2. Aprilwochenende: Mantes - Rouen - Le Havreoder auch: Vers la mer, entlang der Seine (
Bilder gibt's hier)
Ziel war diesmal die untere Seine bis ihrer Mündung. Einige allgemeine Beobachtungen habe ich
im Wiki hinterlassen. Ausgangspunkt war Mantes-la-Jolie, am Rande der Pariser Agglomeration gelegen und mir bereits durch eine vorherige Tour bekannt.
Sonnabend: Mantes-Rouen, 124 kmMorgens um halb acht Fahrt zum Bahnhof von Clamart, um den Vorstadtzug zu erwischen. Bin etwas spät dran und stehe dann hilflos vor diesen doofen Drehkreuzen, die den Zugang zu den Bahnsteigen versperren. Netterweise hilft mir ein anderer Fahrgast, der die Bahnhofsleiterin herbeitelefoniert, die per Summer eine Gittertür öffnet. Da kommt auch schon der Zug, nichts wie rein.
Eine Stunde später bin ich dann in Mantes. Kurze Stadtbesichtigung, dann die Seine überquert und eine Steigung aus der Stadt heraus, um einen der zahlreichen Mäander abzuschneiden. Zwei Tage vorher habe ich zum ersten Mal seit Jahren wieder Fußball gespielt. Argh, dieser Muskelkater... und die Blasen an der Fußinnenseite.. aua. Diese 100 Hm ziehen sich richtig lang.
Der Auffahrt folgt eine Abfahrt, und in Vétheuil beginnt ein landschaftlich schöner Abschnitt der Seine, mit Steilküsten und Kreidefelsen. Der Ort Haute-Isle bestand ursprünglich aus Wohnhöhlen, die in den Fels gehauen waren, eine Höhlenkirche zeugt noch heute davon. Wieder trügt die Michelin-Karte: Die kleine Straße, die angeblich den Berg hinaufführt, wird auf halber Höhe zum steinigen Singletrail zwischen Dornbüschen. Eine Straße hat hier garantiert nie existiert.
Gegen Mittag bin ich in Giverny, Touristenmagnet seines berühmtesten Einwohners Claude Monet wegen. Aus Kunst mache ich mir eigentlich nichts, aber der Blumengarten ist wunderschön, vor allem jetzt im Frühling. Nächste Station ist die Kleinstadt Vernon mit einigen schönen Fachwerkhäusern und einer originellen Brückenmühle, deren Überreste zwischen zwei Pfeilern über der Seine hängen.
Später geht es nochmal vom Tal aufs Hochplateau. Ich komme an einer Stelle mit phantastischer Aussicht raus: links das Château Gaillard, geradeaus der Seinebogen mit Kreidefelsen und Les Andelys. Und unmittelbar zur Rechten infernalischer Lärm, da findet nämlich ein Motorcross-Rennen statt
Wer hat sich das bloß ausgedacht?? Nichts wie weg...
Château Gaillard war mal eine normannische Grenzfestung, als die Normandie unabhängig von Frankreich war. Mit rekordverdächtig schneller Geschichte: innerhalb von zwei Jahren gebaut, galt als uneinnehmbar, wurde aber nach nur acht Jahren Existenz trotzdem gestürmt. Der Fall von Château-Gaillard hatte die Eroberung der gesamten Normandie durch Frankreich zur Folge. Jedenfalls humpele ich auf meinen Blasen eine Runde durch die Ruinen und schieße ein paar Fotos, bevor ich dem Lärm nebenan endgültig entfliehe.
Nächstes Ziel ist die Côte des Deux Amands, ein weiter nördlich gelegener Aussichtspunkt über der Seine. Der Name kommt so: Es war einmal ein Liebespaar, die wollten heiraten. Aber der Vater des Mädchens bestand darauf, dass der Schwiegersohn in spe erstmal seine Tochter ohne Pause den steilen Abhang hinauftragen müsse. Gesagt, getan, aber oben angekommen kippte der Jüngling vor Erschöpfung aus den Latschen und gab den Löffel ab. (Hatte sich wohl gedopt.) Und weil's so romantisch war, starb die Holde aus Gram gleich hinterher. Die Aussicht ist ok, aber nicht spektakulär.
