Kurzbericht meiner diesjährigen Radtour nach Südtirol. Gestartet und beendet am Mangfallknie. GPS-Tracks findet ihr auf meiner verlinkten Webseite. (Bilder habe ich so gut wie keine gemacht.)
Montag, 11. September 2017
129,69 km, +1.084 hm
Mangfallknie - Bad Tölz - Lengries - Sylvensteinspeicher - Achensee - Jenbach - Hall (i. Tirol)Bei Lengries traf ich an einer Abzweigung auf einen Radfahrer, der nicht recht wusste, welchen Weg er nehmen sollte. Die Anzeige auf dem Navigationsgerät verstanden weder er noch ich. Er schien mir ein Asiate zu sein, sprach kaum Deutsch. Er kam aus München und war nach Innsbruck unterwegs. Mein Blick fiel auf seine Vorderfelge, wo ich den Schriftzug "Rennstahl" lesen konnte. Dann bemerkte ich am Rahmen das Wort "Falkenjagd". Pinion mit Riemenantrieb. Edelux. Das Fahrrad sah völlig neu aus. Ein Titan-Bike, das gewiss über 6.000 Euro kostet. Hatte er sich für seine Fahrradreise nach Innsbruck gekauft. Aber die Reifen Marke Schwalbe wären zu breit, meinte er.
Gesehen hatte ich ihn nicht mehr. Ich hoffe sehr, dass er seinen Weg nach Innsbruck gefunden hat und heil dort angekommen ist.
Bei Schwatz überholte mich dann ein Pärchen Radfahrer. Der Mann sagte "Moin!" zu mir. 'Servus heißt das hier bei uns', dachte ich mir. Mussten wohl Fischköpfe aus dem hohen Norden gewesen sein. Ich blickte ihnen nach und wunderte mich über die hohe Geschwindigkeit, mit der die beiden unterwegs gewesen waren. Lag es vielleicht auch an ihren etwas größeren Laufrädern? Mein Simplon Kagu hat "nur" 26"-Reifen.
In der Früh noch blauer Himmel, zog es im Laufe des Tages wieder zu. Etwa 500 m vor dem Zeltplatz in Hall begann es zu regnen.
Ich erfuhr, dass der Dollar sowie der Taler in Hall erfunden worden waren. Reisen bildet und ist einprägsamer als eine Schule. Zumindest bei mir.
Der Mann an der Anmelde war selbst Rennradfahrer und meinte, dass ich ein gutes "Kampfgewicht" hätte.
Neben mir waren noch 3 weitere Gruppen mit Rad und Zelt unterwegs, was ich als ungewöhnlich empfand. Nicht nur auf Grund des Wetters und der Jahreszeit.
Eine der Gruppen war heute in Lengries gestartet. Sie wollte nach Venedig radeln. Sie hatte eines dieser "Bikeline"-Bücher dabei. Morgen wollte sie nach Sterzing. Das kam mir zu wenig vor. Denn wenn ich gegen sechs Uhr aufbräche, wäre ich wohl bereits so gegen Mittag schon in Sterzing. Und ab dem Brenner geht es ja bis Bozen (und weiter) fast nur noch abwärts. Aber gut, vielleicht hatten sie noch was vor.
Dienstag, 12. September 2017
108,94 km, +988 hm
Hall (i. Tirol) - Innsbruck - Huben (Ötztal)Am Morgen im leichten Regen aufgebrochen. Ab Innsbruck regnete es stark. Ich zog die Gamaschen an und fuhr damit am Inn entlang weiter. Wie langweilig der Innradweg hier war! Bei der Einmündung zum Ötztal hörte der Regen allmählich wieder auf.
In Ötztal-Bahnhof noch kurz etwas Proviant für unterwegs besorgt. Vor dem Betreten des Geschäftes hatte ich die Gamaschen ausgezogen. Aber obwohl sie außen schon wieder ziemlich trocken waren, waren sie darunter klatschnass. Ebenso Schuhe und Socken. Ich wartete noch einen erneuten Regenguß ab, bevor ich weiterfuhr.
Etwas später radelte ich die Ötztaler Ache hoch. Es gibt einen eigenen Rad- und Wanderweg, der jedoch nur aus groben Steinen und Schotter besteht. Hier braucht man gute Reifen. Mit dem Big Ben zwar machbar, aber nicht ideal, da zu glatt. Unterwegs regnete es immer wieder leicht.
Das Ötztal ist unglaublich schön. Links und rechts stürzen die Wasserfälle in die Täler hinab, welche sich stufenartig hintereinander aufstapeln. Man fährt von einem Tal in das nächste hoch. In jedem Tal gibt es ein größeres Dorf mit eigener Schule. Wie abgeschottet mussten die Menschen hier vor Hunderten von Jahren gelebt haben?
