Prolog: Vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, drei spanische Freunde, die derzeit eine Radreise von Weeze (Niederrhein) nach Torrelavega (Kantabrien) machen, auf ihrer ca. 3000 km langen Tour für drei Etappen auf dem Teilstück Amsterdam - Gent zu begleiten. Ab Paderborn, Münster und Rheine hatte ich eine gute Zugverbindung nach Amsterdam, sodass wir am Morgen nach meiner Ankunft dort gemeinsam die folgenden drei Etappen gefahren sind:
Amsterdam - Rotterdam Länge: 74 km
Samstag, 9. August 2014: Das Herausfinden aus der Innenstadt mit seinem etwas unübersichtlichen Einbahnstraßensystem war dank GPS kein Problem. Lediglich der düstere Himmel und der schon spürbare Gegenwind aus südlicher Richtung machten uns etwas Sorgen. Auf den sehr guten holländischen Radwegen lässt es sich ausgezeichnet fahren, lediglich die vielen Ampelstopps stören etwas den Fahrrhythmus und die Tatsache, dass die Grünphasen der getrennt voneinander geschalteten Ampeln für Fußgänger und Radfahrer an Kreuzungen nicht synchron sind, ist für mich etwas gewöhnungsbedürftig und man vertut sich leicht. Nach einigen Kilometern merkt José, dass seine Kette hinten immer dann blockiert, wenn er aufhört zu treten. Eine äußere Ursache können wir nicht feststellen, zumal Ritzelpaket und Kette neu sind. Schließlich finden wir direkt am Weg eine kleine Fahrradwerkstatt, deren Besitzer glaubt, die Ursache gefunden zu haben, das Ritzelpaket auseinandernimmt und nochmals zusammenbaut. Anfangs scheint es tatsächlich besser zu laufen, doch nach kurzer Zeit wieder dasselbe Problem, das ein Vorankommen fast unmöglich macht. Schließlich finden wir durch Zufall einige Kilometer weiter in einem kleinen Ort eine weitere Werkstatt, die trotz des Samstagnachmittags noch geöffnet hat und einen Schaden in der Hinterradnabe diagnostiziert. So bleibt José nichts anderes übrig, als das komplette Hinterrad austauschen zu lassen, um die Fahrt fortsetzen zu können. Am frühen Abend erreichen wir schließlich Rotterdam, wo wir eine Reservierung in einem futuristisch aussehenden, würfelförmigen Gebäudekomplex in der Innenstadt haben. Nachdem die Räder in einem separaten Raum sicher verstaut sind, bleibt uns nach dem Abendessen noch ein wenig Zeit für einen kleinen Bummel durch die Innenstadt, die nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg fast ausschließlich aus moderner, teils avantgardistischer Architektur besteht.
Rotterdam - Goes Länge: 120 km
Sonntag, 10. August 2014: Was für eine Etappe! Doch dazu gleich mehr... Beim Start am Morgen in Rotterdam überqueren wir die Erasmusbrücke und bestaunen die futuristische Architektur im Stadtbereich der Maas. Am Maashafen fallen mir die vielen dort parkenden Autos mit polnischen Kennzeichen auf, die wohl den dort tätigen Werftarbeitern gehören - also wird man auch hier mit den Auswirkungen des Wohlstandsgefälles innerhalb Europas konfrontiert.
