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#979829 - 10/06/13 09:45 PM
Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
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PrologAuf den längeren Radreisen der letzten Jahre (jeweils zwei bis drei Wochen) war ich immer in Frankreich und Spanien unterwegs (oft auch in Kombination). Die von Dresden aus „vor der Haustür“ liegenden östlichen Nachbarländer habe ich dabei sträflich vernachlässigt und war dort jeweils maximal vier Tage (entlang von Elbe und Moldau von Dresden nach Prag drei Tage, entlang der Donau von Wien nach Budapest vier Tage, von Dresden nach Breslau drei Tage, von Berlin nach Rügen mit einem Tag in Stettin sechs Tage, und von Dresden ins Riesengebirge drei Tage). Ich hatte nun zehn Tage zur Verfügung. Da bot es sich an, einmal Polen etwas länger zu erkunden. Ziel Danzig. Aufgrund der knappen Zeit war die direkte Route vorgegeben: Über Poznań (Posen) und Torun (Thorn), Malbork (Marienburg) mit Besichtigung der Ordensburg. Die bekannten Radwanderwege in Polen (Oder/Neiße-Radweg, Ostseeküstenradweg oder R1) kamen somit, da sie erhebliche Umwege bedeutet hätten, nicht in Betracht. Aber ich mache ohnehin lieber „mein eigenes Ding“. Einen weiteren Vorteil hatte die direkte Route: Als Hobby betreibe ich Genealogie, und die Strecke würde mir Gelegenheit bieten, zahlreiche Orte anzusehen, in denen Vorfahren von mir im 19. Jahrhundert, teilweise bis zum Ersten Weltkrieg, gelebt hatten. Ich habe also neun Fahrtage plus die einen ganzen Tag in Anspruch nehmende Rückfahrt mit dem Zug. Leider würde ich über weite Strecken große Hauptstraßen nehmen müssen mit wahrscheinlich entsprechendem Verkehrsaufkommen, da der Zeitplan es nicht zuließ, die Tour komplett über kleine Sträßchen mit entsprechend längerer Gesamtstrecke zu planen. Trotzdem war die Strecke für die neun zur Verfügung stehenden Tage recht ambitioniert, weswegen ich von vorneherein zwei „Sollbruchstellen“ eingeplant hatte, d. h. kurze Strecken, die ich mit der Bahn zurückzulegen gedachte. Für die Rückfahrt habe ich einen Fahrradstellplatz im Berlin-Warschau-Express von Poznań (Posen) nach Berlin und im Intercity von Berlin nach Dresden reserviert. Von Danzig bis Poznań werde ich mit einmal Umsteigen mit reservierungsfreien Regionalzügen kommen. An Unterkünften habe ich nur die erste Übernachtung in Bad Muskau (Radlerrast Glockenhof, eine Pension mit Zeltwiese) und ein Hotel in Danzig für die Nacht vor der Zugrückfahrt gebucht. Campingplätze gibt es in Polen, auch entlang meiner Route, wie eine entsprechende Internetrecherche schnell ergab, ausreichend, so daß es lohnt, das Zelt mitzunehmen. Als Kartenmaterial sowohl für die Planung als auch für die Durchführung habe ich mir „Polen Südwest“ und „Polen Nordwest“ von Michelin, Maßstab 1:300 000, besorgt. Der Maßstab ist eigentlich etwas zu klein zum Radreisen, nicht zuletzt, weil darauf die ganz kleinen Orte nicht verzeichnet sind. In Frankreich und Spanien hatte ich immer Michelinkarten im Maßstab 1: 200 000 oder gar 1:150 000, das ist völlig ausreichend. Aber für Polen fand ich nichts in dem Maßstab. Es ging trotzdem verhältnismäßig gut. Außerdem hatte ich mir zwei Reiseführer besorgt: „Posen-Thorn-Bromberg“ aus dem Verlag Trescher und „Polnische Ostseeküste“ aus dem Michael-Müller-Verlag. Des Polnischen nicht mächtig, habe ich mir noch einen kleinen Sprachführer gekauft („Polnisch Wort für Wort“ aus der Reihe „Kauderwelsch“ (Reise-Know-How-Verlag)). Ich hatte eigentlich vor, das Buch vor und während der Reise ein wenig durchzuarbeiten, es blieb aber leider beim Vorsatz. Immerhin habe ich mir so die wesentlichen Ausspracheregeln angeeignet. 1. Tag (05.07.2013), Dresden-Bad Muskau Srecke: 114 km Fahrzeit: 5 Std. 37 min Höhenmeter: 607 Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,2 km/hViel später als geplant komme ich los. Ich wollte eigentlich gegen zehn Uhr starten, das Wesentliche ist seit Tagen gepackt, aber es sind noch so viele Kleinigkeiten zu erledigen, daß ich erst um halb eins reisefertig bin. Aber ich starte ja diesmal von der Haustür, so daß ich keinen Zug oder Flug erreichen muß. In wenigen Minuten bin ich am Elberadweg an der kurz vor der Inbetriebnahme stehenden Waldschlößchenbrücke. Nach jahrelanger Verzögerung soll sie tatsächlich in wenigen Wochen eröffnet werden. Ich folge dem Elberadweg bis zur Loschwitzer Brücke (Blaues Wunder). Kaum zu glauben, daß hier das Wasser noch wenige Wochen zuvor, bei der Flut Anfang Juni, mehrere Meter über dem Radweg stand, auf dem ich nun fahre. Da ich noch nicht zu Mittag gegessen habe, kehre ich kurz auf eine Bratwurst und eine Faßbrause im Traditionsbiergarten Schillergarten direkt am Blauen Wunder ein. Das Foto ist nicht an dem Tag entstanden, sondern einen Monat vorher, als der Biergarten komplett unter Wasser stand (Blick vom Blauen Wunder): Der Biergarten ist bereits wieder in Betrieb, aber das Restaurant im Gebäude muß komplett renoviert werden und wird so bald nicht wieder öffnen. Der Biergarten, in dem ich nun sitze, ist dort, wo links neben dem Gebäude die Bäume aus dem Wasser ragen. Gegen viertel nach eins rolle ich über das Blaue Wunder. Nun wird es zeitlich wirklich knapp für die lange Etappe. Von Loschwitz fahre ich den Elbhang hinauf nach Bühlau. Ich denke mir, das wird sicher der längste und von den Höhenmetern höchste Anstieg der gesamten Reise sein, denn Polen ist ja wohl überwiegend flach. Das mit dem längsten und höchsten Anstieg mag, rückblickend betrachtet, zwar hinkommen, aber es war in Polen dann doch bei weitem nicht so steigungsarm wie gedacht. Und daß die nun anstehende Lausitz extrem hügelig ist, wußte ich sowieso, da ich hier schon oft geradelt bin. Aufgrund der knappen Zeit fahre ich bis Bautzen auf der Bundesstraße 6. Es gibt schönere und verkehrsärmere Strecken von Dresden nach Bautzen, am Anfang z. B. den Bahntrassenradweg von Weißig nach Dürröhrsdorf-Dittersbach, aber dafür habe ich jetzt keine Zeit, außerdem kenne ich den schon. Immerhin hat die B 6 teilweise, aber nicht durchgehend, einen parallelen Radweg, und ich bin sie schon mehrfach, teilweise bis Görlitz, gefahren. Bereits hier weht der Wind stramm von Westen, mir entgegen, und das wird auch fast die gesamte Reise so bleiben. In Bischofswerda ist gerade Markt, und ich kaufe mir am Stand einer Fleischerei ein paar Knackwürste. Im Gebiet der sorbischen Minderheit gibt es zweisprachige Straßenschilder: In Bautzen bietet sich von der Spreebrücke ein schöner Blick auf die Stadt, die Ortenburg und das Spreetal. Ich stärke mich mit einem Weizenbier und einem Schnitzel, dann fahre ich durch holprige Altstadtgassen hinunter zur Spree und zum Spreeradweg. Den bin ich vor einigen Jahren bis Berlin gefahren, so daß ich weiterhin auf bekanntem Terrain unterwegs bin. Entlang des Stausees nördlich von Bautzen folge ich noch dem Spreeradweg, da er aber hier und, soweit ich mich von meiner Spreeradweg-Tour erinnere, auch weiter nördlich, überwiegend über unbefestigte Pfade verläuft, nehme ich ab Niedergurig die Bundesstraße 156 bis Uhyst. Ab Uhyst nehme ich wieder den mir bereits bekannten Spreeradweg, der hier, perfekt asphaltiert, am Ufer des Bärwalder Sees entlangführt, der erst vor wenigen Jahren im Zuge der Rekultivierung eines Braunkohle-Tagebaugebietes entstanden ist (derartige Seen gibt es in der Lausitz zahlreich), immer mit Blick