Teil 2
Über die Rocky Mountains
Es geht also weiter mit der Übernachtung im Zelt hinter dem Trading Post in Swan Lake.
In den Abendstunden gab es das angekündigte Gewitter. Im Zelt habe ich davon nicht allzu viel mitbekommen. Die Nacht verlief dann ruhig.
Am nächsten Morgen beim obligatorischen Kaffeetrinken, zu dem sich die Bewohner der Cabins und auch einige Männer, die in Cabins in der näheren Umgebung untergebracht waren, im Trading Post trafen, wurde ich von einer Frau mit der Frage angesprochen, ob ich keine Angst gehabt hätte. Wieso Angst? Und wovor? fragte ich zurück. Vor dem großen Schwarzbär, der sich in den frühen Morgenstunden durch das Gelände hinter dem Trading Post herumgetrieben habe, auch um mein grünes Zelt herum. Ich sage, dass ich davon nichts mitbekommen habe, weder was gehört, noch etwas gesehen. Wahrscheinlich hat der Bär mich nicht weiter belästigt, weil mein grünes Außenzelt – für Bären – immer noch entsetzlich nach Chemikalien stank. Dieser Geruch muss den für Bären anziehenden Geruch nach Essenswertem überdeckt haben, denn meine Küchentasche mit den Essensvorräten hatte ich unvorsichtigerweise im Zelt untergebracht. Mich hatte auch niemand gewarnt und auf den möglichen nächtlichen Besuch von Bären hingewiesen, obwohl die Gespräche unter den Einheimischen im Trading Post sich oft um die starke Zunahme der Schwarzbärenpopulation in der Gegend drehten.
Das war also meine erste Begegnung mit einem Bären; leider - oder soll ich besser sagen: Gott sei Dank! - habe ich davon nichts mitbekommen.
Die Weiterfahrt am nächsten Morgen, also am 08.07. verlief unspektakulär mit dem Tagesziel Glacier Park. Das letzte Stück dahin auf dem stark frequentierten Hw 2 war etwas nervig. Am Nachmittag erreichte ich dann endlich West Glacier. Als ich mich im Ort nach einer Einkaufmöglichkeit umsah, sah ich auf der anderen Straßenseite drei Radler, zwei davon mit bepackten Reiserädern. Beim Überqueren der breiten Straße erkannte ich zwei Bekannte, mit denen ich zusammen auf dem Campground Noxon eine Woche zuvor übernachtet hatte: das nette Paar aus Neuseeland.
Sie erzählten mir, dass die Going-to-the-Sun-Straße noch nicht geöffnet sei, man sie aber bis einige Meilen vor dem Logan Pass mit dem Rad befahren könne. Und als Tipp gaben sie mir mit, den langen Anstieg bis zur Loop mit den dauernd hin und herpendelnden Shuttlebussen zu machen.
Ich fuhr dann in den Park, zahlte die 12 $ Eintritt und baute mein Zelt im Campground Apgar auf.
Am nächsten Morgen dann in aller Frühe zum Startort der Shuttlebusse; übrigens Mercedes Sprinter mit Dodge-Aufmachung. Pro Bus können bis zu zwei Räder mitgenommen werden, und zwar auf an der Fahrzeugfront angebrachten Trägern. Die Auffahrt von 1 ½ Stunden Dauer kostete nichts; dieser Service war mit den 12 $ Eintrittsgebühr schon abgegolten.
Unterwegs im Shuttlebus dachte ich immer wieder, „gut dass du da nicht ganz mit dem Rad rauf musst“; denn die Auffahrt zunächst entlang dem Lake McDonald, dann durch den dichten Wald war erheblich länger als ich sie mir nach dem Kartenstudium vorgestellt hatte. Die Steigung nahm dabei erst oberhalb des McDonald merklich zu, sollte ab da aber konstant 6 % betragen, wie ich in einer Broschüre zum Glacier NP lesen konnte.
