Schon längere Zeit hatte ich mir vorgenommen eine ausgedehnte Radtour zu starten. Eigentlich mit meinem neuen Rad, aber da der Rahmen immer noch auf sich warten lässt, bin ich dann mit einem älteren billig-MTB losgezogen. Immerhin mit Laufradsatz, Gepäckträger, Lenker und Sattel des neuen Rades. Aber auch mit knackendem Tretlager, No-Name Umwerfer und nicht mehr ganz frischem 7fach Deore Schaltwerk. Das Rad habe ich von einem fast 2 Meter großen (ich bin unter 1,90) Freund bekommen. Abgesehen von der Angst um meine Männlichen Organe gab es noch ein anderes Problem. Auf einer langen Tour merkt man erst richtig, ob ein Rad zu einem Passt. Meins war, das weiß ich nun mit Sicherheit, zu lang. Entweder taten Hände/Arme/Hintern oder die Knie weh. Ein fröhliches hoch- und runterstellen des Sattels war die Folge. Würde ich mit diesem Rad noch mal eine solche Tour fahren? Eher nicht. Aber da ich mich schon so lange auf die Tour gefreut hatte wollte ich sie nun nicht abblasen, da die nächste Gelegenheit vielleicht erst im Frühjahr kommen könnte.
Das war übrigens meine erste mehrtägige Tour seit 2010, die angegebenen Kilometerstände mögen für viele hier eher gering erscheinen, aber ich bin's schon lange nicht mehr gewohnt
Für meine Verhältnisse bin ich eher (zu) viel gefahren, aber ich hatte leider nicht so viel Zeit.
Ich reise mit normal bis wenig Gepäck. 2 Ortlieb Back Roller City genügen für alles inkl. 2 großen Wasserflaschen (ich habe keinen Getränkehalter...). Allerdings wäre auch weniger Gepäck möglich gewesen. So trage ich meine schwere alte Praktica nebst separatem Belichtungsmesser, eine Wasserpumpzange und einen Kassettenabzieher mit mir rum. Dumm dumm dumm...
Für die Nacht kehre ich in Jugendherbergen ein. Ich bin gerade noch "Junior" und mit 18-20€ pro Nacht bezahle ich kaum mehr als auf einem Campingplatz, spare aber massenhaft Gepäck.
Ernähren tue ich mich äußerst reichhaltig, 2 warme Mahlzeiten pro Tag, 4 Brötchen zum Frühstück, zwischendurch immer wieder Thunfisch, Leberwurststullen, Bananen (2-3 pro Tag), Schokolade (ca. 200gr pro Tag). Immerhin, meine Kondition war eigentlich nie so richtig am Ende, und ich konnte es auch vermeiden abzunehmen =)
Doch nun der Reihe nach:
5.9. Oranienburg - Ravensbrück, 81,4km, 19,5km/h
Mit der S-Bahn von Berlin nach Oranienburg. Ich komme in Berlin erst spät los und will Strecke sparen. Entgegen der 50km von Google Maps - ich wusste dass es mehr wird, aber so viel? - fahre ich dann doch knapp über 80km. Der Radweg Berlin Kopenhagen ist schön, aber nicht gradlinig. Dafür wird man fast durchgängig entlang der Havel oder auf reinen Fahrradstraßen durch Wald und Wiesen geführt. Ich komme zügig voran. Als ich Ravensbrück erreiche wird es bereits dunkel. Der Weg führt an der ehemeligen Lagergrenze des Jugend-KZ und späteren Vernichtungslagers Ravensbrück entlang. Es ist ein gespenstischer Moment, als ein rostiger, alter Wachturm vor mir auftaucht. Gerne würde ich mir das Gelände genauer anschauen und photographieren, aber ich muss reinhauen, denn Jugendherbergen haben nicht die ganze Nacht jemanden in der Rezeption sitzen.