In Huben auf einem Zeltplatz übernachtet. Nachts wurde es bereits etwas frisch (+2° C). Natürlich barfuß herumgelaufen. Den Zeltplatzinhaber hatte ich (wieder einmal) anrufen müssen. Mehr als eine Telefonnummer gab es nicht. Der Inhaber kam etwas später. Die Menschen hier im Tal scheinen einen eigenen Dialekt zu sprechen.
Der Zeltplatz hatte auch einen Trocknungsraum. Dort konnte ich das nasse Gewand samt Schuhen und Socken nachts über einstellen und trocknen lassen.
Glück gehabt.
Mittwoch, 13. September 2017
88,79 km, +1.613 hm
Huben, Sölden, Timmelsjoch, MeranDer einzige Tag, wo es zur Ausnahme mal nicht regnete.
Auf dem Weg zum Timmelsjoch geht es 2x wieder länger bergab. Das erste Mal gleich nach Sölden, wo ich mir bei einem Bäcker noch eine Brotzeit kaufte, das zweite Mal nach der Mautstation (dort ca. -100 hm). Bei der Mautstation hatte ich als Radfahrer, wie auch schon ein Jahr zuvor bei der Großglockner-Hochalpenstraße, wieder nichts zu bezahlen.
Im unteren Bereich der Straße, sehr bald nach Sölden, finden sich einige Tunnel, die in Wirklichkeit jedoch ausschließlich Galerien sind. D. h. dass eine Seite offen ist, wo Luft und Licht hereinkommen kann. Auf meiner Karte konnte man das leider nicht erkennen.
Am Straßenrad sah ich immer wieder einige Dosen Red Bull liegen. Da war mir meine Buttermilch lieber. Und ich schmiss die Flaschen auch nicht weg.
Kurz vor der Mautstation hatten mich zwei Rennradfahrer überholt. Wir sollten uns etwas später bei der Schmuggler-Gedenkstätte noch einmal sehen - sowie einen Tag später.
Die Hauptstraße führt eigentlich nach Obergurgl und Hochgurgl. Auf der Timmelsjochstraße waren nur noch wenige Autos, Motorräder und einige Radfahrer unterwegs.
Die letzten +500 hm waren sehr anstrengend, zumal, an einem Bach entlang, ein eiskalter, strenger Wind von oben herabbließ. Auf der Straße liefen Schafe herum. Ein weiteres Schaf hatte hinter einem Felsen Schutz gesucht. Dass die Straße hier endlos lange und bis kurz vor dem Joch ohne Kehrtwende war, machte es auch nicht besser. Man hatte nicht recht das Gefühl, vorwärts zu kommen.
Einmal kam mir ein Mofa-Fahrer mit einer Helm-Kamera entgegen. Ich hatte ihm die Hand mit gestrecktem Zeige- und Mittelfinger (Siegeszeichen) entgegenstrecken wollen, aber da war er auch schon an mir vorüber.
Dann die Passhöhe: Links oben eine Gastwirtschaft, rechts oben ein Museum. Darunter ein Parkplatz. Eine Gruppe Motorradfahrer, welche sich mit Schneebällen bewarfen. Als mich einer aus der Gruppe sah, schüttelte er den Kopf und sagte:
"Unglaublich diese Jungs, die hier mit dem Fahrrad hochfahren!"
Soviel Anerkennung. Soviel Lob. Man hätte mich ja auch auslachen können. War ganz anders als die Großglockner-Hochalpenstraße letztes Jahr.
Diese Worte hatten mich so gefreut wie schon lange nichts mehr.
Ich stellte mein Fahrrad neben einer Gedenktafel ab. Auf dieser standen die Worte (sinngemäß - kein Zitat, da aus dem Kopf):
Was Freundschaft verbindet,
das vermag Politik nicht zu trennen.
Dazu muss man wissen: Tirol war nach dem 1. Weltkrieg in drei Stücke geteilt worden (Nord- und/oder Westtirol, Osttirol und Südtirol). Der südliche Teil ging an Italien, wurde jedoch nie wirklich italienisch. Die ursprünglich deutschsprachige Bevölkerung wurde zwar unterdrückt und vertrieben, ließ es letzten Endes aber nicht zu. Heute ist Südtirol ein Schmelztiegel zweier Kulturen. Der italienischen sowie der deutschen.
Die Timmelsjochstraße wurde gebaut, um beide Teile wieder ein Stückchen mehr miteinander zu verbinden. Aus Freundschaft. Hier wie drüben leben Menschen, die miteinander verwandt und befreundet sind.
Ich ging zum Museum hoch. In ihm wird der Bau der Timmelsjochstraße näher erläutert. Im Schnee vor der Eingangstür hatte jemand die Wörter "Sommer 2017" gezeichnet.
