Bevor die Reiseerlebnisse noch weiter verblassen, möchte ich euch an meiner Reise im letzten Jahr teilhaben lassen. 19 Tage lang bin ich im August von Flensburg nach Füssen, durch die grüne Mitte Deutschlands, mit dem Rad gefahren. Viele Bilder habe ich gemacht und ein Tagebuch geschrieben. Da das Tagebuch immer noch nicht ins Reine geschrieben ist, hier nun eine Kurzfassung meiner Erlebnisse.
Viel Spaß beim Lesen
Wolfgang
Nun sitze ich hier in Flensburg an der Museumswerft, mit dem Gesicht nach Süden gewandt. Hier soll sie nun losgehen, meine Reise durch die Republik. Wie ein Teppich rollt sich vor meinem geistigen Auge die Landschaft vor mir aus, die ich in den nächsten Tagen mit dem Fahrrad durchqueren werde. Sanfte Hügellandschaft in Schleswig-Holstein, Heide in Niedersachsen und... ja und? Dann reicht meine Vorstellungskraft nicht mehr weiter. Wie eine Wand steht er da, der Harz, und lässt mich nicht weiter nach Süden schauen, verbirgt all das was in wenigen Wochen schon wieder Erinnerung sein wird.
Noch bevor sich die Gedanken weiter verlieren, fordert Ulrike mich zum Aufbruch auf. Sie begleitet mich auf der ersten Etappe, die uns zuerst einmal wieder in unsere Heimatstadt Eckernförde führen wird. Auf der Promenade an der Flensburger Förde genießen die Menschen die seltenen Sonnenstrahlen, während wir uns mit den Rädern vorsichtig Richtung Ochsenweg begeben. Nur wenige kleine Orte durchqueren wir auf dem Weg nach Schleswig und selten treffen wir auf andere Radler. Vorbei an der rekonstruierten Wikingersiedlung Haithabu, treffen wir zum frühen Abend in Eckernförde ein. Eine letzte Nacht noch im bekannten Bett, bevor es weiter Richtung Süden geht.
Das Rad ist jetzt mit allen Taschen beladen. Zelt, Schlafsack und was der Mensch sonst noch braucht, wiegen doch einige Kilos. Dem entsprechend sind die ersten Kilometer noch sehr gewöhnungsbedürftig. Viel aufregendes bringt der erste Tag nicht mit sich. Die Strecke ist weitestgehend von früheren Tagestouren geläufig. Ebenso bekannt sind die Radwege im teilweise übelsten Zustand, so bin ich froh über die Schilder „Radwegschäden“, die hier recht häufig den Fahrbahnrand zieren. Sonst würde ich gar nicht merken, warum ich vom einen Loch ins andere falle.
Der nächste Tag ist weitaus entspannter. Nicht weil die Radwege besser geworden sind. Nein, heute bin ich fernab von fast jeglichem Autoverkehr beinahe ausschließlich auf verträumten Nebenstraßen unterwegs. Bisher war das Ziel Füssen ganz klar, bis an einer Kreuzung zwei Schilder meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Links geht es nach „Weite Welt“ und geradeaus nach „Berlin“. Könnte sich der Umweg in die „Weite Welt“ nicht lohnen? Es ist doch gerade mal ein Kilometer. Ich entscheide mich für die vier Kilometer nach Berlin. Auf der Haupteinfallstraße erreiche ich den „Stadtrand“ und keine fünf Minuten später ist auch schon der „Potsdamer Platz“ erreicht.
Der Fernradweg „Alte Salzstraße“ hat zurecht vor Kurzem drei Sterne vom ADFC erhalten. Auf der gut gepflegten Oberfläche lässt es sich entspannt Rad fahren. So ist Lauenburg schnell erreicht und damit auch das erste Bundesland durchquert. Besonders beeindruckend ist ein abendlicher Spaziergang durch die alten Backsteinhäuser der Elbestadt im Schein der Straßenlaternen. Zurück auf dem Campingplatz unterhalte ich mich noch mit dem Inhaber, der direkt am Elbufer einige Weinreben direkt hinter seinem Wohnwagen stehen hat, über die Qualität seines Weines. Ijao, sagt er mit einen breiten Grinsen, Wein hat er schon mal gemacht. Aber den bietet er nur Gästen an, die er auf dem Platz nicht mehr sehen will.
