Zwei Forumskommentare vorweg:
- Ich weiss, dass die Bilder ~1150 Pixel breit sind.
- Viele Links zeigen auf Aufnahmen von Google Street View mit dementsprechend längeren LadezeitenIdeeMit dem Zug wären
wir am Dienstagmittag in Rom. Die Zeit zwischen Arbeitsschluss am Freitagabend und der Ankunft des Zuges sollte
mir doch eigentlich reichen, um die Strecke mit dem Velo zu bewältigen, wenn ich die zuvor bereits (mehrfach) gefahrene Alpenüberquerung mit dem Zug bewerkstellige...
Freitag und Samstag, 10. und 11. Oktober 2014Blitze zucken durch den Nachthimmel als ich das Velo kurz vor zehn Uhr abends aus dem Zug auf das Perron des Bahnhofs Lugano hieve. Da es gerade nicht regnet und am Bahnhof ein paar obskure Gestalten herumschleichen, beschliesse ich trotz anderem Vorsatz ohne Startfoto gleich loszufahren. Die Blitze in der Wolkendecke bleiben mir auch unterwegs erhalten und bieten eine einmalige Kulisse zu meiner Linken über den Luganersee.
In Melide werde ich erstmals auf Naturbelag geroutet - der Radweg schliesst nahtlos in eine Baustelle, die für mich nicht ganz ohne Füsse abstellen durchfahrbar ist.
Auf der Strasse herrscht erstaunlich viel Verkehr und die meisten Autos haben ein Italien-Nummernschild. Umso erstaunter bin ich, als mit dem Passieren der Grenze (alles dunkel, habe ich nicht anderes erwartet) der Verkehr auf nahezu Null abnimmt. Soll mir recht sein.
So eine Nachtfahrt durch unbekanntes Gebiet ist doch immer wieder speziell, insbesondere, weil mir das auf der letzten Reise vergönnt blieb...:
- Der Blick auf die Strasse ist wichtiger als tagsüber, weil der helle Bereich viel kleiner ist
- Gerüche sind intensiver. Frischer Dreck einer Baustelle, nasse Fahrbahn/-Gischt, Parfumduft der Strassenprostituierten und die Durchfahrt von Gorgonzola bleiben in Erinnerung.
- Grosse Strassen verlieren ihren Schrecken, weil oft weniger Verkehr herrscht
- Die meisten Passanten stehen ausserhalb einer Bar und haben durch die eingeschränkte Sicht gar nicht genügend Reaktionszeit, viel Aufmerksamkeit auf das eigenartige Velo zu lenken, was mir durchaus recht ist.
- Erst zu Hause lese ich, dass für Velofahrer in Italien nachts Warnwestenpflicht gilt. Über Sinn und Unsinn mag ich hier nicht schreiben - ich bin auch bei Regen stets mit viel Abstand überholt worden...
- Gerade bei nasser Fahrbahn und in Kurven sieht man(=ich) nicht immer, worüber man da gerade fährt - um die "dicken Schlappen" bin ich nicht nur hier froh.
- Und so ist die Aussicht (nur schärfer):
Radwege meide ich in Italien noch mehr als zu Hause.
Ein sich von hinten näherndes Auto hupt mehrmals und ich rechne mit einer Gruppe grölender Jungs und überlege mir Ausweichvarianten. Im nächsten Kreisel werde ich überholt und zwei junge Frauen kreischen etwas, was ich glaube als "Wir sind Fan von deinem Velo" zu verstehen. Wenn die wüssten, was sie mir für einen Schrecken eingejagt haben...
Ich habe stets etwas Rückenwind - mit bis zu 30 km/h fährt es sich trotz leichtem Nebel sehr gut durch die Nacht über die Ebene.
