Wir hatten uns ein halbes Jahr freigenommen bzw. die Arbeit gekündigt, um unserer Leidenschaft, dem Radfahren und dem Reisen durch fremde Länder, zu folgen. Fest stand für uns, dass es eine Rundreise von Berlin zurück nach Berlin sein sollte und dass wir nach Georgien in den großen Kaukasus fahren wollten, um die einzigartige Landschaft und Jahrtausend alte Kultur kennen zu lernen.
Deutschland Teil 1 (von Berlin nach Passau)Unser erstes Ziel war Stuttgart, wo wir sechs Tage später von Verwandten erwartet wurden. Die Radfahrt durch Brandenburg (z.B. die Oranienbaum-Gärten), Thüringen (u.a. am Rennsteig), Bayern und schließlich Schwaben war trotz Kälte und Nässe mit Schnee im April wunderschön, da alle Bäume in Blüte standen und wir unsere Freiheit genossen. Viele Leute waren recht verwundert über unsere Schneetour, und auf allen Zeltplätzen waren wir die Ersten der Saison. Nach zwei Tagen ging es weiter zum nächsten Verwandtenabschiedsbesuch in Tübingen, wo wir zwei weitere Tage in herzlicher Gastfreundschaft verbrachten, bevor es im Schneeregen weiter nach Ulm ging. Dort wartete auf dem Zeltplatz bereits unser Freund Paul auf uns, der von Berlin angereist war, um innerhalb einer Woche bis Wien mitzufahren. Die Freude war groß und plötzlich erschien durch Regen und Sonne ein Regenbogen. Was für ein Start für den Donauradweg! Am nächsten Morgen begann dann unsere lange, lange Reise entlang dieses riesigen Flusses bis ans Schwarze Meer (sie entspringt in Donaueschingen, fließt u.a. durch Ulm, Wien, Bratislava, Budapest, die Mitte Ungarns, den östlichen Teil Kroatiens, bildet die Grenze zwischen Serbien und Rumänien sowie zwischen Rumänien und Bulgarien und erreicht schließlich das Schwarze Meer, indem sie sich in das beeindruckende Flussdelta auffächert, das für seine Vogelwelt bekannt ist). Auf der Reise sind wir gute Freunde dieses majestätischen, oft sehr ruhigen, teils wilden Flusses und der ihn umgebenden Landschaft geworden. Zu dritt - und für ein paar Tage auch zu viert mit einem netten Kerl (Benno), der gerade nach China fährt - fuhren wir innerhalb einer Woche nach Wien.
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Österreich (auf dem Donauradweg)Der Donauradweg gilt zwischen Passau und Wien ja als "überstrapaziert", doch Anfang Mai fanden wir es herrlich dort, und trafen entgegen unserer Erwartung nur wenige andere Radfahrer. Die wenigen hatten alle Ziele in weiter Ferne. In Wien mussten wir uns von Paul, der leider wieder arbeiten musste und von Benno, der seine Reise fortsetzte, verabschieden und verbrachten drei sehr schöne Tage in dieser herrlichen Stadt (hörten u.a. in etwas unpassender Kleidung ein Klavierkonzert im Musikverein und genossen Strudel und literweise Kaffee - dem besten der Reise) und schliefen auf dem lautesten Zeltplatz der Welt (zwischen Autobahn, Bahnstrecke und Einflugschneise). Just zu dieser Zeit (Anfang Mai) hatte plötzlich der Sommer Einzug erhalten mit fantastischem Wetter und Nachtigallengesang überall und zu jeder Zeit (Nachtigallen sollten uns bis Rumänien begleiten).
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Weinberge wachau by
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Slowakei (auf dem Donauradweg)Die zweistündige Fahrt war sehr nett, und wegen des vorangegangenen dreitägigen Stadturlaubs haben beschlossen, Bratislava, an dessen Rande der Weg vorbeiführt, nicht jetzt, sondern ein anderes Mal zu besuchen.
