Hallo Benno,
nachdem wir im Juni 2009 den R 1 von Berlin bis Sztum absolviert haben, möchte ich mal meine Eindrücke schildern. An deinen Beitrag musste ich unterwegs des öfteren mal denken. Habe mir alles viel schlimmer vorgestellt und bin in jeder Hinsicht positiv überrascht worden.
... Der R1 ist vergleichsweise stark von Kfz befahren - ...Bis auf wenige Abschnitte ist der Asphalt im Vor-EU-Standard und von der rechten Fahrbahnseite ist die rechte Spur in vielen Fällen tief eingefahren und am zerbröseln. Da es kein Sonntagsfahrverbot und praktisch keine Autobahnen gibt, ist auch am Wochenende mit vergleichsweise vielen Lkw zu rechnen. Wenn kein Gegenverkehr herrscht, überholen polnische Autofahrer besser als deutsche fast am linken Fahrbahnrand. Bei Gegenverkehr wird die Geschwindigkeit im Normalfall nicht reduziert und ohne jeden Sicherheitsabstand überholt. Generell fahren polnische Autofahrer schneller als es angemessen erscheint.
Deine Einschätzung verwirrt mich etwas. Starken Kfz-Verkehr habe ich nur auf den ersten 12 km hinter Kostrzyn auf der 22 festgestellt. Dazu kommen ein paar kurze Ortsdurchfahrten und die Weichselquerung bei Chelmno, allerdings mit Leitplanken vom Kfz-Verkehr getrennt. Etwas lebhaft, allerdings schubweise mit großen Pausen, war es auf der 160 zwischen Miedzychod und Drezdenko.
Der Straßenbelag war zu 95 % für ein Treckingrad gut befahrbahr. Schadhafte Abschnitte gab es nur kurz. Da es sich bei den meisten Straßen um nachrangige Landstraßen handelt, gibt es Lkw-Verkehr nur als Anliegerverkehr.
Die polnischen Autofahrer habe ich als ausgesprochen fair erlebt. Busse und Trucks überholen in großem Bogen, meist auf der Gegenspur. Bei Gegenverkehr wird gewartet. Wir sind kein einziges Mal von ungeduldigen Autofahrern angehupt worden.
Mindestens die Hälfte der Strecke sind wir zu zweit nebeneinander gefahren. Daran hat sich kein Autofahrer gestört. Mach das mal in Deutschland.
... Die Idee des R1 in Polen ist nur so zu verstehen, dass es vor zehn Jahren praktisch kaum asphaltierte Straßen gab und diese dann - mit etwas weniger Verkehr als heute - als brauchbarer Radweg ausgesucht wurden. In jedem Fall ist davon abzuraten, nicht asphaltierte Straßen, Wald- oder Feldwege befahren zu wollen - es wird sehr sandig und anstrengend und meist unmöglich. Auf dem von Herbert beschriebenen Abschnitt habe ich geschoben ...
Ich denke schon, dass es vor 10 Jahren asphaltierte Straßen gab. Einen nicht asphaltierten Feldweg gab es nur zwischen Stoki und Dormowo auf 4,5 km. Auf wenigen Metern war der Weg sehr sandig. Bei längerer Trockenheit könnte es hier mal zu „Schiebereien“ kommen. Wir hatten leicht durchfeuchteten Boden mit ausreichender Festigkeit. Für die geringe Anstrengung wird man mit viel Natur entschädigt.
... Aus heutiger Sicht es vollkommen unverständlich, dass der R1 praktisch an allen bekannten Städten wie Poznan (Posen), Bydgoszcz (Bromberg), Gdansk (Danzig), Soppot (Zoppot) oder Malbork (Marienburg) mit großem Bogen vorbeifährt, obwohl sie fast auf der Linie liegen. Diese Städte sind nicht nur ein Muss, sie sind auch eine notwendige Abwechslung zur meist wirklich eintönigen Landschaft...
Über das Konzept kann man geteilter Meinung sein. Ich fand es so wie realisiert sehr angenehm. Wenn man den Schwerpunkt auf Natur und Ruhe legt, wenn man sich an Störchen im Straßengraben, vorbeihuschendem Wild und ländlichem Idyll erfreuen kann, ist die Strecke genau richtig. „Eintönig“ ist das nicht. Außerdem widersprechen sich im Allgemeinen der Wunsch nach Großstädten und der nach Verkehrsarmut.
... Die Ausschilderung ist zwar perfekt gedacht und an jeder Ortseinfahrt und -ausfahrt in den Straßenverkehrswegweisung integriert und wird zum Beispiel auch hinter Kreuzungen wiederholt, hat aber inzwischen Lücken und einen systematischen Fehler - es gibt keine regelmäßigen Orts- und Entfernungswegweiser, sondern in den meisten Fällen nur das Logo R1.
Ich habe keine Fehler festgestellt, evtl. mal eine Ungenauigkeit, z.B. wenn ein R1-Schild ohne Abbiegepfeil auf einem abbiegenden Verkehrsschild aufgeklebt ist. Wer aber mit Herberts Buch fährt, hat keine Orientierungsschwierigkeiten. Ich hatte mir Herberts Beschreibung als Track zusammengebastelt und bin danach gefahren. Es gab keine Differenzen.
... Praktisch habe ich zum Beispiel auch zum sonnigen Ostern keine Reiseradler getroffen. Und Polen lassen sich auch nicht einfach von jeder Marketingidee ködern, wenn kein wirkliches Produkt dahinter erkennbar ist. Während ich zum Beispiel auf dem neuen, im letzten Jahr eingeweihten vier bis fünf Meter breiten, bestens asphaltierten Radweg zwischen Gdansk und Soppot (knapp zehn Kilometer) hunderte Fahrradfahrer getroffen habe, waren es auf dem gesamten R1 wenige Dutzend.
Wir haben in Polen auch nur 7 deutsche Radler und ein polnisches Paar getroffen. Das liegt aber wohl daran, dass das Radreisen in Polen und der R1 insgesamt noch nicht so populär sind. Mit solcher Antiwerbung, wie Dein Beitrag hier, wird’s wohl auch nicht gefördert.
... Der R1 in Polen hat mich ein bisschen an meine erste große Radreise von Berlin zum Schwarzen Meer 1988 erinnert - ein sehr ursprüngliches Abenteuer für sehr wenige, nur inzwischen mit mehr Kfz-Verkehr. ...
Wir haben uns nicht gerade als Pioniere der Radtouristik in Polen gefühlt. In unserer Erinnerung ist Polen ein empfehlenswertes Radreiseland mit moderner Infrastruktur, allerdings nicht so dicht ausgeprägt, wie in Westeuropa. Die Landschaft ist ursprünglicher und weniger zugebaut als in Deutschland. Fast alle Strecken sind intakte Alleen.
Wer weitere Infos benötigt, kann sich gern an mich wenden. Ansonsten verweise ich auf das bereits genannte Kettler-Buch.
Mich würden auch die Erfahrungen der anderen R1-Fahrer interessieren.
Gruß Dietmar