VorspielNachdem ich vier Tage auf einer Tagung in Füssen arbeiten musste, waren noch vier Tage für mich frei. Also was lag da näher, als ein Kurztripp in meine Heimat.
Der Start sollte in Hirschhorn am Neckar sein. Die Bahnfahrt verlief ruhig bis zum Erreichen des Stuttgarter Bahnhofs. Schon während der Wartezeit vielen die vielen Trachten und Lederhosen auf, die eng verschnürt einige der Träger aufrecht hielten. Sonst hätte wahrscheinlich der Alkoholgehalt der Passanten selbige in die Knie gezwungen. Die mal mehr und mal weniger fröhlichen Besucher des Cannstadter Wasens, belebten dann auch den Regionalzug der mich nach Hirschhorn bringen sollte.
Tracht zu tragen scheint gerade wieder voll hipp zu sein, auch wenn sich die Traditionsverbundenheit sonst in Grenzen hält. Adidas Schuhe kombiniert mit Lederhosen und H&M Handtasche ist eine Herausforderung für die Augen, der man durch wegschauen entfliehen kann. Anders ist dies bei der Musik, die aus dem Gettoblaster den gesamten Zug beschallt. Mit jeder Station leert sich der Zug ein wenig und es wird ein bisschen ruhiger. Dann bin auch ich dran mit Aussteigen. Das Fahrradnavi hat wohl vom Alkoholdunst im Zug auch einen sitzen. Ohne mit der Wipper zu zucken, lotst es mich entgegen die Einbahnstraße hinunter zum Neckar.
Das Hotel für die erste Nacht liegt direkt in der historischen Altstadt, die sich hinter hohen Mauern, vor den Hochwassern des Flusses zu ihren Füßen schützt. Das Fahrrad darf sicher im Keller des alten Fachwerkhauses übernachten, während mein Zimmer sich ganz oben unter dem Dach befindet. Auf dem Weg nach oben fühlt es sich an, als hätte auch ich auf dem Cannstatter Wasen ein wenig zu tief ins Glas geschaut. Doch das ist nur der etwas schiefe Boden im Treppenhaus. Ebenso wie die meisten Menschen mit zunehmendem Alter auch nicht mehr ganz gerade stehen können, ist es auch bei diesem alten Fachwerkgemäuer. Die Zeit hat das Rückgrat des Hauses leicht gekrümmt.
Mein Zimmer ist klein aber nett eingerichtet und für eine Nacht fehlt es hier mir oben an nichts. Bevor ich aber die Füße auf dem kuscheligen Bett lang strecke, steht ein kleiner Spaziergang durch die Altstadtgassen bei Nacht an. Zwischen den alten Mauern zweigen schmale Wege mit Treppen ab und lassen immer genau soweit blicken, dass die Neugierde angeregt ist, diesen Wegen mal zu folgen. Nachdem genug Treppen hoch und runter gelaufen sind und auch die Dächer Hirschhorns gebührend bewundert wurden, wird es Zeit der Müdigkeit nachzugeben und mein Zimmer aufgesucht.
 
1. Tag: von Hirschhorn nach ErbachNach einer ruhigen Nacht, lasse ich das Hotel nach dem Frühstück wieder hinter mir. Bevor ich nun Hirschhorn verlasse, fülle ich meine Taschen im Supermarkt noch mit Reiseproviant. Bananen, Kekse und Schokolade dürfen gerade in den Bergen nicht fehlen - woanders eigentlich auch nicht.
Eigentlich könnte man bis nach Erbach einfachen den Schildern des Radfernwegs R4 folgen. Aber wer will das schon. Die meisten Seitenstraßen des Odenwalds sind wenig von KFZ befahren und führen durch eine abwechslungsreiche Landschaft. So folge ich der L 3105 durch das Tal des Ulfenbachs. In der Regel sind die Täler des Odenwaldes in Nord- Südrichtung ausgerichtet und die Straßen folgen dem Lauf kleiner Bäche. Dadurch fallen die Steigungen über viele Kilometer recht moderat aus. Bis auf das letzte Stück. Dann muss man sich in die Höhe kurbeln und das oft nicht zu knapp. Mit einigen Seitenwegen sind so schnell 1.000 Höhenmeter gesammelt. Hört sich wild an, ist aber machbar.
Gerade mal 25 Häuser stehen in Korsika. Ein kleiner Weiler kurz unterhalb von Unter-Schönmattenwag. Wo es ein Unter gibt, gibt es auch ein Ober-… Schönmattenwag. Und nach den Schönmattenwags, versuche ich mich in der Querung von West nach Ost.
