MED-2023-AOC-24
Strände, Lagunen und windgestählte Weinberge in den Corbières maritimes & an der Côte d'Améthyste feat. Parc naturel régional Narbonnaise en Méditerranée (Argelès-sur-Mer – La Grande-Motte)(Mo 2.10.) Col Perdiguer – Col de Mollo (231 m) – Coll de la Serra (319 m) – Terrassade Collioure – Argelès-sur-Mer – St-Cyprien-Plage – Elne – Alénya – Perpignan – St-Estève – Baho – Pezilla-la-Rivière – Corneilla-la-Rivière86 km | 380 Hm
Ich hatte Forumsmitglied Rainer erst kurzfristig am Vorabend angefragt, ob ich in Corneilla nach 12 Jahren mal wieder vorbeischauen könne. Zum Tagesanbruch wusste ich schließlich, dass mein Tagesziel in dem 2000-Einwohnerort im untersten Têt-Tal sein soll. Alles schien locker machbar, doch steckt die Tücke ja oft im Detail. Zunächst war ich etwas überfordert mit den vielen Weingütern, die es auch innerhalb der Küstenorte gibt so wie in Argelès-sur-Mer, eine Auswahl zu treffen. Dann war da noch die Sonnenbrille, die ich immer mehr vermisste. Am Meer hat es doch sehr viele Reflektionen, die die Augen zunehmend belasteten. In Argelès-sur-Mer gibts zwar ein großes Gewerbegebiet mit großen Optikerläden, aber ohne geeignete, fahrtwindschützende Brillenprofile – hunderte Brillen am Bedarf vorbei. Einzig bei Sport2000 hatte ich die Wahl für ein mittelprächtiges Exemplar, das weder billig noch teuer war, aber eben auch nur so lala passte. Also hoffte ich ggf. Sportläden in Perpignan zu erreichen, was auf der Strecke lag.
Mein kurz gedachter Strandaufenthalt dehnte sich unerwartet in die Länge, da ich auf sandige Zugänge geriet und Schwerarbeit beim Schieben zu leisten hatte. Der Sandmarsch am Strand erschöpfte mich zudem mit meinen noch immer nicht ganz gesundeten Füßen. Weiters sorgten eine Umleitung und verwirrende Verkehrsausschilderung mit Veloverboten bei St-Cyprien und Elne für eine Irrfahrt im Kreis. Da war dann doch die Zeit aufgebraucht, um in Perpignan noch Gewerbegebiete anzusteuern, die weit ausgelagert an den autogerechten Hauptachsen platziert sind, wo ich gar nicht vorbeikam.
Nicht weniger übel ist der Verkehr auswärts Perpignan nach Norden. Kommt man über den zentralen Cours Lazare Escarguel und die Têt-Brücke, steht man gleich in Konkurrenz der rasenden Autos auf einem Autobahnzubringer. Obwohl noch nicht veloverboten, wird man dort von der Straße gepustet oder gehupt. Dabei sind es nur wenige hundert Meter bis zum entlastenden Abzweig nach St-Estève. Das ist schon eine sehr menschenfeindliche Verkehrsplanung, die wiederum nur eines in den Mittelpunkt stellt – das Auto. Da wirken verkehrsberuhigte City-Zonen mal wieder als Augenwischerei. Indes führen die letzten Kilometer zu Rainer über den vielleicht breitesten Radweg Frankreichs, obwohl er da wiederum nebst der entspannten Straße gar nicht nötig wäre. Quasi eine Avenue du cycliste forumiste.
(Di 3.10.) Corneilla-la-Rivière – Pezilla-la-Rivière – Col de la Dona (200 m) – Estagel – via D611/D9 – Tautavel – Gorges de Gouleyrous – Vingrau – Pas de l'Escale (270 m) – Opoul-Périllos88 km | 230 Hm
Das gelungene Treffen mit Rainer – vielen Dank für Kost & Logis! – stimmte hoffnungsfroh für den Tag, doch erntete ich ein kleines Radlerpech nur wenig später. Nur einen Ort muss ich zurück, um meine Route nach Norden fortzusetzen. Der Col de la Dona zeigt auch als kleiner Pass, in welcher Vielfalt die Corbières immer wieder schillern. Neben Olivenhaine gesellen sich Rebenhänge, teils immer noch voller süßer Trauben. Windräder zeichnen die Horizontlinien und das Ödland ist von einer blumenreichen, intensiv riechenden Garrigue überzogen – fast schon ein Stück Korsika. Zur Nordseite dann eine dicht verwachsene Schlucht mit urigen Baumskulpturen am Straßenrand.
Es muss bei einer der Fotohalte gewesen sein, wo sich eine Dorne durch den Reifengummi gebohrt hatte wie wiederholt auf der Tour. Bei der Reparatur ereilte mich eine kleine Pechserie, die mich ziemlich lange in Estagel fesselte. Ich frage nach einer Bäckerei, derer keine offen hat, aber keiner verrät mir, dass es am anderen Ortsausgang noch einen Supermarkt gibt, der natürlich auch Brot hat. Es ist schon manchmal komisch, was für Auskünfte man von Ortskundigen bekommen kann. Meister Zufall bringt mich dann doch vorbei.