Entgegen meiner Erinnerung hat es nicht an jeder Strassenecke Trinkwasser und so bin ich froh, an einer Tankstelle einen
Getränkeautomaten zu finden und auch passende Münzen dabei zu haben. Hier entsteht auch das erste Foto vom Velo der Tour:
Nach 100 km, es ist drei Uhr früh,
döse ich für ca. eine halbe Stunde, geweckt von
sobald ich zu frösteln beginne erwache ich schon. In dieser kurzen Zeit hat die nahe Fahne die Weh-Richtung geändert... Aus 30 km/h werden bei gleicher Tretleistung 20 km/h.
Weiterhin ist es flach, absolut flach, topfeben, ideales Liegeveloterrain.
Dort, wo bei hellem Sonnenschein auf
Streetview die Läden geschlossen sind, öffnet um sechs Uhr gerade ein Beck seine Türen und ich bin der erste Kunde. Dieser Kleine Kerl ist leider mindestens vom Vortag, wie ich ihn verzehrend auf den nächsten Kilometern festestellen werde:
Der Nebel bleibt auch während den ersten Tageslichtstunden und beschränkt die Sicht auf nicht viel mehr, als ich nachts gesehen habe. Da sowieso alles flach ist, finde ich das nicht so tragisch und so sehe ich die wahrscheinlich bei einem Stop aufgelesene Schnecke besser:
Dem Po, welcher für diese endlos erscheinende Ebene verantwortlich gemacht werden kann, schenke ich nur während wenigen hundert Metern Gesellschaft:
Bei Tageslicht hat mir die Autoroutingstreckenführung teilweise etwas viel Verkehr - allerdings immer noch deutlich weniger als ich auf dem Arbeitsweg habe. Hier begegnet mir kein einziges Fahrzeug:
Zmittag esse ich
hier: Viele Einheimische täuschen sich nicht! Dreigangmenü, davon 1x Fisch und 1x Fleisch inkl. Wasser und Caffè für 12 EUR. Ich bin begeistert und nehme gut gestärkt die letzten Tageslichtstunden auch noch in Angriff.
Dass ich einen Rennvelofahrer, der deutlich jünger ist als mein gefühltes Alter nach schon mehr als 300 Tageskilometern, so locker überhole, hätte ich nicht gedacht. Wahrscheinlich hat sich gerade im Gegenwind das versucht windschnittige Gepäck bewährt.
An der Lokalität, wo ich
übernachte wiederholt sich das Kulinarische vom Nachmittag noch einmal. Bella Italia!
Sonntag, 12. Oktober 2014Um 07:30 Uhr fahre ich ausgeruht und frisch gestärkt los, um die letzten Kilometer dieser Ebene auch noch zu befahren. Und wieder ist es flach. Zuerst gibt es noch wie am Vortag etwas Nebel...
...dieser lichtet sich aber bald und es wird ein richtig heisser Tag werden:
Ein Stück fahre ich nicht wie geplant auf einer
kleinen Strasse, sondern parallel auf einer
noch Kleineren, sehr schön.
Die Gegend um Rimini ist am Sonntagmorgen von Rennvelofahrergruppen dominiert und so erstaunt es auch nicht, dass mich sobald ich auf einer grösseren Strasse bin eine solche überholt: Im Windschatten pedale ich gemütlich mit 40km/h (=grösster Gang!) dem ersten richtigen Aufstieg der Tour entgegen.
Je höher ich in San Marino komme, desto weniger Velofahrer hat es. Zuoberst bei der Burg schliesslich steht das Velo ganz alleine und das ist der Ausblick Richtung Adria vom Titano:
Ab nun ist es sehr wellig und diese Aussicht präsentiert sich mir bei der
Fahrt auf einem Grat:
Die
Tunneldurchfahrt ist wie erwartet problemlos. Besser noch: hier drin ist es eben, kühl und mit Seitenstreifen: ich wünsche mir noch mehr Tunnel...
