Während ich an meiner Unterlippe nage und den
vernichtenden Wetterbericht für das kommende Wochenende studiere, muss ich mich auch noch mit meinem Schweinehund auseinander setzen, der mich in letzter Sekunde für die Couch gewinnen will. "Es wird regnen und du wirst nass. Es wird kalt und du wirst frieren. Bleib lieber daheim!" Ich grübele. Unrecht hat er nicht, die Voraussage ist mies. Geplant habe ich den
Jurasteig zu fahren, ein Wanderweg - aber bei den prognostizierten Konditionen? Fragwürdig. Ich sehe mich schon durch meterdicke Schlammschichten wühlen und auf glitschigen Wurzeln Schluchten hinunter stürzen.
Autsch! Aber verschieben will ich die erste Tour auch nicht. Meine Ausrüstung besteht auf baldigster Erprobung. Ich setze mich also nochmal ans Reißbrett und bald steht fest:
Fünf Flüsse sollt ihr sein!Tag 1 - Regensburg nach Hohenstadt ~100km(via Kallmünz, Rieden, Amberg, Sulzbach-Rosenberg)
Bereits etwas außerhalb von Regensburg und bei
unverschämten sportlichen 8,5 Grad fürbitte ich brav bei der Mariaorter Maria nach Art des Flinken Wiesels für eine gute Reise und lasse mein Rad bei der Gelegenheit auch gleich mit ihrem Segen aufladen. Ich opfere obendrein noch einen Fruchtriegel und schwinge mich danach auf meinen holden Gefährten und radele mit ihm am Ufer der Naab entlang. Ich will nach Norden, der Wind nach Süden - und zwar heftig. Im Verlauf des Tages wird das Anstrampeln gegen den Wind zur
willkommenen grenzwertigen Herausforderung. Bei besonders starken Böen trete ich dabei sprichwörtlich auf der Stelle.
Das Angebot des Bankerls zur Rast nehme ich nach ungefähr 20km dankbar an und schaue der Naab eine Weile beim Fließen zu, hadere dabei mit meinem Schicksal und der Entscheidung die Tour zu fahren. Der dauernde Wind nervt zusehends, das Gepäck fordert seinen Tribut, das triste Grau des Himmels stülpt sich wie ein Eimer über alles, die Kälte gibt ihren Teil zum unwirtlichen Gesamteindruck dazu und das ersehnte Gefühl von Freiheit und Ungezwungenheit will sich nicht einstellen. Immerhin, es regnet nicht. Ich nuckle krampfhaft an der E-Pfeife und gehe in mich. Gedanken ans Umkehren kommen auf. Noch wäre es leicht. Andererseits: Das mich bereits solche Widrigkeiten aufgeben lassen?! Bin ich etwa ein Schönwetter-Abenteurer? Und geht das überhaupt? Die Rast endet mit einem gehörigen Tritt in den Hintern, den ich mir selbst verabreiche.
Langsam komme ich in eine Art Rhythmus. Ich genieße die weitgehend windfreien Abschnitte, die durch kleine Wäldchen oder Dörfer entstehen. Auf freiem Feld schalte ich in einen kleinen Gang und stelle mir einfach vor, es geht bergauf. Dann passt es auch wieder zusammen.
In einem Dorf raste ich und finde dort auch eine Bäckerei, bei der ich mich mit Kaba und einer Käsestange aufmuntere. Es ist mittlerweile später Mittag. Kinder laufen mit ihren Schulranzen an mir vorbei und zeigen auf mich und kichern sich irgendwas zusammen. An die neugierigen Blicke muss ich mich gewöhnen. Ich grüße mehr, das fällt mir auf und ist wohl ein erstes Reise-Symptom. Die Leute grüßen zurück. Auch die wenigen Radler, die ich auf der Strecke treffe - natürlich alle aus der Richtung mit Rückenwind - erwidern mein Nicken und manchmal folgt sogar ein Lächeln. Ein paar der Ortliebs habe ich auch schon gesehen.