auf das riesige Braunkohlekraftwerk Boxberg am Horizont. Wunderschön zu fahren. Ab Boxberg fahre ich wieder auf der B 156, die sich hier, landschaftlich eintönig, mit ziemlichem Verkehr, zwischen Tagebaugebieten, von denen man aber nichts sieht, gefühlt eine halbe Ewigkeit hinzieht. Ich verlasse jetzt erstmals bekanntes Gebiet. Über Weißwasser erreiche ich schließlich nach 20 Uhr Bad Muskau. Ich komme auch an der Neißebrücke mit dem Grenzübergang vorbei, über den es morgen nach Polen geht. Von der Innenstadt sind es aber noch fast zehn Kilometer zur Pension „Glockenhof“ im nördlich gelegenen Stadtteil Köbeln. Im Glockenhof, der neben Zimmern auch eine Campingwiese anbietet, hatte ich ja einen Zeltplatz reserviert. Während ich auf der Suche nach der Pension durch das sehr ländliche, sich über Kilometer hinziehende Köbeln radle, zieht sich der Himmel überraschend plötzlich zu, und es beginnt zu nieseln. Das hatte der Wetterbericht nicht angekündigt. Schließlich fahre ich in strömendem Regen. Hätte der nicht noch fünf Minuten warten können? Die wenigen Minuten, bis ich den Glockenhof schließlich erreicht habe, reichen aus, um bis auf die Knochen klitschnaß zu werden. Im Glockenhof empfängt man mich freundlich, ich flüchte mich mit meinem Gepäck erstmal in den schön ausgestatteten Sanitärbereich für Camper, dusche ausgiebig und warte dort, daß der Regen nachläßt. Bei immer noch leichtem Nieselregen baue ich schließlich, möglichst zügig, mein Zelt auf der Wiese auf, wo bereits vier weitere Zelte stehen. Als der Regen schließlich aufhört, werde ich von Schwärmen von Mücken umschwirrt – das Ergebnis merke ich am nächsten Morgen, so viele Mückenstiche hatte ich lange nicht. Leider wird im Glockenhof ausgerechnet heute kein Abendessen serviert, und zu den Reisegruppen, die in der ehemaligen Scheune, in der nette Sitzgelegenheiten eingerichtet sind (es handelt sich offenbar ursprünglich um einen Bauernhof) fröhlich bei mitgebrachten Speisen und Getränken sitzen, kann ich mich auch nicht gesellen, da ich auf Selbstversorgung nicht eingestellt bin und keinen Proviant dabeihabe. Also die ganzen Kilometer bis Bad Muskau zurück; der Regen hat zum Glück endgültig aufgehört. Es ist nun gegen zehn Uhr, und es hat zunächst den Anschein, als habe nichts mehr offen. Ich finde aber noch ein offenes Restaurant und esse leckere Schweinemedaillons. Ich bin zufrieden, trotz des späten Aufbruchs ist die zweitlängste Etappe der Reise plangemäß absolviert. 2. Tag (06.07.2013), Bad Muskau-Żagań (Sagan) Strecke: 64 km Fahrzeit: 3 Std. 59 min. Höhenmeter: 266 Durchschnittsgeschwindigkeit: 16.1 km/hAm nächsten Morgen ist das Wetter wieder freundlich, aber ich bin ziemlich zerstochen. So viele Mückenstiche am ganzen Körper hatte ich lange nicht mehr. Im Garten des Glockenhofs nehme ich ein leckeres Frühstück ein. Es sind außer mir noch weitere Radler dort, die aber im Gegensatz zu mir alle auf dem Oder-Neiße-Radweg unterwegs sind. Die Radlerrast Glockenhof kann ich allen, die mit dem Rad in der Gegend unterwegs sind, nur empfehlen. Ich fahre nach Bad Muskau zurück und sehe mir die Hauptattraktion der Stadt, den Fürst-Pückler-Park, an. Dieser Landschaftspark zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe. Im Park darf man radfahren. Vor dem Alten Schloß findet eine Hochzeit statt, daher bietet ein klassischer Buick ein dankbares Fotomotiv (im Hintergrund das Neue Schloß im Zentrum der Parkanlage). Der Park erstreckt sich auf beiden Ufern der Neiße auf deutscher und auf polnischer Seite, mehrere Fußgängerbrücken führen über die Neiße. Bevor ich endgültig über die Straßenbrücke nach Łęknica die Grenze überquere, stärke ich mich in einem Biergarten direkt am Grenzübergang mit einem Steak. Dann geht es hinüber nach Polen. Direkt nach der Grenze in Łęknica reiht sich über mehr als einen Kilometer ein Laden für billige Spirituosen und billige Zigaretten an den nächsten. Das ist aber im Grunde nicht anders als an jedem anderen Grenzübergang nach Polen oder Tschechien. Eigentlich wollte ich kurz hinter der Grenze auf ein in meiner Karte verzeichnetes kleines Sträßchen abbiegen und diesem bis kurz vor Zary folgen, ich finde es aber nicht, und so bleibe ich auf der Hauptstraße (Landesstraße (Droga krajowa) 12). Der Verkehr hält sich aber auch hier in erträglichen Grenzen. Leider fühle ich mich heute nicht besonders fit, auf der relativ langen gestrigen Etappe habe ich wohl meine Knie etwas überanstrengt, und das rechte Knie zwickt ein wenig, und der Gegenwind kommt hinzu. Der leichte Schmerz im rechten Knie verschwindet ärgerlicherweise dann auch während der gesamten Reise nicht mehr vollständig, trotz allabendlich aufgetragenem Voltaren, so daß die mäßigen, aber durchaus vorhandenen Steigungen mir im gesamten Verlauf der Reise schwerfallen. Ich beschließe, heute nur bis Żagań (Sagan) zu fahren. Zunächst erreiche ich Zary. Hier gönne ich mir das erste polnische Bier (ich kann es sogar auf Polnisch bestellen, zumindest weiß ich, daß es „Pivo“ heißt, mit offen ausgesprochenem „o“). Es wird mit Strohhalm serviert; das scheint in Polen recht verbreitet zu sein, und diese Darreichungsform begegnet mir auch im weiteren Verlauf der Reise noch mehrfach. Die Struktur der Altstadt folgt einem Schema, nach dem im Mittelalter fast jede Stadt im westlichen Polen (mit Ausnahme der Küstenregion) errichtet wurde, vom kleinsten Provinzstädtchen bis zu den großen Städten wie Posen und Thorn, und das ich bereits aus Schlesien kenne: Um einen großen zentralen rechteckigen Platz (Rynek, der ursprüngliche deutsche Name ist meist Altstädter Markt oder Altstädter Ring) reihen sich die repräsentativen Häuser der Bürger und Kaufleute, und in der Mitte steht, ebenfalls mit rechteckigem Grundriß, das Rathaus (ratusz), manchmal ergänzt um einige kleinere, bescheidenere Häuschen. Die Hauptkirche ist dann immer etwas abseits in einer Seitenstraße des Rynek. Mein Etappenziel Sagan ist eine recht hübsche, aber unspektakuläre Kleinstadt. Die Hauptsehenswürdigkeit ist das Schloß. Ein Hotel zu finden, stellt sich als schwierig heraus. Ich lande schließlich im Hotel „Willa Park“, ein prächtiges Gebäude in einem großen Park mit mehreren Nebengebäuden. Es sieht teuer aus, umso überraschter bin ich, als ich ein Einzelzimmer für knapp 100 Złoty, umgerechnet ca. 25 €, bekomme. Die nette Dame an der Rezeption spricht Englisch und fragt mich für ihr Formular, ob ich mit dem Auto angereist sei. No, by bike. Als sie in ihr Formular irgendetwas mit „Motor“ einträgt, stelle ich klar: Not motorbike, bicycle! Rower! Ob der unerwarteten polnischen Vokabel muß sie schmunzeln und erklärt mir, daß in Sagan gerade eine große Motocross-Veranstaltung für Motorräder und Quads stattfindet, auch mit vielen Besuchern aus dem Ausland, so daß sie angenommen hatte, auch ich sei deswegen hier. Ich beschließe diese recht kurze Etappe mit einer Pizza in der Fußgängerzone. Im Hotelzimmer sehe ich noch ein wenig fern; ich empfange mehrere deutsche Fernsehsender. 