Die Hauptsteigung der Tour ist wider Erwarten eine üble Schotterpiste, teilweise kommt auch der nackte Fels darunter zum Vorschein. Ich bin ab mir selbst erstaunt, dass ich nur zweimal abstehen muss. Besonders eigenartig ist das Gefühl, wenn beide staubigen und mit Maximaldruck gepumpten Pneus gleichzeitig aber in die entgegengesetzte Richtung seitlich von einem Stein rutschen, was dem Velo eine Drehung an Ort um eine vertikale Achse gibt. Das Foto ist in einem der weniger kritischen Bereiche entstanden, wo ich eine Hand vom Lenker nehmen konnte. Tschuldigung für den (Bein-)Schweiss auf der Linse...
Das
angepeilte Agriturismo (nach links schwenken für die Aussicht) hat nicht geöffnet und ich
fahre weiter lasse weiterrollen.
In Città di Castello finde ich problemlos eine Unterkunft und obwohl es Sonntag Abend ist, ist noch immer reger Stadtfestbetrieb. Dort treffe ich auch auf zwei amerikanische Paare, die zusammen auf jeweils einem Tandem durch Italien unterwegs sind.
Auch hier habe ich ein äusserst glückliches Händchen mit der Auswahl des
Abendessenlokals: Ich bin der erste Gast (um die Zeit war am Vorabend schon voller Betrieb - irgendwie kapiere ich die Essenszeiten hier nicht) und nach mir werden nur noch Gäste mir Reservation aufgenommen - scheinbar allesamt Einheimische. Die gut gefüllte 0.5-Liter Weinkanne beschert mir einen tiefen Schlaf...
Montag, 13. Oktober 2014Beim Zmorge unterhalte ich mich auf deutsch und englisch mit einem Pilgerpaar, welches entgegengesetzt-ähnliche Problemen hat wie ich: Ihre Route enthält zu viel Asphaltstrecken.
Um acht Uhr drehen sich die Pedalen wieder. Es geht stets leicht bergab und der Rückenwind tut das Seinige, dass ich bereits knappe zwei Stunden später 50km weiter bin. Trotz teilweise miserabler Strasse.
Unter Bäumen mache ich eine Pause und esse für einmal weder rollend noch in einem Restaurant.
Die Vorräte, insb. die Flüssigen, fülle ich im nächsten
Supermarkt wieder auf. Mir war bisher nicht bewusst, dass das Fruchtfleisch von grünen Tomaten rot ist.
Es geht weiter mit schönen Strassen:
Erstmals schlägt das Autorouting wirklich fehl:
Hier stehe ich vor verschlossener Schranke:
Der
dritte Übernachtungsort ist schon beinahe vor den Toren Roms. Das "Abendessen" besteht aus 0.66 Litern "Flüssigkeit" und etwa doppelt so viel Wasser.
Dienstag, 14. Oktober 2014Den Wecker um fünf Uhr stelle ich nur, um pünklich ein SMS zu verschicken. Nach weiteren zwei Stunden Schlaf und einem sehr bescheidenen Zmorge pedale ich um 07:30 Uhr los. Neben mir fällt die bedingt dauerhafte Strassenbegrenzungsbemalung auf:
Der Verkehr ist zunehmend und ich bin froh, auf eine
kleinere Strasse und bald darauf auf eine
noch kleinere Strasse einbiegen zu können.
Vorerst. Auf einem Teil wird gerade gebaut, also ist Asphalt in Zukunft nicht unwahrscheinlich:
Die letzten Kilometer ins Stadtzentrum präsentieren sich auf dem Tiberveloweg so:
Nach etwas Sightseeing mit der Umrundung des Vatikans fahre ich noch weitere 10 Kilometer durch die ewige Stadt zum Endpunkt der Reise: Der Städtetrip zu zweit kann beginnen.
Freitag, 17. Oktober 2014Rückreise mit dem Zug. Die Schwierigkeit (eigentlich
Schwerigkeit) besteht darin, das unförmige Ding zum Zug zu bringen, eine schweisstreibende Angelegenheit. Das Velo wird verpackt problemlos auch im Frecciarossa mitgenommen...
...und kommt unbeschadet zu Hause an, nur noch wieder zusammensetzen: