In die Schweiz mit dem Zug: * Hannover > Basel mit dem Nachtzug
* Basel > Airolo mit dem EC
Weiter mit dem Rad:* Airolo > Gotthard > Andermatt > Oberalppass > Tomasee > Maighelhütte / Bettenlager
* Maighelhütte > Heidi-Land / Zelt
* Heidi-Land > Appenzeller Land / Zelt
* Appenzeller Land > Rorschach > Romanshorn > Schaffhausen / Jugendherberge
* Schaffhausen > Irgendwo am Rhein / Zelt
* Irgendwo am Rhein > Basel > Petit Camargue > Mulhouse > Irgendwo an den Vogesen / Zelt
* Irgendwo an den Vogesen > Colmar > Boersch > Irgenwo in einem Weinberg / Zelt
* Irgenwo in einem Weinberg > Strasbourg > Baden-Baden > Karlsruhe-Hauptbahnhof
Und wieder zurück mit dem Zug:* Karlsruhe-Hauptbahnhof > Hannover mit dem IC / Bett zuhause.
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Die Fakten stehen oben. Hier möchte ich einfach mal völlig losgelöst vom chronologischen Diktat meine Eindrücke schildern.
Und die Bilder zur Tour gibt's bei
Fotopedia ---
Den Gotthard hoch habe ich geschwitzt und gefroren. Auf halber Strecke nach Airolo zurückblickend mich gefragt, warum wir diese schöne Landschaft so mit Straßen zupflastern.
Die Schweizer warten auf ihren Rekord-Tunnel. Sind stolz auf die Meisterleistungen, die sie vollbringen. Fluchen über den Transit-Verkehr und verkaufen in ihren Läden Kaffee aus Italien, Wasser aus Frankreich und Kiwi aus Neuseeland.
Oben auf dem Gotthard wunderte ich mich über die zumeist alten Männer, die ihre noch älteren Autos und jüngeren Frauen ausstellten. Und die anderen jungen Männer, die sabbernd um die alten Autos rumliefen. Mich interessierten zumindest die jungen Frauen mehr.
In Andermatt machte ich einen Radmechaniker glücklich, der mir eine abgefallene Schraube ersetzte. Einfach nur indem ich mich wirklich herzlich bedankte und ihm zwei Franken für die Kaffeekasse gab. Macht das sonst keiner?
Zum Tomasee wollte ich eigentlich radeln. Aber dann musste ich doch einsehen, dass so ein Trecker eben nicht alles mitmacht. Eine kleine Wanderung tat allerdings ganz gut. Nur die Cleats von meinen Radschuhen ruinierten meine sonst so gut ausgeprägte Trittsicherheit. Auf dem Steig hoch zum See und vor allem hinterher wieder runter nicht zu unterschätzen.
Als ich den Tomasee sah, glaubte ich erst gar nicht, dass er das ist und wanderte weiter. Dann sah ich ein, dass ich in einem Kessel wanderte und am Boden des Kessels nunmal nur ein See war und woanders eben keiner mehr sein konnte. Physikalisch bedingt.
Ich spuckte rein in den Tomasee und ging der Spucke hinterher. Jetzt wird sie wohl schon in der Nordsee sein. Bis Karlsruhe habe ich sie ja so in etwa begleitet.
Ich fuhr zur Maighelhütte - fühlte mich als Exot mit meinem Rad zwischen den ganzen Bergsteigern und -wanderern. Schlief dann im Bettenlager und hatte nette Begegnungen mit den Menschen in der Hütte.
Am nächsten Morgen genoss ich die klare Luft. Das warme Früh-Licht stand völlig im Gegensatz zur Kälte draußen. Aber das sind die Stimmungen, die ich so genießen kann. Die mich erfüllen, wenn ich mal wieder so viel Leere spüre.
Bergab gings mit über 60 Sachen über die Schotterwege. Geil. "Porno" würden meine Jungs sagen. Die Straße runter nach Chur und dann die Sträßchen und Wege nach Maienfeld sind schon vergessen.
Im Garten eines alten Bauernhofes konnte ich zelten. Die Bäuerin war zurückhaltend, aber ganz ehrlich. Seltsam, dass ich das so deutlich spüren konnte. Ehrlichkeit als sofort erkennbarer Wesenszug.
Ich frühstückte und probierte erstmalig ein selbstgebackenes Birnbrot. Nicht vergleichbar mit irgendwelchen Industrieprodukten! Wieder geil.
Unterwegs kaufte ich mir Bündner Honig. Berghonig. Ich liebe Honig und habe noch nie in meinem Leben so leckeren Honig gegessen. Und es lag nicht am Hunger, der ja ein guter Koch sein soll.
Überhaupt: Die kulinarischen Genüsse. Die Schweiz und das Elsass sind um diese Zeit das Paradies für Obstfreunde. Jeder Apfel schmeckt anders. Jede Birne ist genau so wie sie sein muss. Und das direkt vom Baum - nicht erst nach tagelangem Lagern im Obstkorb. Die Zwetschen - hey, was hab ich gefressen. Meinen Kocher habe ich nie vermisst. Zum Abschluss immer wieder mal eine Rebe roter Weintrauben. Doktor Feil würde applaudieren. Nur Ackerschachtelhalmgras fand ich keins.
