Hallo!
Wie mir scheint, bin ich vor zwei Wochen dem allgemeinen Reisetrend etwas zuvor gekommen: Ich war in Marokko! Hier ein Erfahrungsbericht:
Zuerst ein paar Sätze zur Ausgangslage; im Forum bin ich schon länger sporadisch vertreten, eine über mehrere Tage reichende Radreise stand jedoch bislang noch aus. Mein Urlaub ist in diesem Jahr ziemlich begrenzt und voraussichtlich bis Oktober war diese eine Woche Anfang Januar das einzige Highlight. Deshalb wollte ich diese Woche möglichst intensiv nutzen, gleichzeitig testen ob mir das Fahrrad nach ausgedehnten Rucksacktouren der letzten Jahre als für mich neue Reisemethode liegt und auch gerne noch ein neues Land kennen lernen.
Akzeptabel warm, nicht zu weit weg und nicht zu teuer waren weitere Grundvoraussetzungen, und schnell kam dann Marokko ins Spiel. Bewusst wurden mir diese Gedanken erst Anfang Dezember, als sich mein Vater als plötzliche Reisebegleitung anbot. Der erste „Familienurlaub“ nach vielen Jahren?! Ok, ein weiterer Testfall.
Bedingt durch Klausurenstress (ich musste sie bestehen und mein Vater musste sie stellen…) ließen wir die Planung jedoch schleifen und sind auch beide keine Helden darin. Der Flug war gebucht, da konnte ja nicht mehr viel passieren. Zu den Grundvoraussetzungen vielleicht noch ein paar Sätze: Als blutige Radreiseanfänger war uns beiden klar, dass wir eine sehr zivilisierte Tour im Vergleich zu anderen hier im Forum machen würden. Wenig Gepäck, keine Pisten, keine extremen Steigungen, eher im gut erschlossenen Bereich des Landes ein wenig herumradeln und so die ersten Erfahrungen sammeln war unsere Vorstellung. Dazu kam Vaters Gedanke, dass er gerne seinem 50er Jahre NSU-Rad Marokko zeigen würde und trotz seinen 15 kg Zuladung direkt unterhalb der Brust auch ohne Gangschaltung mit mir konditionslosem Studenten mit einfachem Mountainbike (hallo Wolfgang Kromat an dieser Stelle!) mithalten würde.
Kurz nach Weihnachten hatten wir dann auch endlich eine Michelinkarte und einen Reiseführer, am Abend vor dem Abflug wurde dann Wechselwäsche, ein Zelt, etwas Werkzeug, eine Zahnbürste und der Fotoapparat in meine „richtigen“ und Vaters Aldi-Packtaschen gepackt und in einer Nachtaktion die Räder zerlegt und in Pappkartons verstaut. Meine „richtigen“ Taschen sind alle Karrimor vom Marokkoexperten Jan – also quasi die einzigen Reisebegleiter mit viel Erfahrung :-). Der Flug ging nach Casablanca, soviel war uns klar, als wir dann am 2.1. nach Düsseldorf fuhren. Im Flugzeug fiel dann die Entscheidung, erstmal zu versuchen, entlang der Küste gen Safi zu radeln. Marrakech hätte ich auch gerne gesehen und zumindest mal einen Blick vom Atlas zu erhaschen könnte auch nett sein.
Soviel der Vorrede.
Fluggepäck hatten wir jeder 30 kg frei, je Rad und Verpackung waren schon etwa 20-23 vergeben, aber unser Reisegepäck belief sich auf unter 10kg.