In Lüneburg ist Markttag und die Innenstadt entsprechend bevölkert. Mit dem Überqueren der Elbe ist auch meine erste Landkarte zu Ende gegangen und ich brauche eine neue. Da es nirgends eine Möglichkeit gibt das Fahrrad sicher unterzustellen, muss es in Mitten der Menschenmassen, mit all seinem Gepäck stehen bleiben. Wie der Blitz durchforste ich die Auslage nach der nächsten Karte und eile an die Kasse. Doch hier heißt es in der Schlange warten. Mit jeder Minute steigt die Nervosität, bis ich endlich die Kasse erreicht habe und zahlen kann. Ich kann es für die ganze Reise schon mal vorweg nehmen: das Rad stand noch genauso wie vor dem Einkauf da.
Hinter Lüneburg verändert sich die Landschaft. Meist führt der Weser-Harz-Heide Radweg durch weite Wälder und nur selten bekomme ich die für diese Gegend so typische Heidelandschaft zu sehen. Viele der Wege bestehen aus Sand oder sind mit Kopfsteinpflaster versehen. Damit die Radfahrer trotzdem noch gut fahren können, finden sie am Rand oft einen Streifen mit feinen Kies vor, auf dem es sich ganz gut voran kommen lässt. Am Mühlenmuseum in Gifhorn überrascht ein blaues Gebäude mit ausschweifenden Türmchen und goldenen Kuppeln im russischen Stil den vorbeifahrenden Gast. Unter der Schirmherrschaft von Michael Gorbatschow wurde hier am 9. November xxxx das europäische Kunsthandwerkerinstitut eingeweiht.
Dann ist es soweit, kurz hinter einer Weggabelung gibt die Landschaft das erste Mal den Blick auf den Harz frei. Noch einmal in Bad Harzburg übernachten und dann geht es am nächsten Tag die erste ernsthafte Steigung hoch - nach Torfhaus - in den Nationalpark Harz. Nach einem kurzen Bummel durch die stilvolle Innenstadt, stehe ich nun vor dem Aufstieg. Was ich nicht wusste, die Straße hoch in den Nationalpark ist vierspurig und ständig rauschen LKW rauf und runter. Nach gut einer Stunde kontinuierlicher Steigung, erreiche ich das Tor zum Nationalpark.
Die Temperatur ist deutlich unter zehn Grad gesunken, wenn die LKWs nicht ausweichen können, rauschen sie im Zentimeterabstand an mir vorbei und kurz vor der Passhöhe fängt es an zu regnen. Völlig entnervt und durchgefroren frage ich im Nationalparkzentrum nach einem sicheren Abstellplatz für mein Fahrrad. Da es für Radfahrer hier nichts gibt, bietet mir das Team des Zentrums völlig unkompliziert an, das Rad im Heizungsraum unter zu stellen. Dafür muss ich mein schmutziges und nasses Rad einmal quer durch den Ausstellungsraum schieben. „Ist nicht so schlimm, das machen wir wieder weg“, ist die einfache Antwort auf mein Bedauern. „Schauen Sie sich in Ruhe in der Ausstellung um und wärmen Sie sich wieder auf“. Schön, wenn man so freundlich und hilfsbereit aufgenommen wird.
Nach einem ausgiebigen Rundgang beschließe ich die Nacht in der naheliegenden Jugendherberge zu verbringen. Nach einer warmen Dusche und Essen, sind die Lebensgeister wieder wach und ich genieße den Brocken, der sich wie zur Entschuldigung für die Strapazen im Sonnenuntergang von seiner Schokoladenseite zeigt.
An der Werra entlang wird der Radfahrer mit einer fast perfekten Ausschilderung geführt. So bleibt der Kopf frei, die sanfte Landschaft und das sommerliche Wetter zu genießen. Die Ströme der Radfahrer lassen hier im touristischen Hinterland zu Unrecht nach. Hier locken zwar keine Superlative, aber die Landschaft und die vielen Orte mit den liebevoll heraus geputzten Fachwerkhäusern verdienen mehr Aufmerksamkeit. Die Route führt mich entlang der Werre, Fulda und Sinn bis an den Main und oft wenn ich den Fluss wechsle, muss ich über einen Berg. Mein heutiger Campingplatz freut sich besonders über Fahrradfahrer. Auf dem ruhig gelegenen, extra Stellplatz, befindet sich ein Zelt mit Tischen und Bänken und als besondere Aufmerksamkeit ein Kühlschrank nur für Radfahrer und Paddler. So sollte es immer sein.