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Endlich im Ostblock Stippvisite in der Slowakei by
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Ungarn (auf dem Donauradweg)Jedoch als wir zwei Tage nach dem sommerlichen Wien Ungarn erreichten, begann es jeden Tag zu regnen, und der Dammweg, auf dem wir fuhren, verwandelte sich in Matsch; Matsch der schlimmsten Art; der klebrigste und tiefste Matsch aller Zeiten, unterbrochen von Gras. Auch durch das schöne Budapest, das wir in Teilen bereits kannten, fuhren wir (im starken Regen) nur hindurch. Die fünftägige Fahrt auf dem ungarischen Donauradweg stellte sich - entgegen unserer Erwartungen - als der langweiligste Abschnitt der Reise heraus, in dem sich allerdings auch einige landschaftliche und bauliche Perlen versteckten.
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Beginn vom Regen by
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Kroatien (auf dem Donauradweg)Glücklich erreichten wir Kroatien, durch das wir allerdings nur zwei bis drei Tage fuhren. Da wir zwei Jahre zuvor durch den westlichen Teil Kroatiens gefahren waren, waren wir nun etwas schockiert über die Armut und die vielen Kriegsspuren im östlichen Grenzgebiet. Gleichzeitig beeindruckte uns die Schönheit der Landschaft an der Donau.
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Letzter abend in Kroatien by
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Serbien (auf dem Donauradweg)Serbien war für uns das erste unbekannte Land der Reise, und wir waren begeistert von der unglaublichen, landschaftlichen Schönheit und der außergewöhnlichen Freundlichkeit und Offenheit der Menschen. Eine der vielleicht wichtigsten Erfahrungen unserer Reise, die sich immer wieder wiederholen sollte, bemerkten wir hier erstmals: In fast jedem Land (außer Italien) wurde uns von einigen Menschen erklärt, dass wir uns derzeit in dem "besten Land" befänden, doch dass das direkte Nachbarland wirklich "gefährlich" und von "unaufrichtigen" Menschen bewohnt sei. Dies hörte man vor der Grenze, fuhr hinüber und traf sofort wieder auf Menschen, die einen genauso freundlich und herzlich behandelten wie die in dem Land, das man gerade verlassen hatte, und wurde nach einer Weile auch dort wieder vor den Nachbarn gewarnt.
In Belgrad verbrachten wir einen sehr schönen Pausentag und möchten sehr gern noch einmal dorthin reisen. Dann würden wir jedoch nicht wieder den Fehler begehen, auf dem außerhalb gelegenen Zeltplatz zu schlafen, was mit einer etwas mörderisch erscheinenden Radfahrt auf der Ausfallstraße verbunden ist, sondern in der Stadt in einem Hostel.
An den folgenden Tagen entlang der Donau zu fahren war fantastisch hinsichtlich der sagenhaften Landschaft und der gewaltigen Strömung der Donau. Sie beim "Eisernen Tor" / "Donaudurchbruch" durch riesige Hügel und Felsen "brechen" zu sehen, war der schönste Anblick unserer bisherigen Reise.
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Bulgarien (auf dem Donauradweg)Kurz darauf überquerten wir die bulgarische Grenze und waren verzaubert von der dortigen Natur und dem Artenreichtum. Auch dort trafen wir auf extrem freundliche, fröhlich-warmherzige Menschen. Dass wir uns Mühe gaben, ein bisschen Bulgarisch zu sprechen (in jedem Land auf der Reise versuchten wir so gut wie möglich auf der Landessprache zu sprechen, worauf wir uns teils in den Wochen vor der Abfahrt vorbereitet hatten) trug vermutlich zur heiteren Stimmung bei. Da die Donau in Bulgarien und Rumänien als Grenzfluss fließt, haben wir von beiden Ländern natürlich keinen sehr repräsentativen Eindruck, sondern den spezifischen Eindruck einer Grenzregion erhalten. Auf uns wirkten beide Länder sehr ärmlich und in vielen Teilen heruntergekommen mit unzähligen zerfallenen, oftmals trotzdem bewohnten Gebäuden und ehemaligen Fabrikanlagen. Die Natur in diesem Abschnitt erschien hingegen recht intakt bzw. erschien die Landwirtschaft genügend Freiraum für das Leben vieler Tiere und Pflanzen zu lassen. Radfahrtechnisch herausfordernd aber trotzdem lustig waren die fehlenden Drainagegräben zwischen Feldern und Straßen, was dazu führt, dass sich letztere bei starkem Regen binnen Minuten in Schlammflüsse verwandelten.
