Vorletzten Sonntag rund um Gaiole in Chianti/Toskana: 901 Starter mit Oldtimer- Rennrädern, gewandet mit farbigen Uralt-Wolltrikots, behütet mit Campa-Kappe oder Sturzring, starten zum wohl schönsten Historik-Rennen der Welt – über die weißen Schotterpisten des Chianti Classico-Gebiets. Ich war dabei ..

Wer einmal dabei war, kommt wieder ..
Letztes Jahr waren es noch knapp über 400 Starter. Diesmal 901, die – alle ausgestattet mit alten Rennrädern ab Jahrgang 1921 bis 1980 – bei diesem legendären "Rennen" an den Start gingen: Lachende Schnautzbartträger, jugendliche Recken mit stolzgeschwellter Brust, feine Damen in langen Röcken, Lebemänner in Karo-Klamotten, hier ein Jäger mit Schrotflinte auf dem Rücken, dort ein Pfarrer in Kutte, dort hinten ein Trupp Gebirgsjäger im Tarnanzug mit 40 KIlo schweren Militärrädern, denen sogar ein Hubschrauberabwurf nichts ausmachen. Überall farbige Wolltrikots mit geschwungenen Schriftzügen der Marken von einst, abgewetzte Leder-Sättel, offenes Lenkerband, Räder mit Ein-Gang oder Zweigang-Kettenschaltung oder gar mit Campagnolos legendären Campa Nuovo 12 Gang-Schaltung mit Hebelage am Unterrohr, viele Rahmen mit Kampfspuren und vereinzelt liebevoll gepflegte Schätzchen, die aus dem heimischen Museum kommend hier mal wieder Frischluft schnuppern – und das alles war am 2.1o. mitten im Herzen des Chiantigebiets, am Start.

Vier Strecken zur Auswahl, 50% geht über Schotter!
Vier Strecken über 35, 76, 135 und 200 Kilometer durchs Chianti-Gebiet konnten absolviert werden. Wobei die gefahrene Zeit überhaupt keine Rolle spielte. Hier ist Dabeisein alles! Schließlich lässt das Rennen die alten Zeiten wieder aufleben, als die Radfahrer noch Heroen waren, Mut beweisen und Entbehrungen erleiden mussten. Und ohne körperliche Hilfsmittel oder technischen Service auskommen mussten. Jeder trägt deshalb hier um Brust und Schulter gebundene Fahrradmäntel, in den Trikotstaschen wölben sich Ersatzschäuche und Not-Werkzeug. Flach macht sich allein das Fahrtenbuch für die Start- und Durchfahrtsstempel.

Die Legende lebt
Die Besonderheit: Jede Strecke der "L´Eroica führt mindestens zu 50 Prozent über die berühmten Schotterpisten "Strade Bianche". Das sind alte Gemeindestraßen, die über Bergrücken und Täler geführt, noch heute die idyllischen Bergdörfer miteinander verbinden.

Ständig geht ständig auf und ab. Eine Berg- und Talfahrt mit Ausblicken vom Feinsten, aber auch Schinderei für den Körper sowie fürs Material: Obwohl jeder Fahrer von 17 bis 84 mit seinem antiken Stahlross schonend unterwegs war, bezeugten unzählige Havaristen am Wegrand den hohen Grad von Materialermüdung. Oft sieht man eifrig pumpende Piloten am Straßenrand stehen – alle 500 Meter. Manch einer klopft seine Kurbel mit faustgroßen Steinen wieder fest. Ständig mussten losgeschüttelte Schrauben festgezogen werden – trotzdem lachende Gesichter und strahlende Augen überall.

Rotwein statt Energydrink
Und dann die Verpflegungsstationen: statt Powerriegel gibt es hier Parmaschinken und heimische Salami. Dazu Pecorino und Parmesan bergeweise, mit Olivenöl beträufeltes Weißbrot und süße Kuchen. Statt Elektrolytgetränken schenken die beschürzten Mädels kristallklares Wasser und rotfunkelnden Chianti aus – so macht die Nahrungsaufnahme Spaß. Genuss braucht halt Zeit. Fahren wir später weiter.

Initiative zum Erhalt der Schotterstraßen
Das von der Gemeinde Gaiole in Chianti, dem Förderer und Patron der "Eroica" Giancarlo Brocci und der charismatischen Emanuela Stucchi Prinetti vom wohl bekanntesten Weingut des Chianti Classico-Gebiets "Badia a Coltibuono" (stiftete flaschenweise den Wein für alle Festivaliäten in Gaiole) fast "privat" organisierte Ereignis soll auch künftig keinen kommerziellen Anstrich bekommen.
Es wird allein vom Englischen Sattelhersteller Brooks, für sich schon eine Legende, pekuniär unterstützt. Somit ist und bleibt es ein unverfälschter Augenschmauß für die Besucher und für die Mitfahrer, die übrigens eine Startgebühr von nur 15 Euro zahlen mussten, eine Riesengaudi.

