weiter geht's...
Der Abstecher zum Uturuncu hat mich doch ein bisschen Zeit gekostet, so dass es nun zügig weiter nach Norden gehen soll. In meiner Vorstellung sind die 50 Kilometer bis Soniqera und die anschließenden 90 Kilometer bis San Christobal kein Problem, es sollte ja eine gute Piste sein, da es sich ja immerhin um die einzige direkte Verbindungsstrecke zwischen diesen Siedlungen handelt. Nun ja…
Von Quetena aus (ich fahre nicht nocheinmal in den Ortskern, sondern direkt raus nach Norden) führt die Piste zunächst im Tal entlang, perfekte Salzoberfläche. Dann aber führt die Piste oberhalb des Flusses irgendwie durch das Hügelland. Hier sind aufgrund nicht nachvollziehbarer Pistenführung natürlich wieder jede Menge Extra-Höhenmeter dabei. Und so wirklich viel befahren ist die Strecke dann auch nicht, auf den 50 Kilometern zwischen Quetena und Soniquera, für die ich einen Nachmittag und den darauffolgenden Vormittag brauche, überholt mich genau ein (!) Auto.
Ausnahmsweise gab es auch einmal einen Wegweiser...
Mein Wasservorrat geht nun auch langsam zur Neige, ebenso wie die Kekse und andere Dinge. So entwickle ich gewissen Vorstellungen und Wünsche, was ich in Soniquera im Laden alles kaufen würde. Es steht für mich außer Frage, dass es in Soniquera einen gescheiten Laden gibt…
All diese Vorstellungen werden jedoch komplett zunichtegemacht, als ich schon das verbeulte Ortsschild von Soniquera sehe.
Das Dorf selber, dann halt wie jedes andere Dorf auch: Lehm-/Steinhütten, trostlos, ausgestorben, verfallener Sozialismus, die Läden/der Laden nicht als solcher zu erkennen.
Wieder muss ich jemanden fragen, wo man denn was kaufen könne, und es braucht zwei solcher "versteckten" Läden, bis ich auch die Kekse habe, weil der erste Laden kaum Produkte zur Auswahl hatte. Wasser gibt es am öffentlichen Wasserhahn, in Flaschen gibt es nichts, was mich aber nicht weiter stört. Nach dieser einkaufsmäßigen Enttäuschung verlasse ich das trostlose Dorf so schnell wie möglich.
Als Entschädigung finde ich kurz hinter Soniquera einen wunderschönen Zeltplatz, direkt am Fluss. Ich muss zwar etwa einen Kilometer die Piste verlassen und einem sandigen Trockental folgen, aber das ist ja dank Fatbike kein Problem.
Der Zeltplatz stellt sich als sehr günstig heraus, da die herumliegenden großen Felsblöcke idealer Wind- und Regenschutz sind. Den ganzen Nachmittag schon sah ich in der Entfernung einige Regen- und Gewitterwolken, blieb aber bislang verschont. Nun, als das Zelt schon steht, kommt dann doch noch ein Gewitterschauer auch bei mir an. Es dauert nur intensive fünf Minuten, und kurz nach dem Regen ist der Boden auch schon wieder trocken. Die Gewitterwolken sind dann aber eine eindrucksvoll kitschige Kulisse während des Sonnenuntergangs…
Die weitere Pistenführung bis San Christobal sollte einfach sein. Es geht gerade nach Norden, immer auf der östlichen Seite des Flusses bleibend. So meine ich, und so fahre ich auch. Gut fahrbare Abschnitte wechseln mit üblem Wellblech, alles ganz normal. Doch irgendwann werde ich stutzig: auf meiner Piste ist seit Tagen kein Auto mehr gefahren! Ich sehe jede Menge Tierspuren – Vicunias, Nandu, Fuchs – aber keine frischen Fahrzeugspuren, und seit Soniquera hat mich auch kein einziges Fahrzeug überholt...
Dabei befinde ich mich doch auf der einzigen Verbindungsstrecke zwischen zwei Ortschaften. Sehr seltsam. Da die Richtung der Piste stimmt und sie sehr gut fahrbar ist, bleibe ich dabei.
Immer wieder mal kreuzen andere Pisten meine Fahrspur, und natürlich kann es sein, dass ich an einer solchen Kreuzung (Hinweisschilder erwartet man vergebens…) die Hauptpiste verloren habe, und jetzt auf einer wenig frequentierten Nebenpiste gelandet bin. Aber solange die Richtung stimmt, kann ja nichts schief gehen.
Die Landschaft wird immer flacher, das kräftezehrende Hügelland liegt hinter mir. Auch bemerke ich, dass ich jetzt, auf Höhen von nur noch 4000 Metern, wieder richtig leistungsfähig bin. Die kurzen, steilen Rampen, die immer mal wieder aus irgendwelchen Trockentälern wieder raus führen, und die mich auf über 4000 Metern immer wieder zum Schieben zwangen, kann ich jetzt wieder problemlos hochsprinten. So gegen Mittag am zweiten Tag zwischen Soniquera und San Christobal endet meine schöne Piste. Plötzlich bin ich auf einer Art Wiese am Fluss, wo zahlreiche Lamas weiden, meine Fahrspur wird immer schwächer und es führt keine erkennbare Piste mehr nach Norden.
