Ausweichen und Vollbremsungen beherrscht man rein durch täglichen Routinebetrieb eben nicht so gut, wie wenn man es gezielt übt. Ist genau das gleiche wie beim Auto. Ohne Fahrsicherheitstraining knallt man möglicherweise gegen Hindernisse oder schleudert unkrontrolliert, obwohl die Situation noch behrrschbar gewesen wäre. Beim Fahrrad hat man aber keine Knautschzone!
Jeder der hier Teilnehmenden oder doch die übergroße Mehrzahl fährt nicht nur zeitbegrenzte Pflichtwege, sondern auch rein zum Vergnügen. Die Zeit für Übungen ist also da.
Hallo,
auf meinem morgentlichen Weg zur Arbeit konnte ich ein solches Ausweichmanöver an einem mir vorausfahrenden Radler aus nur wenigen Metern Entfernung studieren. Aus einer Nebenstraße kam von rechts ein PKW, hielt erst, fuhr dann aber wieder an, um nach links in die (wenig befahrene) Hauptstraße einzubiegen. Dummer Weise übersah die Fahrerin des PKW dabei den vor mir fahrenden Radfahrer (die Seitenscheibe des PKW war beschlagen und dicht benetzt mit Tau
- da konnte man nichts durch sehen).
Der Radfahrer bremste und umfuhr den PKW auf der Vorderseite, wich also in die Fahrbahnmitte aus. Dieses Manöver gelang nur knapp, da der PKW immer weiter langsam in die Hauptstraße einbog und allem Anschein nach den Radfahrer erst zur Kenntnis nahm, als dieser vor der Motorhaube war, was mir im nachhinein schwer zu denken gab - hätte der PKW nicht doch noch gestoppt, dan wäre es zu einem Unfall gekommen.
Deshalb hier mal eine kleine "Manöverkritik" meinerseits zu dieser oder ähnlichen Situationen:
(Der Radfahrer möge es mir verzeihen, das ich diese IMO recht brenzlige Situation hier als Beispiel heranziehe, aber aus eigenen Erfahrungen halte ich sie für sehr typisch. Jedweilige Kritik soll keinerlei Schuldzuweisung sein, sondern nur dazu dienen, zu überlegen, wie man es als Radfahrer - und Radfahrerin - hätte besser machen können.)
Der Radfahrer bremste kurz an und wich dann aus. Kurzzeitiges blockieren der Räder war wegen der feucht-herbstlichen Straßenverhältnisse unvermeidbar. Dadurch, daß der PKW jedoch immer weiter in die Fahrspur des Radfahrers eindrang, mußte der Radfahrer seinen Ausweichkurs mehrere Male korrigieren - also erneutes anbremsen, abfangen, einlenken. Akustisch hat er sich im übrigen nicht versucht, bemerkbar zu machen.
Daher Punkt 1: Zum Klingeln oder Hupen bleibt in solchen Situationen keine Zeit, denn die Hände sind mit besserem beschäftigt. Ein lauter Schrei ("Ey!" oder "Hey!" oder so) verhilft einem trotzdem oft dazu, noch wahrgenommen zu werden. So etwas will aber auch trainiert sein! Viele scheinen sich auch nicht zu trauen, laut zu schreien und behaupten dann oft, sie könnten nicht laut schreien. Ihr könnt es. Übt es. Trainiert es. Es muß zu einem Reflex werden.
Punkt 2: Die Ausweich-Richtung. Dieser Gedanke beschäftigt mich am meisten - ein Ausweichen nach links ist in der geschilderten Situation vermutlich selbstverständlich aber ist es die beste Entscheidung? Hier wird sich kaum eine pauschale Antwort finden lassen, aber in dem Beispiel wäre (im nachhinein betrachtet) ein Ausweichen nach rechts (also in die einmündende Straße hinein) nicht nur möglich gewesen sondern vermutlich wesentlich sicherer, denn der PKW wäre nicht in den Ausweichkurs eingedrungen sonder hätte ihn im Gegenteil sogar weiter verlassen. Problem dabei ist nur, schnell und präzise genug abzuschätzen, wie weit man es schafft, den Ausweichkurs nach rechts zu legen und wo der PKW sich in dem Moment befinden wird, wenn man den Schnittpunkt der Kurse erreicht hat. Sollte man sich hier verschätzen, kann das ja durchaus auch erst recht unfallverursachend sein!
Punkt 3: Den Ausweichkurs so weit wie möglich wählen ohne in andere Gefahrenzohnen (z.B. Gegenverkehr) einzudringen. Dafür muß man die Reaktion seines Gefährtes kennen und einschätzen können. Training bedeutet hier nicht nur, Techniken (Abläufe) zu beherrschen, sondern auch, sich mit dem Fahrverhalten des eigenen Rades in Grenzsituationen vertraut zu machen (ich glaube, das wurde hier schon erwähnt). Und dafür sollte man speziell üben, denn es ist damit zu rechnen, das man sich mal ein kleines bisschen verschätzt und dann doch stürzt, was auf einer Tour äußerst dumm sein kann.
Und wenn man *nicht* mit so dummen Übungen anfängt, wie dem schon genannten Bergabfahren und vorne Bremsen, sondern sein Gefährt langsam erkundet, dann ist die Verletzungsgefahr bei solchen Übungen m.E. verschwindend gering.
Grenzbereichs-Übungen:
- Immer erst mal auf freier, ebener Fläche (leerer Parkplatz oder so) üben.
- Bremsübungen mit niedrigen Geschwindigkeiten beginnen. Auch mit 5 km/h läßt sich ein anlupfen des Hinterrades auf ebenen trockenen Untergrund feststellen, wenn man die Vorderradbremse blockiert.
- Grenzbereiche lassen sich am besten kennen lernen, wenn man sie überschreitet. Auch das natürlich nur bei möglichst geringen Geschwindigkeiten. Also immer langsam anfangen und vorsichtig nach oben herantasten, bis sich der erwartete/gewünschte Effekt einstellt. Einen vollständigen Wheelie übers Vorderrad sollte man dann aber vielleicht besser nicht ausprobieren. Als Abflugs-Koordinationstraining sind dann Ersatzsportarten wie Bodenturnen, Trampolin oder Turmspringen sicherlich hilfreicher.
- solche Übungen bei jedem Wetter machen und nach und nach auch mal den Belag wechseln.
Für alle, die in ihrer Kindheit nicht mit dem Radl spielen durften oder konnten:
Eine der ersten solcher Übungen, an die ich mich erinnere und die wir gerne oft und lange gemacht haben, war, das Rad zu beschleunigen um dann mit der Hinterradbremse eine Vollbremsung zu machen um das Rad zum Ausbrechen zu bringen. Je weiter das Rad seitwärts gerutsch war und je mehr Dreck dabei aufgewirbelt wurde und Gummi gelassen wurde, desto cooler war das. Und wer das Ganze geschafft hat, ohne die Füße absetzen zu müssen und dann wieder locker weiterfahren konnte, war der King.
Grüße,
André