3. Tag (07.07.2013), Żagań (Sagan)-Wolsztyn (Wollstein) Strecke: 120 km Fahrzeit: 6 Std. 43 min. Höhenmeter: 296 Durchschnittsgeschwindigkeit: 17,8 km/hObwohl ich kein Frühstück gebucht habe, beschließe ich beim Anblick der sonnigen Terrasse vor dem repräsentativen Hauptgebäude des Hotels, dies „nachzubestellen“. Beim Frühstück erhalte ich nette Gesellschaft in Gestalt einer jungen Polin, die ebenfalls hier einquartiert ist. Sie stammt aus einem kleinen Ort kurz vor der weißrussischen Grenze. Sie spricht fast perfekt Deutsch und hat mehrere Jahre in Deutschland verbracht. Jetzt wohnt sie in der Schweiz am Bodensee und arbeitet in einer Firma, die irgendetwas mit Motorrädern und Quads zu tun hat. Sie ist also beruflich in Sagan, wegen der Motocross-Veranstaltung. Sie erzählt, daß sie gerne Rad fährt und auch gerne einmal eine Radreise unternehmen würde. So haben wir gleich ein Gesprächsthema. Ich nehme die Gelegenheit wahr und lasse mir die Aussprache des polnischen Wortes für „danke“, „dziękuję“, die ich meinem Sprachführer entnommen habe, bestätigen. „Dschäkuje“, mit nasaliertem „ä“, wie in französisch „Verdun“ oder „aucun“. Ich werde es im weiteren Verlauf der Reise noch unzählige Male anwenden. Etwas später als geplant komme ich los. Auch heute habe ich meistens ordentlichen Gegenwind. Ich fahre etwa 20 km Richtung Nordosten auf der Woiwodschaftsstraße (Droga wojewódzka) 296 Richtung Nordosten, dann geht es über ein landschaftlich schönes, kleines Sträßchen fast ohne Verkehr und anschließend auf den Woiwodschaftsstraßen 297 und 293 (auch letzteres ist ein kaum befahrenes, landschaftlich reizvolles Sträßchen) nach Nowa Miasteczko (Neustädtel). Auch dieses winzige Städtchen ist nach dem typischen Schema „rechteckiger Rynek mit Rathaus in der Mitte“ angelegt. Für mich ist es deswegen von Interesse, weil es der erste der zahlreiche Orte auf der Reise ist, an denen im 19. Jahrhundert Vorfahren von mir gelebt haben. Zu meiner Überraschung haben, obwohl es Sonntag Nachmittag ist, die kleinen Geschäfte im Ort geöffnet. Ich kaufe mir ein Radler; der deutsche Begriff ist, wie man auf dem Flaschenetikett erkennt, auch in Polen geläufig. Dieses ist mit Apfelgeschmack. Lecker. Über die Landesstraße 3 und die Woiwodschaftsstraße 292 erreiche ich Nowa Sól (Neusalz) an der Oder. Ein Abstecher nach Otyn (Deutschwartenberg), wieder aus familienhistorischem Interesse (auch in diesem winzigen Örtchen ein sehr nett herausgeputzter Rynek mit Rathaus in der Mitte), dann geht es bei Nowa Sól über die Oderbrücke. Jetzt geht es wieder über ein kaum befahrenes Sträßchen, das eher den Charakter eines perfekt asphaltierten Waldweges hat. Sehr schön zu fahren. Dann geht es über die Woiwodschaftsstraße 315 (ein weiterer in meinen familiengeschichtlichen Recherchen vorkommender Ort liegt direkt am Weg) nach Wolsztyn (Wollstein). Auch hier wenig Verkehr. Wolsztyn ist ein hübsches kleines Städtchen, das eine gewisse touristische Bedeutung hat und reizvoll an zwei kleinen Seen gelegen ist. Hier gibt es ein Bahnbetriebswerk, in dem noch Dampflokomotiven im Regelverkehr eingesetzt werden (auf der Strecke nach Poznań (Posen)). Daher ist der Ort ein Mekka für Eisenbahnenthusiasten. Der sehr nette Zeltplatz ist etwas außerhalb gelegen. Die Dame am Empfang spricht Deutsch. Als ich mit einem Bierchen vor dem Zelt sitze, werde ich wieder, wie in Bad Muskau, von Heerscharen von Mücken massakriert. Ich habe leider kein Mückenspray dabei (ich bin aber auch nicht sicher, ob es bei dieser massiven Attacke überhaupt geholfen hätte). Im Ort beschließe ich den Tag (und die längste Etappe der Reise) mit einer Pizza. 4. Tag (08.07.2013), Wolsztyn (Wollstein)-Poznań (Posen) Strecke: 95 km Fahrzeit: 5 Std. 49 min. Höhenmeter: 195 Durchschnittsgeschwindigkeit: 16,3 km/hZunächst sehe ich mich am schön gestalteten Ufer des nördlichen der beiden Seen um, an denen Wollstein liegt. Dann besichtige ich das Dampflok-Bahnbetriebswerk, für das Wollstein bei Eisenbahnfans in ganz Europa bekannt ist. Laut meinem Reiseführer sind von den 30 dort vorhandenen Dampfloks 13 betriebsbereit. Irgendwo habe ich gelesen, daß europaweit nur hier noch Dampflokomotiven im planmäßigen Einsatz auf Normalspurstrecken eingesetzt werden, vor allem auf der Strecke nach Posen. Die Einschränkung auf Normalspur muß aber gemacht werden, denn allein in Sachsen gibt es mindestens drei Schmalspurstrecken, auf denen planmäßiger Dampfverkehr stattfindet, davon zwei im Großraum Dresden. Auf dem Gelände des Betriebswerks stehen Dutzende Dampfloks und historische Personenwaggons, aber die meisten scheinen nicht mehr betriebsbereit zu sein. Der Besuch des Betriebswerks kostet ein bescheidenes Eintrittsgeld. Man kann in die Führerstände der abgestellten Dampfloks steigen und das Innere der Waggons besichtigen. Es gibt eine Drehscheibe und einen Ringlokschuppen. Eine Lok steht unter Dampf, und so erhoffe ich mir, sie recht bald „in Aktion“ erleben zu können. Sie ist aber noch nicht betriebsbereit, denn zwei Bahnarbeiter sind noch damit beschäftigt, ein Gelenk im Antriebsgestänge auszutauschen. Da ich heute noch bis Posen will, wird es Zeit, aufzubrechen, und so verlasse ich das Bahnbetriebswerk, ohne eine Dampflok fahren gesehen zu haben. Interessant war es trotzdem. Um einigermaßen zügig voranzukommen, muß ich die Landesstraße 32 nehmen. Hier herrscht recht starker Verkehr, und obwohl es teilweise separate Radwege gibt, ist es nicht besonders angenehm und auch landschaftlich ohne besonderen Reiz. Nach 24 km, in Grodzisk Wielkopolski, überlege ich mir, ob ich nicht ab hier ein paar Stationen mit dem Zug abkürzen soll; es muß ja nicht ganz bis Posen sein. Ich fahre also zum Bahnhof, um mich nach dem Fahrplan zu erkundigen. Als ich mich dem Bahnhof nähere, sehe ich einen Zug in „meine“ Richtung abfahren, gezogen von einer Dampflok. Das muß die Lok sein, deren Startvorbereitungen ich in Wollstein gesehen habe. Sie haben die Reparatur also hinbekommen. Der nächste Zug Richtung Posen geht erst in ein paar Stunden, also fahre ich weiter auf der 32. Nach etlichen Kilometern kann ich auf die Woiwodschaftsstraße 431 abbiegen. Hier herrscht deutlich weniger Verkehr, und auch die Landschaft ist ansprechend, zumal es nun durch den Wielkopolski-Nationalpark (Wielkopolski Park Narodowy) geht. Ich beobachte ein Storchenpaar in seinem Nest auf einer kleinen Dorfkirche. Es ist eines von mehreren bewohnten Storchennestern, die ich auf der Reise sehe. Zwischen Mosina und Rogalinek überquere ich die Warthe, dann geht es über eine kleine, verkehrsarme Straße nach Posen. In der Stadt haben die Hauptverkehrsstraßen Radwege. Von einer Brücke über die Warthe bietet sich ein schöner Blick auf die Altstadt. Das Zentrum bildet auch in Posen der Altmarkt (Rynek) mit der historischen, nach dem Krieg vorbildlich restaurierten Bebauung und dem prächtigen Rathaus in der Mitte. Hier gönne ich mir ein Bier, dann gehe ich auf Quartiersuche. Meinem Reiseführer entnehme ich den Tipp „Hostel Cameleon“ in eine Seitengasse des Rynek. Es ist ein typisches Backpacker-Hostel mit Mehrbettzimmern, bietet aber auch sehr preiswerte Einzelzimmer, und ein solches ist auch noch verfügbar. Ich bin sehr zufrieden und verbringe den restlichen Abend auf dem Rynek. Hier herrscht reges Treiben. Fast jedes Haus am Rynek beherbergt Gastronomie. Einheimische und Touristen bevölkern die Tische vor den zahlreichen Restaurants und Kneipen, man kann bei angenehmen Temperaturen prima draußen sitzen, und so lasse ich den Tag mit einer Pizza und dem einen oder anderen Bierchen gemütlich ausklingen. Bis hier bin ich nun von Dresden aus durchgehend geradelt; morgen ist aber die erste Zugfahrt geplant, da mir sonst die verbleibende Zeit nicht reichen wird, um bis Danzig zu kommen. Fortsetzung folgt...