Wir fahren kilometerlang durch städtisches Gelände, die Vororte und Dörfer gehen nahtlos ineinander über. Zudem ist man durch Baustellen oft gezwungen, die Straßenseite zu wechseln und den Radweg dort fortzusetzen. Hinter Hellevoetsluis gelangen wir schließlich in freieres Gelände und queren kurz danach entlang der N57 den Haringvliet. Da auf der anderen Seite der Radweg nicht weiter geradeaus geht, fragen wir ein zufällig in der Nähe Halt machendes holländisches Radreisepaar, wie man wohl am besten Richtung Süden kommen kann. Sie empfehlen uns den Ausschilderungen zum Nordseeradweg zu folgen, obwohl uns bewusst ist, dass die Strecke dadurch wohl auch länger werden wird. Zunächst folgen wir der sehr gut ausgeschilderten Route, die uns durch idyllische Dünenlandschaften führt. Leider setzt nun ein immer stärker werdender Regen ein, der uns neben dem heftigen Gegenwind zu schaffen macht. Zudem kommt, dass wir nirgendwo die Möglichkeit finden, eine Unterstellmöglichkeit finden, wo wir eine Mittagspause machen können. So setzen wir unseren Weg noch stundenlang durch strömenden Regen fort, bis wir schließlich zu einer Scheune am Wegesrand kommen, wo wir unser Mittagslager aufschlagen und uns erst einmal stärken können. Nach der Pause setzen wir die Fahrt fort und merken, dass der Nordseeküstenradweg über jede kleine Landzunge und Bucht führt und sich die Zusatzkilometer immer weiter addieren. Kurz vor Renesse - der Regen setzt wieder voll ein - beschließen wir, den Nordseeküstenradweg zu verlassen und auf schnellstem Wege Richtung Rotterdam zu fahren. Ab Serooskerke kommen wir an der N59 zwar flott voran, doch Tomás und José macht das Tempo zu schaffen, das Chema und ich angeschlagen haben und als wir an einer Tankstelle kurz vor Rodedorp erfahren, dass es bis zum Ziel wohl noch 100 km sind, beschließen wir eine erneute Planänderung: Auf dem kürzesten Weg steuern wir nun Goes an, von wo wir hoffen, einen direkten Zug nach Antwerpen zu kriegen. Zuvor müssen wir noch bei orkanartigem Gegenwind die endlos erscheinende Zeelandbrücke überqueren und es reißt uns dabei fast vom Rad - zwei Radfahrer, die uns entgegenkommen, brauchen nicht einmal zu treten und segeln quasi an uns vorbei. Schließlich erreichen wir den Bahnhof von Goes, wo wir die Fahrkarten nach Antwerpen direkt am Automaten kaufen und kurz darauf den Zug nach Antwerpen erwischen. Das prachtvolle Bahnhofsgebäude der Stadt ist sehr beeindruckend, aber abends gegen 10 Uhr fast verlassen. So setzen wir unsere Fahrt mit den Rädern auf der Suche nach dem Hostel fort. Da es schon dunkel ist, sind auch auf den Straßen kaum noch Menschen unterwegs, lediglich der ein oder andere orthodoxe Jude in seiner charakteristischen Kleidung fällt uns hier auf. Die Diamanten waren ein wichtiges Handelsgut der unter grausamen Bedingungen ausgebeuteten Kolonie Belgisch-Kongo und die jüdische Gemeinde Antwerpens dominierte hier über viele Jahrzehnte den Diamantenhandel der Stadt. Da wir die Adresse des Hostels aus dem Internet haben und ich sie auf meinem GPS vor der Reise als Wegpunkt gesetzt hatte, glauben wir, nun schnell zur Unterkunft zu gelangen, doch weit gefehlt! Die Adresse erweist sich nach kilometerweitem Umherirren durch verlassene Stadtviertel am Rande der Stadt als nicht mehr gültige Nebenadresse. So erfahren wir schließlich bei einem Telefonat mit der Rezeption, dass sich das Hostel direkt im Stadtzentrum nahe der Kathedrale befindet. Schließlich treffen wir nach insgesamt 146 km gegen Mitternacht dort ein und sind restlos bedient. Für das Abendessen in der Stadt ist es jetzt auch schon zu spät, so dass wir uns mit dem Campingkocher lediglich noch ein paar Nudeln heißmachen und ein Gute-Nacht-Bier aus dem Automaten trinken.