An der Loop, der großen Spitzkehre, die ich lange für die Passhöhe gehalten hatte, wurden alle Passagiere ausgeladen; neben mir als einzigem Radler noch ein halbes Dutzend Fußgänger. Alle machten sich daran, gleich Fotos von der beeindruckenden Bergwelt zu machen. Ich setzte mich aufs Rad und begann, die restlichen Meilen zum Logan Pass in Angriff zu nehmen, soweit die Straße für Fußgänger und Radfahrer befahren werden konnte. Ohne das sonst immer mitgeschleppte Gepäck fielen mir die 6 % Steigung, recht leicht; und ich überlegte immer, wie ich da mit der gesamten Ausrüstung hochgekommen wäre. Immer wieder hielt ich an, um weitere Fotos zu machen; so wie es auch die anderen Passanten taten. Etwa 3 Meilen nach der Loop war Schluss. Man sah vor sich in Richtung Passhöhe die Baustelle. Man war offensichtlich dabei, die talseitigen Befestigungen zu erneuern, eine Arbeit, die wohl in jedem Sommer vor der Eröffnung zu erledigen ist, in diesem Jahr sollte es wohl besonders gründlich geschehen.
Auch am Ende der Auffahrt, wo sich mit der Zeit etliche Personen, zumeist Fußgänger, nur zwei Radfahrer, eingefunden hatten, wurden eifrig Fotos gemacht. Ein Damenclub von der Ostküste interessierte sich auffällig für meinen LHT. Für mich schon überraschend, dass sich offensichtlich gutsituierte Damen zwischen 50 und 60 nach Details meines Surly.Bikes erkundigten. Eine der Damen erbot sich dann auch, Fotos von mir samt Rad zu machen.
Die Abfahrt machte ich dann natürlich ganz mit dem Rad. Wieder war ich überrascht, wie lang sie sich hinzog. Ich konnte sogar im unteren Teil die Sperrzeit für Radler (11 a.m. - 4 p.m.) nicht einhalten. Um 11.30 Uhr war ich immer noch in diesem Streckenbereich unterwegs. Aber ganz so eng sieht man das wohl nicht, denn aus dem Fahrzeug der Park Ranger wurde mir vom Beifahrer mehrmals fröhlich zugewunken.
Unten auf dem Campground in Apgar wieder eingetroffen, war zu entscheiden, was zu tun sei. Da es noch früh am Tag war, entschied ich mich zu sofortigem Aufbruch, so wie es auch die Neuseeländer tags zuvor gemacht hatten. Also zurück nach West Glacier und dann auf dem Hw 2 zum südlicher gelegenen und nicht so hohen Passübergang, Marias Pass. Für diesen Übergang über die Rockies hatten sich früher die Eisenbahnbauer entschieden. Die Straße, also Hw 2, folgt dieser Route. Ganz bis zum Pass schaffte ich es an diesem Tag nicht mehr, sondern machte etwa auf halber Strecke dahin Station, in Stanton, einer Kombination aus Restaurant und C-Platz. Frequentiert hauptsächlich von Anglern, die im nahe gelegenen See ihr Glück versuchten.
Nach sehr kalter Nacht ging es bei sehr frischen Temperaturen weiter. Gegen 12 Uhr war ich auf der Passhöhe; die Auffahrt war in der Tat nicht schwer. Oben kurzer Stopp mit Studium der Info-Tafeln zur Geschichte des Bahn- und Straßenbaus über die Rocky Mountains und der kontinentalen Wasserscheide.
Dann die schöne und lange Abfahrt. Wie beim Aufstieg von Westen war auch der Abstieg nach Osten recht gemächlich; man konnte das Rad einfach laufen lassen ohne bremsen zu müssen; die Eisenbahn musste den Übergang ja auch bewältigen können. Dass jene damit genug zu tun hatte, konnte man daran sehen, dass die langen Güterzüge nicht nur vorn die üblichen drei Dieselloks hatten, sondern auch hinten noch zwei. Manche sogar eine weitere Lok in der Mitte. Die Loks haben übrigens die Aufschrift BNSF, was bedeutet: Burlington Northern Santa Fe. Vor einiger Zeit ist offensichtlich eine Fusion der Burlington Northern mit der Santa Fe erfolgt. Einige Loks und vor allem Waggons tragen auch noch die alten Bezeichnungen, also nur BN oder Santa Fe.
Zu Ende ging die Abfahrt in East Glacier, wo ich kurzen Nachmittagshalt machte, dann aber noch ein Stück hinaus in die Prairie fuhr, und zwar bis Cut Bank. Auf dem Weg dahin hatte ich dann meine ersten Reifenpannen, zuerst hinten, dann schon in Sichtweite des Tagesziels auch noch vorne.
Davon ziemlich genervt, stieg ich in Cut Bank im erstbesten Motel ab, einem der Kette Super 8.