An der nächsten Steigung steht alle paar hundert Meter ein Schild mit Angabe der gefahrenen Strecke und dem Abbild eines Rennradrecken im gelben Trikot. Was das wohl soll? Das Rätsel klärt sich, als zur Linken das Château Anquetil auftaucht, einstiges Domizil der gleichnamigen Tour-Legende, dem zu Ehren die Steigung von Romilly-sur-Andelle nach La Neuville-Chant d'Oisel zur "Côte Jacques Anquetil" ernannt wurde.
Jetzt geht es fix und mit Rückenwind weiter. Bei einbrechender Dunkelheit passiere ich bei Bonsecours die Côte Sainte Catherine mit schöner Aussicht auf Rouen. In Rouen erstmal nur flüchtige Stadtbesichtigung, dann zum Formule1-Hotel in einem südlichen Vorort. Übernachtung für 25 Euro samt Frühstück, für französische Verhältnisse kann man da nicht klagen. Ankunft gegen 21:30. Die Etappe hat viel länger gedauert als erwartet, auch wenn die Hälfte der Zeit für Besichtigungen draufgegangen ist.
Sonntag: Rouen-Le Havre, 155 kmDas Frühstücksbuffet ist nicht das Gelbe vom Ei, aber was soll's. Schlimmer ist, dass ich meine lange Hose zu Hause vergessen habe, und morgens ist es eben doch noch ziemlich frisch. Brr... Rouen gefällt mir gut; viele nette Fachwerkhäuser, mehrere große gotische Kirchen; auf dem Alten Markt, wo Jeanne d'Arc verbrannt wurde, steht ihr zu Ehren eine recht moderne, aber nicht ungefällige Kirche.
Um halb elf geht es von Rouen weiter, den nächsten Seinebogen schneide ich ab, und auch St-Martin-de-Boscherville wird nur kurz gestreift. Mit Rückenwind geht es auf der nur mäßig befahreren D982 fix dahin, später schlage ich einen Waldweg ein und komme nach Jumièges. Die dortige Abteiruine wird von einigen für die schönste Ruine Frankreichs gehalten - was immer das bedeuten soll. Damit sie diesen Status behält, wird sie restauriert und ist teilweise eingerüstet, weshalb es den Eintritt zum halben Preis gibt.
Später bei der Pont de Brotonne ans ruhigere Südufer. Ein paar gefällige kleine Hafenorte ziehen vorbei, z.B. Vieux-Port und Quillebeuf. Nett die flache Landschaft im ehemaligen Flussbogen des Marais-Vernier. Dann eine steile Steigung aufs umgebende Steilufer, oben auf der Hochfläche eine idyllische rurale Landschaft rund um den ehemaligen Leuchtturm am Point de la Roque.
Erlebniswert hat die Überquerung der Pont de Normandie. Diese beeindruckende Brücke überspannt die Seine-Mündung. Hauptsächlich eine Autobahnbrücke, hat sie einen schmalen Radstreifen. Bei steiler Steigung und heftigem Gegenwind von schräg vorn muss ich mich schwer konzentrieren, um in der Spur zu bleiben. Am Scheitelpunkt angekommen, weigert sich mein Kameraobjektiv, gegen den Wind auszufahren
Dann umso schneller mit Rückenwind durch die lange, schnurgerade Hafenstraße von Le Havre. Meinen angepeilten Zug verpasse ich trotzdem um fünf Minuten. Zum Glück geht eine Stunde später noch einer. In der Zwischenzeit sehe ich mir die Stadt an; nicht schön, aber auch nicht uninteressant, einige bemerkenswerte moderne Bauten aus den 50ern. Die nach dem Krieg wiederaufgebaute Innenstadt wurde zum Weltkulturerbe erklärt. Rückfahrt per Intercité nach Paris-St-Lazare, Ankunft zu Hause etwas nach Mitternacht.