... Leider macht der Mensch alles zu nichte...
Hallo, Dodo, einen guten Morgen wünsche ich Dir!
Ich sage "guten Morgen", denn Du kannst den Morgen schon begrüßen; hier ist noch Nacht. Komisch, nicht wahr: zur Nachtzeit jemand einen guten Morgen zu wünschen. Aber wenn ich mir vorstelle, daß Du demnächst die Nase aus Deinem Zelt hältst, um die Gerüche zu prüfen, die vom Urwald mit seinen Tigern und den Schlingpflanzen herüberziehen, dann wünsche ich Dir sofort einen guten Morgen! Und einen guten Tag dazu.
Vor vierundzwanzig Jahren war ich einmal im ceylonesischen Urwald - Du glaubst gar nicht, was alles ich dort gesehen habe: Vögel mit blauem Gefieder, die reglos oben in den Bäumen saßen, und der Regen strömte zwischen allen Dingen herab, als löste die Zeit selbst sich in seinem Rauschen auf. Ein Elephantenkind, nur wenig entfernt von seiner Familie, schritt zwischen Bäumen am Waldrand und pflückte mit dem Rüssel Blätter von den Zweigen, als folge er einer vergessenen Melodie einer alten höfischen Zeremonie - zierlich die Bewegungen und zugleich von natürlicher Schönheit: nach allen Richtungen (ja, auch nach oben!) schienen sie frei und gelöst!
Wundersam auch die in eine archaische Form übersetzte Geduld der Reptilien im flachen Wasser; ob Krokodile denken? Ich erinnere mich genau, wie im Anblick dieser Augen, die wie Luftblasen auf der Oberfläche des morastigen Wassers zu schwimmen schienen, mir die Inferiorität, die vollkommene Unzulänglichkeit meines Denkens und Fühlens klar wurde: nicht einmal eine gesittete Verbeugung würden sie annehmen, und der kleine Finger wäre ihnen immer der ganze Mensch im Maul.
Und dann das mürrische Gespräch unter den Büffeln! Ich sag' Dir nicht, was sie darin verhandelten, aber in dem Fremdling aus Deutschland hatten sie einen guten Zuhörer – keiner hatte mir bös‘ nachgeschaut, als ich, fast schon ein Kenner ihres Dialektes, endlich gehen mußte (ich glaube, das kannst Du Dir vorstellen!).
Ja, es ist nicht zu fassen (weder mit dem Verstand, noch im Gefühl), daß „der Mensch“, wie Du schreibst, dabei ist, „alles zu nichte“ zu machen. Als zum ersten Mal das Bewußtsein davon in mir hochsprang und nicht einmal die Angst mir eine Möglichkeit eröffnete, die Zeugenschaft abzulehnen, spürte und erkannte ich die menschliche Wirklichkeit des Vorgangs und fühlte mich stumm werden (für jemand mit Hang zu leidenschaftlicher Rede und ungezügelter Plappermäuligkeit eine Katastrophe ersten Ranges!). Will ich also nur kurz sagen, daß wir, in angstvollem Wahn, uns nicht mehr werden sehen können.
Zur Deiner „Braut“ meinen Glückwunsch! Wie selten ist es, daß man um Entschuldigung bitten darf, ohne doch zugleich der Stärke gewärtig sein zu müssen, die sich in echtem weiblichen Gemecker bekundet! Und statt voll mitmenschlich auf Kopfweh und Widerrede (ein uraltes Menschenrecht) einzugehen, flickt der Reisende lieber mal ‘nen Platten, denn dann rollt er wieder hinaus ins Freie und folgt den verlockenden Stimmen der Sehnsucht, gell?
Ich danke Dir für Deine E-Mail, wünsche Gesundheit, allezeit einen guten Mut und Deinem Rad wünsche ich profunden Instinkt für das Nahen gefährlicher Schlaglöcher -
Tilmann