2.1.: Nach einem ereignislosen Flug mit schöner Sicht aufs spanische Inland kamen wir gegen 16 Uhr Ortszeit in Casablanca an. Der Flughafen kann sich durchaus sehen lassen, ein riesiger künstlicher Indoor-Wasserfall begrüßt die Ankommenden. Der erste Eindruck des für mich völlig neuen Reiselandes war die Gepäckhalle. Alle Gepäckstücke der ankommenden Flüge schienen auf ein einziges Gepäckband gestapelt zu werden. Am Ende dieses Bandes stand ein Flughafenangestellter und zerrte die Gepäckstücke vom Band auf einen unglaublichen Berg von Taschen, Kisten und anderem Zeugs. Dazwischen wuselten die Reisenden und suchten ihre Habseligkeiten. Auch unsere Räder in ihren Pappkartons und die Packtaschen fanden sich hier; alles schien trotz dem Wirrwarr angekommen und intakt zu sein. Der zweite Eindruck war der Einreise-Checkpunkt – die schneckenartige Arbeitsweise des „Offiziellen“ in seiner schicken Uniform war schier unglaublich, aber unsere Stimmung war ausgesprochen gut. Danach drängelten wir uns dann durch etwa 200 Marokkaner, die zum Empfang auf Flugpassagiere zu warten schienen und waren draußen. Erste Palmen, angenehme 20 Grad, ein sauberes Flughafenäußeres luden dazu ein, die Räder zusammen zu schrauben. Das erntete viele interessierte Blicke und benötigte mehr Zeit als gedacht. Gegen 6, es wurde dunkel, standen die Drahtesel bepackt vor uns. Jetzt eine Unterkunft suchen?! Nein! Wir wollten doch radeln! Nur wohin?! Erst einmal los, so fiel die Entscheidung. Grob Richtung Casablanca und dann östlich Richtung Küste. Gute Strassen standen zumindest nicht auf der Karte, aber eine Autobahn führte direkt nach Casa hinein. Auf die bewegten wir uns zu, das radeln ging problemlos – bis die Mautstation kam. Fast hatten wir den netten Beamten überzeugt, uns weiter fahren zu lassen, dann kam sein Chef und verwies uns freundlich aber bestimmt auf eine kleine Strasse hinter dem Mauthäuschen – auch in Marokko sind keine Fahrräder auf der Autobahn erwünscht. Er gab uns noch mit auf den Weg, nicht anzuhalten und uns nicht ansprechen zu lassen. Dummerweise mussten wir aber das Gegenteil tun, denn den Weg wollte er uns auch nicht erklären. Die Moped-Jugendgang war aber nett und verstand Vaters Französisch im Gegensatz zu mir anscheinend zur Genüge. Der Weg gen Küste wollte jedoch nicht so wie er sollte und dunkel war es schon längst. Wir kamen durch Bouskoura, ein typisches Casa-Vorortsstädtchen und ich konnte das erste Mal über Schweinehälften in Strassen-Metzgereien staunen. Irgendwie führten alle Strassen nach Casablanca hinein und nicht zur Küste – kein Wunder bei einer 1,8 Millionen-Metropole. Da wollten wir aber nicht hin und die Gegend wurde auch immer komischer. Ausserdem waren wir vom stressigen Tag müde. Das änderte nichts daran, dass wir uns längst in zugebauter, zugemüllter Vorortsgegend befanden und an einen gemütlichen Campplatz kein Gedanke mehr war. Auch Hotels schienen sich in diese Ecke partout nicht verirren zu wollen. Irgendwann hatten wir durch Glück die Ausfallstrasse nach Azemmour und gen Küste gefunden. Ein Buschstreifen zwischen einer Mauer und der Strasse war etwas uneben und im Dunkeln schien ein Mulde eine geeignete Zeltstelle. Im Hellen entpuppte sie sich am anderen Morgen als Abfallstreifen der Strasse, aber das war am nächsten Morgen.
3.1. Wir radeln zur Küste. Erst einmal über die große Ausfallstrasse. Eine sechsstreifige Strasse Marokkos ohne Erfahrung beradeln?! Noch in Deutschland hätte ich es mir nicht zugetraut, aber direkt vor Ort zwischen Eselkarren, stinkenden Mopeds und anderen Rädern schien es überhaupt kein Problem zu sein. Auch später empfand ich den Verkehr zwar manchmal als chaotisch-spannend, aber nie als bedrohlich. Es gab viel zu staunen, unglaublich viele Menschen, die meisten rufend, winkend, irgendwie Aufmerksamkeit erzeugend. Viel Müll entlang der Strasse, aber wir fuhren nun auch in einer dicht besiedelten Region. Die wurde bald ländlicher, es gab Unmengen kleiner Felder und auf jedem fanden sich Menschen. Die Jellabahs, das traditionelle Kleidungsstück, machte für mich die Leute zu lustigen Zwergen und noch konnte ich mich auch über die große Anzahl der kleinen Läden entlang der Strasse wundern. Azamour entpuppte sich als kleines Hafenstädtchen und abends erreichten wir El Jadida, eine Hafenstadt mit 300.000 Einwohnern, einem quicklebendig-coolem Hafen und einer schönen, verwinkelten Altstadt mit dicken Mauern und portugiesischem Einfluss. Zum ersten Mal machte ich auch Bekanntschaft mit den Suqs (auch: Souks), den Marktvierteln einer marokkanischen Stadt. Menschengewühl, Faszination und Reizüberflutung.
Nach der für meinen Vater ersten Zelterfahrung in der vorherigen Nacht nahmen wir uns für 16 Eur ein vernünftiges Hotel und auch das Restaurant war lecker. Die verkrüppelten Bettler, verschleierte Frauen und der vermüllte Strassenrand inklusive Schafsleichen mitten in der Stadt waren Anblicke, die mir noch gewöhnungsbedürftig waren.
