Rund um den Finnischen Meerbusen: Helsinki - St. Petersburg - Tallinn
Bei den Planungen für unsere diesjährige Radreise stand zuerst fest, dass wir eine Woche in St. Petersburg zusammen mit Schwestern und Schwager verbringen würden. Da wir nicht schnöde mit dem Flugzeug anreisen wollten, haben wir die Radreise drum herum gestrickt. Inspirationen gab uns dabei Thomas’ (=Nöffö) Forumstour um den Päijännesee. Thomas hat uns danach auch noch viele Fragen beantwortet, einen Streckenvorschlag ausgearbeitet (dem wir weitgehend gefolgt sind) und gute Tipps gegeben – vielen Dank dafür!
Für die Anreise kristallisierte sich bald heraus, dass die Finnlines-Strecke Travemünde – Helsinki am besten geeignet ist. Durch die tägliche Abfahrt waren wir sehr flexibel in der Planung. Schade nur, dass die Kabinen so teuer sind. So haben wir auf den Luxus verzichtet und uns mit Ruhesesseln begnügt. Die Kabinenpreise waren aber schon einmal eine gute Einstimmung auf die finnischen Preise, die für deutsche Augen ziemlich hoch sind.
Los ging es mit einer etwas anstrengenden Zugfahrt durch Deutschland mit dem Wochenendticket. Nach vier Umstiegen hatten wir Lübeck erreicht und verbrachten bei etwas regnerischem Wetter den Abend in der Stadt, um dann gegen neun Richtung Travemünde zu starten. Nach etwa zwei Kilometer, auf Höhe der Brüggen-Werke, machte es am Vorderrad „klack-klack-klack“ und kurz danach dann „Pfffttt“. Da hatten wir uns auf dem dämlichen Radweg einen spitzen Stein eingefahren. Zum Glück war es gerade mal wieder trocken und noch hell genug, um die Reparatur problemlos über die Bühne zu bringen. Immerhin konnten wir so gleich unsere neue Minipumpe einweihen. 2,5 bar haben wir damit geschafft, in Travemünde fanden wir noch eine geöffnete Tankstelle, an der wir uns weitere 3,5 bar für das Vorderrad gönnten.
Etwa 33 Stunden später standen wir etwas gerädert am Hafen von Helsinki-Vuosaari. Helsinki kannten wir schon, deswegen sind wir nicht in die Stadt reingefahren, sondern direkt nach Osten gestartet. Die Strecke findet sich hier:
http://www.gpsies.com/map.do?fileId=cvllxcjjpqpbkaim Porvoo war nach 35 km die erste Zwischenstation (danke für den Hinweis, nöffö!). Nette Holzhäuser und ein sehenswerter Dom, in dem wir eine deutsche Bus-Reisegruppe von der Fähre wiedertrafen. Der Porvoonjoki sollte nun für die erste Etappe bis Lahti unser Begleiter bleiben. Hinter Porvoo merkte man den zunehmenden Abstand von Helsinki und der Küste: Es wurde ruhig! Außerdem lernten wir schon mal die südfinnische Hügellandschaft kennen, die uns in den nächsten Tagen erfreuen sollte.
Der Glockenturm des Doms von Porvoo
Der Porvoonjoki
Lahti hat uns nicht besonders gut gefallen, was vielleicht auch am grauen Wetter und an der Großbaustelle im Stadtzentrum lag. Außerdem war die Einfahrt durch Gewerbegebiete etc. etwas mühsam. Beeindruckend waren die Sprungschanzen und das grandiose Frühstück in der schönen Jugendstil-JH. Am nächsten Tag sind wir, nachdem wir vormittags noch einen kleinen Schauer abgewartet hatten, am Seeufer (aber trotzdem mit ordentlichen Anstiegen!) aus der Stadt heraus Richtung Hollola gefahren. Die Kirche, durch die wir von einem sehr freundlichen Herrn geführt wurden, ist auf jeden Fall eine Pause wert.
Im Park dieses hübschen Schlösschens haben wir unsere Mittagspause verbracht.
Die Kirche von Hollola
Auch Vääksy ist ein nettes Städtchen. Dort gibt es einen Kanal, der den Vesijärvi mit dem Päijänne verbindet. Außerdem findet man dort eine ganz außergewöhnliche und urige Bäckerei, in der es die weltbesten Aprikosenkekse gibt!
Hmmmm....
Die nächste (ebenfalls etwas kürzere Etappe) führte uns nach Sysmä, wo wir auf dem Campingplatz, den die Forumstour für uns schon getestet hatte, eine Hütte gemietet haben. Der Platz ist sehr schön am See gelegen und bot uns Gelegenheit zum Baden und Grillen.