Als ich das Museum wieder verließ und zu meinem Simplon Kagu hinabstieg, kam ein Mann ganz aufgeregt auf mich zu: "Bist du hier der Reiseradler?"
Er machte ein Foto von mir.
Die nächsten 60 km bis Meran würde es fast nur noch abwärts gehen. Über 2.000 hm. Das war ebenfalls ganz anders als auf der Großglockner-Hochalpenstraßenüberquerung letztes Jahr. Für diese Strecke würde ich knapp 3 Stunden brauchen.
Ab der Abfahrt schien bis zum Abend die Sonne. Sie war warm und wohltuend. Auch wehte kein spürbarer Wind mehr. Außer der Fahrtwind natürlich.
Die Straße war hier schlechter und schmäler als auf der Nordseite. Im oberen Bereich klebte sie dermaßen an den Felswänden, dass ich es nach dem ersten Mal vermied, seitwärts abwärts zu blicken, weil es mir leicht schwindlig geworden war. Statt dessen blickte ich jetzt nur noch geradeaus und konzentrierte mich auf die Straße.
Der Belag war zum Teil schlecht und ich froh über meine breiten Reifen. Es gab viele, zum Teil auch längere, diesmal richtige Tunnel. Der Scheinwerfer meines AXAs brachte hier nichts, wohl, weil meine Augen dem Sonnenlicht angepasst waren. Aus diesem Grunde fuhr ich eigentlich blind auf das Ende der Tunnel zu, weil ich den Boden nicht erkennen konnte. Der Boden war teilweise nass.
Während der Abfahrt überholten mich zwei Rennradfahrer. Ich war erstaunt darüber, wie schnell diese die kurvenreiche Bergstraße hinabfuhren.
Ein anderer Rennradfahrer, der hochtrat und mir entgegenkam, streckte mir das Zeichen zum Sieg entgegen: gestreckter Zeige- und Mittelfinger. Ja, ich hatte es geschafft.
Gegen vier Uhr kam ich in Meran an. Den Zeltplatz fand ich bald, aber ich wollte noch etwas einkaufen.
Die Passer-Promenade, Andenken an Sissi. Vieles erinnert hier noch an die k. u. k. Zeit, der Zeit der Doppelmonarchie vor dem 1. Weltkrieg.
In der Altstadt traf ich unter der Menschenmenge den Herrn wieder, der vor einigen Stunden oben auf dem Timmelsjoch das Foto von mir gemacht hatte.
"Gut gemacht!"
In der Galileo-Straße fuhren Autos von Google Street View an mir vorüber. Vielleicht bin ich demnächst in Google Street Map zu sehen.
Die Übernachtung auf dem Zeltplatz war dann weniger toll. Als ich die vielen Campingbusse sah und mein Blick aufs schwer bepackte Fahrrad fiel, dachte ich mir: 'Nein, du hast doch nicht viel dabei.'
Vom Campingplatz aus konnte ich in der untergehenden Abendsonne einen guten Blick auf Schloss Tirol sowie das Dorf Tirol werfen. Dort oben hatte die Grafschaft Tirol seinen Ursprung genommen.
Der Campingplatz war vollständig belegt, doch für mein kleines Zelt Micra von Salewa hatte man noch Platz genug. Am Abend durfte ich mir aber dann im Zelt das Geschwätz der Deutschen anhören.
Donnerstag, 14. September 201795,85 km, +492 hm
Meran - Eppan - Kaltern - Kalterer See - Neumarkt - BozenIn der Früh war es stark bewölkt. Aber ich konnte das Zelt trocken einpacken.
Duschen können hatte ich auf dem Zeltplan in Meran aus Sicherheitsgründen nicht. Die meisten Zeltplätze haben heutzutage eine große Duschkabine mit vorgelagertem Raum, wo man seine Sachen sicher unterbringen kann. Man schließt also die Tür hinter sich ab, steht dann zuerst in diesem kleinen Raum vor der eigentlichen Duschkabine. Dieser fehlte aber hier in Meran. Man ging von außen direkt in die Duschkabine. Schlecht für Alleinreisende wie mich.
Ich kam heute erst gegen halb acht los, weil ich gestern auf Grund der vielen Menschen nicht mehr gezahlt hatte und die Kasse erst ab halb acht besetzt war. Auch hier wurde mir ein Preisnachlass gegeben. Ich zahlte wie auch schon auf dem letzten Zeltplatz nicht den normalen Preis für Zelte, sondern etwas weniger. Danke nochmals!
Ich radelte nochmals zurück an die Passer, weil ich noch hatte eine Postkarte einwerfen wollen. Der Empfänger war in Deutschland. Die Postkarte kam dann am 2. Oktober dort an. Wahrscheinlich war sie zu Fuß gelaufen. Da waren die Postkarten, welche ich selbst mit dem Fahrrad wieder nach Hause transportiert hatte, wesentlich schneller!