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Edited by Tom72 (10/06/13 09:53 PM) |
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#979830 - 10/06/13 10:00 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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Ich sehe gerade, daß die die diakritischen Zeichen des Polnischen, die in der Voransicht noch angezeigt wurden, beim Abschicken verlorengegangen sind und die entsprechenden Buchstaben durch ein Sammelsurium von verschiedenen Zeichen ersetzt wurden. Es tut mir leid, daß dadurch die Lesbarkeit des Berichts beeinträchtigt wird.
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#979856 - 10/07/13 07:17 AM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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Danke für den schönen Reisebericht, gefällt mir sehr gut.
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#980085 - 10/07/13 08:25 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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Bis jetzt sehr interessant. Hab vor 7 Jahren einen Urlaub (mit Auto ) dort verbracht und in Tagesausflügen etliche Altstädte wie Zielona Gora, Gorzów Wielkopolski, Sagan und auch Zary erkundet. Zu der Zeit gab es dort, auch auf dem Land, noch etliche halb verfallene Schlösser und Prachtbauten, ich vermute mal da tut sich aber mehr und mehr. Von einem gewissen Standpunkt auch interessant ist der dort gut erhaltene "Ostwall" bzw. Festungsfront Oder-Warthe-Bogen. Freu mich auf mehr.
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#980387 - 10/08/13 09:59 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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5. Tag (09.07.2013), Poznan (Posen)-Torun (Thorn) Strecke: 86 km (zuzüglich ca. 80 km Zugfahrt) Fahrzeit: 4 Std. 46 min Höhenmeter: 258 Durchschnittsgeschwindigkeit: 18,0 km/hUm 10.48 Uhr geht mein Zug Richtung Thorn, mit dem ich bis Mogilno fahren werde. Ich habe also noch ein wenig Zeit, mich in Posen umzusehen. Ich sehe mir zunächst den Posener Dom auf der Dominsel an, einer Flußinsel zwischen zwei Warthe-Armen. Dies war der Sitz des ersten polnischen Bistums und gilt als Keimzelle des polnischen Staates und auch Posens. 1253 wurde die Stadt nach Magdeburger Stadtrecht neu gegründet und erhielt ihr neues Zentrum mit dem Rynek am linken Warthe-Ufer. Anschließend frühstücke ich in einem sehr netten Café am Rynek bei strahlendem Sonnenwetter. Auf dem Weg von der Innenstadt zum Bahnhof liegen weitere Sehenswürdigkeiten. Ich komme durch Viertel mit prächtiger Wohnbebauung aus der vorletzten Jahrhundertwende. Diesen neoromanischen Komplex (Kaiserschloß, polnisch Zamek Cesarski w Poznaniu) ließ Kaiser Wilhelm II in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg als Residenzschloß nach dem Vorbild einer mittelalterlichen Kaiserpfalz errichten. Später wurde er von den Nationalsozialisten als „Führerresidenz“ ausgebaut und dient heute als Kulturzentrum. Mir fehlt leider die Zeit, es zu besichtigen. Ganz in der Nähe steht das Opernhaus. Der Hauptbahnhof (Poznan Glówny) ist gerade Großbaustelle und wird komplett umgestaltet und unter anderem mit einem riesigen Einkaufszentrum „verschönert“. Hier besteige ich den Regionalzug Richtung Thorn. Der Zug ist ziemlich voll. Mit mir im Fahrradabteil sitzen zwei ziemlich angetrunkene Herren, von denen einer irgendwann einschläft und aus seinem Sitz auf den Boden kippt, ohne aufzuwachen. Wir fahren durch Gniezno (Gnesen), eine der ältesten polnischen Städte und erste polnische Hauptstadt, sicher sehenswert, insbesondere der Dom, laut meinem Reiseführer das monumentalste gotische Gotteshaus in Polen, aber für eine Besichtigung der Stadt ist mein Zeitplan zu knapp. Kurz darauf, an einer Bahnstation mitten im Nichts, steigen fast alle Fahrgäste aus, was mich ein wenig beunruhigt. Es sind aber Ausflügler aus Posen, die zu einem nahegelegenen See wollen. Ich steige in Mogilno aus, da auch dieser Ort in meinen familiengeschichtlichen Recherchen eine Rolle spielt. Es ist reizvoll an einem See gelegen. Hier genieße ich erstmals Piroggen, gefüllte Teigtaschen, in diesem Fall mit Fleischfüllung, also in etwa das, was andernorts als Ravioli oder Maultaschen bezeichnet wird. Sehr lecker, ich werde sie auf der weiteren Reise noch mehrfach genießen. Von Mogilno nach Thorn geht es wieder mit dem Rad. Zunächst über die Woiwodschaftsstraße 254 und die Landesstraße 15, dann finde ich endlich wieder, bis kurz vor Inowroclaw, eine Streckenführung über winzige Sträßchen und winzige Dörfer, landschaftlich wunderschön und so gut wie ohne Autoverkehr. Ab Inowroclaw, einer Stadt ohne besonderen Reiz, aber, natürlich, einem nett herausgeputzten Rynek, wo ich mir ein Piwo und eine Stärkung gönne, gibt es nun keine Alternative zu knapp 30 Kilometern auf der Hauptstraße (Landesstraße 15). Ich kann mich aber nicht erinnern, daß das Verkehrsaufkommen allzu problematisch gewesen wäre. Ich nähere mich Thorn vom südlichen (linken) Weichselufer her. Die eigentliche Stadt liegt am anderen Ufer, und auf der südlichen Seite der Weichsel befindet sich im Wesentlichen nur der Hauptbahnhof und der recht große Campingplatz, wo ich nun mein Zelt aufschlage. Wieder werde ich von Mücken geplagt. Nach Zeltaufbau und Duschen fahre ich über die lange Weichselbrücke in die Stadt. Der Fluß ist erstaunlich breit. Von der Brücke hat man einen tollen Blick auf die Skyline der Altstadt. Es dämmert bereits. Ich werde mir die Stadt morgen etwas näher ansehen, jetzt habe ich Hunger und suche zum Tagesausklang und Abendessen natürlich auch hier den Rynek mit dem prächtigen Rathaus in der Mitte auf, an dem sich zahlreiche Restaurants und Kneipen befinden, vor denen man bei nach wie vor milden Temperaturen draußen sitzen kann. Fortsetzung folgt...
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Edited by Tom72 (10/08/13 10:08 PM) |
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#980610 - 10/09/13 03:27 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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Sehr schöner Bericht! Bin auf die Fortsetzung gespannt
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#980993 - 10/10/13 06:11 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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Schöner Bericht, tolle Bilder. Einiges kommt mir bekannt vor . Ich bin auf die Fortsetzung gespannt.
