6. Tag: Gereizt
Rio Cabonico – Nationalpark Alexander von Humboldt (110 km)
Donnerstag, 09. November (sonnig/bewölkt)
Bei Sonnenaufgang wachte ich auf und packte meine Sachen zusammen. So kam es, dass ich schon um 6.30 Uhr auf dem Rad saß. Die ersten fünf Kilometer waren recht heftig. In dem hügeligen Gelände ging es gleich mal 100 Höhenmeter bergauf. Wenn das so weitergeht, hätte ich nach 100 Kilometer ca. 2000 Höhenmeter auf dem Buckel. Aber nach den ersten fünf Kilometer legte sich dies und die nächsten 20 Kilometer lief es richtig gut. Dann brach ich ein. Was ist denn in diesem Land los? Meine vermeintliche Rettung hieß Sagua de Tánamo. In diesem Ort sollte es laut dem „Lonely Planet Cycling Cuba“ Geschäfte geben. Ich hoffte, hier etwas zum Frühstücken zu finden. Ich fand einen Obststand und deckte mich mit Bananen ein. Allerdings gab es auch nichts anderes als Bananen oder Yuca. Auf Rückfrage sagte man mir, dass es in diesem Ort nichts zum Essen gäbe. Am Ortsausgang entdeckte ich doch noch einen Laden und stärkte mich mit belegten Brötchen, die überhaupt nicht schmeckten. Also nahm ich die 35 Kilometer nach Moa mit fast leerem Magen in Angriff.
Es ging immer noch hoch und runter, aber lange nicht mehr so extrem, wie am Anfang. Direkt am Ortseingang von Moa gab es eine Tankstelle. Jetzt war ich gespannt, was der Tipp wert war, den ich in Varadero erhielt, dass man am Besten in Tankstellen einkauft. Hier entdeckte ich das bisher umfangreichste Warenangebot. Es gab sogar Bocadillos, die in der Mikrowelle erwärmt wurden. Davon gönnte ich mir gleich mal eins. Außerdem deckte ich mich mit Rum und Cola ein. Cola ist für mich der Zaubertrank aus Asterix und Obelix. Durch die vielen Kalorien ist das der beste Energiedrink, der zusätzlich gegen Magenverstimmungen hilft. Am Liebsten trinke ich sie brühwarm ohne Kohlensäure. Für viele ist das höchstwahrscheinlich ziemlich ekelig. Aber so decke ich den Großteil meines Flüssigkeitsbedarfes. Wasser dagegen schmeckt mir nur kühl. Wenn ich nur warmes Wasser dabei habe dehydriere ich. In Zimbabwe habe ich nach drei Tagen ohne Cola festgestellt, dass ich abhängig von dieser Limonade bin. Für mich ist es schlimm keine dabei zu haben. Coca Cola bekommt man aufgrund des Embargos recht selten. Die lokale Tukola schmeckt aber sehr ähnlich. Um im Notfall kochen zu können, brauchte ich noch Benzin. An der Zapfsäule schenkte mir ein Kubaner den Sprit, nachdem ich ihm erklärte, wozu ein Radfahrer Benzin benötigt. Sprit kriegt man umsonst, Luft muss man bezahlen, ein komisches Land. Für mich war dies die beste Tankstelle in Kuba.
Die Wolken gewannen nun die Oberhand über die Sonne, was mir ausnahmsweise sehr recht war. Auf der Umgehungsstraße umfuhr ich das Zentrum von Moa und kam am Hafen vorbei. Hier sieht und spürt man den Fortschritt des Sozialismus. Die Abgase eines Chemiewerks brannten in der Lunge, so dass man nicht frei atmen konnte. Als ich dieses hinter mir ließ, kam die riesige Nickelfabrik in Sicht. Diese wäre ein schönes Fotomotiv gewesen, aber an die Schilder „Fotografieren verboten“ sollte man sich halten. Am Straßenrand häuften sich die „tollen“ sozialistischen Parolen, dem Pendant zur der westlichen Werbung. Nach 15 Kilometer ließ ich das letzte Kraftwerk hinter mir und die Landschaft wurde idyllisch. Aber idyllische Landschaften erkauft man sich meist mit den entsprechenden Höhenmetern. Jetzt gab es schöne, unbewohnte Flusstäler zu queren. Der Lonely Planet Cycling Guide weist jede bedeutende Steigung aus, aber auf diesem Teilstück wurden die zwei steilsten Steigungen einfach unterschlagen. Das kostete natürlich Zeit und nachdem ich zwei dieser schönen Flusstäler passierte, reifte der Gedanke, am nächsten zu campieren. Frischwasser ist ausreichend vorhanden und an der nahen Flussmündung kann man im Meer schwimmen. Allerdings war das nächste Flusstal besiedelt und zum Nationalpark waren es nur noch drei Kilometer.
Da man dort eventuell campen könnte, steuerte ich das Besucherzentrum an. Es wurde gerade dunkel und einige Kubaner zeigten mir, wo genau das Besucherzentrum war, denn die Schilder konnte man schon nicht mehr lesen. Ich fragte den Wärter, ob dies das Besucherzentrum sei. Erst verneinte er und sagte, dies sei kein Fahrradzentrum. Also, so schlecht ist mein Spanisch wirklich nicht. Als die Kubaner näher kamen, fragte ich diese nochmals nach dem Besucherzentrum. Sie schauten mich komisch an, da ich mich ja schon mit dem Wärter unterhielt. Ich fragte, ob ich im Besucherzentrum campen könnte. Das wäre nicht möglich, ich solle nach Baracoa fahren und mir entsprechende Papiere besorgen. Das war der Zeitpunkt an dem meine Nerven endgültig blank lagen. Halbwegs höflich erkundigte ich mich nach dem Direktor. Der wäre nicht da und wohne irgendwo drei Kilometer entfernt. Und ohne Papiere oder Zustimmung des Direktors käme ich hier nicht rein. Ich hatte noch nie so etwas Unflexibles erlebt. Gegenüber dem Eingang gab es ein kleines Stück Wiese. Dort baute ich das Zelt auf. Im Dunkeln hatte ich Probleme die neue Isomatte hart aufzupumpen. Unzählige Male rutschte mir der Pumpsack vom Ventil und die Luft entwich. Obwohl der Wärter daran nun wirklich keine Schuld hatte, warf ich ihm deutschen Flüche an den Kopf. Irgendwie war ich so richtig angefressen, was vielleicht auch daran lag, dass mir seit Moa die Zigaretten ausgegangen sind. Nach 45 Minuten war dann genug Luft in der Isomatte. Im Dunkeln hatte ich keine große Lust, mir etwas zum Essen zu machen. Nach den 110 Kilometer, von denen ich 80 auf dem Zahnfleisch fuhr, war körperlich total am Ende.