Ich kappe meinen Plan, die umwegige D59 nach Tautavel zu fahren, was ich schon deswegen später bedauere, als ich von Tautavel aus die entsprechende Talflucht der Schlucht erkenne. Auf der D9 radelt man eher etwas monoton gerade und über ein leicht ansteigendes, offenes Plateau mit Weinanbau. Umso länger schaut man auf den markanten Bergrücken mit Burgruine, welcher sich unmittelbar im Rücken von Tautavel erhebt. Tautavel erreiche ich trotz der Abkürzung dann doch zu spät für einen Besuch des prähistorischen Museums, dass gerade die Toren für letzte Besucher schließen möchte. Die empfohlene Mindestbesichtigungsdauer von einer Stunde würde ich deutlich unterschreiten müssen, sodass ich den Gang durch die menschliche Frühgeschichte ganz ausschlage. In einer Höhle nahe Tautavel (Caune d’Arago) wurde 1971 ein Homo heidelbergensis gefunden, dessen Schädelabdruck in Übergröße eindrucksvoll seit jüngster Zeit ein Teilgebäude des Museums fast martialisch bekleidet.
Originell ist eine Fotoserie von Tautavel, die im Ort verstreut an Fassaden plakatiert ist, jeweils mit einem immer gleich gekleideten Betrachter der Plätze des Ortes. Eigentlich wollte ich die Gorges de Gouleyrous gegen Mittagszeit erreichen, wartet dort ein erfrischender Badeplatz, der an einen arabischen Wadi erinnert. Nun war Abend und schon eher Zeit für ein Nachtlager. Über der Schlucht befindet sich die per Straße kühn anfahrbare Caune d’Arago, die aber schon von unten sichtbar geschlossen ist (wohl auch nur für speziell organisierte Führungen im Museum in Tautavel zu buchen). Ich kämpfe nun wieder gegen die im Oktober früh einbrechende Dunkelheit, die ausgangs Vingrau die Landschaft in Schweigen gehüllt hat. Dann wurde es schwer, Rastecken zu finden. Ich erreiche recht spät Opoul, wo es unangenehm windet und auch kaum eine passende Zeltecke zu finden ist.
(Mi 4.10.) Opoul-Périllos – Col de Ventenac (140 m) – (Fitou) – Col de Pré (? m) – Treilles – Cave – (La Palme) – Port-la-Nouvelle – via Canal de la Robine (teils Piste, gut) – Gruissan – Narbonne Plage – St-Pierre-la-Mer – Fleury59 km | 50 Hm
Der größte Teil der Corbières-Strecke ist nun ein offenes, leicht auf und ab fallendes Plateau mit Windrädern und viel wildem Rosmarin, dessen kleine, bläuliche Blüten wie Silberperlen in der rauen, windgestählten Umgebung glänzen. Das Meer bleibt dabei länger fern und unsichtbar als man vermuten könnte. In Fitou, ein wiederum wichtiger Weinort, könnte ich bereits zum Meer runter, nehme aber noch einen letzten Abzweig mit unauffälligem Anstieg. In Treilles durchschneidet die Straße den letzten Corbières-Hügel meiner Tour, sodann die Straße langsam zum Meer abfällt.
Trotz parallel naher Autobahn ist die folgende Departmentstraße stark befahren, selbst noch nach dem Abzweig Richtung La Palme. Dem Ort ist ein sehr salzhaltiger Brackwassersee vorgelagert, den man auch einen Kilometer reinlaufen könnte, ohne dass die Hüfte ins Wasser reicht. Ein ideales Buffetgelände für Flamingos, die Kitesurfer sind weiter draußen mit mehr Kiel unterm Brett. Nochmal suche ich nach einer Sonnenbrille in Port-la-Nouvelle, wo der einzige Veloshop gerade Ruhetag feiert. Durch Zufall erwische ich ein passables Modell für wenig Geld in einem Tabakshop. Fachhandel nicht verfügbar oder hyperteuer – wo liegt der Fehler?
Den Canal de la Robine fahre ich bereits zum zweiten Mal, wobei mir die Strecke diesmal rustikaler erschien als ich mich zu erinnern glaubte. Zudem waren die Schatten schon lang, sodass die Moskitos hier nur auf ein Opfer warteten – den Läufern nahmen sie nicht, aber den Radler wohl. Ich dachte noch, solche Leichtmücken können sich in dem kräftigen Wind nicht halten – denkste! Die Kanalroute verlasse ich wieder etwa zur Hälfte, um Gruissan zu besuchen – ein noch für mich unbekannter Fleck hier. Das ist tatsächlich eine Ortsperle, die zu einer entschleunigten Pause mit Genuss einladen würde.
Ich sehe mich erneut weit hinter meinem Zielkorridor, während bereits die Dämmerung einfällt. Die Campinganlagen mit allem Brimborium bei Narbonne Plage sind schon weitgehend verwaist. Da und dort blinkt noch ein letztes geöffnetes Pizzabistro auf, maximal 10-20 % der Betriebe haben noch offen. Ich hoffe der Mückenplage zu entgehen, indem ich einen Umweg über die Bergkuppe vom Massif de la Clape über Fleury fahre. Doch die Mücken sind überall, auch fern dem Wasser – zumindest hier und jetzt. In Fleury sind dann keine Mücken mehr, sondern Übungsstunde für Rockbands für ein Festival. Beim Picknick bekomme ich also ordentlich was auf die Ohren – von Deep Purple bis zu Nena.