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#981089 - 10/10/13 10:22 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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6. Tag (10.07.2013), Torun (Thorn)-Bydgoszcz (Bromberg) Strecke: 95 km Fahrzeit: 5 Std. 39 min. Höhenmeter: 231 Durchschnittsgeschwindigkeit: 16,7 km/hHeute will ich mir vor der Weiterfahrt nach Bromberg nicht nur Thorn ansehen, sondern auch einen Abstecher in die andere Richtung, weichselaufwärts, machen, um mir einen kleinen Ort anzusehen, wo Ende des 19. Jahrhunderts ein Vorfahr von mir die Dorfschule leitete. Die Tageskilometer enthalten auch diesen Abstecher; die eigentliche Strecke nach Bromberg beträgt nur gut 40 km. Nach dem Zeltabbau fahre ich wieder über die Weichselbrücke in die Innenstadt. Erneut beeindruckt mich der Blick auf die Altstadt über den mehrere hundert Meter breiten Strom. Die Stadt bietet einiges an historischen Sehenswürdigkeiten. Geschichtlich bedeutsam war sie im Mittelalter als Gründung des Deutschritterordens, wovon die den Uferbereich der Altstadt einnehmende Ordensburg kündet, und als wichtige Handelsstadt im Bund der Hanse. Nach dem Frühstück auf dem Rynek besteige ich den Turm des in der für die Region typischen Backsteingotik ausgeführten, imposanten Rathauses. Von hier hat man einen herrlichen Blick auf die Altstadt und die Weichsel. Mein familiengeschichtlicher Abstecher führt mich ein ganzes Stück in die der Reiseroute entgegengesetzte Richtung, flußaufwärts, ins Mündungsgebiet des Flüßchens Drweca (Drewenz). In einem winzigen Ort fällt mir ein kurioses Straßenschild auf: Es gibt dort eine Obi-Wan-Kenobi-Straße (Ulica Obi-Wana Kenobiego). Hier saßen wohl Star-Wars-Fans im Gemeinderat… Zurück in Thorn sehe ich mich noch im Bereich der Ordensburg um, dann genehmige ich mir zum Abschied noch ein Bier in einer Bar auf einem Schiff am Weichselufer, bevor es Richtung Bydgoszcz (Bromberg) geht. Den Wechselbogen Richtung Westen auszufahren bedeutet eigentlich einen ziemlichen Umweg; schneller wäre ich an der Küste, wenn ich direkt nach Norden fahren würde, was auch meinem knappen Zeitplan entgegenkommen würde, aber Bromberg ist nach meinen Informationen sehenswert, und zwischen Bromberg und Grudiadz (Graudenz) ist ein Landschaftsschutzgebiet (Zespól Parków Krajobrazowych Chelminskiego i Nadwislanskiego) in meiner Karte verzeichnet (Landschaftspark Niederweichseltal), so daß es sich lohnt, der Weichsel zu folgen. Zunächst kann ich noch auf einem landschaftlich schönen Sträßchen fahren (Woiwodschaftsstraße 237), dann muß ich ca. 15 km über die unangenehm stark befahrene Landesstraße 10. Dieser Abschnitt ist reizlos und eintönig, der starke Verkehr nervt. Ab Solec Kujawski geht es dann wieder angenehm über kleine, schwach befahrene Sträßchen. Die parallel verlaufende Weichsel sieht man aber auf der gesamten Fahrt nicht. Kurz vor Bromberg komme ich ans Ufer des Flüßchens Brda (Brahe), das durch die Stadt fließt und irgendwo am Horizont in die Weichsel mündet. Ich nähere mich dem Stadtzentrum von Bromberg. Die Altstadt ist reizvoll an der Brda (Brahe) gelegen. Der junge Mann, der hier über dem Fluß balanciert, ist eine im Jahr des EU-Beitritts Polens, 2004, installierte Skulptur, die seitdem zu einem neuen Wahrzeichen und identitätsstiftenden Symbol für Bromberg avanciert ist. Was es mit ihm auf sich hat und wozu er den Pfeil in der Hand hält, dazu morgen mehr. Ich finde schnell ein recht preiswertes Hotel direkt in der Innenstadt. Natürlich genieße ich auch hier mein Abendessen auf dem auch hier wieder vorhandenen Rynek. Hier befindet sich allerdings erstmals das Rathaus nicht in der Mitte des Platzes. Landschaftlich war die heutige Etappe nicht besonders reizvoll, aber morgen werde ich mir Bromberg etwas näher ansehen und dann bis Grudiadz (Graudenz) fahren. Von der Fahrt durch den Landschaftspark Niederweichseltal verspreche ich mir einiges – zu recht, wie sich morgen herausstellen wird. Fortsetzung folgt...
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#981393 - 10/11/13 11:44 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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7. Tag (11.07.2013), Bydgoszcz (Bromberg)-Grudiadz (Graudenz) Strecke: 92 km Fahrzeit: 5 Std. 40 min Höhenmeter: 321 Durchschnittsgeschwindigkeit: 16,2 km/hVormittags sehe ich mich in Bromberg um. Auch hier erhält die Stadtbesichtigung wieder einen familiengeschichtlichen Aspekt, auch hier suche und finde ich Örtlichkeiten, in denen in preußischer Zeit Vorfahren von mir lebten. In Bromberg gibt es viele schön gestaltete Uferbereiche an der Brda (Brahe). Am Rynek esse ich zu Mittag. Ich fahre durch die Danziger Straße (Gdanska), den repräsentativen Boulevard aus der vorletzten Jahrhundertwende. Ich folge der Straße bis zu einem Park, weil ich mir dort eine Bronzeskulptur ansehen möchte, die zu einem der Wahrzeichen Brombergs geworden ist. Seit 1910 steht hier die „Bogenspannerin“ des Bildhauers Ferdinand Lepcke. Auf diese Statue, die aus irgendeinem Grund bei den Brombergern seit jeher sehr beliebt ist, nimmt auch die einige hundert Meter entfernte Plastik des Seiltänzers über der Brahe Bezug, die ich gestern Abend fotografiert habe. Er trägt die gleichen Sandalen wie sie, hat einen Köcher umhängen und hält ihre Reservepfeile. Eine nette Idee, wie ich finde. Allerdings ist der Seiltänzer, anders als seine fast hundert Jahre ältere Freundin, nicht aus Bronze, sondern aus Kunstharz gegossen. Abgüsse der Bogenspannerin stehen in mehreren deutschen Städten, das Bromberger Exemplar ist das Original. Über eine mehrspurige Ausfallstraße (Landesstraße 80), die über Radwege verfügt, geht es in östlicher Richtung aus der Stadt heraus Richtung Weichsel. Es geht mehrere Kilometer durch endlose Hochhaussiedlungen, dann bin ich endlich in freier Natur auf einem kleinen, verkehrsarmen Sträßchen (Woiwodschaftsstraße 256) im Landschaftspark Niederweichseltal (Zespól Parków Krajobrazowych Chelminskiego i Nadwislanskiego), der sich von hier über die gesamte heutige Etappe entlang der Weichsel bis Graudenz erstreckt. Die Weichsel sieht man zunächst allerdings nicht, die Landschaft begeistert mich trotzdem. Die Weichsel verläuft hier in einem breiten, flachen Tal, die Hänge sind für nordpolnische Verhältnisse relativ hoch und steil, auch wenn es wohl nicht viel mehr als 50 Meter sind. Schließlich führt die Straße sogar in einigen steilen Serpentinen den Hang hinauf; so etwas hatte ich hier nicht erwartet. Kurz darauf kündigt ein Schild für die (kurze) Abfahrt zurück ins Tal ein Gefälle von 10 Prozent an. Auf der Abfahrt habe ich endlich einen Blick auf die Weichsel. Dann geht es landschaftlich reizvoll, aber wieder ohne Weichselblick, weiter über Sträßchen fast ohne Autoverkehr durch winzige Dörfer. Linkerhand sieht man die Hänge des Weichseltals. Schließlich fällt mir die Beschilderung des Europaradwanderwegs R 1 auf. Ich hatte gar nicht gewußt, daß der hier entlang führt. Zufällig entspricht er nun ein Stück weit meiner Reiseroute. Die Straße verläuft nun direkt entlang der Weichsel, man muß aber auf einen Deich steigen, um sie zu sehen. Auf der anderen