Ein anderes Problem das sich langsam aufdrängt ist die Zeit. Es gibt auf dem Abschnitt nicht viele Campingplätze, das wusste ich schon. Der Campingplatz in Rieden wäre der Nächste gewesen, ist aber zu nah als Tagesetappe, wenn ich die Tour in 4 Tagen schaffen will. Wobei ich den 4. Tag eigentlich kaum noch zum Fahren nutzen will. Also muss ich bis Hohenstadt, was bei den widrigen Bedingungen nichts anderes übrig lässt, als Körner zu geben. Es artet zunehmend in Sport aus und eine leichte Getriebenheit macht sich breit, zusammen mit dem Gefühl es nicht mehr rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit zu schaffen - und überhaupt wäre mir schon ganz recht wenn ich noch ein wenig Zeit auf dem Campingplatz habe, bevor die Nacht herein bricht.
Ich hetze durch die Lande, spule die Kilometer herunter und halte mich in keiner der Städte und Dörfer auf. Bei Hohenfels geht die Strecke am Truppenübungsplatz der Amerikaner vorbei - und irgendwo hier verläuft auch der Jurasteig. Leider habe ich keine Zeit einen Blick auf den Steig zu riskieren. Fahren will ich ihn aber noch immer. Landschaftlich ändert sich im Flusstal nur wenig. Ich fahre nonstop über Schmidmühlen, Vilshofen, Rieden bis nach Amberg. Dass die Naab längst der Vils gewichen ist nehme ich gelassen zur Kenntnis.
Ich erreiche Amberg und die Hektik des Stadtlebens steht in krassem Gegensatz zum beschaulichen Flusstal. Es ist als würde man in eine andere Welt geworfen. Der Verkehr fordert viel Aufmerksamkeit und die Beschilderung der Strecke ist eigenwillig und der Garmin hilft nicht immer zweifelsfrei. Die Altstadt ist ein kleines Highlight und die abgebildete Gasse ringt mir bei aller gebotenen Eile doch noch einen kurzen Stopp für ein Foto ab. Das kurz darauf folgende Sulzbach-Rosenberg gefällt mir "radlerisch" überhaupt nicht. Hier stoppe ich um Einzukaufen, da ich es nicht riskieren will, dass mir bis Hohenstadt keine Einkaufsmöglichkeit mehr zur Verfügung steht. Ich decke mich mit Proviant ein, was ich in den Daypack verstaue. Es ist mittlerweile schon recht spät und der Transit zum nächsten Fluss, der Pegnitz, steht noch aus. Dazu erreicht die Strecke in diesem Abschnitt die meisten Höhenmeter.
Nach einem harten Endspurt erreiche ich den Campingplatz gegen 19:30 Uhr. Die Frau am Empfang lässt mich einen Zettel ausfüllen und erkundigt sich fürsorglich, ob ich denn schon schreiben könne. Ich muss lachen. Ihr fällt die Doppeldeutigkeit auf und sie meint entschuldigend, dass sie nicht andeuten wollte, dass ich nicht schreiben könne. Ich baue mein Zelt auf, was mir nicht gelingt ohne vorher nochmal die Anleitung auf Youtube zu bemühen. Danach futtere ich und lasse den Abend bei Dampf und Musik ausklingen. Morgen wird die Strecke entspannter, da weniger Kilometer und außerdem dreht es jetzt nach Westen, womit ich dem Nordwind entkomme.
Tag 2 - Hohenstadt nach Berg ~80km(via Lauf, Nürnberg, Wendelstein, Burgthann)
Nach dem Frühstück und sonstiger Tätigkeiten breche ich gegen 11 Uhr auf. Die Strecke entlang der Pegnitz gefällt mir landschaftlich ausgesprochen gut, der Druck von gestern ist gewichen und ich bin trotz des immer wieder unterbrochenen Schlafes nachts und dem weiter anhaltend
beschissenen speziellen Wetters guter Stimmung. Auch die Absenz des heftigen Gegenwinds trägt deutlich dazu bei.
Gegen Mittag zieht es mich in ein schön dekoriertes Cafe auf der Strecke, wo ich mir einen Kaiserschmarrn einverleibe und dazu zwei Kaffee trinke. Der Besitzer des Cafes kommt auf mich zu und spricht mich auf meine Tour an. Unvermittelt sind wir in ein langes und seltsam vertrautes Gespräch vertieft. Er schildert mir seine bewegte Vergangenheit, die beeindruckend und vielseitig war, auch viel mit Outdoor und Abenteuer zu tun hatte und zum Ende eine tragische Wendung erfuhr. Aber er hat trotz eines schweren Motorradunfalls den Weg ins Leben zurück gefunden und angesichts solcher Schicksale kommen mir meine Probleme lächerlich vor. Wir haben 1,5 Stunden verquatscht. Der Kaiserschmarrn war vorzüglich.
