Nacht, keine Probleme hatten. Wir hatten unsere Route aber auch bewußt so gelegt, daß keine Probleme zu erwarten waren. Lijiang liegt etwas über 2000m hoch und in der ersten Woche wechselten wir mehrfach zwischen Höhen von 2000 bis 3500 m. Erst dann kamen wir über 4000m. Will man von Chengdu direkt nach Westen, bedeutet das, daß man schon nach 200 km von 450m Höhe in Chengdu auf 4500m Höhe kommt (Pass zw. Wolong und Rilong). Fährt man über die 318 und Kangding ist es zwar etwas weiter, aber auch dort kommt schnell der erste Pass mit 4700m.

Ansonsten schreitet die Modernisierung auch in den ländlichen Gegenden rasant voran. Handys, Warmwasseranlagen, Solarpaneels sind überall und wo vor zehn Jahren Pferde das Fortbewegungsmittel Nummer 1 waren, sieht man kaum noch welche. Informationen aus einem 5 Jahre alten Reiseführer sind gnadenlos veraltet.
Das chinesische Wirtschaftswachstum der letzten Jahr (mit oft mehr als 14% meine ich) wird in dem unglaublichen Bauboom im ganzen Land begreifbar. Unglaublich mit welchem Aufwand die neue Autobahn zwischen Chengdu und Xian gebaut wurde. Teilweise verläuft diese über 20-30 km auf Stelzen und die Zahl der Tunnel würde ich spontan auf 30 tippen. Die ebenfalls mit riesigem Aufwand entstehende Straße durch das Mekongtal wird sich ökomomisch wohl in den nächsten 30 Jahren nicht rechnen, doch stellt sie natürlich einen Zugang nach Tibet dar und ist somit von strategischem Wert. Rund um Chengdu entstehen neue Trabantensiedlungen und rund um die Altstadt von Xian ist der totale Wahnsinn losgebrochen. Vom Turm einer Pagode aus, konnte ich bei sehr eingeschränkter Sicht aufgrund des Smogs über 70 Baukräne zählen. An der Ausfallstrasse Richtung Chendgu ensteht ein ganzer Stadtteil neu. Haufenweise 20 bis 30stöckige Gebäude werden dort gleichzeitig hochgezogen.

Noch ein Wort zum Wetter. Richtig Regen hatten wir nur in einer Nacht, genieselt hat 2 oder ein 3 Mal für ein wenige Stunden. Richtig kalt war es nur in den Nachten über 4000 Meter Höhe, während es in den Flußtälern des Yangtze, Mekong und anderen auf 2000m z.T. sogar heiß war.

Das soll es gewesen sein. Bleibt mir noch Euch einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen!

Gruß
Jörg







Edited by zulukurt (12/26/11 10:43 PM)
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