Hallo,
ich möchte auch dieses Jahr wieder von unserer Ostertour berichten, die uns (Überraschung!!) nach Italien geführt hat.
Letztes Jahr sind wir von Verona über Bologna nach Florenz geradelt; dieses Jahr wollten wir in Florenz fortsetzen und haben Rom als Ziel anvisiert.
Dank des späten Ostertermines sind wir in der winterlichen Planung von stabilem Schönwetter ausgegangen und haben bereits Anfang Februar die wichtigsten Vorbereitungen getroffen, nämlich die An- und Abreise mit der Bahn gebucht.
Wir waren sechs Tage mit den Rädern unterwegs. Eine Übersicht über unsere Tage findet sich auf hier
Tag 1 bis 3 und
Tag 4 bis 6 Eigentlich wollten wir für die Anreise den ÖBB-Nachtzug München-Rom verwenden, haben aber Anfang Februar zum gewünschten Termin kein Schlafwagenabteil mehr bekommen. Da der Nachtzug keine Radmitnahme hat und wir die Räder also im Abteil unterbringen müssen, kam Liege- oder Sitzwagen für uns nicht in Frage.
Das Ausweichen auf die Tagesverbindung hat zwar einen (Arbeits- bzw. Urlaubs-) Tag gekostet, war aber durchaus angenehm und kurzweilig.
Unsere Unterkunft ist nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt, die Räder können wir im Hof abstellen und der Blick aus dem Zimmerfenster stellt gleich klar: ja, wir sind richtig um- und ausgestiegen und in Florenz angekommen.
Am Abend bummeln wir noch ein wenig durch die Stadt, essen - wie es sich für Firenzes Touristenviertel gehört - in einer überteuerten Trattoria und stärken uns vorweg mit einem vitaminreichen Aufputschmittel
Am nächsten Morgen drehen wir eine Runde um den Dom
und schon geht es los in Richtung Westen aus der Stadt hinaus
Nach 20 Kilometern wartet bei Lastra a Signa eine kräftige Steigung auf uns, die uns kurzzeitig aus dem Sattel zwingt. Selbiges soll an diesem Tag dann nicht mehr vorkommen.
Die 200 Höhenmeter tun uns gut und eröffnen wunderschöne Blicke in die Landschaft – in eine frühlingshaft grüne Toskana
Fleckenweise ist sie auch rot, die Toskana
Empoli ist rasch auf schönem Radweg durchquert und wir folgen weiter dem Arno
In Pontedera geraten wir in ein Radrennen, die Teilnehmer werden angefeuert wie beim echten Giro.
Bis wir Pisa erreichen, treten wir am Nachmittag noch zwei Dutzend Kilometer gegen den lebhaften Westwind an.
Unser zweiter Tag auf dem Rad ist der Palmsonntag und beginnt, wie es sich gehört: wunderbar sonnig. Wir machen uns auf in Richtung Livorno. Die Nähe des Meeres ist unübersehbar.
Es ist sonntäglich ruhig und wir genießen die breiten Alleen
Livorno ist rasch erreicht und wir beeilen uns, einen ersten Kaffee mit Blick aufs Tyrrhenische Meer zu ergattern.
Auf den Uferpromenaden ist viel los: Spaziergänger, Radfahrer, Läufer, viele andere Bewegungs- und Sonnenhungrige.
Unsere ersten Kilometer auf der Via Aurelia direkt am Meer sind natürlich spannend und bieten viele schöne Ausblicke, aber wenige ruhige Minuten.
Die vielen Küsten- und Badeorte (hier Cecina) putzen sich gerade fein heraus und sind uns immer wieder für mehrere Kilometer eine willkommene Abwechslung vom Verkehr der Via Aurelia.
Hier beginnt die Maremma, eine ursprünglich an der Küste sich hinziehende Sumpflandschaft in der südlichen Toskana und dem nördlichen Latium, die unter anderem durch Aufforstung von Kiefernwäldern trockengelegt und urbar gemacht wurde.