Ein Lamahirte gibt mir zu verstehen: die große Piste ist weiter östlich. Präziser wird die Auskunft nicht, und das fiel mir schon lange auf: Wenn man Einheimische nach der Richtung fragt, so bekommt man keine detaillierten Anweisungen, welche Piste nun zu nehmen ist, sondern tatsächlich eine Richtungsangabe ("an dem Vulkan vorbei", "nach Süden", etc.). Die zu benutzende Fahrspur muss man sich dann schon selber suchen, und die ist ja anbetracht des weiten Netzes an Spuren in der Landschaft auch sekundär. Solange die Richtung eben stimmt. Also suche ich mir die nächstbeste Fahrspur nach Osten, und schon nach nur zwei Kilometern habe ich unverkennbar die große Piste erreicht.
Nun bin ich aber gehörig froh, dass ich all die vergangenen Stunden auf einer gut fahrbaren, verkehrsarmen Nebenpiste verbrachte: Die große Piste ist übelst zerfahren. Wellblech und richtig fiese Sandpassagen. So feiner Sand, fast wie Mehl. Es ist Nachmittag, der Südwestwind bläst schon käftig und peitscht den Sand der Piste über die Landschaft. So ein Scheiß, das geht ja gar nicht…
Völlig unmotiviert stelle ich mich erstmal im Windschatten einer Lehmhütte unter und überlege, was ich machen soll. Zelten kann ich hier schlecht, kein Wasser, kein Windschutz. Weiterfahren? Ich muss den Sandsturm abwarten.
Während ich noch überlege, kommt die Bewohnerin des Lehmhauses raus und schaut, welch' seltsamer Gast da angekommen ist. Ich werde in die Hütte gebeten und bekomme eine Quinoasuppe. Die Frau ist alleine, die anderen Bewohner der Lehmhütte sind mit den Lamas draußen. Fünf Personen wohnen in der winzigen, etwas heruntergekommen wirkenden Hütte. Hier mag ich auch nicht bleiben, aber die Suppe war gut.
Zum Glück scheint der stärkste Sandsturm vorbei zu sein, so dass ich mich dann doch wieder auf die Piste wage. Nach dem entspannten Fahren auf der Nebenpiste ist das jetzt eine Qual. Doch ich bemerke zu meiner Erleichterung, dass das Fatbike ideal ist für diese staubige Sand/Mehl-Passagen. Es „schwimmt“ geradezu obenauf, ich sinke kaum ein, und mit etwas Geschick und Kraft kann ich mich auch durch längere Mehlpassagen fahrend durcharbeiten. Der dicke Reifen produziert dabei jedoch auch eine ansehnliche Staubwolke, die alles, auch meine Beine mit einer weißen, feinen Staubschicht bedeckt. Ich setze also alles daran, wieder einen Zeltplatz mit Wasser am Fluss zu finden, denn ohne Wasser kann ich diese Staubschicht nicht mehr abbekommen…
Ich finde also tatsächlich einen Zeltplatz am Fluss, aber ohne Windschutz. Immerhin habe ich das Zelt (mit Überzelt) schon nach dem Wind ausgerichtet stehen, als wieder ein Sandsturm aufkommt, der diesmal genau über mein Zelt fegt. Nun weiss ich: es ist ein gutes Zelt. Den Staub habe ich übrigens trotz Wasser kaum von den Beinen abbekommen, so fein hat er alle Hautporen ausgefüllt.
Schließlich, am Vormittag des nächsten Tages erreiche ich die gut gebaute Straße. Das erste größere Dorf ist Culpina, dann San Christobal. Die Straße ist eine mit Salzlehm beschichtete Piste, die sich teilweise wie auf Asphalt fahren lässt. Von nun an ist es nur noch ein Ausrollen: die 80 Kilometer von San Christobal bis Uyuni sind flach und nicht besonders abwechslungsreich. Etwa 40 Kilometer vor Uyuni zelte ich ein letztes Mal in der Wildnis, um am nächsten Vormittag erst in die Stadt einzufahren.
Am Stadtrand von Uyuni mache ich eine lange Pause auf dem Eisenbahnfriedhof. Hier verrosten über 100 Jahre alte Lokomotiven und Wagen, die einst für den Transport von Erzen aus den bolivischen Minen genutzt wurden.
Erst später fahre ich nach Uyuni rein und bin erstmal überfordert wegen der vielen Menschen. Aber essen, nochmal essen, duschen und ein wenig ausruhen tut durchaus auch mal gut.
In Uyuni endet dann auch die Radtour durch Südbolivien, ich nehme wieder den nächtlichen Fernbus nach LaPaz und bin zwei Tage später wieder zuhause in Deutschland.