4.1. Zum Frühstück gibt es die subventionierten 10-Cent-Brotfladen und getrocknete Feigen vom Markt. Der erste Verstoß gegen die Hygienevorschriften; weitere sollten folgen. Wir radeln auf angenehmer, ruhiger Strasse weiter entlang der Küste Richtung Safi. Die Gegend wird noch fruchtbarer, Feld an Feld und Hügel an Hügel. Ich liebe den Blick aufs Meer und ich fand auch die ersten Kids entlang der Strasse sympathisch. Das Meer mag ich noch immer…
Insbesondere die Zeiten des Schulbeginns und –endes waren nicht die schönsten auf der Strasse. Die ersten Kinder der Reihe winken, die nächsten strecken die Hand aus, die danach sind noch mutiger und nehmen den ersten Stein und die letzten sind die coolsten, machen eine Strassensperre und versuchen sich am Gepäck.
Qualidia hieß ein Ort entlang der Strasse, ein hervorragendes Fischessen entschädigte für die Zeitweise nervigen Begegnungen auf der Strasse. Auch die Erwachsenen kamen nicht sonderlich gut bei mir weg. Ich möchte keine Riesenkrabbe kaufen und auch kein Haus und Hasch schon gar nicht, zumindest nicht dort!
Nach 80 km Hügeln waren wir müde, aber noch nicht bereit den Tag zu beenden. Es dämmerte mittlerweile, nächtliches fahren hatte jedoch schon am ersten Abend den Schrecken verloren. Also fuhren wir letztendlich doch bis Safi, eine 150km-Etappe für untrainierte Wesen auf Hügelstrecke reichte mir zum Schluss dann doch. Der Lehrervater hatte jedoch genügend Motivationskünste parat und Safi als Stadt mit richtig nettem Flair war eine Entschädigung. Das Hotel für 25 Eur war deutlichst über meinen Ansprüchen und ich hätte mich in meinem Zelt wohler gefühlt – aber Eingeständnisse gegenüber meinem Vater waren ok, anders herum sollte ihn ähnliches erwarten.
5.1. Erst einmal genossen bzw. beobachteten wir das Großstadtleben in marokkanischem Stil. Dazu gehörten Menschenmassen, verschiedenste Transportmittel und verschiedenste Verkaufsmethoden. Favorit der Transportmittel waren die Mercedes-Benz-Taxis. Auch fiese Dieselbusse, die allerorts üblichen Eselkarren und viele Menschen gehörten mit zum Bild. Das Töpferviertel der Stadt sollte laut Buch das größte Marokkos sein, aber uns desinteressierten, geschmacklosen Vernunftmenschen konnte es genauso wie die Medina (Altstadt) mit vielen historischen Bauten nur ein „nett“ entlocken. Da war die Ankunft auf dem Busbahnhof ein spannenderes Erlebnis. Wir wollten nämlich nun die 200km bis Marrakech mit dem Bus überspringen, um noch eine andere Ecke des Landes kennen zu lernen. Der Busbahnhof ist in Safi das Reich der Privatbusslinien und der Schlepper. Bislang hatten wir während der drei Tage die Begegnungen mit anderen Touris an einer Hand abzählen können – wir waren in keiner touristischen Gegend und umso mehr schienen wir hervorzustechen und anzuziehen. Kaum das Wort Marrakech ausgesprochen waren die Räder für 1 Euro auf einen nicht sehr vertrauenserweckenden Bus gebunden und für 7 Eur zwei Tickets ausgestellt. Der Bus benötigte dann auch ganze 4,5 Stunden für die 190 km. Die Strecke war recht trostlos, verdorrte brach liegende und extensiv landwirtschaftlich genutzte Ebenen und leichte Hügelgegend.
In Marrakech, einer alten Königsstadt und einer der Hauptreiseziele von Marokkotouris, hatten dann die Schlepper ein weiteres gefundenes Fressen an uns. Aber wir bemerkten zum ersten Mal, dass auch andere Westler im Land waren und Marrakech schien, groß und lebhaft, doch einen besonderen Flair zu verbreiten. Der berühmte Djamaa el Fna-Platz ist einer der Hauptanziehungspunkte, hier fanden wir ein sehr günstiges Hotel und erkundeten Suqs und Plätze zu Fuß. Das dicke Fell gegenüber den unablässigen Ansprechversuchen wollte mir einfach nicht wachsen. Der marokkanische Tee (Grüntee mit Pfefferminzblättern und viel Zucker) schmeckte jedoch mittlerweile und auch ein paar weitere Verstoße gegen das Hygiene-Kapitel im Reiseführer standen an. In den Marktviertel haben wir uns bestimmt 15 Mal völlig orientierungslos verlaufen und sind einige Strassen bestimmt zehnfach gegangen – das schöne war, dass sie jedes Mal erneut unbekannt wirken und neues zu entdecken auftaucht.