Antwerpen - Gent Länge: 82 km
Montag, 11. August 2014: Heute steht meine dritte und letzte Etappe an, auf der ich meine spanischen Freunde auf ihrer Reise begleiten werde. Geplant ist eigentlich, von Rotterdam nach Brügge zu fahren, wobei wir mit ca. 100 km kalkulieren. Vor der Reise hatte ich noch schnell einen möglichen Track entworfen, ohne mich in Details zu vertiefen. Er sollte eigentlich nur für den Notfall dienen, aber da José, Tomás und Chema in ihrer südländischen Unbekümmertheit keine Papierkarten für Belgien mitgenommen haben, folgen wir also dem Track, der uns beim Verlassen von Rotterdam durch nicht enden wollende Stadtlandschaften Richtung Süden am rechten Ufer der Schelde entlangführt. Da es bis Boom keine straßengebundenen Brücken gibt, überqueren wir erst dort die Rupel und setzen ab Willebroek, das mitten in einer häßlichen und stinkenden Industriezone liegt, die Strecke Richtung Nordwesten fort. Durch diese Kurve sind wir eigentlich zu weit vom direkten Weg nach Brügge abgekommmen und versuchen dies wieder gutzumachen, indem wir dem Radweg entlang der schnurgeraden N16 bis Temse folgen. Leider ist die Straße autobahnähnlich ausgebaut und der Verkehr entsprechend stark und durch die dichte Besiedlung und Industrialisierung auch landschaftlch ohne Reiz. Schließlich überqueren wir in Temse die Schelde und erreichen kurz darauf Sint-Niklaas. Beim Blick auf das GPS stelle ich fest, das es bis Brügge noch mindestens 80 Kilomter sind und ich meinen Zug für die Heimfahrt nach Deutschland um 17:01 Uhr erwischen muss, wenn ich nicht unterwegs irgendwo hängenbleiben möchte. So beschließen wir nach kurzer Beratung, auf dem schnellsten Wege Gent anzusteuern und dort alle gemeinsam den nächsten Zug nach Brügge zu nehmen, wo meine Freunde die nächste Reservierung haben. Im Automatikmodus führt uns das GPS erfreulich verkehrsarm und direkt nach Gent. Es geht fast ausschließlich über Landwirtschaftswege und kleine Nebenstraßen, wobei mir wieder einmal auffällt, dass in Belgien auch auf dem Lande die Dörfer fast nahtlos ineinander übergehen. Schließlich erreichen wir nach 82 windigen und teilweise regnerischen Kilometern den Bahnhof von Gent und haben Glück, dass wir eine halbe Stunde später einen Zug nach Brügge nehmen können, wo ich dann den geplanten Anschlusszug nach Lüttich und später nach Aachen nehmen kann. Die Fahrkarten und die Fahrradtickets (5€ landesweit) kaufen wir direkt am Schalter und müssen lediglich die Belege mit Schnüren an den Rädern befestigen.
Epilog: Eine interessante, leider unter den Witterungsbedingungen etwas leidende Teilstrecke der Fernroute Niederrhein - Kantabrien. Wer sich für Kultur interessiert (Amsterdam, Gent, Brügge) und flache Strecken mit guter Infrastruktur sucht, ist hier sicherlich genau richtig. Auch das Teilstück des Nordseeküstenradwegs, das wir gefahren sind, hat mir im Prinzip gut gefallen. Was man mögen muss, ist die starke Besiedlung sowohl der Niederlande als auch Belgiens, wo wir unterwegs waren. Auch die Ausschilderung der Radwege und Straßen (Fehlende Kilomterangaben!) ließ teilweise ziemlich zu wünschen übrig. Klasse sind dagegen die Radwege, die quasi überall an den Straßen entlanglaufen und durch die ein entspanntes Fahren möglich ist. Insgesamt also eine durchaus interessante Tour, die in starkem Kontrast stand zu den meist recht höhenmeterintensiven und einsamen Strecken in südlicheren Gefilden, die sonst meine radreisemäßigen Favoriten darstellen.