Der Lauf der Pegnitz ...
... durch die Stadt Lauf.
Die Temperatur ist noch immer niedrig und ich habe mittlerweile den Windbreaker schätzen gelernt. Den Tag davor habe ich noch trotzig auf seinen Einsatz verzichtet. So geht es flott weiter Richtung Nürnberg. Die Sonnenbrille ist übrigens als Barriere gegen anfliegende Monsterinsekten gedacht; an der Sonne liegt es nicht. Die gibt es nicht. Nicht hier. Nicht heute.
Nürnberg begrüsst mich mit beeindruckender altertümlicher Kulisse und der Weg in die Nürnberger Altstadt gestaltet sich unkompliziert und kommt beinahe komplett ohne jedweden Kontakt mit dem
stinkenden reizenden Straßenverkehr aus.
An der Ufer-Promenande mit Blick über die Pegnitz auf die Stadt.
Nach Verlassen von Nürnberg erreiche ich den
Ludwig Kanal, der mir zuerst auch sehr imponiert hat ...
... doch sich mit zunehmender Länge, Kilometer für Kilometer das gleiche Bild bietend, sich allmählich in eine lähmende Eintönigkeit verwandelt. Wie schlimm muss es da erst sein in Wüsten zu fahren?! Zu meinem Glück reißt mich eine Begegnung der dritten Art aus meinem Trott und bewahrt mich letztlich davor, mich vor Verzweiflung im Kanal zu ertränken:
Dieses Duo lauert mit Vorliebe durchreisenden Radlern auf und ist für seine äußerste Gansalität bekannt. Zum Glück kann ich das geforderte Schutzgeld entrichten und die Weiterreise wird mir gestattet. Um die akute Lebensgefahr deutlich zu machen, in der ich schwebte, möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass ich nur ein 20 mm Festbrennweite mit mir führe.
Tag 3 - Berg nach Beilngries/Kratzmühle ~60km(via Neumarkt, Freystadt, Berching)
Nach meiner Ankunft auf dem Campingplatz in Berg, der landschaftlich der Schönste auf der Tour war, treffe ich auf einen anderen Reiseradler, der schon von mir dort angekommen ist. Es gibt eine eigene Zeltwiese mit tollem Blick ins Umland. Es ist auch für ihn die erste Tour und so haben wir schnell ein Gesprächsthema. Wir haben zudem (ungefähr) die gleichen nächsten Etappenziele, so dass wir vereinbaren die nächste Zeit zusammen zu fahren. Für mich bedeutet das zwar, ich würde den 4. Tag doch eine längere Etappe als geplant fahren müssen, aber das tausche ich gerne für die Gesellschaft ein. Beim Einkauf im Ort ist mir das Rad zuvor noch am fest installierten Radständer so blöd umgeknickt, dass beim Vorderrad eine Speiche geknickt wurde. Dadurch hatte ich jetzt einen amtlichen Achter vorne. Die Versuche das Abends noch zu beheben schlugen fehl bzw. verschlimmerten das Problem noch. Ich hatte zwar zum Glück einen Nippelspanner dabei, aber noch nie einen benutzt. Erst am nächsten Morgen und bei besserer Sicht (und nach Anleitung von Google) konnte ich den Achter korrigieren. Das Bild gibt davon Zeugnis ab und entstand, nachdem die Reparatur geglückt war. Der Stuhl und den Tisch stellte der Campingplatz; im Rückblick ein sehr zuvorkommender Service der - leider - nicht selbstverständlich ist.
Ausblick ins Umland.
Ausblick aufs Frühstück.
Wir brechen gegen 10 Uhr in Richtung Freystadt auf. Es ist schon lustiger zu zweit. Wir quatschen viel und das Thema Ausrüstung ist längst nicht erschöpft. Das ist ein uferloses Feld. Fahrtechnisch sind natürlich Kompromisse notwendig, aber es klappt ganz gut. Bei mir machen sich auch zunehmend die Knie bemerkbar, deshalb bin ich für eine kürzere Etappe auch ganz dankbar; so lange Fahrten am Stück und Tage hinter einander sind meine Knie nicht gewohnt. Und die Belastung gerade am ersten Tag war wohl zu extrem.
