In Radfahrländern würde ich es aber nur bekannten gestatten, schon gar nicht von fremden Radfahrern. Die sollten wissen, wie sich ein Rad fährt.
Sicherlich nicht. Wie sich ein Reiserad fährt mit dem Gepäck, habe ich lange Zeit - bis zum 37. (!) Lebensjahr aufgeschoben - ich hatte immer Angst davor, dass das nicht gut beherrschbar ist, dass man das Gewicht nicht ins Rollen bringen kann usw. Geradelt bin ich aber schon zu Schulzeiten und auch danach mit Rennrädern (auch Tagestouren über 100 km). Radlerfahrung hatte ich also einige, Reiserad war trotzdem eine Unbekannte. Auf einer Radtour habe ich das Rad mal mit einem anderen Reiseradler getauscht, der hatte ein Carbon-Rad, 7 Kilo mit Minirucksack hinter dem Sattel. Der wollte auch wissen, wie sich mein Rad mit vier Packtaschen fährt und hat es dann recht schnell freiwillig wieder in meine Hände zurückgegeben (etwa sinngemmäß mit den Worten "ein völlig anderes Fahrgefühl, viel zu schwer").

Allerdings war hier die Situation weit vertrauter - ich war bereits einen Tag mit ihm geradelt und war sogar die Nacht mit ihm im selben Hotelzimmer. Die Situation also nicht zu vergleichen mit der vom TE - Flucht auch ausgeschlossen, da ich auf seinem Rennrad schneller gewesen wäre. Ansonsten wurde ich noch nie nach einer Fahrprobe gefragt, häufiger aber nach dem Gewicht bzw. das Rad mal anheben zu dürfen. Bei Reiseradlern ist das eine beliebte Fitnessübung - bei dem Rad durfte auch jeder mal ran (ohne Ausweiskontrolle!), der freiwillig wollte - Fluchtgefahr rein radspezifisch aber sehr gering, wenn man auch neidische Blicke im Hintergrund erkennt:
Diese Situation ließe sich für schlitzohrige Diebe oder Räuber dennoch ausnutzen. Meistens kommt der eigene Reinfall aber anders und zweitens als man denkt. Radklauversuch hatte ich mal in einem Riviera-Nobelvorort bei Genua, hatte ich hier schon öfter beschrieben. Das Rad stand dabei nicht abgeschlossen vor Supermarkt, Täter Einzelgänger, minderjährig, schwächlich und auch eher dumm - also ungeeignet zum schnellen Diebstahl. Man denke auch an Situationen, wo man das Rad zur Sicherheit jemand in legere Obhut gibt (z.B. an Kassenhäuschen "Bitte werfen Sie hin und wieder mal einen Blick auf das Rad..." usw.) Könnte auch mal jemand ausnutzen. Je nachdem ist auch Hotelpersonal nicht immer astrein, evtl. sogar der Gastgeber. Auf Radreisen in meinem Wirkungskreis eher selten die Frage (Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit hatte ich mal bei einem Gastgeber in Cetinje, Montenegro), im klassischen Hotelurlaub vergangener Kindheitstage durchaus ein Thema. Ich kenne sogar noch das Problem von Diebstahl von länger dienenden Hausangestellten - wie sich zeigte, meistens aber auch eher ein Hirngespinst (falsche Verdächtigungen, Klischees usw.).
Nationalität kann durchaus eine Rolle spielen, weil traditioneller Respekt vor dem Radfahrer über Immigranten nicht unbedingt übernommen wird. Der traditionelle Respekt gegenüber dem Heiligtum "Rennrad" fiel in Italien vor etlichen Jahren, als erstmals Rennräder beim Giro aus einem Rennstall geklaut wurden. Dieser Verfall einer spezifischen "Ethik" hat wiederum mit dem Aufweichen tradtioneller Sozialstrukturen und Werte zu tun (manchmal auch nur indirekt von außen reingetragen). Im obigen Fall bei Genua war es auch ein Balkanstämmiger.
Ich habe aber auch schon einen Albaner in Italien kennengelernt, der um seine Ware (Obst/Gemüse) selbst besorgt war, als ich selbst nachts um den Stand schlich (auf der Suche nach Wildcampingplatz). Typisch für diesen Typus war eher das Gegenteil: Möglichst nicht auffallen bei der Polizei, weil illegal, aber geduldet im Land. Diebstahl könnte er gar nicht melden. Evtl. kann also der Immigrant auch "sicherer" sein als der Ureinwohner, der alle Finten, Fluchtwege, Helfer und Sicherheitslücken der Exekutive kennt.) Hängt also davon ab, ob jemand was zu verlieren hat oder eher nicht. Für den aktuellen Fall vom TE hilft das aber nicht weiter. Spanier in Italien als Krimineller ist ohnehin schon recht "spanisch" und sehr speziell (könnte ich weiter ausführen, lasse ich aber).
Ich gehe davon aus, dass ich das Rad wie der TE nach soviel Vorlauf auch aus der Hand gegegeben hätte, halte es aber für unwahrscheinlich, dass ich auf den Exkurs insgesamt eingegangen wäre. Im Gegensatz zum Otto-Normal-Menschen, der das Rad nicht beherrschen könnte, hätte ich ja bei einem trainierten Rennradler weniger Misstrauen in seine Fähigkeiten gehabt. Anders sieht es bei Einladungen etwa zum Übernachten aus. Im Zweifel kann man da auch auf die Nase fallen. Theoretisch ist da viel denkbar, aber ich würde auch eher weiter einem gesunden Grundvertrauen "vertrauen". Wenn das komplett wegfällt und das Misstrauen bei allen Begegnungen im Kopf wabert, wird die Welt erst recht unsicherer. Vertrauen lebt immer auch vom Vertrauensvorschuss - irgendjemand muss damit anfangen. Ich bin auch noch in Läden und Hotels gewesen, wo alle Kassen offen und frei zugänglich waren, aber die Türen alle offen. Das sind Orte, wo ich mich besonders sicher fühle.