Seite des majestätisch und in enormer Breite dahinfließenden Stroms erkennt man die Türme von Chelmno (Kulm), wo mich mein Weg nun hinführen wird. Einige Kilometer weiter überquere ich die Weichsel über die Brücke der Landesstraße 1; hier herrscht bis Kulm wieder stärkerer Verkehr. Den Blick von der Brücke auf den breiten Strom mit den sich darin spiegelnden Wolken finde ich sehr beeindruckend. Auf der anderen Flußseite angekommen, steige ich zum Ufer hinunter, um die Weichselbrücke, über die ich gerade gefahren bin, zu fotografieren. Kulm liegt am Hang hoch oberhalb der Weichsel, es geht eine ziemlich steile Straße hinauf in die Altstadt. Der Ort, der heute eher Kleinstadtcharakter aufweist, erlebte seine Blüte zur Zeit des Deutschen Ordens und bietet eine Fülle an mittelalterlichen Baudenkmälern. Es ist eine der bedeutendsten Stadtgründungen des Deutschritterordens und war eine der wichtigsten Städte des Deutschordensstaates. Nach der Stadt wurde die gesamte Region als Kulmerland bezeichnet. In der Stadt sehe ich mich ausgiebig um. Neben mittelalterlichen Monumenten findet sich in der Altstadt auch des Geburtshaus des Schriftstellers Hermann Löns und das des SPD-Politikers Kurt Schumacher. Bis kurz vor Graudenz geht es nun wieder landschaftlich reizvoll über verkehrsarme Sträßchen. Der Campingplatz, auf dem ich übernachte will, liegt ein ganzes Stück südlich von Grudiadz (Graudenz) an einem kleinen See. Dorthin gelangt man über eine kleine Straße ein paar Kilometer durch einen Wald. Nach dem Zeltaufbau stellt sich die Frage nach dem Abendessen. Hier am See gibt es nichts, und ich will den Abend sowieso in Graudenz verbringen. Also die ca. 3 km durch den Wald zurück zur Hauptstraße. Diese ist anfangs wegen Bauarbeiten verengt, und ein Schild verbietet die Benutzung für Radfahrer, das ignoriere ich aber mangels Alternative. Ins Zentrum sind es noch ca. 5 km. Da habe ich heute Nacht eine ziemliche Strecke zurück zu radeln… Graudenz liegt direkt an der Weichsel, die Brücke darüber ist laut meinem Reiseführer eine der längsten des Landes. Auf dem zentralen Platz der Altstadt (heißt der auch hier Rynek? Ich bin nicht ganz sicher…) genieße ich eine Pizza. Nun muß ich die ganzen Kilometer zurück zum Zeltplatz, am Ende wartet die unbeleuchtete Straße durch den Wald. Natürlich habe ich Licht am Rad. Ich bin trotzdem froh, als ich schließlich im Zelt liege. Ich bin sehr zufrieden, die heutige Etappe war landschaftlich eine der schönsten. Fortsetzung folgt…
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#981485 - 10/12/13 03:40 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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8. Tag (12.07.2013), Grudiadz (Graudenz)-Malbork (Marienburg) Strecke: 67 km (zuzüglich Zugfahrt, ca. 36 km, ab Kwidzyn (Marienwerder)) Fahrzeit: 4 Std. 22 min Höhenmeter: 429 Durchschnittsgeschwindigkeit: 15,3 km/hBisher hatte ich, abgesehen von meiner Ankunft in Bad Muskau am Abend des ersten Tages, mit dem Wetter Glück (gut, der Wind wehte immer aus der falschen Richtung…). Als ich aber an diesem Morgen vor meinem Zelt mit ein paar gestern Nacht auf dem Rückweg aus der Stadt an einer Tankstelle gekauften Sandwiches frühstücke, fängt es plötzlich leicht an zu tröpfeln. Rasch baue ich das Zelt ab und packe, um möglichst alles einigermaßen trocken verstaut zu haben, bevor der Regen richtig losgeht. Es bleibt zunächst bei einem leichten Nieselregen, und ich beschließe, erst einmal bis Graudenz zu fahren und dann weiterzusehen. Also die von gestern Abend bereits bekannte Strecke ins Stadtzentrum. Ich mache einen kurzen Abstecher über die Weichselbrücke, um die Stadt einmal von der anderen Flußseite zu sehen. Für gelungene Fotos ist das Wetter allerdings heute zu trübe und regnerisch. Der Regen hat nicht nachgelassen, ist sogar stärker geworden. In der Altstadt kehre ich erstmal auf einen Kaffee ein. Draußen sitzen, so wie noch gestern Abend an gleicher Stelle, ist nicht mehr. Ich könnte ein Stück mit dem Zug fahren, entlang meiner Reiseroute verläuft eine Bahnlinie. Es würde sich anbieten, bis Kwidzyn (Marienwerder) oder gleich bis Malbork (Marienburg) die Bahn zu nehmen, dann könnte ich den Rest bis Danzig mit dem Rad schaffen (wenn es nicht morgen auch regnet). Schließlich habe ich nur noch diesen und den folgenden Tag, morgen Abend muß ich in Danzig sein, und übermorgen Vormittag geht es bereits mit dem Zug zurück nach Deutschland. Das Problem ist nur, daß zwischen Graudenz und Marienwerder schon wieder zwei kleine Orte liegen, die für die Geschichte meiner Vorfahren eine Rolle spielten und die ich mir unbedingt ansehen will, wenn ich schon einmal hier bin. Das geht nur mit dem Rad, also muß ich trotz Regens zumindest bis Marienwerder fahren. Also Regenschutzklamotten an und los. Die Straße von Graudenz Richtung Norden (Landesstraße 55) ist recht schmal, aber unangenehm verkehrsreich, auch mit viel LKW-Verkehr. Dazu der stärker werdende Nieselregen. Nicht schön zu fahren; wäre es mir nicht um die zwei an der Strecke liegenden Dörfer gegangen, wäre es tatsächlich gerade hier ideal gewesen, mit dem Zug abzukürzen. Die Regengamaschen sind unzureichend, so daß nach kurzer Zeit meine Schuhe und Socken durchnäßt sind, und der Regen wird wieder etwas stärker. In einem winzigen Ort, der nur aus ein paar Häusern an der Straße zu bestehen scheint, gibt es überraschend ein kleines Café, in dem ich erstmal Zuflucht vor dem Regen finde. Ich bin der einzige Gast, die Wirtin spricht nur polnisch, aber wir verständigen uns irgendwie. Ich habe ein schlechtes Gewissen, daß ich matschige Spuren auf ihrem frisch gereinigten Boden hinterlasse, aber sie versichert mir, daß das in Ordnung sei und wischt klaglos hinter mir her. Sie scheint Mitleid mit mir zu haben, zur Portion Pommes bekomme ich gratis ein paar Teilchen süßes Gebäck. Ich bleibe eine gute Stunde, die Hoffnung auf Wetterbesserung erfüllt sich nicht, und als ich schließlich, ungeachtet des teuren Daten-Roamings im Ausland, auf dem Smartphone die Wetteraussichten konsultiere, stellt sich zu meiner Enttäuschung heraus, daß das Wetter nicht nur heute, sondern auch noch morgen so bleibt. Also breche ich tapfer auf; es hilft ja nichts. Als ich schließlich Marienwerder gegen viertel nach sechs erreiche, bin ich seit Graudenz, mit den beiden Abstechern, 67 km durch den mal stärker, mal schwächer werdenden, aber nie ganz aufhörenden Regen geradelt. Ich bin aber zufrieden, unter anderem habe ich ein Forsthaus finden können, in dem Ende des 19. Jahrhunderts ein Vorfahr von mir als Königlich Preußischer Förster tätig war. Es wird auch heute noch von der Forstverwaltung genutzt. In Marienwerder habe ich vor der Abfahrt des Regionalzugs nach Malbork (Marienburg) noch ein wenig Zeit, mich umzusehen. Hauptsehenswürdigkeit ist die imposante Burg des Deutschritterordens am Weichselufer. Am Bahnhof gibt es weder Fahrkartenschalter noch Automaten. Gibt’s die Fahrkarten im Zug? Ich frage einen Passanten: „Bilet?