Am Südzipfel des Päijännesees
Reiche Beute am Wegesrand
Abendstimmung auf dem Campingplatz
Auf dem Weg nach Mäntyharju durften wir zum ersten Mal die finnischen Schotterstraßen kennenlernen. Schön einsam, schön naturbelassen, aber fahrerisch in Verbindung mit der Hügellandschaft schon etwas anspruchsvoll. Ein paar waschbrettartige Stellen haben uns ordentlich durchgeschüttelt, und so freuten wir uns bald auf die nächsten asphaltierten Abschnitte.
Schotterpiste aus der Froschperspektive
In Mäntyharju haben wir sehr nett übernachtet im B&B Pinus. (
http://www.bbpinus.fi/) Schöne Zimmer, ein großes Grundstück mit Blick auf See und Bahnstrecke, grandioses Frühstück mit vielen selbstgemachten Speisen... und überaus freundliche Gastgeber! Sonst hatte die Stadt nicht allzu viel zu bieten, das Abendessen gab es bei ABC Burger in einem Einkaufszentrum.
Am nächsten Tag gab es noch einmal die typische Kombination aus der herrlichen finnischen Seenlandschaft, Schotterstraßen und vielen Hügeln. Auf manchen Etappen sammelten wir über 1000 Höhenmeter, obwohl wir uns nie höher als 160 Meter über dem Meeresspiegel befanden.
Die finnische Radroutenbeschilderung hat uns nicht ganz überzeugt. Oft waren die Schilder extrem verwittert, nicht besonders aussagekräftig oder gar nicht vorhanden. Die Beschilderung der nationalen Radrouten soll aber dieses Jahr überarbeitet werden.
Gutes Wetter war nun auch dabei. An den ersten Tagen hatten wir die Sonne selten gesehen, waren aber fast immer trocken geblieben. Die vorletzte Nacht in Finnland (Freitag auf Samstag) verbrachten wir auf einem Reiterhof östlich von Savitaipale. (
http://www.paivolanratsutila.fi/bb.php) Hier merkte man nun schon die Grenznähe: Wir waren die einzigen nicht-russischen Gäste! Jari war ein sehr netter Gastgeber, der uns viel erzählte, gute Tipps (u.a. für eine sehr schöne Badestelle am Saimaasee) gab und ernsthaft besorgt um unsere Sicherheit auf den russischen Straßen war...
Reiche Beute am Wegesrand II
Abend am Saimaasee
Am Samstag brachten wir nur eine halbe Etappe hinter uns: Nach zwei Stunden waren wir schon in Lappeenranta angekommen. Hier merkt man die Nähe zu Russland nun immer mehr: Kyrillische Werbetafeln sind keine Seltenheit mehr, andererseits werden im Souvenirshop auch T-Shirts und Tassen mit Bildern finnischer Soldaten aus dem Winterkrieg angeboten, auf denen steht: „Kiitos!“ (=Danke!) In Lappeenranta hat man in den letzten Jahren viel in das Hafengelände investiert. Neben alten Festungsanlagen gibt es dort Sandskulpturen zu sehen. Außerdem probierten wir die lokalen Spezialitäten Atomi und Veti (Gefüllte Brötchen mit Schinken und Ei-Füllung – Testurteil: na ja ;)). Den Nachmittag verbrachten wir u.a. mit einer Bootsrundfahrt auf dem Saimaasee.
Im Hafen von Lappeenranta
Bootsfahrt auf dem Saimaasee
Die lokalen Spezialitäten...
Sonntag brachen wir dann bei heißem Sonnenwetter nach Russland auf. Es gibt einen schönen, grob geschotterten Radweg entlang des Saimaa-Kanals, der den Saimaasee mit dem Finnischen Meerbusen verbindet. An diesem Sonntag war aber bis auf ein paar Ausflugsboote kaum etwas los. Der Kanal wird übrigens auch auf russischem Territorium aufgrund eines Pachtvertrages noch von Finnland betrieben.
Am Saimaa-Kanal
Ein paar Kilometer vor der Grenze muss man einen Nebenarm mit einer handbetriebenen Fähre überqueren. Eine schöne Abwechslung vom Radfahren.
Vor den Grenzformalitäten hatten wir als Schengen-verwöhnte Europäer etwas Respekt, aber außer einer Stunde Wartezeit und ein paar strengen Blicken mussten wir nichts weiter ertragen. Die Autofahrer (fast alles Russen, die nach dem Wochenende wieder zurück nach St. Petersburg fuhren) haben jedenfalls deutlich mehr Zeit an der Grenze zugebracht.