Auf der Suche nach dem Radweg nach Bozen kam ich dann lustigerweise wieder genau am Zeltplatz vorbei. Ich hätte nur rausfahren und dann gleich rechts abbiegen müssen.
Bei Eppan bog ich dann rechts nach Süden ab. Der Radweg stieg hier wieder deutlich an und führte teilweise sogar durch längere Tunnel hindurch.
Irgendwo kurz vor Sankt Michael überholte mich plötzlich ein Rennradfahrer. Er sagte "Hallo". In seiner Stimme schwang kurz Erstaunen oder gar so etwas wie Neid mit.
Ich blickte ihm hinterher. Da kam plötzlich ein zweiter Rennradfahrer an mir vorüber. Der erste hatte eine wasserdichte Tasche an seinem Gepäckträger hängen. Der zweite einen kleinen Rucksack auf dem Rücken.
Die beiden hatten mich gestern bei der Mautstation auf dem Weg zum Timmelsjoch überholt. Keine Ahnung, warum ich denen plötzlich wieder so weit voraus gewesen bin. Schließlich hatte ich gestern Abend in Meran viel Zeit vertrödelt, war heute Morgen erst gegen halb acht losgefahren und hatte danach auch noch einen Umweg durch die Innenstadt gemacht.
Die meisten Radfahrer haben weniger Gepäck als ich und sind wesentlich schneller als ich und fahren mir so davon. Aber am nächsten Tag überholen sie mich dann doch wieder. Es ist immer das selbe. Sowas würde ich morgen noch einmal erleben.
Wahrscheinlich hatten die beiden in einem Zimmer übernachtet. Ich konnte mir schlecht vorstellen, dass sie in ihren kleinen Taschen Zelt, Schlafsack und Isomatte untergebracht hatten.
Es begann wieder etwas zu regnen. Aber am Kalterer See hörte es auch schon wieder auf.
In Kaltern viele schmale Traktoren. Eine lange Schlange. Die Bauern lieferten hier in erster Linie Weintrauben an.
Der Kalterer See. Das letzte Mal soll ich laut meinem Vater hier gewesen sein, als ich noch ein kleines Kind gewesen war. Ich konnte mich an nichts erinnern. Nördlich von Eppan kommend, fährt man von oben durch ganz viel Obstanbau zum See hinunter.
Als ich Neumarkt an der Etsch erreichte, das eigentliche Ziel dieser Reise, war schönstes Wetter. Und meine mitgenommene Landkarte "Vorarlberg, Tirol, Oberbayern, Südtirol" im Maßstab von 1:200 000 von Marco Polo auch schon wieder zu Ende. Nie ist die mitgenommene Landkarte groß genug. Die Sonne schien. Es war warm.
Neumarkt. Hier also war mein Urgroßvater Engelbert aufgewachsen, bevor er nach dem ersten Weltkrieg nach Berchtesgaden vertrieben worden war. Hier hatten Vorfahren von mir mit dem gleichen Nachnamen (Außerstorfer) über 100 Jahre gelebt.
Ein kleines, ruhiges Dorf mit sehr altem Ortskern und viel Industrie.
Wir (Familie, Schule) waren mehrfach mit dem Auto oder Reisebus daran vorbeigefahren, wenn wir nach Südfrankreich oder Italien hinunter gefahren sind. Aber eine Vorstellung von der Gegend bekommt man wirklich erst, wenn man einmal mit dem Fahrrad hinunterfährt und sich Zeit lässt.
Am späten Nachmittag ging es zurück nach Bozen. Als ich unterwegs etwas Pause auf einer Bank machte, gesellte sich ein Pärchen, das ein Tandem fuhr, zu mir auf die Bank. Wir grüßten uns nur, redeten aber nichts miteinander. Ich vermute, dass es Holländer waren.
Auf dem Weg zurück nach Bozen radelte ich an der Etsch entlang. Wieder einer dieser langen, geraden, monotonen Radwege, die ich nicht besonders mag. Mein Blick fiel links auf die herabfallenden Steilwände in einiger Entfernung. Dort drüben also war ich heute Vormittag zum Kalterer See hinabgeradelt. Mir war nicht klar gewesen, was ich da schon wieder überradelt hatte.
Bozen also. Eine enge Altstadt mit vielen modernen, riesigen Gebäuden außenrum. Hochhäuser. Die Autobahn. Rings herum dann die hohen Berge. Passte für mich irgendwie alles nicht so richtig zusammen. Anfangs hatte ich in dem Gewirr etwas die Orientierung verloren. Zumal das Wetter wieder schlechter wurde.