In der Herberge, die übrigens in den ehemaligen Wohnhäusern der Aufseherinnen eingerichtet ist, teile ich mir ein Zimmer mit einem Niederländer, der ebenfalls auf Radtour ist. Wir fahren abends noch gemeinsam nach Fürstenberg und kehren im Lokal "Zur Linde" ein.
Auffallen tut in der Herberge eine Schulklasse, die mächtig Krawall macht. Angesichts des Ortes auf dem wir uns befinden, bekomme ich 'ne ziemliche Krawatte, aber ein großes Lübzer im Kopf, Müdigkeit und die Tatsache, dass die Kids in einem anderen Gebäude untergebracht sind lassen mich seelenruhig einschlafen.
6.9. Ravensbrück - Plau am See, 87,5km, 18,88km/h
Ich verlassen den Radweg Berlin Kopenhagen und versuche mich anhand der hie und dort am Wegesrand stehenden Übersichtspläne orientieren. Es gibt unzählige Radwege, die auf allen möglichen Routen an allen möglichen Sehenswürdigkeiten vorbeiführen. Nur eines gibt es nicht: einigermaßen gerade, einfache Verbindungen von A nach B. Ich entscheide mich für Landstraßen und später Bundesstraßen. Gerade letzteres macht viel Freude nicht, und ich frage mich wieso man neben den diversen Radrouten nicht auch das Geld hat um wenigstens auf einer Straßenseite der Bundesstraßen noch einen kleinen Radweg einzurichten. Hinzu kommt Gegenwind. Hintern tut weh.
Habe in der Herberge - ich zahle Kurtaxe ohne ein Mal den See zu sehen - ein Zimmer für mich. Ich fahre in den Ort, esse in einem Lokal ein Jägersteak mit Kroketten und nehme mir auf dem Heimweg noch eine große Pizza mit. Das Zimmer riecht nach Linoleum. Eine Gruppe (wahrscheinlich Stundenten oder so) in meinem Alter macht bis 2h Party im Speisesaal. Mein Zimmer ist nebenan, die Wände sind dünn, die Leute haben des weiteren abgeschlossen und reagieren nicht auf mein klopfen. Als wäre das nicht schon genug donnert gegen 1.30h auch noch ein infernalisches Bass-Gewitter im Zimmer neben mir los. Gut, ich bin ja eh wach, und der junge Mann macht auch sofort leise, nachdem ich Bescheid gesagt habe. Ich würde jetzt gerne jemanden verhauen. 18€ pro Nacht inkl. Frühstück. The high cost of low prices...
7.9. Plau am See - Wismar, 114,4km, 16,45km/h
Ich fahre erst mal los, hoffentlich in ruhigere Gefilde. Dann irgendwo im Nirgendwo die Ernüchterung, die Jugendherbergen, die ich ansteuern wollte, haben keine Zimmer frei. Dabei wollte ich gerade heute wenig fahren. Wismar hat noch ein Zimmer frei. Na gut, dann eben Wismar. Noch mehr Wind, zusätzlich Regen. Ich trage den ganzen Tag Regenklamotten und schwitze ordentlich. Fahre zeitweise auf lokalen Radrouten, Landstraßen und abschnittsweise Bundesstraße. In Goldberg esse ich eine monumentale Portion Hamburger Schnitzel mit Bratkartoffeln.
Wirklich unangenehm wird es auf der B192. Ich komme um diese Straße nicht herum, wenn ich heute keinen persönlichen Kilometerrekord aufstellen will. Mit beiden Blinklichtern hinten auf Dauerbetrieb quäle ich mich über die nasse Straße, auf der es für norddeutsche Verhältnisse ordentlich auf und ab geht. Auf beiden Seiten Leitplanke, viele LKWs, immer wieder durch den Wald. Nach 15km, in denen ich mir ernsthafte Sorgen um meine Gesundheit mache, komme ich endlich auf ein Netz von Wald- und Feldwegen und kleinen Straßen. In Warin kaufe ich mir einen Scheinwerfer, weil ich Wismar nicht mehr im hellen erreichen werde. Ab hier Landstraßen, kaum Verkehr. Ich mache noch die ein oder andere Pause und erreiche am späteren Abend Wismar. Knie tun weh.