In Russland gab es leider keinen Radweg mehr, und die Straße war schon relativ stark befahren (dafür aber in perfektem Zustand). Die russischen Autofahrer haben auf diesem Stück und auch in den nächsten Tagen manche skeptische Einschätzung widerlegt: Wir wurden eigentlich nie gefährdend überholt und bekamen häufig sogar Sympathiebekundungen (Daumen hoch oder Smartphone-Videos). Mit einem Tandem fällt man in Russland jedenfalls auf!
Von der A127 wollten wir eigentlich auf eine Nebenstraße abbiegen, aber mangels GPS oder Beschilderung haben wir sie nicht gefunden. Ein junger Grenzposten vom Militär (über 20 km hinter der Grenze) konnte uns auch nicht recht weiterhelfen, so landeten wir schließlich auf der Autobahn M10. Außer einem bulgarischen Auto hat aber keiner gehupt, die Russen haben unsere Anwesenheit stoisch hingenommen und wir haben es (auch dank Rückspiegel und geschottertem Seitenstreifen) gut überstanden. Angenehm war’s trotzdem nicht.
Nach ca. 80 km erreichten wir Vyborg, das sich uns als Mischung aus schwedischen, finnischen, sowjetischen Hinterlassenschaften und russischer Moderne präsentierte. Vor dem Bahnhof kamen wir gleich mit einem Reiseradler aus St. Petersburg in Kontakt, der uns noch Insiderinfos zum Straßenzustand geben konnte. Unser Hostel war freundlich und modern, aber beim abendlichen Stadtrundgang staunten wir schon etwas über die tiefen Löcher, die sich in den Straßen auftun, oder die einsturzgefährdeten Häuser.
Schwedischer Turm in Vyborg
Die Burg von Vyborg
Der nächste Tag sollte uns nach St. Petersburg bringen. Neben der M10 (=Autobahn, wohl nicht empfehlenswert) gibt es die A123 an der Küste entlang oder die kürzere A125. Wir entschieden uns für die zweite Variante und waren im Nachhinein ganz zufrieden. Der Straßenzustand war allerdings abenteuerlich und uns begegneten zwei Reiseradler, die jeweils auf diesem Abschnitt gestürzt waren. Vorsichtig fahren sollte man also auf jeden Fall. Die wenigen Autos machen das natürlich auch und sind dadurch meist nicht schnell unterwegs. Teilweise sucht sich jeder im Slalom die Straßenteile mit den kleinsten Schlaglöchern raus, was aber oft gar nicht so einfach ist, wenn sich der Asphalt komplett auflöst und in Schlamm übergeht. Landschaftlich war es eher unspektakulär und Dörfer gibt es auch nur zwei. Das erste besteht fast nur aus einer großen Kaserne der Roten Armee, im zweiten gibt es immerhin einen kleinen Supermarkt und ein paar Frauen, die Blaubeeren und anderes Obst verkaufen.
Stolz der Roten Armee
Meist war der Straßenzustand noch viel schlechter als auf dem Bild...
Am späten Nachmittag erreichten wir dann die Ostseeküste. Zwischen Serovo und Zelenogorsk hat man einen netten Radweg gebaut – bis wohin der geht, konnten wir aber nicht mehr herausfinden, weil wir in Zelenogorsk aus Zeit- und Verkehrsgründen den Bahnhof ansteuerten und mit einem Vorortzug bis nach St. Petersburg fuhren. Beim Fahrkartenkauf am Automaten waren uns vier oder fünf freundliche russische Bahnangestellte behilflich, die aber mit den Automaten auch ihre Schwierigkeiten hatten...
An der Ostsee
In St. Petersburg erwarteten uns dann schon unsere Mitfahrer in der Ferienwohnung und wir waren froh, gut angekommen zu sein. Nach den vielen ruhigen Tagen auf dem Land war die Großstadt mit ihrem Lärm, ihrer Hektik und der schieren Größe aber erst mal gewöhnungsbedürftig. In den nächsten Tagen absolvierten wir das übliche Touristenprogramm in St. Petersburg: Eremitage, Peter-und-Pauls-Festung, Katharinenpalast usw.
Die Erlöserkirche
Der Winterpalast
Die Peter-und-Pauls-Festung
Die Newa
Der Katharinenpalast in Zarskoje Zelo
Lokale Spezialitäten: Borschtsch
Diese Tafel erinnert an die Uraufführung der 7. Sinfonie („Leningrader“) von Dimtri Schostakowitsch im August 1942, während der Belagerung durch die Deutschen.
Die kapitalistische Ernährungsweise hat schon Einzug gehalten...
