Das wird jetzt etwas länger. Vorab: Es gibt fast nie - und auch nicht zu dem Thema - Erfahrungsberichte mit harten Zahlen, dass man irgendetwas sauber nachrechnen könnte, sondern immer nur irgendwelche Unglücksbeschreibungen, die man dann beeindruckt zur Kenntnis nehmen kann, aber man kann sie nicht nachrechnen. Deshalb bleibt da nur, es umzudrehen und vorab nachzudenken, was so ein Stück Technik denn tun könnte.
danke für deine ausführliche Erklärung und Beratung!
ich hab mich für die etwas "komplexere" Scheibe entschieden, da gerade auch längere Abfahrten mit Gepäck Spaß machen sollen. Z.B. wäre doch ein Abfahrt vom Stelvio oder vom Ärna nur halb so lustig, wenn man die nicht am Stück (vernünftig / kontrolliert) runterfahren könnte. Genau dafür wurde sie mir empfohlen. Im echten Leben halte ich natürlich 1-2x für Fotos an und kann so für zumindest kurze Abkühlung sorgen.
Bei gleichem Fahr- und damit auch Bremsdiagramm bei gleichem Rad bleibt die Ice-Tec-Scheibe "kühler" als eine normale Stahlbremsscheibe. Genau das sagt Shimano und nicht mehr. Das ist auch technisch völlig verständlich, denn die Kühlflächen der Ice-Tec-Scheiben sind deutlich größer. Dazu nennt Shimano Kurven und die kann man sich sogar selbst errechnen. Die geringere Temperatur hält gerade Resin-Beläge besser vom Fading ab und auch die Zange mag das sicher. D.h. Bremskraft und Dosierung bleibt gut, aber höhere Bremsleistung ist was anderes. Bremskraft und Dosierung ist wichtig für die MTBler und auch Rennräder.
Die meisten verstehen das aber so, dass man jetzt "brutaler" fahren und bremsen kann, also mehr Bremsleistung abfordern kann bzw. mehr Bremsenergie aus dem System holen kann (Bremsleistung x Zeit). Damit steigt die Temperatur der Ice-Tec-Scheibe aber in den Bereich der reinen Stahlscheiben. Und wenn man das übertreibt, dann kommt man an den Punkt, wo der Alu-Kern unter dem Druck der Kolben weich und herausgequetscht wird (zumindest früher, vielleicht haben sie heute eine Stützkonstruktion). Die Alu-Legierung kenne ich nicht, der Schmelzpunkt von Reinalu ist 660°C, aber die leichte Verformbarkeit von Alu und Alu-Legierungen beginnt schon viel früher. Und dazu finden sich die Bilder im Netz (google ice tec melt o.ä).
Anyway: hast du auch ein pi*Daumen Gefühl / Erfahrung / Meinung zum Hitzetest für die RTMT800? Anfassen ist ja egal ob bei 300 oder 400 Grad keine so gute Idee
Zwischen gelb und braun am Beginn der Stege zum Bremsring heißt: Dort war zwischen 200 - 250°C. Der Bremsring selbst ist noch etwas heißer, sieht man aber nicht, weil ständig überschliffen. Wenn es blau wird, dann sind wir jenseits der 300°C. Dazu kann man im Netz mal nach Bremsscheiben suchen (google fahrrad bremsscheiben verbrannt). Wenn Leute auf Prüfständen die Scheiben zum Glühen bringen, dann sind es nicht deren eigene Bremsen und sie landen nachher im Müll. An den Stegen einer Ice-Tec-Scheibe will ich daher keine Anlauffarben sehen, also unter 200 - 250°C. Dann wäre der Ring etwas höher und der Alu-Kern verteilt schön gleichmäßig im Ring. An einer normalen Stahlscheibe darf es auch mal etwas gelb-braun am Steg sein. Aber auch dort ein Zeichen, dass die Bremse stark belastet wird und man es künftig vorsichtiger angehen lässt. Zumindest aus Sicht Alltag und Reise, wo ein zuverlässiges Vehikel wichtig ist. Wenn sich MTBler auf dem Spielplatz ihr Gerät ruinieren, dann wird es halt ins Auto geladen, aber das ist nicht Radreise.
Meine bisherigen Felgen haben mit sinnvollem Intervallbremsen bis jetzt noch nie die Biege gemacht - nur 1x beim Abfahrt vom Col du Madeleine bei ca 35 Grad im Schatten ist mir unten dann ein Schlauch geplatzt / "aufgeschmolzen" da die Felge zu heiß wurde...
Wie oben beschrieben, kann der Alu-Kern diese Rolle übernehmen und sich ebenfalls aus der Scheibe verabschieden. Ich verstehe Ice-Tec nicht als Technik für brutaleres Fahren, sondern Dosierbarkeit und Bremskraft stabil zum kalten Zustand zu halten. Mehr verspricht mWn Shimano geschickterweise auch nicht im ganzen Begriffsgeschwurbel. Es muss dazu Bremskraft, Bremsleistung (Bremskraft x Geschwindigkeit) und Bremsenergie (Bremsleistung x Zeit) auseinander gehalten werden. Eine überhitzte Bremse mit Fading schafft auch kurzzeitig keine gute Bremskraft an irgendeinem Punkt im Trail, wo sie gerade gebraucht wird, eine kühlere sofort. Kurzes Bremsen erzeugt nur bei höherer Geschwindigkeit auch Bremsleistung, aber durch die kurze Zeit überhaupt keine Bremsenergie und damit keine weitere Temperaturerhöhung. Lange Passfahrten sind was anderes. Außerdem vergessen Reiseradler gerne, dass sie mit ihrer Fuhre deutlich schwerer sind als ein MTBler oder ein Rennradler und dass die Straßenreifen auf Asphalt optimal rollen und den Bremsen nicht helfen, ganz im Gegensatz zu fetten Stollen, die durch Schlamm/Wiese/Schotter/Waldboden pflügen und viel Bremsung übernehmen. Rennräder rollen zwar noch besser, aber da die normalerweise schnell fahren, übernimmt der Luftwiderstand einen Teil der Bremsung. Rennradfahrer können auch durch Aufrichten den Lufwiderstand regulieren und mit ihren Bremsen abstimmen. Reiseradler liegen genau dazwischen im "Tal des Todes": Rollen zu gut, sind zu schwer, fahren aber ggfs. nicht schnell genug für richtig Luftwiderstand. D.h. vernünftig fahren.
Beim langsamen Zirkeln durch Trails gibt es keine heißen Bremsen, egal wie groß die Bremskraft ist und wie lange man zieht. Wer den Pass sehr langsam runterfährt, kann auch Dauerbremsung fahren, weil die Bremsleistung niedrig ist und die Scheibe bei geringer Temperatur dies komplett an die Umgebung wegbringt. Die Bremsenergie ist rechnerisch und praktisch sehr hoch (die ganzen Höhenmeter ohne Abzug für Luftwiderstand), weil aber die Zeit so groß ist, bleibt die Bremsleistung gering.
PS: Der Punkt von @sugu ist sehr gut: Verschleißkontrolle der Scheibe ist wichtig.