In Freystadt gibt es ein Eis zur Belohnung.
Es ist Zeit für die Schafe die Wolle heraus zu rücken. Dieses Exemplar ist besonders zutraulich und empfiehlt sich für den Streichelzoo. Es kennt keine Scheu und lässt sich bereitwillig streicheln und mit abgerupften Gras füttern.
Wir kommen gut voran. Die nächste Station ist Berching, wo wir für eine kurze Rast halten. Es hat zwischendurch - entgegen aller Voraussagen und trotz des permanent schlechten Wetters - das erste Mal kurz geregnet. Da ich mir unsicher bin, ob der Beutel des Schlafsacks wirklich wasserdicht ist, habe ich ihn eine Hightech-Plastiktüte von NORMA eingepackt.
Ankunft am Etappenziel, der Campingplatz Kratzmühle. Er liegt direkt an der Altmühl. Wir dürfen uns eine Parzelle teilen, was ihn auch recht günstig macht. Wir werden ziemlich abseits der Wohnmobil-Camper untergebracht und haben jede Menge Platz. Zum Essen fahren wir nach Beilngries zum Italiener. Auf dem Campingplatz erkennt mich eine Frau und deren Mann als Dampfer und die Frau, ihrerseits Dampferin, lässt es sich nicht nehmen mir ihre Kollektion zu zeigen, die es in sich hat.
Auf dem Weg zum Italiener wären wir beinahe von diesem Rowdie überfahren worden, konnten uns aber gerade noch mit einem beherzten Sprung in den Graben retten.
Die Altmühl, wie sie sich heimlich an unserem Zelt vorbei drückt. Urwüchsig und trüb. Dank der Kälte sind sogar die Mücken größtenteils in den Streik getreten. Aber für morgen, Montag, ist der Beginn einer Hitzewelle angekündigt. Ein Hoch im Anmarsch. Prima! Die Nacht wird trotzdem nochmal *brrr* sehr kalt und stellt den Schlafsack auf die Probe. Der hält jedoch was er verspricht, nämlich warm.
Tag 4 - Beilngries nach Regensburg ~80km(via Dietfurt, Riedenburg, Kehlheim)
Am frühen Morgen ist es immer noch kalt. Hochnebel steht überall. Was man dem Bild nicht ansieht ist die Kälte und die Tatsache, dass ich dahinter nur eingewickelt im Schlafsack sitzen kann, ohne augenblicklich zum Eiswürfel zu erstarren. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit ehe sich der Nebel verzieht und langsam die Sonne die Oberhand gewinnt.
Es lebt sich bestimmt prima auf dem Campingplatz - dort, wo es jeden Morgen Brötchen gibt und wo für die Reste immer eine Recycling-Ente bereit steht.
Der Tag wird dann doch wie versprochen: warm, wärmer, heiß. Die Sonne tut so, als will sie ihre Versäumnisse die letzten Tage auf einmal nachholen. So geht es bald nicht mehr ohne Sonnencreme. Für mich ist es heute der letzte Tag, ich fahre noch bis Regensburg durch, während meine Begleitung in Kehlheim unterkommt. Wenngleich meine Schmerzen in den Knien mittlerweile bedenkliche Ausmaße angenommen haben. Dennoch schätze ich, dass es noch geht - nicht vernünftig, aber möglich. Das archaische Haus dort oben steht in der Nähe von Dietfurt und wollte unbedingt mit aufs Foto.
Dieser steinerne Herr wacht über Riedenburg ...
... und seine berühmte Yogurt-Eis-Quelle.
Und dann ist da noch diese eigentümliche Sprungschanze, mit der sich der dahinter liegende Berg bequem überspringen lässt. Erzählt man sich! Sie hört aber auch auf den Namen "Längste Holzbrücke Europas". Kurz danach erreichen wir Kehlheim und ich verabschiede mich von meinem Etappen-Begleiter, der zum Camping in Kehlheim fährt und für den die Tour noch weiter geht, während ich mit zwei glühenden Knieschneiben 30 km bis nach Regensburg absolviere.
"Na schau her: As weiß-blaue End.
Servus mitanand!"