...wie auch moderne Bahntechnik.
Das Dom Knigi – Haus des Buches
Für die Abreise aus St. Petersburg nach Estland hatten wir eine Zugverbindung recherchiert: Seit 2012 gibt es täglich eine Verbindung nach Tallinn und zurück, die von der estnischen Gesellschaft GoRail (
http://www.gorail.ee/) angeboten wird. Das Tandem in den Zug zu kriegen war etwas aufregend, zumal das Zugpersonal erst nicht so wirklich kooperativ war. Dann hatte der entspannte Zugführer zum Glück noch die geniale Idee, das Tandem mit verdrehten Lenkern in den Maschinenraum der Lok zu stecken, wo es die Fahrt schön warm verbringen konnte.
Vorbei an endlosen Plattenbausiedlungen erreichten wir über Kingisepp die russisch-estnische Grenze bei Narva. Hier wurde mal wieder gründlich kontrolliert, u.a. mit Hunden (eine Stunde Zeitverlust). Dann waren wir wieder in der EU und fuhren noch bis Rakvere, wo die Bahnsteige gefühlte zwei Meter unter der Ausstiegshöhe liegen.
Rakvere ist ein nettes Städtchen mit der Ruine einer deutschen Ordensburg, einem kleinen Theater und einem hübschen Stadtkern. Schwer vorstellbar, dass dort vor 25 Jahren noch der Kommunismus herrschte, so europäisch ist die ganze Atmosphäre inzwischen. Wir fuhren nun auf dem gut ausgeschilderten estnischen Radwegenetz durch den Lahemaa-Nationalpark auf wunderbar ruhigen Straßen und besichtigten die deutschen Herrenhäuser Sagadi und Palmse. Leider wurde am Nachmittag das Wetter schlechter, so dass wir abends bei strömendem Regen unseren Etappenort Loksa erreichten (nicht besonders sehenswert). Leider blieb der Regen bis zum nächsten Morgen und noch länger, was besonders auf den Schotterstraßen nicht gerade spaßig war. Für Aufmunterung sorgte aber das Treffen mit einer Gruppe junger polnischer Radreisender, die mit uns Richtung Tallinn fuhren.
Die Burgruine in Rakvere
Vorbildliche estnische Radroutenbeschilderung
Gutshaus Palmse
Bei Regen und immer wieder bedrohlichen Wolken fuhren wir auf Tallinn zu.
Die Stadteinfahrt nach Tallinn war etwas mühsam, da der eben noch perfekt asphaltierte und ausgeschilderte Radweg abrupt aufhörte und die Radfahrer ihrem Schicksal überließ. Das bestand in einer riesigen Einfallstraße durch Plattenbauviertel und Gewerbegebiete, aber mit Durchfragen (meist auf Russisch-Kauderwelsch) und Glück fanden wir das Zentrum und unser Hotel. Tallinn hat uns auch beim zweiten Besuch wieder sehr gut gefallen – schade, dass wir dort nur einen Abend und einen Vormittag zur Verfügung hatten. Besonders zu empfehlen sind übrigens die Pfannkuchen im Kompressor (
http://www.kompressorpub.ee/?lang=en).
Die Belohnung: Pankook im Kompressor – hmmm...
Abendlicher Stadtrundgang: Rathaus im Regen
Für die Rückfahrt hatten wir wieder zwei Ruhesessel auf der Finnlines-Fähre Helsinki-Travemünde gebucht. Für die Fahrt von Tallinn nach Helsinki war Linda Line der günstigste Anbieter. Die fahren mit zwei relativ kleinen Katamaranen Fußgänger und Radfahrer über die Ostsee, Autotransport ist nicht möglich, was das Einchecken sehr unkompliziert macht. Zwei Haken gibt es allerdings: Der Hafen, von dem Linda in Tallinn abfährt, ist nicht der große Hafen von Tallink und den anderen großen Fährgesellschaften, und liegt sehr versteckt. Das sollte man sich vorher gut auf dem Stadtplan anschauen. Der zweite Haken ist die Schaukelei auf der Überfahrt. Wer einen sensiblen Magen hat, ist mit einer größeren Autofähre vielleicht besser bedient. Weitere Details ersparen wir dem Leser...
Nach einer unruhigen Überfahrt glücklich in Helsinki angekommen...
Nach einer schönen Rückfahrt, die nur von einer deutschen Säufergruppe im Ruhesesselraum getrübt wurde, standen wir nach drei Wochen wieder in Travemünde am Hafen. Uns hat die Reise mit all ihren Facetten sehr gut gefallen – Stadt und Land, Meer und Hügel, EU und Russland.