Aber wenigstens kannte ich Bozen jetzt etwas. Wenn ich früher das Wort "Bozen" gehört hatte, hatte ich nur die Ausfahrt der Autobahn mit dem Schild im Kopf gehabt. Jetzt aber war ich hier gewesen und eine kleine Vorstellung davon, wie es tatsächlich war. Denn darum geht es schließlich auch bei dieser kleinen Radltour.
Natürlich hatte man sich mit Hilfe des Webs und Bücher informiert und Bilder gesehen. Diese Bilder aber konnten die Zusammenhänge schlecht bis gar nicht erklären. Das galt auch für die Timmelsjochstraße. Man musste einfach einmal selbst dort gewesen sein und es erlebt haben.
Wieder ein DeSpar. Auch in diesem Geschäft befand sich nur noch eine besetzte Kasse. Bei den anderen Kassen durfte man selbst scannen und bargeldlos per Karte bezahlen. Na toll. Das erste Mal hatte ich gestern in Meran so ein Geschäft gesehen.
Wann werden die Menschen endlich verstehen, dass Technik ursprünglich nur zum Überleben entwickelt worden ist und es beim Geld eigentlich darum geht, dass die Menschen füreinander etwas tun? Wer mit Technik gnadenlos Menschen wegrationalisiert, missbraucht diese und schadet dem Sozialgefüge. Irgendwann lebt jeder isoliert in seinem Häuschen, fährt isoliert in seinem Fahrzeug zum Einkauf, wo er auch niemanden mehr trifft. Das soll Fortschritt sein?
Die Verkäuferin sprach "nur" italienisch. Der italienische Anteil Südtirols lebt überwiegend in den Städten. Die alteingesessenen Deutschen mehr auf dem Land. So wie es überall ist: Die "Neuankömmlinge" siedeln sich meist zuerst in den Städten an.
Dann der Zeltplatz. Er und seine Mitarbeiter waren die reinste Freude (
http://www.moosbauer.com).
Am Abend gab es dann einen Sturm und schweren Regen. Mein Kuppel-Zelt Micra von Salewa hielt dem vielen Wasser nicht mehr Stand. Das Wasser drang einfach durch die Zeltplane hindurch und lief auf der Innenseite des Außenzeltes hinab. Und tropfte auch ins Innenzelt. Ich hatte einiges zu tun.
Vielleicht sollte ich mir doch einmal ein gescheites Zelt leisten. Das jetzige hatte ich im Sommer 1998 für etwa 250 Mark von meinem ersten Lehrlingsgehalt gekauft. Inzwischen löst sich die Beschichtung.
Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, das ist, dass die Marke Salewa zu einer Firma gehört, deren Hauptsitz sich in Bozen befindet:
http://www.oberalp.com/Freitag, 15. September 2017
85,28 km, +1.227 hm
Bozen - Klausen - Brixen - SterzingIn der Früh sonnig, jedoch alles andere als warm.
Zusammen mit einem kleinen Mädchen, das einen Schulranzen auf dem Buckel hatte, ging ich die Einfahrt zur Hauptstraße hinauf. Was die hier wohl in der Schule lernen?
Von Südtirol hatte ich früher nicht viel gewusst. Eigentlich nur, dass viele Leute dort unten Deutsch sprechen. Aber warum und wieso, das wurde uns von niemanden erklärt. Auch in der Schule nicht. Da lag der Schwerpunkt eigentlich immer auf dem 2. Weltkrieg und der Befreiung durch die Amerikaner. Oder der Geschichte der USA.
Dabei wurde aber die Entwicklung Österreichs sowie Südtirols irgendwie völlig zur Seite gekehrt oder so schlecht vermittelt und herübergebracht, dass ich mich heute nicht erinnern kann. Die Zusammenhänge waren nicht klar.
Die Deutschen wären an allem Schuld gewesen. Dabei wurden sie in Südtirol selbst jahrzehntelang von den Faschisten Italiens unterdrückt. Keiner war besser als der andere. Das einstige Weltreich Österreich löste vielleicht den ersten Weltkrieg aus. Aber es war nicht allein. Und vor allem wäre es vermutlich ohnehin irgendwann passiert. So meine Gedanken.
In Klausen einige Postkarten gekauft. Ich kam direkt an einem Geschäft vorbei, und es war sehr ruhig. In der belebten Innenstadt Bozens war sowas aus Sicherheitsgründen nicht gegangen.
Als ich gegen Mittag Brixen erreichte, sah ich schneebedeckte Berggipfel vor mir. Die Dolomiten hatte ich auf Grund des schlechten Wetters ausgelassen und die klassische Brennerroute weiter westlich gewählt. Im unteren Bereich war ich sie noch nicht geradelt. Im Radio hatten sie Schneefall bis 1.700 m herab vorausgesagt. In den Dolomiten hätte ich aber nochmals über über 2.000 m hohe Pässe fahren müssen. Dafür war ich dieses Jahr zu spät dran. Oder der Winter zu früh. Ich hegte aber noch die Hoffnung, wenigstens direkt über das Pfitscher Joch hinüber ins Zillertal abkürzen zu können.