Der Berg steigt, Rad und Fahrer stemmen sich dem Berg hinauf und das Gepäck zieht in die Gegenrichtung. Dafür fahren jetzt so gut wie keine Autos mehr auf diesem Sträßchen. Nur ein einziger, klappriger Fiesta überholt mich, der dem Schlamm nach zu urteilen, als landwirtschaftliches Nutzfahrzeug missbraucht wird, sonst ist es hier absolut still. Die Katze am Wegesrand interessiert sich für ihre Mäuse und hin und wieder pfeift mir ein Vogel hinterher.
Nach dem Berg kommt als Belohnung die Abfahrt. Wieso eigentlich gibt es auch hier eine Abfahrt? Das Rad rauscht die Straße runter, der Wind zauselt an der Windjacke und in den Haaren und das Gehirn registriert jeden Höhenmeter den es hinunter geht. Gleichzeit rechnet es die Höhenmeter aus, die ich nach Beerfelden wieder hinauf fahren muss. Bei der Planung hatte ich schlicht übersehen, dass noch ein weiteres Tal auf dem Weg nach Beerfelden auf die Radlerbeine wartet.
Und dann auch das noch. Links zweigt der Durst- und Hunger-Weg ab. Wer glaubt ich würde mich jetzt da hinunter stürzen, der hat sich getäuscht. Von beidem was der Weg verspricht, habe ich auch so genug. Weil ich aber sowieso anhalte um ein Foto zu machen, werden bei der Gelegenheit auch ein paar Kekse verdrückt. Bis nach Beerfelden hoch, sind es noch ein paar Höhenmeter.
Am Marktplatz in Beerfelden finde ich eine kleine Bäckerei mit Kaffeeausschank. Die Chefin bedient selbst und es ist überhaupt kein Problem, so kurz vor der Mittagspause auch noch einen frischen Kaffee zu machen. Ein weiterer Kunde betritt den kleinen Raum. Bestellt dies und das und fängt an zu erzählen. Obwohl ich die meiste Zeit meines Lebens in dieser Region geklebt habe, bilden sich erst einmal kleine Knötchen im Ohr, als sie den Odenwälder Dialekt vernehmen. Der Mann ist wohl von Beruf Lokführer. Im Moment sei er krankgeschrieben. Auf irgendeinen Bahnhof sind drei Personen über die Gleise gelaufen. Er habe zwar sofort gebremst, aber einen der drei habe er noch erwischt. Er hat zwar überlebt, aber der Schock sitzt tief bei Lokführer.
Nach der Kaffeepause führt mich mein Weg raus aus Beerfelden, zu einem Platz den man mit schöner Sterben für Verbrecher bezeichnen kann. Etwas weiter oberhalb und vor der Stadt, steht an höchster Stelle und mit bester Aussicht der Beerfelder Galgen. Die Aussicht war bei den Delinquenten wohl so beliebt, dass man gleich Platz für sechs Personen geschaffen hat. Ob man sich die Blickrichtung beim Henker aussuchen durfte, lässt sich auf der Infotafel nicht erkennen. Trotz der Aussicht wäre es mir heute, zum einfach nur Rumhängen, deutlich zu kalt. Der Wind pfeift mit ordentlicher Geschwindigkeit über den Bergrücken und ich pfeife ganz schnell auf die Aussicht.
Da es ab jetzt bis Erbach fast nur noch bergab geht, macht ein Umweg nichts aus. Im großen Bogen über Seitenstraßen geht es nun hinunter nach Mossautal. Am Maarbach-Stausee geht es heute verhältnismäßig ruhig zu. Nur wenige Motoradfahrer stehen auf dem allseits bekannten Parkplatz. An schönen Wochenenden, kann es schon mal sein, dass man vor lauter Motorädern, weit und breit nichts anderes mehr zu hören bekommt.
Der R9 läuft zwar fast parallel zur B 45 und wäre autofrei, meine Beine aber protestieren beim Anblick der Schotterstraße, die dazu noch weitere Höhenmeter verspricht. Na dann. Fahr ich halt an der Bundesstraße entlang. Das ist nicht besonders schön, dank dem leichten Gefälle, dauert es nicht allzu lange bis Erbach erreicht ist.
Vor dem Einchecken wird auf dem Markplatz noch schnell die Eisqualität getestet. Dann darf sich das Rad in die Garage und der Fahrer unter eine warme Dusche begeben.
Der nächste Tag folgt in kürze.
Mit frischen Grüßen
Wolfgang