Nicht nur die vielen Rennradler machen Tempo, auch der freundliche Rückenwind sorgt für einen guten Tagesschnitt bei uns.
Die Landschaft abseits der unmittelbaren Küste ist landwirtschaftlich geprägt
und die Artischockenfelder geben schon eine Idee fürs kommende Abendessen
Wir übernachten in Venturina Terme, einem ruhigen Thermalort und einem noch ruhigeren Hotel. Ich vermute, dass wir heute die einzigen Benutzer des Außenpools waren.
Laut wird es erst wieder beim Abendessen im Ort. Natürlich läuft der Fernseher auf Fußballfeldlautstärke und am Nebentisch feiert eine große Gesellschaft einen Familiengeburtstag. Ruhig sind die Kinder. Sämtliche fünf- bis 15-jährige glotzen in ein Tablet oder Smartphone und bleiben lange Zeit in ihrer eigenen Welt.
Auch der dritte Tag beginnt frühsommerlich und die ersten Kilometer gehen ins Landesinnere
Wir genießen das entspannte Radeln zwischen den vielen landwirtschaftlichen Kulturen von Getreide, Gemüse und Wein.
Zwischen Piombino und Follonica erreichen wir wieder das Tyrrhenische Meer.
Auch Follonica bietet eine angenehme Strandpromenade mit der Möglichkeit zur Aufnahme von koffeinhaltigen Heißgetränken. Höchste Zeit für eine Pause.
Hinter Follonica verlassen wir die Via Aurelia für ein kleines Naturschutzgebiet.
Der Umweg und die zusätzlichen Höhenmeter zahlen sich aus
Uns erwarten auch einige Höhenmeter zum Schieben, wo wir von jungen Sportlern auf todschicken Montainbikes mit surrenden Motoren elegant überholt werden.
Weiter durch die Maremma
Ein langer schattenloser Anstieg kostet einiges an Schweiß. Ein Platten sorgt für eine kleine Pause und ich kann das erste und einzige Mal auf dieser Radreise meine neue Luftpumpe zum Einsatz bringen, die ich mir nach Empfehlung in einem Ausrüstungs-Faden hier im Forum zugelegt habe, eine Lezyne Minipumpe CNC Micro Floor Drive. Tolles Teil, da freut man sich schon fast auf den nächsten Platten.
In Castiglione della Pescaia wartet wieder eine schöne Küstenpromenade auf uns.
Danach geht es auf straßenbegleitendem Radweg durch Kiefernwälder und auf angenehmen Nebenstraßen weiter in Richtung Grosseto.
Die letzten Kilometer bis Grosseto genießen wir einen perfekt ausgebauten, offensichtlich neuen Radweg und den Rückenwind. Rund um Grosseto ist uns bereits untertags einiges an Radinfrastruktur aufgefallen; die südliche Toskana scheint diese Art von Tourismus zu entdecken. Neben guten Beschilderungen gibt es auch bereits Webseiten zu Radfahren in der Maremma.
Grosseto ist eine angenehme Provinzhauptstadt und Übernachtungsort für heute.
Abends machen wir eine Erfahrung, die ich bislang hauptsächlich aus Erzählungen aus Süditalien kannte, den gezielten und maßlosen Ausländernepp. Wir trinken an einem Tisch im Freien einen Aperitif und der Eigentümer legt mir beim Bezahlen ein Scontrino mit einem Phantasiepreis her. Ich frage nach, ob es sich um einen Irrtum handle, er antwortet mit „servizio al tavolo“. Ich will mich aber nicht über diesen ziehen lassen und antworte ihm, dass ich das nicht akzeptiere und einem „questo prezzo non pago“. Der Mann reduziert den Preis um ein Drittel, das ist immer noch deutlich zu viel, aber ich lasse es gut sein und lege ihm das Geld hin.
Ähnliches sollte uns übrigens in diesen Tagen noch mehrere Male passieren.
Am nächsten Tag (Überraschung, frühsommerlich) bleiben wir bis auf die allerletzten Kilometer im Landesinneren. Zum Großteil folgen wir einer (mehr oder weniger gut) ausgeschilderten Maremma-Radroute.