Das Leben ist voll mit Entscheidungen. Oft muss man sich den Umständen entsprechend anpassen. Oder man geht unter. Man ist nicht allein. Man kann nicht alles wollen.
Kurz nach Brixen überholte mich dann das Pärchen auf dem Tandem, das sich gestern zu mir auf die Bank gesellt hatte. Und wieder fuhren sie mir davon.
Am Nachmittag zog der Himmel allmählich wieder zu. Das Tal hinter Brixen ist sehr schön, man fährt zum Teil einen Schotterweg durch den Bergwald. Aber die meiste Zeit ist die Eisenbahnlinie der Aussicht im Weg.
Dann erreichte ich die Stelle, wo ich letztes Jahr schon einmal gewesen war. (Ich war damals von Osttirol gekommen und durch das Pustertal gefahren.)
Auf dem Weg hoch nach Sterzing kamen mir sehr viele Rennradfahrer entgegen. Sie fuhren abwärts. Ich aufwärts. Selbst in einem kleinen Dorf fuhren sie sehr schnell. Ich hatte Angst um ein kleines Kind, das in einer Hofeinfahrt stand.
Ich dachte an letztes Jahr, als ich mich mit starken Blähungen frühmorgens diesen Berg hier hochgequält hatte. In Sterzing war ich dann endlich auf die Toilette gegangen. Dieses Jahr ging es mir besser. Ich hatte diesmal keine Probleme mit dem Magen.
Wieder ein Stückchen neue Heimat, das ich mir erobert hatte. Denn ich war schon einmal da :-)
Diesmal konnte ich mir auch die künstliche Höhle vom letzten Jahr anschauen. Direkt am Radweg, in einer Felswand, führt eine Öffnung in den Berg hinein. Man hatte ganze Gänge, Räume und sogar Treppenhäuser in das Gestein geschlagen. Das unterirdische Gewölbe war aber so groß, dass ich es schon bald wieder verließ. Mein Kagu stand nämlich unangebunden draußen vor der Tür. Nicht, dass es ungeduldigt werden und die Reise noch ohne mich fortsetzen würde.
In Sterzing noch etwas eingekauft. Vom letzten Jahr her kannte ich mich ja schon aus. Ich musste nicht mehr groß suchen. Dann gleich zum Zeltplatz und dort das Zelt aufgestellt. Es begann wieder leicht zu regnen.
Samstag, 16. September 2017
123,12 km, +1.072 hm
Sterzing - Brenner - Innsbruck - Jenbach (Zillertal)In der Früh im leichten Regen aufgebrochen. Die Route hoch zum Pfitscher Joch konnte ich auf Grund des schlechten Wetters vergessen. Auf dem Weg zum Brenner die gleiche Baustelle wie letztes Jahr.
Unter Bäumen untergestanden und Frühstück gemacht. Da der Regen stärker wurde, zog ich die Gamaschen wieder an.
Der Radweg liegt hinter Sterzing in einer Schleife auf der alten Eisenbahnlinie. Wieder aufgegebene Häuser an der alten Bahnlinie sowie einige kürzere Tunnel. Ich erreichte den Brennerpass gegen neun Uhr im Regen.
Dann die Abfahrt. Eigentlich hatte ich der Brennerstraße (Hauptstraße) folgen wollen. Aber das funktionierte nur bis etwa Matrei. Von da weg war die Bundesstraße nämlich komplett gesperrt. Ich erinnerte mich: Das hatte ich letztes Jahr schon einmal gehabt. Die offizielle Umleitung war natürlich wieder oder noch immer über die Autobahn. So geriet ich dann leider doch wieder auf die alte, kurvenreiche, auf- und abwärtsführende Römerstraße. Trotz des schlechten Wetters kamen mir aber eine Gruppe von Radfahrern und Einzelreisende entgegen. Respekt.
Dieses Jahr kam mir die alte Römerstraße aber gar nicht mehr so schlimm vor wie noch vor einem Jahr. Trotz des Regens. Weiß der Geier, woran das lag. Vielleicht einfach deshalb, weil ich an diesem Tag wesentlich früher dran und daher noch ausgeruhter war.
Auf halber Höhe über Innsbruck gegen Mittag nochmals in einem Geschäft einige Sachen besorgt. Das Fahrrad hatte ich dort unters Dach stellen können. Als ich dann aber etwas später den restlichen Berg bis nach Innsbruck hinunterfuhr, war ich bereits so ausgekühlt, dass ich auf Grund der Kälte zu frieren anfing und mehrmals fast den Lenker verrissen hätte.
