Vermutlich muss ich dieses aus dem letzten Jahr als mein skurrilstes Erlebnis berichten - aus meinem bereits im Forum stehenden Bericht "Vuelta Verde" - Es war in den Pyrenäen, unweit des Col de Burdincurutcheta (St. Jean Pied-de-Port - Larrau), bei einem kleinen Bergsee:
Ich selbst dachte eigentlich, locker über Larrau hinauszukommen. Doch bei dem Regen wäre ich froh, es bis dorthin zu schaffen. Ca. 300 Hm zum Pass. Dann aber noch eine Abfahrt, das Schwierigste bei solchem Wetter. Es regnet nunmehr noch stärker. Es wäre mörderisch den Berg hinaufzufahren, vom Runterfahren erst gar nicht zu reden. Als ich beim Bistro (wo ich eine Tee getrunken hatte) außen unterstehe, fährt die Wirtin weg, geschlossen. Die Luft mittlerweile bedenklich kalt. Ein breiter, großer Mann strebt vom See her auf mich zu. Dünn bekleidet, offene Sandalen, ziemlich lumpig, mit Zigarette, wandelt er ruhigen Schrittes durch die kalte und stark windige Luft, durch den peitschenden Regen. Geradezu gemütlich. Hat der Mann keine Nerven? – Er frägt mich, ob das Bistro offen ist, sieht ja eigentlich, dass zu ist. „Nein, es ist geschlossen, war aber auf bis vor einer Stunde“, bemerke ich in meinem dürftigen Französisch. Er wiederholt das noch zweimal, nuschelt etwas in den Bart, geht wieder zurück, ebenso unbenommen und ruhig wie zuvor.
Das Schicksal nimmt weiter seinen Lauf. Muss ich etwa hier auf 30 cm trockenen Betonrand übernachten? – In nasskalter Einöde? – Ohnehin schon geschwächt und kränkelnd? – Nach schlappen 25 km Tagesleistung? – Nebenan ist noch ein Bauernhof, eine Frau und ein Mann fahren weg. Sie sagt mir, wenig weiter am See vorbei sei ein unbewohntes Haus, wo man übernachten kann, eine Art Berghütte. Da es auf Tagesende zugeht, die Weiterfahrt ausgeschlossen, raffe ich mich auf. Der Wind fegt böig über die Weiden, treibt einem das Wasser ins Gesicht. Ich merke, die Nacht wird sehr kalt. Hinter dem Hügel sind gleich mehrere Häuser. An einem steht Restaurant. Scheint offen zu sein. Es ist wohl nicht das gesuchte Übernachtungshaus. Trozdem, Essen wäre ja nicht schlecht... Tatsächlich bekommt man einfache Menüs, ... Mittlerweile ist ein einzelner Ire eingetroffen, mit dem ich mich etwas unterhalte. Er wandert in den Bergen, kein Pilger, sucht eher anspruchsvolle Wanderrouten. Er hat sich bereits in besagten Übernachtungshaus einquartiert, ist nur zum Essen rübergekommen. Der Ire ist schnell wieder weg, ich bedeute ihm ein Wiedersehen in der Hütte. Ich bekomme von der Wirtin noch ein Handtuch ausgeliehen, kann ein wenig Socken und Schuhe antrocken, der offen heizt als wäre Winter. Trotzdem habe ich ständig Schüttelfrost.
Gesättigt springe nach draußen, es ist nahezu dunkel, Stühle sind bereits vom Wind umgerissen, mein Rad steht noch. Schnell bin ich an besagtem Haus – eigentlich keine Hütte. Vorne gar eine ordentliche Toilette und Dusche – für 50 Cent sogar Warmdusche (ein 50-Cent-Stück liegt sogar noch neben dem Geldkasten)... Nebenan dann die Stahltür, ich rüttele daran, scheint zu. Dann öffnet der Mann mit Sandalen von zuvor – ein Stein lag vor Tür, weil der Wind sie sonst aufschlagen würde. Der Mann will mich erst nicht reinlassen. Frägt mich, was ich hier wolle. Dann lässt er mich doch rein. Vorne ist Schotter, ein großer Tisch, nach hinten zwei längsartige Raumteile mit Holzbohlen. Also eine Art Massenlager für Wanderer.
Der Ire ist unsichtbar bereits im hintersten Teil am Schlafen. Der Franzose hat seinen Proviant auf dem Tisch und weit umher ausgebreitet, lauter Tüten. Es ist klar: Er ist ein Penner, betrachtet den Raum als sein Revier. Nur mürrisch duldet er Wanderern hier zu übernachten, für die die Hütte gedacht ist. Er trinkt aus einem 5-Liter-Kanister Wein, raucht. Zunächst versuchen wir uns in einer freundlichen Unterhaltung – mit meinem Französisch nur schwer möglich. Zum Duschen ist mir mittlerweile gar nicht mehr zumute, möchte nur noch schlafen. Lege mich mit Matte und Schlafsack hin, es ist fast dunkel, nur ein kleines Teelicht brennt noch auf dem Tisch. Der Franzose aber macht keine Anstalten zur Ruhe zu kommen. Er trinkt und redet mit sich selbst… und redet … redet … und trinkt … und spielt am Feuerzeug … und raucht … und redet … und trinkt … und SCHREIT! – Sagt, ich solle den Raum verlassen. – Mir fehlt der Wortschatz, um geeignet zu antworten. Er wird wieder ruhig. Draußen stürmt es, die Tür wackelt ein wenig, einmal fürs Klo hinaus: es ist saukalt, nahe Null Grad. Er trinkt wieder. Redet wieder mit sich selbst. Der Ire macht ein paar kernige Bemerkungen in Englisch, er solle sich hinlegen und schlafen. Er kann noch weniger französisch. Es bewirkt nichts. Und so geht das die GANZE Nacht! Er wiederholt sich, sitzt bis zum Morgen auf dem Tisch und redet und redet, trinkt und trinkt, raucht. Dann schreit er wieder aus heiterem Himmel usw. usw. – Was für eine Nacht!
Es war wie eine Nacht in der Hölle - ich wollte morgens nur noch Eines: weg!