6.1. Mit gepackten Rädern gönnten wir uns das Erlebnis, durch die unglaublich quirligen Gassen zu drängeln und uns in die Rangordnung Eselkarren -> Moped -> Radler -> Fußgänger einzuordnen. Mir hat’s ziemlich Spaß gemacht. Auch die Ausfallstrasse Richtung Asni, Atlasvorläufer, war spannend. Zwei Jungs boten sich als Führer an und wir waren froh, für 50 Cent auf die richtige Strasse geleitet zu werden. Nach 40 km geradeaus tauchten dann die ersten „Hügel“ auf und ich war nur noch begeistert. Die Strasse wand sich immer tiefer hinein in die Berge. Die Sicht war klasse, schneebedeckte 3000 faszinierend einfach. Auch an den Berg geklebte Lehmhaus-Dörfchen und der plötzlich ganz andere Menschentyp waren interessant. Wir hatten nicht erwartet, dass wir Asni mit seinen 1100 Höhenmetern erreichen konnten, doch als wir da waren hatte uns der Ehrgeiz gepackt und sogar mein Vater (Erinnerung: Eingang-NSU) wollte weiter. Asni war jedoch auch ein Nest zum abgewöhnen, zum ersten Mal waren die Hotelschlepper einfach nicht abzuwimmeln. Bis zur Dämmerung hatten wir Quirgane erreicht und fanden einen netten Besitzer eines kleinen Bungalows – faszinierende Einrichtung. Auch Essen gab es bei ihm – eine böse Entscheidung.
7.1. Die Nacht vergesse ich nicht so schnell, das Essen ging mir noch mal durch den Kopf – wortwörtlich. Die geschmiedeten Pläne, noch den Pass Tizi n’Test in Angriff zu nehmen waren gestrichen, denn so mies und platt hatte ich mich lange nicht gefühlt. Auch der Versuch die eigentlich lächerlichen 20km zurück nach Asni zu radeln scheiterte, letztendlich waren keine 500m gehen oder fahren mehr möglich und mein Vater organisierte ein Taxi. Nach 18 Stunden verkriechen im Schlafsack war der Tag vorbei und die Folgen des Omelettes auskuriert.
8.1. Leider der Beginn der Rückreise. Über Marrakech nahmen wir nun den Bus nach Casablanca. Dieses Mal einen Bus der staatlichen Buslinie, einen besseren Schnitt als 35km/h schaffte jedoch auch das klimagekühlte Busungeheuer nicht. An der Fahrt waren die Hühnerverkäufer entlang der Strasse das interessanteste. Aufgereiht gab es jeden km jemanden, der den Autofahrern einen Hahn oder einen Bund Spargel entgegen hielt. Welch ein Job… In Casablanca konnten wir endlich wieder etwas radeln, zur größten Moschee des Landes und entlang der Hafengegend. Abends ging es mit dem Stadtbus zurück zum Flughafen, wo wir die Nacht verbrachten und früh morgends zum Rückflug eincheckten. Dieses Mal mit unverpackten Rädern. Das kostete mich ein Rücklicht und meinen Vater einen völlig verbogenen Lenker, da die Räder nackt wie sie waren als normale Gepäckstücke aufs Band gelegt wurden! Das und die extrem nervige Ausreiseprozedur konnte meine leicht apathische Stimmung nicht mehr beeinflussen und nach einer Woche waren wir dreckig und reizüberflutet zurück im ach so sauberen, geregelten Deutschland.
9.1. Nachgedanken: Es ist mir bewusst, dass das unvorbereitete Beamen in ein sehr fremdes Land zu gemischten Gefühlen führen muss und auch keine ideale Herangehensweise ist. Und dennoch habe ich diese Woche genossen. Marokko hat auf mich nicht als „freundliches“ Land gewirkt und am meisten habe ich echte, interessierte Kontakte mit der Bevölkerung vermisst, wie ich sie zum Beispiel in Island mehrfach am Tag in jedem Tramper-Auto hatte. Dennoch hat das Land und insbesondere die Bergregion seinen Reiz. Entscheidender für mich waren die Eindrücke, das Erleben von einer so unterschiedlichen Lebensart. Wofür benötigen wir gepflegte Strassenränder, geregelte Verkehrsabläufe, penible Bauvorschriften – es geht auch alles ziemlich anders. Dieses hautnah zu erleben war gut.
Auch der Rad-Testlauf war spannend und ich hätte weder geglaubt, dass ich gut 140km mit Gepäck und Hügeln schaffe noch, dass ich die erste Bergstrasse hochkomme. Die Fortsetzung folgt mit Sicherheit, auch wenn ich meine Rucksacktouren ebenso mag. Und zuletzt passte sogar die Reisegemeinschaft mit meinem Vater; Respekt an ihn als 55jährigen, der recht anstandslos im Abfallgraben zeltet und die Ameisenstrassen im Hotel-Bad geflissentlich übersieht.
Gruss,
Simon