“. Er verweist mich auf ein kleines Schreibwarengeschäft auf der anderen Straßenseite, wo die Bahnfahrkarten verkauft werden. Darauf muß man erstmal kommen… In der Bahnsteigunterführung steht aufgrund des Regens mehrere Zentimeter hoch Wasser. Eine Lautsprecherdurchsage, die ich mir von Mitwartenden erläutern lasse, kündigt eine einstündige Verspätung des Zuges an. Während der langen Wartezeit fange ich an zu frösteln, bin aber zu faul, mir trockne Klamotten anzuziehen. Endlich sitze ich im Zug Richtung Marienburg. In Marienburg abgekommen, ist es bereits viertel vor neun, ich finde schnell in Innenstadtnähe ein nettes, nicht allzu teures Hotel und sehe mir kurz die Stadt an. Essen gibt es um diese Uhrzeit leider nur noch bei McDonalds. Außer der berühmten und sehr sehenswerten Ordensburg, die ich morgen besichtigen werde, hat sie Stadt nichts zu bieten. Wie soll ich nun morgen den letzten Fahrtag gestalten? Ich hatte eigentlich vorgehabt, von hier aus weiter direkt nach Norden an die Küste zu fahren, in einem der Strandorte östlich von Danzig noch eine Nacht am Meer zu verbringen und dann Richtung Westen an der Küste entlang nach Danzig zu fahren. Dazu fehlt mir nun aber ein ganzer Tag, und wenn es tatsächlich auch morgen noch regnet… Und die Besichtigung der Marienburg wird auch einige Stunden in Anspruch nehmen… Es wird wohl darauf hinauslaufen, die restliche Strecke bis Danzig mit dem Zug zurückzulegen. Ich könnte dafür vielleicht abends noch von Danzig die Küste entlang bis Gdynia (Gdingen) radeln, dann wäre ich auch ein paar Kilometer am Meer unterwegs gewesen. Mal abwarten, wie morgen das Wetter wird. Fortsetzung folgt…
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Edited by Tom72 (10/12/13 03:51 PM) |
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#981566 - 10/13/13 12:12 AM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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9. Tag (13.07.2013), Gdynia (Gdingen)-Gdansk (Danzig) (Zugfahrt von Malbork (Marienburg) nach Danzig) Strecke: ca. 30 kmAm nächsten Morgen regnet es tatsächlich noch. Somit macht es heute nicht nur aus Zeitgründen, sondern auch wegen des Wetters wenig Sinn, noch eine lange Strecke zu fahren. Ich fasse daher folgenden Plan für den heutigen, letzten Tag: Ausführliche Besichtigung der Marienburg, Nachmittags Zugfahrt nach Danzig, dort Einquartierung im bereits von zu Hause aus gebuchten Hotel, abends mit dem Rad entlang der Küste bis Gdynia (Gdingen), um heute wenigstens noch ein bißchen zu fahren und wenigstens etwas von der Ostsee gesehen zu haben, und dann mit einem der hoffentlich auch spätabends in dichtem Takt verkehrenden Vorortzüge zurück nach Danzig. Ich frühstücke im Hotel, lasse mein Gepäck an der Rezeption und fahre erst einmal zum Bahnhof, um mich nach dem Fahrplan zu erkundigen. Der Zug um 16 Uhr paßt am besten in meinen Zeitplan. Dann fahre ich in die Stadt und über eine Fußgängerbrücke ans andere Weichselufer, um von hier aus die gewaltige Burganlage in der Gesamtansicht zu betrachten. Ich hatte mir eigentlich vorgestellt, diesen Anblick bei sonnigem Wetter genießen zu können, mit ausreichend verbleibender Zeit, um mit dem Rad weiterfahren zu können. Die Zeitplanung gerade für die letzten zwei oder drei Tage war zu optimistisch… Aber immerhin nehme ich mir nun die Zeit für eine ausführliche Besichtigung. Es bleibt während meines gesamten Aufenthalts in Marienburg regnerisch, auch, wenn der Regen zwischendurch immer mal wieder kurz aufhört. Zurück am anderen Ufer, reihe ich mich in die Warteschlange vor dem Kassenhäuschen ein. Es ist ziemlich viel los, immerhin ist die Marienburg wohl eine der wichtigsten Touristenattraktionen Polens. Im Eintrittspreis ist eine Führung enthalten, und die nächste deutschsprachige beginnt um 12 Uhr, in einer Viertelstunde. Sie soll bis zu drei Stunden dauern, das paßt also prima zu meinem geplanten Zug um 16 Uhr. Über dem Eingangstor ein Bildnis der Jungfrau Maria, der Schutzpatronin der Burg. Die Führung ist sehr interessant und hat, als ich kurz vor Schluß meine Gruppe verliere, tatsächlich fast drei Stunden gedauert. Der gewaltige Backsteinkomplex besteht aus unzähligen Einzelgebäuden, Türmen, Innenhöfen und Befestigungsanlagen. Erbaut als Hauptsitz des Deutschritterordens und einst Regierungszentrale des Deutschordensstaates, wurde sie im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört und wurde seitdem weitgehend wieder rekonstruiert; die Wiederaufbauarbeiten sind aber immer noch nicht abgeschlossen. Derzeit wird das Innere der Schloßkirche wiederhergestellt, was noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen soll. Was uns diese Kunstinstallation in einem der Burghöfe sagen will, weiß ich nicht. Bei der Belagerung durch ein polnisches Heer im Jahr 1410 soll versucht worden sein, diese schlanke Säule, auf der das gesamte Gewölbe dieses Saals ruht, wegzuschießen. Die Kanonenkugel findet sich eingemauert in der Wand über dem Kamin. Die Führung beinhaltet auch kurze Besichtigungen der zahlreichen Ausstellungen, die in den umfangreichen Räumlichkeiten gezeigt werden, unter anderem zu mittelalterlicher Waffentechnik, zu Bernsteinkunst und zur Baugeschichte der Burg. Die dreistündige Führung wird zu keinem Zeitpunkt langweilig, der junge Mann macht seine Sache gut und würzt seine Erläuterungen zu den zahlreichen Speise- und Schlafsälen, Küchen, Kapellen und Abortanlagen mit interessanten Anekdoten. Ich bin froh, mir für die Besichtigung ausreichend Zeit genommen zu haben. Gegen halb vier hole ich im Hotel mein Gepäck ab und fahre zum Bahnhof. Es sieht so aus, als würde das Wetter sich langsam bessern. Das Bahnhofsgebäude bezieht sich architektonisch auf die Backsteingotik der Marienburg. Im Zug um 16 Uhr sind die Fahrradplätze ausgebucht. Komisch, ich hatte gedacht, das sei ein Regionalzug ohne Fahrradreservierungspflicht. Der nächste Zug geht um kurz nach 17 Uhr. Nun wird es mit meinem Zeitplan ein wenig eng. Jetzt sehe ich aber auch, daß alle Züge über Danzig hinaus nach Gdynia (Gdingen) und teilweise noch weiter fahren. Also beschließe ich, gar nicht erst in Danzig auszusteigen und gleich bis Gdingen durchzufahren, um die Tour an der Küste entlang andersherum zu fahren, als ich es ursprünglich geplant hatte, von Gdingen zurück nach Danzig. Dann erspare ich mir auch am Schluß die Zugfahrt Gdingen-Danzig. Vom Zug aus hat man noch einen Blick auf die Marienburg. Als ich in Gdingen aussteige, ist das Wetter richtig sonnig geworden. Vom Bahnhof ist es nicht weit an die Küste, und schließlich stehe ich im Hafen von Gdingen endlich an der Ostsee, die ich nun leider nicht mit dem Fahrrad erreicht habe. Es ist nun schon 19 Uhr, und ich muß mich nun beeilen, da ich noch gut 30 km entlang der Küste der Trójmiasto, der „Dreistadt“, des Ballungsgebiets bestehend aus Danzig, Sopot und Gdingen, bis zu meinem vorgebuchten Hotel in Danzig radeln muß. Ich mache mir Sorgen, daß die Rezeption nicht lange genug geöffnet sein könnte oder daß gebuchte Zimmer ab einer bestimmten Uhrzeit anderweitig vergeben werden. Die Zeit, in Gdingen auf den ca. 50 Meter hohen Steinberg (Kamienna Góra), von dem aus mein Reiseführer eine herrliche Aussicht verspricht, zu fahren, habe ich daher auch nicht mehr. Bei nun herrlichem Sonnenwetter radle ich die Uferpromenade