Es ist einfach nur schön, wie dieser Tag beginnt und wir in aller Ruhe durch die Landschaft radeln können.
Magliano in Toscana ist einer der letzten Orte der Toskana, bald geht es über die Regionengrenze nach Latium.
Die Friedhöfe sind alle sehr gepflegt und geben ein angenehmes und friedliches Bild
Wie sind immer noch in der Maremma und die gefällt uns ausgesprochen gut
Heute werden es gut 900 Höhenmeter werden und die längste Steigung von etwa 200 m erwartet uns am späten Vormittag.
Wir haben heute noch nichts eingekauft und kommen hungrig und durstig in Capalbio an. Es ist Mittagszeit, in einer Bar sehen wir ein paar Tische und fragen nach. Ja, hier sind wir richtig und füllen unsere Kohlenhydratspeicher auf. Die tagliatelle boscaiola sind (wenig überraschend) mit Pilzen und (doch überraschend) mit Wildscheineragout. Es schmeckt.
Die Abfahrt von Capalbio ist langgezogen und seufzerlösend schön
Wir sehen immer wieder kleine Herden von Maremmaschafen und gelegentlich auch einen der berühmten Maremma-Hirtenhunde. Aufs Bild will allerdings keiner (sie verstecken sich offenbar gekonnt hinter ihren Schützlingen)
Weiter durch die schönen Landschaften der Maremma in Richtung Süden
Im Flachen nimmt auch der Gemüsebau wieder zu.
Kurz vor dem Etappenort Montalto Marina erwartet uns eine herrliche Allee, danach müssen wir für zwei Kilometer auf die zweispurige Schnellstraße. Der Verkehr hält sich in Grenzen und wir kommen gut durch.
Montalto Marina ist eines der vielen Seebäder, die unsereiner an die besser bekannte Obere Adria erinnern.
Die meisten Hotels und Restaurants sind noch geschlossen; unsere Unterkunft hat Publikum und Charme einer Jugendherberge, dafür erweist sich eines der wenigen geöffneten Restaurants als kulinarischer Volltreffer.
Am fünften Tag geht es zuerst wieder ein Stück ins Landesinnere
Die Landschaft ist unspektakulär und hat trotzdem ihren großen Reiz.
Bei Tarquinia (im Bild-Hintergrund) machen wir einen kleinen Einkauf, ein älteres Paar spricht uns an und der Mann zeigt sich begeistert von unserer Art zu reisen: „il modo migliore per conoscere il mondo“. Wir können ihm nicht widersprechen.
Nördlich von Civitavecchia kommen wir wieder (fast) an die Küste; die Pferde atmen Meeresluft.
Ein Rennradler, der bereits längere Zeit hinter uns war, spricht unsere Räder und unser Gepäck an und dass er uns in den Steigungen und gegen den Wind kaum einholen konnte. Er erklärt uns noch, dass er ebenfalls ins Zentrum fährt und schon ist er wieder weg (der kleine Punkt auf der Straße vor uns).
Als wir wenige Minuten später aufgeschlossen haben, macht er große Augen und ich erkläre ihm lachend unser Geheimnis: per due è più facile. Er begleitet uns dann noch ins Stadtzentrum und zeigt uns, in welche Richtung es nach Rom weiter geht.
Die nächsten Kilometer radeln wir wieder auf der lauten Küstenstraße
und durch ruhige Badeorte (hier Santa Marinella):
Ab und zu gibt es auch die Gelegenheit, auf eine parallele ruhige Nebenstraße auszuweichen
In Santa Severa trinken wir einen kleinen Kaffee und halten wir Siesta mit Meeresrauschen.
Letzter Übernachtungsort ist Ladispoli, eine seltsam gesichtslose Stadt und auch hier verrechnet man uns für einen Drink einen satten Ausländeraufschlag. Scheint ein beliebter und einträglicher Brauch zu sein.