Wer Rothenburg ob der Tauber besichtigen will, kann einen großen Bogen fahren oder den kurzen geraden Weg. Oben angekommen, erinnere ich mich wieder daran, dass die kurzen Wege in den Bergen die besonders Steilen sind. Nachdem sich der Puls wieder beruhigt hat, zieht es mich in die historische Altstadt. Hier werden alle Klischees über Asiaten erfüllt. Eine junge Frau mit einem Fähnchen in der Hand, schreitet im Sauseschritt vor einer Gruppe durch die Innenstadt und erzählt in einer mir nicht verständlichen Sprache über die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Bei jeder Gelegenheit wird der Auslöser der Kamera betätigt, damit auch die zuhause gebliebenen sehen wo man war. Auch ich spare nicht an Bildern. Wie war das mit den Klischees?
Für die armen Augsburger hat Jacob Fugger die erste Sozialsiedlung Europas erbaut. Noch heute kann man dort für den Gegenwert eines rheinischen Guldens, ca. 0,88 € Jahreskaltmiete, und täglich drei Gebete für den Stifter in einer der 140 Wohnungen wohnen. Weniger nachsichtig war Fugger mit den Kaufleuten. Bis in die heutige Zeit plagen sich die Schüler mit der doppelten Buchführung herum. Die brachte der Jacob aus Italien mit. Für mich nicht weniger spannend ist es am „Eiskanal“ den Kanuten bei ihrem Spiel mit dem Wildwasser zuzuschauen. Was 1972 für die olympischen Kanuten gebaut wurde, steht heute allen offen Wassersportlern offen. Durch die Lechauen geht es nun weiter in Richtung Süden. Die Temperaturen steigen wieder auf 30 Grad und Scharen von Familien und jungen Menschen sonnen sich auf den Kiesbänken des Lech.
Die kleinen Städte entlang der Romantischen Straße sind wahrlich romantisch. Die Häuser, oft liebevoll bemalt, tragen üppigen Blumenschmuck. Keine Leuchtreklame stört die historischen Stadtbilder. Wie in alten Zeiten schreibt der Maler in großen Lettern auf die Mauern, wo sich der Bäcker Ode Metzger befindet. Die Ausschilderung für den Radfahrer lässt allerdings oft zu wünschen übrig. Nicht selten treffe ich an Kreuzungen andere Radfahrer die, wie auch ich, rätseln wohin uns die Schilder schicken wollen.
Immer wieder ist es beeindruckend, wie hier Tradition und Moderne zusammenleben. So steht der aufwändig mit Blumen geschmückte Jesus am Kreuz neben einem restaurierten Hof mit Solaranlage auf dem Dach. Mit jedem Kilometer weiter südlich steigert sich die Landschaft in der Lieblichkeit und dann ist es soweit. Hinter einem Wald zeigen sich, noch schemenhaft, die ersten Berge der Alpen. Irgendwie ist schön das Ziel vor Auge zu haben, anderseits bin ich ein bisschen traurig. Morgen geht eine beeindruckende Reise durch ein unerwartet vielfältiges Deutschland zu Ende.
Bestes Wetter mit bayrisch weiß blauem Himmel begleitet mich über ruhige Seitenwege. Die Gleitschirmflieger nutzen die Thermik und schon kommt die letzte Sehenswürdigkeit in Sicht. Wie im Märchen steht Neuschwanstein oben am Berg. Fehlt noch der Prinz auf einem weißen Pferd, um den Kitsch perfekt zu machen. Eine letzte Nacht in der Jugendherberge, die ich diesmal mit fünf Anderen teile. So dürfen sie auch daran teilhaben, dass der Wecker schon vor fünf Uhr die Nacht bendet, damit ich den einzigen Zug für heute nach Hause noch erreichen kann.
Wem das noch nicht genug Bilder waren, der kann sich hier noch mehr anschauen.
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