Mich hat es berufsbedingt von München nach Paris verschlagen, und zwar seit Anfang September. Eigentlich wäre ich gerne "standesgemäß" umgezogen und mit dem Fahrrad nach Paris gefahren, aber leider war dazu keine Zeit. So fuhr ich am 30. August bei schönsten Wetter noch eine Abschiedsrunde durch die bayerischen Alpen und lud am nächsten Morgen mein Fahrrad (und andere Mitbringsel) in München in den TGV und sagte Bayern nach zweieinhalb Jahren ade.
Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Zumindest den Abschnitt von Straßburg nach Paris wollte ich auf jeden Fall nachholen, allein schon, um zu sehen, was denn so zwischen meiner alten und meiner neuen Heimat liegt. Diese Reise habe ich Ende September/Anfang Oktober unternommen und möchte darüber berichten. Es handelt sich nicht um eine klassische Radreise, da ich die Strecke aus Zeitgründen auf zwei Wochen aufgeteilt habe. Aber für mich war es trotzdem eine einzige, logisch zusammenhängende Reise.
Die Erkenntnisse, die ich dabei sammeln konnte, habe ich bereits zu einer Streckenbeschreibung im Radreise-Wiki verarbeitet, siehe den obigen Link. Vielleicht ist das ja für den einen oder anderen hier von Interesse, zumal Straßburg-Paris auch als Teil des "Paneuropa Radwegs" von Paris nach Prag beworben wird, Informationen über denselben aber dünn gesät sind. Jedenfalls nutze ich diese Stelle, um noch ein paar persönliche Eindrücken loszuwerden. Fotos dazu gibt es im Wiki zu sehen.
1. Tag: Straßburg - Nancy: 185 kmFrühmorgens ging es von meinem Domizil im Pariser Umland zum Gare de l'Est, um 6:54 fuhr der Zug und brachte mich pünktlich um 9:13 in Straßburg an. Eine Stadtbesichtigung habe ich mir gespart, da ich Straßburg schon von früheren Radreisen kenne, und bin gleich auf einer vorher ausgeguckten Route zum Canal de la Marne au Rhin gefahren. Überhaupt habe ich zuvor ein paar Abende damit verbracht, mir eine Route zurechtzulegen und Informationen die zu fahrende Strecke und über Sehenswürdigkeiten zu sammeln.
Von Straßburg und ganz durchs Elsass hindurch ging's erstmal am erwähnten Kanal. Eine sehr schöne und idyllische Strecke war das, außerdem prima Radelwetter mit etwas über 20 Grad, so dass ich das Forumstrikot spazierenfahren konnte
(Heute, vier Wochen später, ist der Gedanke an solches Wetter schon ganz und gar verflogen...)
So um die Mittagszeit war ich im hübschen Städtchen Zabern. Danach ging es entlang des Kanals durch die Vogesen und damit nach Lothringen. Der landschaftlich schönste Teil der gesamten Strecke war für mich das "Vallée des Èclusiers" (Tal der Schleusenwärter), ein mittlerweile aufgegebener Altarm des Kanals.
In Sarrebourg hat man Marc Chagall angeheuert, um eine alte Kapelle mit sehr großen Glasfenstern auszustatten. Die fand ich ganz sehenswert, wenngleich die Eintrittspreise in Frankreich generell recht hoch sind.
Zwischen Gondrexange und Réchicourt durchquert der Marne-Rhein-Kanal eine wald- und seenreiche Landschaft, hier hoffte ich, den Treidelweg benutzen zu können. Allerdings war der gesperrt, man sah sich veranlasst, das Verbot sogar auf Deutsch hinzuschreiben, damit auch dumme Ausländer wie ich keine Ausrede haben
Schade drum. Auf den kleinen Landstraßen ging es um so flotter dahin, zumal ich Rückenwind hatte. Das war auch notwendig, denn bis Nancy war es noch ziemlich weit. Es folgte der erste von mehreren Abschnitten, wo man zig Kilometer nur über kleine Dörfer fährt. Mehr als im dichter besiedelten Deutschland muss man hierzulande öfters mal "Kilometer fressen".