In der Früh aus dem warmen Schlafsack raus und in die durchnässten und eiskalten Klamotten rein. Abends umgekehrt. Und dazwischen: bewegen, bewegen, bewegen. Ohne Pause. Damit man ja nicht friert. Alltag eines Radfahrers.
Für sowas braucht es eine Wolfshaut. Daher auch der Spitzname "Wolfskin" des US-amerikanischen Landstreichers und Schriftstellers Jack London, welcher später als Markenname für einen Bekleidungshersteller herhalten musste.
Innsbruck. Regen. Immer Regen. Die Stadt muss mich hassen.
Kurz nach Innsbruck dann ein Missgeschick: Ich folgte südlich, also flussabwärts rechts dem Inn, dem Innradweg Richtung Kufstein. An einer Brücke fuhr ich geradeaus weiter und dachte mir nichts dabei, weil der Radweg hier noch sehr gut war (gegenüber liegt ein Golfplatz). Etwas später aber geriet ich auf einen Schotterweg, der schnell schmäler wurde.
Plötzlich tauchte eine etwa 4 m lange Pfütze vor mir auf, welche die Breite des kompletten Weges einnahm. Ich trat noch kräftig in die Pedalen, um Schwung zu holen, damit ich die nächsten vier Meter hätte durchrollen können. Das hatte so aber nicht funktioniert, weil mich die Pfütze zu sehr ausbremste. Ich musste noch einmal treten und geriet dabei mit einem Fuß ins Wasser.
Umkehren hatte ich danach aber nicht mehr wollen. Leider führte der Weg, der inzwischen zu einem Pfad geworden war, schließlich unter der Autobahn hindurch und wieder zurück nach Innsbruck. So kam ich eine Stunde später nochmals an der Brücke vorbei, an der ich hätte abbiegen müssen. Diesmal bog ich ab. Aber ich war stinksauer auf mich.
Später wurde aber auch mein anderer Schuh völlig nass. An diesem Tag schien der halbe Innradweg unter Wasser zu stehen. Pfützen ohne Ende. Ich hatte inzwischen wieder Fahrtemperatur erreicht und musste nicht mehr frieren. Aber es regnete nach wie vor.
An einer Brücke mit nassem Holzboden scherte mein Hinterrad plötzlich seitwärts aus, weil ich unbedacht gebremst hatte. Ich konnte einen Sturz gerade noch verhindern.
Und in Schwaz flog plötzlich mein Fahrradcomputer vom Lenker. 'Was ist denn heute los?', dachte ich mir.
Der Regen hörte erst im Zillertal wieder auf. Es gab sogar etwas blauen Himmel. Ich hatte ursprünglich eine Pension aufsuchen wollen, weil ich wieder klatschnass geworden war. Aber ich hätte das Fahrrad allein draußen auf dem Parkplatz stehen lassen müssen. Und meine Radtaschen waren dreckig und nass. Das hatte ich der Pension dann doch nicht antun wollen. So radelte ich schließlich wieder zu dem Zeltplatz bei Jenbach, den ich noch vom vorletzten Jahr in guter Erinnerung behalten hatte (ich war damals von den Krimmler Wasserfällen kommend über den Gerlospass und hinunter ins Inntal geradelt).
Die Frau in der Anmelde war sehr hilfsbereit. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie weniger verlangte als noch vor zwei Jahren. Sie wirkte etwas besorgt. Ich durfte das Zelt in einem geschützten Bereich aufbauen und wurde auch ausdrücklich auf die warmen Duschen hingewiesen, die im Preis inbegriffen waren. Sie fragte mich auch noch, ob ich ein gescheites Zelt hätte. Ja, klar! Von dem Sturm bei Bozen erzählte ich ihr lieber nichts.
Als ich zum Lagerplatz schob, sah ich neben der bayerischen auch die Tiroler Flagge vom vorletzten Jahr wieder im Wind flattern. Auf ihr standen die Worte:
Dem Land Tirol die Treue.
Die Socken und Handschuhe konnte ich auswringen. Wasser fiel zu Boden. Von tropfen konnte keine Rede mehr sein. Die Überschuhe für die Handschuhe hatten an diesem Tag auch nicht mehr wirklich etwas gebracht. Genauso wie die Überschuhe / Gamaschen. Alles ein Klump! Ich dachte an wasserdichte Socken...
Dass sie auch einen Trockner hatten, hatte ich am Abend übersehen und erst in der Nacht bemerkt. So musste ich am nächsten Tag dann doch vom warmen Schlafsack in die nassen Socken, Schuhe und Handschuhe rein. In der Nacht hatte es Gott sei Dank kaum geregnet.
Das Zillertal muss mich lieben.
Sonntag, 17. September 2017
94,68 km, +1.060 hm
Jenbach - Achensee - Achenthal - Achenpass - Gmund am Tegernsee - MangfallknieUrsprünglich hatte ich an diesem Tag einen Umweg über Kufstein und Rosenheim nehmen wollen. Aber ein Blick auf die Karte verriet mir, dass es besser wäre, die kürzere Wegstrecke über den Achensee zu nehmen. So dachte ich es mir zumindest.
In der Früh kein Regen. Ich folgte diesmal der breiten und wohl neueren Hauptstraße hoch zum Achensee. Auf Grund des starken Nebels war nicht viel zu sehen. Man sah vielleicht 100 m weit.
Die Höhe des Achensees erreichte ich nach ca. 1,5 h. Dort verzog sich zwar der Nebel, aber es begann wieder zu regnen. Die steile Auffahrt zu Anfang war die Hoffnung, dass ich es schneller nach Hause schaffen würde und die lange, flachere Abfahrt ausnutzen konnte. Doch daraus wurde leider nichts. Denn an diesem Tag waren viele Straßen auf Grund von Veranstaltungen gesperrt. Ich hasse Sonntage. Man sollte an Sonntagen einfach nicht Rad fahren.
Ich folgte diesmal auch oben am Achensee der Hauptstraße. Leider geriet ich dabei in einen Tunnel. Da an diesem ein Verbotszeichen für Fahrräder angebracht war, schob ich zu Fuß den Bürgersteig entlang. Umkehren wollte ich nicht mehr.
Im Tunnel war es auf Grund der Motoren sehr laut. Er schien ein jedes Mal zu vibrieren, wenn Fahrzeuge an mir vorüberfuhren. Welche Gewalt, dachte ich mir. Die Trommelfelle kamen an die Schmerzgrenze. So etwas muss man einfach einmal selbst erlebt haben.
Hinter dem Achensee war die Ortsdurchfahrt wegen einer Motorsportveranstaltung gesperrt. So durfte ich mein Fahrrad - klatschnass - auch noch durch eine feuchte Wiese schieben.
Eigentlich hatte ich dann wieder zum Sylvensteinspeicher hinabrollen wollen. Doch auch hier war plötzlich die Straße gesperrt. So geriet ich auf den Radweg hoch zum Achenpass und hinab nach Kreuth, welcher grenzüberschreitend mit Mitteln der europäsischen Union gebaut worden ist.
Der Weg zog sich in die Länge und war auch recht schlecht. Große Steine lagen auf dem Weg herum. Wie schon im Ötztal, hätte ich auch hier Reifen mit einem gröberen Profil gebraucht. Ich bin froh, wenn der Big Ben endlich verschlissen ist und ich neue Reifen brauche.
Am Tegernsee hatte es dann zu regnen aufgehört. Dafür waren etliche Straßen gesperrt, weil ein Rundlauf stattgefunden hatte. Überall Feuerwehr, Polizei, Sanitäter und Läufer. Einige Zuschauer standen am Wegesrand und schrien 'bravo'!
Ich kam mir absolut blöd und unpassend vor, in diese Veranstaltung eingedrungen zu sein. Da waren Amateure, die sichtlich Probleme damit hatten, die 20- oder was-weiß-ich-wieviele-Kilometer zu laufen (einige gingen tatsächlich zu Fuß), wohingegen ich die letzten Tage über 700 km und 7.500 hm durch die Berge geradelt war und dem Wetter und der Kälte getrotzt hatte. Und das empfand ich selbst nicht als etwas Besonderes.
In dieser, eh schon etwas angefressenen, Situation konnte ich für die Leute leider keinen rechten Respekt aufbringen. Sie taten mir eher leid. Wahrscheinlich würden viele von ihnen nach der Veranstaltung wieder mit dem Auto nach Hause fahren. Für was sowas gut sein soll. Laufen oder sich bewegen kann man sich auch zuhause. Dafür braucht's keine Veranstaltung. Und wenn man nicht recht fit ist, dann sollte man es vielleicht besser bleiben lassen. Sich zur Schau zu stellen. Ich meine, die Kondition fängt bei kleinen Dingen im Alltag an. Treppen steigen statt Aufzug. Fahrrad oder zu Fuß statt Auto und solche Sachen. Insofern kam mir die ganze Veranstaltung wie ein schlechter Witz vor. So meine Eindrücke und Gedanken unterwegs, die mit Sicherheit auch von dem schlechten Wetter beeinflusst waren. Ich hoffe, mir nimmt es niemand übel.
Bis weit hinter den Tegernsee zog sich eine kilometerlange Autoschlange die Straße Richtung München entlang. Erst bei Reitham war ich endlich draußen von diesem ganzen Chaos und konnte das letzte Stück über Warngau in Ruhe nach Hause radeln.
Glücklich, wieder einmal in Südtirol gewesen zu sein.