Das Appenzeller Land bezaubert mit seinen lieblich geschwungenen Weiden und schroffen Wänden. Aber kostet einen voll bepackten Radler auch Körner.
Der Bodensee ist langweilig. Der Radweg auf der Südseite führt zumeist durch irgendwelche Siedlungen hindurch. Und "Dieb" hat mir irgend ein schwäbisch artikulierendes Radler-Ehepaar hinterhergeschrien, als ich mal wieder einen Apfel pflückte. Direkt am Wegrand, ohne Zäune. Spießergegend - schnell weg.
Schaffhausen war Etappenziel. Die Jugendherberge. Nette Wirte. Ich mietete den ganzen Dachboden, um meine nassen Klamotten inklusive Zelt aufzuhängen. Das hatte die Nacht vorher ein Gewittersturm im Appenzeller Land über mir zusammengefaltet. Nachts mit nackten Beinen und Regenjacke ein Hilleberg Nallo sturmsicher abzuspannen ist nix, was so richtig Spaß macht. Aber dennoch fand ich's irgendwie lustig. Meine Stirnlampe leistete mir gute Dienste dabei. Was lerne ich daraus: In den Bergen immer abspannen. Man weiß ja nie... (Meine Güte, wie abscheulich ich diese Sprüche finde).
Den Rheinfall habe ich aus Protest nicht in mein Augenlicht gelassen. Weil sie Geld wollen. Eintrittskarten für einen Blick auf's Naturschauspiel gibt's beim Kiosk. Ihr könnt mich mal!
Fahr ich eben nur mit akustischen Eindrücken weiter.
Basel ist ja so ganz nett. Vom Rad aus lieblicher als vom Zugfenster aus. Aber eben auch Roche-City oder Novartis-Town. Wieder schnell weg.
Ich hatte mal Roche-Aktien. Nachdem ich mir die Protztürme der Hauptverwaltung angeschaut habe, konnte ich nachvollziehen, warum mich die nicht reich gemacht haben. Aber mein Geld war ja nicht weg. Es steckt jetzt in einem von den Türmen.
Die Franzosen geben sich viel Mühe mit den Tourenradlern. Zumindest in der Petit Camargue. Bis Mulhouse war es wunderbar zu fahren. Danach auch - allerdings auf kleinen Sträßchen die Elsässische Weinstraße entlang.
Das lohnt sich wirklich. Jedes kleine Dorf ein Unikat. Und ganz ursprünglich. Nur die großen Weingüter lassen auf immer noch vorhandene feudale Strukturen schließen.
Die Fahrt nach Strasbourg rein hat mich fasziniert. Ich fuhr auf einem Radweg, den ich mir bei OSM-Bike runtergeladen habe bis ins Zentrum, ohne eine Straße nehmen zu müssen. Und raus gings auch wieder bis zum Rhein nur auf Rad- und Waldwegen. Klasse.
Und in Strasbourg selbst? Wuseliges Chaos rund um die Uni - Slalom um Fußgänger und falsch parkende Autos. Keiner motzt, keiner fühlt sich bedrängt, alles total locker. In Hannover undenkbar. Kennzeichen für Radler fordert die hiesige Presse, damit man sie anzeigen kann, die Rowdies.
Mit Rückenwind fuhr ich am letzten Tag noch einen 27er Schnitt. Endlich ging mal was. Um 17:10 Uhr musste ich in Karlsruhe sein. In Baden-Baden hatte ich noch zwei Stunden. Ich entschied mich für die sichere Variante und fuhr mit dem Regionalzug nach Karlsruhe, aß nach sechs Tagen kalter Küche am Bahnhof mal wieder warm. 'N Döner! Eine nette hübsche Tschechin setzte sich zu mir und aß auch einen. Nur mit der Hand. Das sah sogar anmutig aus. Ich selbst quetschte die beiden Brothälften zusammen und aß ihn seinem Ranking bei mir entsprechend.
In der ZEIT auf dem Weg nach Hannover las ich, dass die Engländer es schaffen, 70.000 Autos täglich über einen Kreisverkehr zu schicken. Die Deutschen schaffen maximal 25.000. Wir brauchen unsere Ampeln, unsere Apfelwächter und unsere radfahrerfreien Fußgängerwege.
Sonst bringen wir uns noch um.
Ich habe mal wieder gelernt, dass ich, wenn ich im Ausland bin, mehr über Deutschland lerne als über das Ausland.
Aber es soll ja besser werden. Auch das stand in der ZEIT. Meine Söhne sollen statistisch lockerer drauf und optimistischer sein als gemeinhin gedacht. Und Autos bedeuten der Jugend von heute nix mehr - die haben lieber fünfhundertachtunddreißig Freunde bei Facebook als hundertfuffzig Pferde unter der Haube.
Na das sind doch schöne Aussichten...