Um für Kurzweil zu sorgen, machte ich einen Abstecher nach Lunéville, was eigentlich nicht direkt am Weg liegt. Geschichtskundige wissen, dass in Lunéville 1801 ein Vertrag unterzeichnet wurde, der die Annexion des linken Rheinufers durch Frankreich und die Säkularisierung in Deutschland zur Folge hatte. Zuvor schon war mir die deutsch-französische Geschichte in Form von Soldatengräbern des Ersten Weltkriegs begegnet: ein deutscher Friedhof am östlichen Ortsrand von Lagarde, ein französischer am westlichen.
Es war schon nach 18 Uhr, als ich von Lunéville wieder aufbrach. Die Basilika von St-Nicolas-de-Port vor den Toren Nancys konnte ich nur noch von außen und in der Dämmerung bewundern. Als es gegen 20 Uhr endgültig Nacht wurde, hatte ich den Rand der Agglomeration um Nancy erreicht. Ein Hotelzimmer hatte ich schon vorgebucht, ein Formule 1 am südlichen Stadtrand. Es dauerte aber eine Weile, bis ich's fand. Und als ich da war, musste ich nochmal zurück, um meine Lenkertasche zu holen, die ich an einer Imbissbude vergessen hatte
So war es 21:30, bis ich endlich auf dem Zimmer war. Ich nahm mir vor, am nächsten Morgen um 7 Uhr aufzubrechen, um mir in Ruhe das Stadtzentrum von Nancy anzuschauen, und dann gemütlich nach Bar-le-Duc zu fahren.
2. Tag: Nancy - Bar-le-Duc: 124 kmAus dem Plan wurde jedoch nichts. Mit dem Zu-Bett-Gehen stellten sich rätselhafte, vorher nicht dagewesene Schmerzen im Zahnfleisch ein, die mich die ganze Nacht plagten und wach hielten. Als ich mich schon damit abgefunden hatte, ganz ohne Schlaf weiter zu ziehen, fand ich um fünf Uhr morgens dann doch noch etwas Ruhe.
Aufgewacht bin ich dann um halb zehn (den Wecker hatte ich ausgestellt, da mir mittlerweile alles egal war). Die Schmerzen waren wieder weg und blieben es auch, aber der Schädel brummte mir wegen Schlafmangel. Um halb elf war ich dann, nach Stärkung am Frühstücksbuffet, auf dem Weg.
Die Neustadt von Nancy, vor allem rund um den Place Stanislas, war absolut sehenswert (Unesco-Welterbe übrigens). Aber auch die Altstadt hat nette Ecken. Insgesamt war ich über eine Stunde da, erst um 12 brach ich zur Weiterreise auf. Jetzt war mein Tagesziel doch etwas in Gefahr, musste ich doch Bar-le-Duc erreichen, um von dort mit dem Zug zurück nach Paris zu kommen.
War die Landschaft am ersten Tag weitgehend flach, gab es aus Nancy heraus einen anständigen, längeren Anstieg, dann eine Abfahrt zur Mosel. Im unbewohnten Abschnitt des Moseltals ein wunderschöner Radweg zwischen Wald und Fluss. Bei Villey-le-Sec bin ich dann aus dem Tal wieder raus, um mir den Ort anzuschauen, der wegen seiner Befestigungsanlagen (auch hier wieder die deutsch-französische Geschichte) immerhin einen Michelin-Stern hat. Aber ohne Führung kommt man in das Fort nicht rein, und viel zu sehen ist von außen nicht. Dafür waren von hier die Höhenzüge bei Toul sehen, Teil der französischen Schichtstufenlandschaft, die ein Spiegelbild der süddeutschen ist.
