Ich möchte nach Asien radeln und habe Anfang des Jahres entschlossen, dies auf mehrere dreiwöchige Urlaube verteilt anzufangen. Ein Radiofeature im Deutschlandfunk vor zirka zehn Jahren hat mir Odessa als tolle Stadt im Hinterkopf verankert, daher war das erste Etappenziel leicht gefunden.
Ich habe mir eine mittelmäßige Ausrüstung zusammengekauft, mit Ausreißern nach oben. Und bin ab März die geplante Gesamtdistanz an den Wochenenden in Einheiten geradelt, die in ihrer Länge in etwa den Tageskilometern entsprechen. Kraft und Kondition hab ich zwar genug, hatte aber mächtig Schiss vor Sitzbeschwerden oder ähnlichem. Denn ich bin seit 15 Jahren kein Rad mehr gefahren, hab aber acht Jahre Laufen "auf" den Rippen (nicht).
Die ersten beiden Tage bin ich als Probefahrt einen Monat vorher gefahren, und hab explizit wildcampen ausprobiert. Denn für unterwegs erschien mir das am effizientesten zu sein: Der "in Stein gemeißelte" Rückflugstermin und weil ich die Regenerationsfähigkeit nicht einschätzen konnte hat mich sehr über den Zeitplan grübeln lassen.
Augenmerk auf der Tour sollte liegen auf:
- Dem Essay "Täler" von Vilhelm Flusser, dessen Landkarte nicht die eines Ingenieurs ist, auf dem Wasser bergab fliesst. Sondern Täler konservieren Kultur, die in den Schmelztiegeln der Ebene entsteht.
- Die Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa von Hansjörg Küster erklärt, wie Pflanzen und der Mensch den Raum besiedelte. Der Autor hat mich einst (leider nach der Schulzeit) für Geschichte und Kulturgeschichte begeistert.
- ein Ort im waldreichen Hügellland am Ende eines Tales nenne ich Heimat, die ich wie "Rulaman" mehrfach hinter mir gelassen hab.
Dies war mein Wahrnehmungsfilter, denn schon auf der nächsten Etappe wird mir die Deutung des zu Sehenden schwerer fallen oder gar unmöglich sein.
Ich habe grob eine Google Maps Kfz-Route mit brouter nachrouten lassen, abgesehen von einem Schlenker an den früheren Wohnort Wien kürzeste Strecke. Die von brouter bevorzugten Radwege hab ich bsw in Tschechien gelegentlich durch effektivere Straßen ersetzt.
Zu den einzelnen Tagen fällt mir gar nicht viel ein, alles problemlos. Ich hatte jede Menge zu beobachten und konnte die Gedanken fliessen lassen.
Ein Highlight der Reise war nach gut und gern einer dreiviertel Stunde Feldwege ein tolles Beispiel für konservierte Kultur: Ein toll renoviertes Gutshaus in einem engen Tal. Es war eine Frau, die gerade dabei war, letzte Hand an die Ränder zu legen und Ecken zu streichen.
Ein Schmelztiegel der Extraklasse ist Wien. Der Stadt habe ich mich über den Kahlenberg genähert, von wo aus Europa gegen "die Türken verteidigt" wurde.
Aber auch vorher in Pilsen war zu sehen, wie Kulturschaffende etwas ausprobieren dürfen. Ausserhalb einer Stadt undenkbar.
Bratislava ist umgeben von einer Zone, die wohl der Versorgung der Stadt gedient hat. Heute in der glücklicherweise durchorganisierten Nahrungsoroduktion nicht mehr notwendig.
Im Sinne von Flussers Landkarte aber eine Distanz, die "neue Kultur" erst einmal überspringen muss.
Manche Kulturprodukte werden aber auch ganz zu recht aussortiert, wie ich finde.
Mit der Zeit konnte ich auch die Übergangszonen besser "lesen". Dieses Strassendorf war in kurzer Distanz zur nächsten Stadt. Aber ich würde noch nicht von großer Nähe reden.
Ich war erstmals östlicher als Budapest. Insbesondere ländliche rumänische Gegenden waren wie eine Zeitreise in mein Heimattal vor 50-60 Jahren (historisch gesehen ein Wimpernschlag). Ich für meine Person bin ganz froh, ganzjährig meine Kartoffeln kaufen zu können, und nicht an einem Samstag mit dem Clan auf Knien durchs Feld zu rutschen.
Schon im Donautal vor Wien musste ich daran denken, wie diese einst Grenze des römischen Imperiums auf einen Römer gewirkt hat. Und im Lateinunterricht haben wir Berichte über "Rumänenbanden" übersetzen müssen. Der starke Regen im Donautal trug zum trostlosen Eindruck bei.
Noch trostloser war eines der vielen Zeichen des Todes am Wegesrand. Unvorstellbar, wie sich eine Mutter fühlen muss, wenn Kinder nicht zurückkehren.
Ich hab an dem Tag "Strecke gemacht" und bin bis weit nach Dunkelheit gefahren.
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Die Rumänen haben mich unter anderem mit ihrer "emsigen" Art begeistert. In jedem Dorf wurde weitgehend maßvoll gebaut, sehr viele kleine Baustoffhändler und Fuhr"unternehmen".
Auch waren die freilaufenden Hunde eine Bereicherung der Reise. Als Mensch stehe ich über dem Tier, weswegen ich bei allem Respekt für sein Territorium nicht um Erlaubnis zum Passieren frage. Es gab keine unangenehme Begegnung.
Bildlos geblieben ist die Kooperation im Strassenverkehr. Ich fand das verhaltene Hupen von hinten sehr angenehm und hab mich gerne ebenfalls ad hoc kooperativ verhalten. Wenn ich schon um die Kurve sehen konnte, hab ich potentielle Überholer auch per Handzeichen davon abgehalten. Zwischen Härte und Flüssigkeit zu wechseln ist die Kunst des Radreisens.
Jede Menge Bilder gemacht habe ich aber am Etappenort der Tour. Mein Motiv war, väterlich vorgeprägt, die unglaubliche Vielfalt an Metallgeländern. An dieser Stelle muss eine Auswahl genügen.