8.9. --> Ruhetag in Wismar <--
Wichtigste Erkenntnis: wähend ich absolut kein Problem damit habe alleine zu Fahren, ist alleine einen Ruhetag zu verbringen eine andere Geschichte. Gähnende Langeweile (vlt. hätte ich auch ein anderes Buch als "Demokratietheorien" mitnehmen sollen? ^^) Ich treibe mich lustlos in der Stadt herum und schlafe viel. Wenn mein Körper mir keinen Strich durch die Rechnung machen würde, säße ich jetzt gerne wieder auf dem Rad.
9.9. Wismar - Lübeck 87km, 16,48km/h
So stelle ich mir das vor. Ich komme zeitig los, mache gut Strecke, da ich mich fast permanent auf dem Ostseeradweg befinde und wenig Pausen zum Kartenlesen einlegen muss. Das Wetter ist Klasse, und gerade für ein Nordlicht wie mich gibt es keinen Besseren Ort, um seine Mittagspause zu verbringen, als an einem ruhigen Strandabschnitt. Ich erreiche Lübeck am späten Nachmittag, und bummele gemütlich durch die Stadt. Die Jugendherberge Lübeck Altstadt ist der Hit, man kommt sich eher vor wie in einer gediegenen Pension. Das kleine Gebäude mit Hinterhof ist über 200 Jahre alt, und liegt in der selben Straße wie das Thomas Mann Haus. Hätte ich doch hier meinen Ruhetag eingelegt, aber was soll's.
10.9. Lübeck - Heide, 154,5km, 17,15km/h
Heute will ich mir was beweisen. Meine Knie sprechen aus, was mein Unterbewusstsein schon lange weiß: 154,5km? Du bist doch bekloppt... Egal, ich will das heute durchziehen, und die Übernachtungsmöglichkeiten sind eher mau (Neumünster ist keine besonders prickelnde Stadt...). Außerdem wartet am Ende der heutigen Strecke mein Elternhaus wo ich die nächsten Tage über die Füße hochlegen kann.
Schon auf den ersten Kilometern tun meine Knie unheimlich weh. Mit Ibuprofen 600 im Bauch (ich hab keine Ahnung ob's was gebracht hat, tat auf jeden Fall weiter weh, wurde aber auch nicht schlimmer) und Lucky Strike (kontraproduktiv aber lecker) im Mundwinkel kämpfe ich mich von Landstraße zu Landstraße. Eine effektive Ost-West Verbindung - auch für Autofahrer - sucht man im nördlichsten Bundesland vergeblich.
Ein riesiger Dönerteller in Bornhöved verleiht mir neuen Schub, so wie auch diverse Hunde die mich ankläffen oder auch gleich verfolgen. (Zitat Hunde: "35km/h? für uns kein Problem!") Rieche ich noch nach Döner? Ich werde mir eine Lenkerhaltung für Pfefferspray zulegen, falls es sowas gibt.
Der restliche Tag/Abend verläuft überschaubar: Ich fahre zum nächsten Dorf, öffne die Tasche, schaue auf die Karte, fahre zum nächsten Dorf, öffne die Tasche, schaue auf die Karte [...] - ich brauche dringend eine von diesen Lenkertaschen mit Kartenhalterung. Ein erster Moment des Triumphs stellt sich bei der Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals ein. Ab hier fühle ich mich quasi schon zu Hause und die letzen ca. 20km durch die Dunkelheit fühlen sich an wie ein Parademarsch.
Viele Grüße
humpen
PS: Fotos dauern wahrscheinlich noch Wochen, und es sind auch nur sehr sehr wenige. Analoge, voll manuelle Spiegelreflexkameras werden sich nicht noch mal in mein Reisegepäck verirren.