Toul mit seiner Kathedrale war auch das nächste Ziel. Direkt vor der Kirche war der Zielbereich eines Volkslaufs, und jeder eintreffende Teilnehmer wurde per Lautsprecher angefeuert.
Das heutige Besichtigungsprogramm war damit abgehakt, bis Bar-le-Duc gab es mit einer Ausnahme nur noch kleine Dörfer. Mit der Maas überquerte ich nach Saar und Mosel einen weiteren Fluss, den ich bislang gedanklich weiter im Norden angesiedelt hatte. Zwischen Void-Vacon und Naix-aux-Forges fand ich eine überaus verkehrsarme Landstraße, die gegenüber dem "Paneuropa-Radweg" auch noch eine erhebliche Abkürzung darstellt. Das Trockental im östlichen Teil ließ Erinnerungen an die fränkische Alb aufkommen.
Ab Naix-aux-Forges dann nochmal am Treidelweg bis nach Bar-le-Duc, wo ich gegen 19 Uhr eintraf. Zeit für eine ausführliche Stadtbesichtigung war nicht mehr, da mein Zug um 19:35 fuhr. Übrigens war der Zug (TER Vallée de la Marne) im Fahrplan ohne Fahrradbeförderung eingetragen, aber es gab trotzdem ein Fahrradabteil.
3. Tag: Bar-le-Duc - Épernay: 135 kmAm nächsten Sonnabend ging es mit demselben Zug wieder von Paris nach Bar-le-Duc zurück, um die Tour fortzusetzen. Leider fahren die Regionalzüge in Frankreich am Wochenende nicht so früh los, wie man das aus Deutschland kennt - erst um 11 Uhr traf ich in Bar-le-Duc ein. Dort bin ich erstmal zum Michaux-Denkmal gepilgert - schien mir eine gute Quelle für ein Bilderrrätsel zu sein, aber da ist mir schon
jemand zuvorgekommen. In der Oberstadt war die Kirche mit der berühmten Skelettskulptur leider erst ab 14 Uhr geöffnet, die musste ich daher auslassen.
Es folgte eine lange Strecke über die Dörfer. Der Himmel war zwar blau, aber gegenüber der vergangenen Woche hatte es sich merklich abgekühlt, so kam das Forumstrikot unter der Windjacke diesmal nicht zur Geltung. Außerdem war der Ostwind durch Westwind abgelöst worden. Hui... in der flachen Landschaft der Champagne war das eine kräftige Brise, die mir da entgegen kam.
Gegenüber der "kanonischen" Route, die Vitry-le-Francois berührt, habe ich erheblich abgekürzt und bin über St-Amand-sur-Fion gefahren. Unterwegs gab es ein besonderes Jubiläum: Mein Tacho übersprang die 50.000-km-Marke. Anlass für eine Rast am Straßenrand mit Gedanken über all die schönen Radtouren, auf den mich mein jetziges Rad seit fünf Jahren begleitet. Habe meinem Rad dankbar den Sattel und Lenker getätschelt (klar, klingt albern, aber mir war danach
).
Erste größere Sehenswürdigkeit war die Kathedrale von L'Épine, einem kleinen Ort, in dem man eine so große Kirche eigentlich nicht vermutet. Dort hatte ich ein weiteres besonderes Erlebnis: Als ich die Kathedrale wieder verließ, kam mir ein Mann hinterher, dem meine Radbekleidung auffiel. Er begrüßte mich überschwänglich, gab mir die Hand mit den Worten "Vous êtes en vélo? Félicitations, félicitations, ..." und fragte nach dem Woher und Wohin. Es war nicht zu erkennen, ob er sich selber für's Radfahren begeisterte, aber er war offenbar sehr glücklich, dass sich jemand von Deutschland aus mit dem Fahrrad in sein Dorf "verirrt" hatte. So etwas Nettes hatte ich noch nie...