Die "Eroica" dient einerseits dazu, die Helden von einst wieder aufleben zu lassen und soll darüber hinaus mithelfen, die historischen Schotterstraßen, die der Toskana ihr typisches Flair geben, zu erhalten.
Die Organisatoren, alle Einheimischen sowie viele Ausländer, die hier ihre Residenzen haben, wollen die italienische Regierung wachrütteln, hier keine weiteren Asphaltstraßen zu bauen. Dank der von den Medien 2005 stark beachteten "Eroica" stehen die Chancen nicht schlecht, dass die idyllisch geführten und geheimnisvolle Ecken der Toskana berührende "Strade Bianchas" auch künftig bestehen bleiben.



Ausschilderung kommt bald
Wer nun Lust bekommen hat, auf der legendären 200 km Strecke (120 km Schotter) zu fahren, darf sich freuen. Die große Schleife wird schon ab dem nächsten Jahr mit Straßenschildern und weißen Wegsteinen mit aufgepinselter Kilometerzahl bestückt. Es ist denkbar, dass auf der Originalstrecke bald organisierte Rundfahrten angeboten werden (3 Tage auf der Strecke, Etappenlänge 70 km pro Tag).

Nächstes Jahr: die zehnte!
Nächstes Jahr findet definitiv Ende September/Anfang Oktober die nächste L´Eroica statt. Die zehnte! Wer mitfahren will, sollte das Wochenende im Ferienkalender Rot anstreichen. Und sich dafür ein mindestens 25 altes Rennrad und natürlich passende Kleidung organisieren – es lohnt sich...

Noch ein Wort zu den Teilnehmern: 169 kamen erreichten nach der 35 km Runde (10 km Schotter) das Ziel.
272 kurbelten die 76 km-Strecke ab (35 km Schotter). 104 trauten sich über die 135 km-Schleife (70 km Schotter) und sagenhafte 246 "Helden" (wurden speziell geehrt) strampelten mit ihren fliegenden Kisten die 200 km-Schleife (über 120 km Schotter) herunter. Es ist nicht bekannt, wo die restlichen 110 Fahrer geblieben sind ... Vielleicht sind einige noch unterwegs und kurieren ihre Kopfschmerzen vom übermäßigen Genuss des Chianti-Rotweins aus ...

Hier einige herausragende Helden: Libero Cuccuini, 84 Jahre alt, fuhr die Kurzstrecke.
Luciano Berruti, 67, war angezogen wie die Radsportlegende Maurice Garin, fuhr 75 km auf einem frühen 1900er Fahrrad mit Holzfelgen - wobei eine brach, er lieh sich kurzerhand das Vorderrad seines nebenher fahrenden Sohnes aus, um ans Ziel zu kommen.
Ein Franzose und ein Engländer wagten sich auf die 200 km-Runde, beide auf einem Eingang "Singlespeed"-Rad, Baujahr 1900.

104 Ausländer waren dabei: 11 Östereicher, 4 Tschechen, 15 Deutsche, 1 Australier, 1 Däne, 2 Japaner, 10 Amerikaner, 9 Holländer, 1 Spanier, 1 Belgier, 27 Engländer, 1 Südafrikaner, 2 Kanadier, 6 Franzosen und 8 Schweizer.

Last but not least – 80 Frauen nahmen die Herausforderung "Eroica" heldinnenhaft unter die Räder.

Und hier ein LInk zur Eroica: www.parcociclisticodelchianti.it/


Mein Fazit: Absolut sehenswertes Ereignis. Unbedingt mitfahren. Ohne entsprechendes Fahrrad (Rennrad, mindestens 20 besser 40 Jahre alt) und ohne entsprechende Kleidung fühlt man sich deplaziert.

smoky

Danke für den anschaulichen Bericht! Ich habe in Radsportzeitschriften schon Bilder der l'Eroica gesehen: Das muss ja ein sehr schönes Schauspiel sein.

Servus Smoky,
auf unserer diesjährigen Tour durch die französischen Alpen erlebten wir in diesem Zusammenhang einen netten Zufall. Wir kamen gerade vom Col du Telegraphe (Tour zuschauen) und wollten in Valloire übernachten um am anderen Tag über den Galibier weiterzufahren. Im Ort Valloire überholte uns ein Radler mit einem uralten Bianchi auf Holzfelgen und uralter Radbekleidung. Wir sind ihm, so schnell das mit unseren bepackten Rädern möglich war, hinterhergestiefelt und sahen ihm dann auf einem Parkplatz wieder, wo er gerade sein Rad ins Auto laden wollte. Es war Luciano Berruti. Ich habe ihn natürlich gleich angesprochen, soweit das mit meinem gebrochenen Italienisch ging. Er war gleich super freundlich und hat uns Info-Material über die L'Eroica mitgegeben. Außerdem seine Visitenkarte. Er wohnt in 17017 Cosseria. Das müßte in Ligurien sein. Hat uns gleich eingeladen, bei Gelegenheit bei ihm vorbeizuschauen. Er hätte eine große Wiese neben seinem Haus, wo wir jederzeit campieren könnten. War eine sehr nette Begegnung.

Gruß
Josef