Am letzten Tag strahlt am Morgen zur Abwechslung nicht die Sonne vom Himmel und auch Landschaft und Straßen lösen keine Begeisterungsstürme aus. Wir nähern uns Rom und die Flugzeuge für Fiumicino gleiten im Minutentakt über unseren Köpfen zur Landung.
Wir stoßen auf den Tiber und machen kilometerlange Umwege, um auf den Radweg auf der anderen Fluss-Seite zu kommen. Wir sehen die Radlerbrücken, wir haben diese Brücken auf der Karte, aber sie haben keine Zufahrten. Seltsam, sehr seltsam.
So bleiben wir im heftigen Verkehr und tragen erst am Stadtanfang von Rom die Räder an den Tiber hinunter. Die folgenden Kilometer werden die mit Abstand schönsten des Tages.
So schwierig es war, den Tiberradweg zu erreichen, so schwierig ist es auch, ihn wieder zu verlassen. Ohne Tragen oder Schieben geht da nichts.
Unser erstes Ziel nach der Engelsburg ist der Vatikan und ja, es ist ein großartiges Gefühl, auf den Petersplatz zuzuradeln
und ihn erreicht zu haben
Danach essen wir eine Kleinigkeit und drehen noch eine kleine Touristenrunde durch die Stadt.
Auf der Via della Conciliazione
Piazza Navona
Die Straßen um das Colosseum sind (wie auch bei anderen touristenstarken Sehenswürdigkeiten) von Militär und gepanzerten Fahrzeugen gesichert. Öffentliche Busse und Radfahrer dürfen sich durchschlängeln.
Letztes Ziel sind Piazza del Popolo und Spanische Treppe, danach radeln wir langsam zum Bahnhof und steigen dort in den Nachtzug, der uns nach Salzburg zurückbringt.
Da die ÖBB-Nachtverbindung keine Radmitnahme mehr anbietet, zerlegen wir die Räder auf die Schnelle und verstauen sie in unseren Transporttaschen, die wir sechs Tage lang spazieren gefahren haben. Sicherheitshalber hatten wir ein sog. Schlafwagenabteil De Luxe gebucht, dort geht sich das mit den Rädern sehr gut aus.
Im Zug werden wir mit Prosecco Willkommen geheißen. Passt für uns und wir stoßen auf eine wunderschöne Radwoche an. Am Karfreitag morgen sind wir dann wieder zu Hause.
Fazit: alles in allem eine tolle Tour, die ich empfehlen kann. Ein besonderes Plus gibt es für:
- Sehr schöne Landschaften. Wenig absolut spektakuläres, für das man einen eigenen Urlaub planen würde, aber sehr reizvoll und abwechslungsreich.
- Wir konnten großteils auf verkehrsarmen Nebenstraßen fahren; die verkehrsreichen und unangenehmen Kilometer beschränken sich wohl auf wenige Dutzend und oft war ein Seitenstreifen vorhanden.
- Das Wetter hat genau gepasst. Fast durchgehend Sonnenschein und alle Tage der gleiche Wetterbericht mit Niederschlagswahrscheinlichkeit < 5%. Dazu ein Tag Gegenwind, fünf Tage Rückenwind (solange wir’s mit den Richtungswechseln nicht zu arg getrieben haben)
Ein Minus gibt es für
- Immer wieder katastrophalen Straßenzustand und da rede ich jetzt nicht von den Schotterstraßen, sondern von vielen Kilometern Hauptverkehrs- und Nebenstraßen: Risse, Schlaglöcher, Wurzelaufbrüche, und das alles natürlich meist am Fahrbahnrand, wo wir unsere Spur gefunden haben.
- Den Müll neben den Straßen und in der Landschaft.
- Den weit verbreiteten Brauch des Ausländernepps. Keine Ahnung, vielleicht war ich bis jetzt zu blauäugig, aber dieses Mal hatten wir Erlebnisse, die monetär so kräftig nach oben ausgerissen sind, dass wir nicht anders konnten, als es zu merken.
Aber von den Negativerlebnissen lassen wir uns natürlich keine Radwoche vermiesen. Es war eine wunderschöne Woche.
Hans