Anschließend habe ich mir noch den größeren Ort Châlons-en-Champagne, die Hauptstadt des Departements Marne angeschaut. Die Kathedrale ist ein wilder Stilmix aus romanisch, gotisch und Renaissance. Mittlerweile war es sechs Uhr durch, und so musste ich etwas Gas geben, um rechtzeitig nach Épernay zu kommen. Da ich dort nämlich keine Bleibe unter 50 Euro finden konnte, war ich entschlossen, mit dem Zug hin und her zu pendeln und zu Hause zu übernachten. War aber letzten Endes kein Problem, bei Einbruch der Dunkelheit war ich in Épernay und konnte mich vor der Abfahrt noch mit einer typisch deutschen Köstlichkeit versorgen - einem Döner
4. Tag: Épernay - Paris: 160 kmAm nächsten Vormittag war ich um 10 wieder da und nahm erstmal Épernay in Augenschein. Die Altstadt gibt nicht viel her, dafür muss man sich wohl eher in die Kellereien begeben, denn Épernay ist als "Champagner-Hauptstadt" ekannt, viele berühmte Kellereien sind hier eheimatet und können teilweise esichtigt werden. Für mich eher nichts, so machte ch mich bald auf die Socken, icht aber, ohne auch Hautvillers einen Besuch bzustatten. In diesem schmucken örfchen wurde nämlich der Champagner erfunden. In er Ortsmitte saßen Touristen beim Frühschoppen, dem Dialekt nach Rheinländer.
Schon ein Stückchen vor Épernay ändert sich die Landschaft: War sie bisher eher offen und flach, folgt man nun der Marne in einem ausgeprägten Tal, in dem so ziemlich jede freie Fläche mit Weinbergen bebaut ist, selbst die Hänge auf der Südseite des Tals. Dabei bin ich der "Route touristique du Champagne" über die Weindörfer gefolgt. Eigentlich war das recht hübsch, wäre da bloß nicht der brutale Gegenwind gewesen. Zwei Stunden lang kam ich im Flachen kaum auf 20, erst dann ließ der Wind etwas nach. (Oder hatte ich mich nur daran gewöhnt?)
Abgesehen von der Landschaft gab es eigentlich keine touristischen Highlights. Nach 50 km kam mit Château-Thierry die nächste Kleinstadt, inzwischen war ich in einem Zipfel der Region Picardie angelangt, ohne dass sich die Landschaft geändert hätte. Nochmals grüßt unsere bilaterale Vergangenheit in Form eines großen (amerikanischen) Kriegsdenkmals hoch über dem Tal. Nochmal 30 km später, noch immer im Marnetal derselben Straße folgend, erreicht man die Region Île-de-France, in der Paris liegt.
Fast unmittelbar an der Regionsgrenze hören die Weinberge auf. Die Marne schlägt jetzt größere Schleifen, die man teilweise abkürzen kann. Zur Abwechslung bin ich dann mal auf einer größeren Straße, der N3, nach Meaux reingefahren. Der letzte größere Ort vor der Pariser Agglomeration, und auch hier gab es eine Kathedrale zu bewundern.
Inzwischen war es schon wieder 18 Uhr, aber Zeitdruck hatte ich an diesem Tag ja nicht. Gegen 19:30, bei Einbruch der Dunkelheit, war ich in Claye-Souilly, wo ein Radweg entlang des Canal de l'Ourcq beginnt, auf dem man bis fast ins Zentrum von Paris gelangt. Soweit ich das im Dunkeln beurteilen konnte, ist der Weg ganz nett, wenngleich es ein paar Ärgernisse gab (mehr dazu im Wiki). Gegen 21:30 erreichte ich dann die Île de la Cité mitten im Zentrum, und gegen 22:00 war ich sehr müde, aber glücklich zu Hause. Jetzt bin ich sozusagen richtig in Paris angekommen.
Viele Grüße,
Stefan