Ich habe eine schlechte und zwei gute Nachrichten. Wir sind inzwischen in Arcachon angekommen. In der ersten Nacht hatte Yves einen Herzinfarkt. Morgens um halb drei fing es an. Um halb vier war klar, dass es etwas ernstes war. Er schleppte sich mit mir zum verwaisten Empfang des Campings, auf dem es keinen Handyempfang gibt, denn er liegt direkt hinter der Düne von Pyla.
Auf jeden Fall gibts da eine Telefonkabine - Notrufnummern sind kostenlos. Ich rufe also die Pompiers (Feuerwehr). Die kommen 15 Min. später und nehmen uns mit, obwohl es Yves wieder besser geht. Die Untersuchungen in der Notaufnahme gehen recht schnell, um 07h steht fest, dass im Blut etwas gefunden wurde, was da nicht hingehört. Sie behalten Yves, er kommt auf die Intensivabteilung der Herzstation. Es ist Sonntag - Muttertag in Frankreich.

Am Sonntagabend verschlechtert sich Yves Zustand. Er bekommt mehr Blutverdünnung und weitere Medikamente. Er selber fühlt sich aber gut. Trotzdem darf er nicht aufstehen, auch nicht für Pipi, grosses Geschäft oder um sich zu waschen. Er wird mit Samthandschuhen angefasst. Ich sterbe fasst vor Angst. Keine Ahnung, was jetzt wird. Ich habe nur das Fahrrad, die Klinik ist 10 km vom Camping weg. Für den Montag ist eine Verlegung in eine Spezialklinik in Bordeaux vorgesehen.

Ich erzähle auf dem CP, was passiert ist und werde von einer Welle des Mitgefühls, guten Ratschlägen und konkreten Hilfsangeboten überrollt. Ich miete ein Mobilhome (Spezialtarif) mit TV, das Zelt darf ich stehen lassen, bis es trocken ist, denn es regnet. Yves Fahrrad darf ich in der Garage des CP-Chefs einschliessen. Für Gespräche ins Festnetz von Frankreich darf ich das Tel. am Empfang kostenlos benutzen. Man versorgt mich mit Kartenmaterial und erklärt mir die kürzesten Wege zur Klinik, Einkaufen und Internet-Café. Einige haben ähnliche Notfälle in der Familie gehabt und wissen, was jetzt wichtig ist. Sie beruhigen mich. Angenommen, dass es hat passieren müssen, ist es genau am richtigen Ort passiert, denn in Bordeaux befindet sich die wohl beste Klinik für diese Fälle, aus dem ganzen Land kommen die Patienten hierher.

Montag: Yves geht es eigentlich sehr gut, wir haben aber noch immer keine Ahnung, was los ist. Am Nachmittag plötzlich grosse Hektik. Mir rutscht das Herz in die Hose: Yves wird per Helikopter abgeholt und in die renomierteste Klinik transportiert. Ich darf bei den Vorbereitungen und dem Verladen dabei sein. Dann schickt man mich weg. Ich stelle mich an die Hausmauer der Notaufnahme und beobachte den Start des Europorters. Nicht besonders gross, aber in dem Moment furchteinflössend, sehr laut. Sie entführen meinen Mann, nehmen ihn mir einfach weg. Er hat Angst. Er wollte es nicht zeigen, aber ich kenne jede Regung in seinem Gesicht, er ist schliesslich mein Mann. Es macht mir Angst, dass er Angst hat. Der Vogel hebt ab. Je höher er steigt, desto tiefer falle ich. Die Angst ist eiskalt und erschlägt mich. Ich beginne hemmungslos zu weinen. Heute ist Yves Geburtstag.
So banal es klingt, ich fahre einkaufen, kaufe mir ein Handy, denn unser gemeinsames Telefon hat Yves.
Ich muss mir jetzt überlegen, wie ich die Fahrräder und das Gepäck nach Hause bringe. Die Reise, auf die wir uns mehr als ein halbes Jahr vorbereitet hatten und die eben erst vor 10 Tagen begonnen hatte, ist zu Ende.

Dienstag: Am späten Vormittag kommt Yves in den Scanner, am späten Nachmittag wird er operiert. In einer Arterie wird eine Feder eingesetzt, die die Arterie offen hält. Zwei andere Arterien werden mit einem Ballon geweitet. Er hatte keinen Herzinfarkt, der Herzmuskel ist nicht beschädigt. In der CH nennt man das eine Streifung, wie das auf deutsch heisst, weiss ich nicht. Es geht ihm gut. Ich informiere die Familien, hänge stundenlang an der Strippe.

Heute die gute Nachricht: Yves wird wieder zurückverlegt in die Klinik hier in der Nähe, aber erst morgen. Da muss er noch einige Tage bleiben. Dann noch eine Woche oder so Erholung. Und jetzt die gute Nachricht: Es sieht so aus, als könnten wir unsere Reise fortsetzen, nicht zuletzt deshalb, weil Yves sonst sehr fit ist. Während einem Jahr muss er jetzt ein Medikament nehmen, damit diese Feder nicht abgestossen wird. Und für den Rest seines Lebens muss er Medikamente nehmen. Passiert ist das alles, weil er 30 Jahre rauchte, einen zu hohen Cholesterinspiegel hat und weil in seiner Familie eine hohe Veranlagung besteht - jedes Mitglied hat Herzprobleme.

Ich wollte euch das einfach wissen lassen. Die HP werde ich jetzt auch noch updaten und wenn es wirklich weiter gehen kann, melde ich das natürlich auch.

Lieber Gruss
Filou