von Gdingen entlang und ärgere mich, daß ich nicht die Zeit habe, mich hier länger aufzuhalten. Ich bedauere sehr, nicht früher die Küste erreicht zu haben. Der Radweg an entlang der Uferpromenade verläuft fast durchgehend von Gdingen bis Danzig, nur kurz vor Sopot muß ich einige Kilometer auf einer verkehrsreichen innerstädtischen Straße fahren. Im vornehmen Badeort Sopot komme ich wieder an die Küste. Der Zutritt zur Mole kostet Eintritt, den ich zähneknirschend zahle, da ich dort nur ein paar Schritte gehen will. Ich fahre weiter die Uferpromenade entlang. Es dämmert nun langsam. Kurz, bevor es von der Küste weg in die Innenstadt von Danzig geht, ziehe ich die Schuhe aus und gehe barfuß ein wenig im Wasser auf und ab. Beim Blick nach Osten sieht man am Horizont die Kräne im Hafen von Danzig, beim Blick nach Westen die untergehende Sonne. Beim Blick auf die Uhr erschrecke ich, es ist bereits fast 21 Uhr. Das Stadtzentrum von Danzig ist mehrere Kilometer von der Küste entfernt, und obwohl ich mir vorhin an einer Tankstelle einen Stadtplan gekauft habe, verfahre ich mich mehrmals. Kurz vor 22 Uhr erreiche ich mein Hotel, meine Sorgen waren unbegründet und die Rezeption hat die ganze Nacht geöffnet; ich kann problemlos mein Zimmer beziehen. Um kurz vor 23 Uhr bin ich mit dem Rad in der Altstadt. Ich steuere direkt das touristische Zentrum am Krantor an, die Restaurants dort haben noch geöffnet, und ich kann den Tag mit einem leckeren Fischgericht ausklingen lassen. Da mein Zug morgen erst um kurz vor elf abfährt, werde ich morgen noch ein wenig Zeit haben, um mir die Stadt anzusehen. Von meinem Hotelzimmer aus sehe ich das Denkmal für die gefallenen Werftarbeiter. Ich ärgere mich ein wenig, daß ich von Marienwerder bis Danzig nur mit dem Zug gefahren bin und auch kaum Zeit an der Ostsee verbracht habe. Die Zeitplanung war, rückblickend betrachtet, wirklich zu knapp. Immerhin bin ich heute ein Stück an der Ostseeküste geradelt, wenn auch entgegen der Richtung meiner eigentlichen Reiseroute. Fortsetzung folgt…
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Edited by Tom72 (10/13/13 12:16 AM) |
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#981757 - 10/13/13 09:12 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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10. Tag (14.07.2013), Zugfahrt Gdansk (Danzig)-DresdenIch stehe zeitig auf, packe, lasse das im Übernachtungspreis inbegriffene Frühstück „verfallen“, um die verbleibende Zeit bis zur Abfahrt des Zuges für eine kurze Stadtbesichtigung zu nutzen und fahre durch das Hohe Tor in die Altstadt, die sogenannte Rechtstadt. Am Langen Markt (Dlugi Targ), der 500 Meter langen Hauptstraße der Altstadt, genieße ich mein Frühstück. Ich habe etwa anderthalb Stunden Zeit und beschränke meine kurze Besichtigung auf den Langen Markt mit dem Rechtstädtischen Rathaus, das Ufer der Motlawa (Mottlau), wo ich gestern zu Abend gegessen habe, mit dem Krantor, dem Wahrzeichen Danzigs und die Marienkirche. Eine Gruppe Radreisender Eine Gruppe fernöstlicher Reisender Der kurze Stadtbummel hat gereicht, um mir einen recht guten ersten Eindruck von der Altstadt zu verschaffen. Die Stadt lohnt aber sicher einen längeren Aufenthalt. Rechtzeitig um kurz vor elf bin ich am Hauptbahnhof (Gdansk Glowny). Zunächst geht es mit Regionalzügen mit Umsteigen in Bydgoczsz (Bromberg) bis Poznan (Posen), von dort habe ich einen reservierten Fahrradplatz im Berlin-Wahrschau-Express nach Berlin, und von dort geht es mit dem Intercity zurück nach Dresden. Dort werde ich erst um 22.54 Uhr ankommen. Die Abfahrt des ziemlich betagten Elektrotriebzugs verzögert sich wegen technischer Probleme. Die nette junge Dame mir gegenüber spricht Englisch und übersetzt mir die Lautsprecherdurchsagen: Wir können nicht abfahren, in ca. 50 Minuten wird ein anderer Zug kommen und uns bis zum nächsten größeren Ort, Tczew, schleppen, dort Umsteigen in einen anderen Zug nach Bromberg. Ich sehe meine Chance, heute noch nach Dresden zu kommen, schwinden, trotz der guten Stunde Umsteigezeit in Bromberg. Als ich schließlich anderthalb Stunden später und nur ca. 30 km weiter im Ersatzzug sitze, verfolge ich zwischen Hoffen und Bangen unser Vorwärtskommen auf meiner Karte. Kurz vor Bromberg sieht es so aus, als könnte ich den Anschlußzug nach Posen tatsächlich noch erreichen. Die Türen der Wagen lassen sich während der Fahrt von Hand einen Spalt öffnen, was ein Mitreisender, der nicht auf seine Zigarette verzichten kann, nutzt, um das Rauchverbot zu umgehen. Ich erreiche den Zug in Bromberg tatsächlich. Der Zug fährt auch durch Mogilno, wo ich vor einigen Tagen von Posen kommend ausgestiegen bin. Irgendwann steigt eine Gruppe polnischer Radreisender zu, und vor dem Aussteigen in Posen sehe ich, daß mein Fahrrad Teil eines großen Haufens aus Rädern und Gepäck geworden ist. Einer der Radreisenden schläft sogar friedlich inmitten des Rad- und Gepäckhaufens (man beachte das Gesicht in der Mitte des Bildes). Der Umstieg im mir ja bereits bekannten Posener Hauptbahnhof klappt problemlos, ich bin trotzdem froh, als mein Rad schließlich im Berlin-Warschau-Express hängt. Hier reist man natürlich komfortabler als in den drei Bummelzügen zuvor. Gegen zwanzig nach acht steige ich im Berliner Hauptbahnhof aus. Dank der geräumigen Aufzüge gelange ich problemlos ins Tiefgeschoß, wo der Intercity nach Dresden abfährt. Kurz vor 23 Uhr bin ich wieder in Dresden.
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#982186 - 10/15/13 02:07 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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Mir gefallen nicht nur Deine Tour, Deine Fotos und Dein Bericht, sondern auch Dein Fahrrad ausgesprochen gut. Und Du selbst siehst inzwischen auch viel besser und trainierter aus als zu Zeiten Deiner Andalusien-Fahrt. Abgesehen davon hast Du mir Polen als hoch interessantes europäisches Land und Rad-Reiseland sehr nahegebracht. Vielen herzlichen Dank dafür.
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Allen gute Fahrt und schöne Reise. |
Edited by kettenraucher (10/15/13 02:08 PM) |
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#983030 - 10/18/13 10:23 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: kettenraucher]
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Vielen Dank für diesen sehr ausführlich beschriebenen Bericht und die super Fotos !!!!! Allzeit gute Fahrt !!! Mona
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#1004361 - 01/10/14 10:16 PM
Re: Polen (Dresden-Danzig) Juli 2013
[Re: Tom72]
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Korrektur: Mir fällt gerade auf, daß ich am 9. Tag geschrieben habe, ich sei in Malbork (Marienburg) ans andere Weichselufer gefahren. Natürlich liegt die Marienburg nicht an der Weichsel, sondern an der Nogat.
Und wo ich schon am Korrigieren bin: Am 2. Tag habe ich geschrieben, daß Bier auf Polnisch "Pivo" heißt. Das ist allerdings die tschechische Form, auf Polnisch heißt es "Piwo".
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Edited by Tom72 (01/10/14 10:25 PM) |
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