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Gewitter mit starken Regen und leider Schlamm / gülle überfluteten Straßen by
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Exkurs "wilde Hunde"Eine weitere wichtige Erfahrung unserer Reise war die, dass sog. "wilde Hunde" weder gefährlich noch besonders wild waren. Uns erschien es, als würden die herrenlosen Hunde, die sich untereinander kreuzen, von denen wir gefühlt 1000 auf der Reise trafen, zu unglaublichen netten Zeitgenossen werden. Sie hängen meist allein oder zu zweit zwischen und in den Dörfern rum, bellen selten und treten sogar oft zur Seite, wenn man an ihren vorbeifährt. Nicht zu verwechseln sind sie allerdings mit Wachhunden! Vielleicht tragen diese zum schlechten Ruf der "wilden Hunde" bei, denn diese bewachen ihr Territorium (z.B. ein Fabrikgelände) und rennen zu diesem Zweck teils laut bellend hinter Radfahrern her oder umzingeln sie. Nachdem wir zuerst dachten, dass entweder Anschreien, Bewerfen, Zurückbellen oder Wegrasen hilfreich sein könnte, stellten wir im Verlauf zum Glück fest, dass ganz ruhiges Reden im langsamen Vorbeifahren tatsächlich das Beste ist, wozu wir jedem Raten würden.
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Swanetien by
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Rumänien (auf dem Donauradweg)In Rumänien erschienen die Menschen weitaus weniger fröhlich, sondern im Alltag stärker durch ihre wirtschaftlichen Probleme belastet. Mit all den Pferdewagen, Sicheln bei der Feldarbeit und der Subsistenzwirtschaft des ärmsten Teils der Bevölkerung, der von fast nichts lebt, erschien uns der Aufenthalt dort zunächst wie eine Zeitreise. Wie auch anderenorts tranken viele Männer viel, und viele alte Menschen sahen wie vom Leben zerstört aus, soziale Differenzen waren sehr deutlich. Die erste Stadt, die wir hinter der Grenze erreichten, bestand aus Staubstraßen, über die Ziegen liefen, während an einem Brunnen gleichzeitig Menschen Trinkwasser holten, sich wuschen und und ein Pferd tränkten. Auf der weiteren Fahrt gen Schwarzem Meer fuhren wir hingegen auf perfekt asphaltierten Straßen zwischen Fuhrwerken und Mercedesen bis zum rumänischen Partystrand nördlich von Constanza. Die baumlose Landschaft mit seinen riesigen Feldern unterschied sich deutlich von der bulgarischen. Von der Küste aus fuhren wir weiter in den Norden und gelangten schließlich an das Donaudelta. Dort blieben wir zwei Tage, um an einer großartigen Bootstour durch das Vogelparadies teilzunehmen. Das Delta ist berühmt für seine Pelikanbrutplätze (die geschützt und nicht zugänglich sind), und unzählige andere Vogelarten, sodass wir innerhalb weniger Stunden hunderte an Pelikanen, Kormoranen, Reihern etc. aus nächster Nähe erleben konnten. Dieses stellte einen weiteren Höhepunkt unserer Reise dar.
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Noch mehr Pelikane by
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Moldau (3 km)Nach zwei Tagen erreichten wir zuerst die rumänisch-moldavische Grenze, fuhren drei km in Moldau und überquerten dann die moldavisch-ukrainische Grenze.
Ukraine (bis Odessa)Die Grenze war stark bewacht und unser Gepäck wurde eine Stunde lang durch vier Grenzer durchsucht, denen wir auf minimalem Russisch jedes Medikament und jedes Gepäckstück versuchten zu erklären. Unser Pfefferspray, das einst gegen Hunde gedacht war aber sowie niemals zum Einsatz gekommen wäre, wurde konfisziert. Der Weg von der Grenze nach Odessa besteht überwiegend aus einer Straße, die als "Autobahn" bezeichnet wird, aber eher wie eine Bopp-Bahn mit gigantischen Löchern aussieht, um die herum Autos und LKW eher langsam manövrieren müssen (erstmals erregten Autofahrer unser Mitleid), während auch noch Kühe über die Straße rennen. Als Radfahrer war es gar nicht schlecht und eher unterhaltsam. Die Landschaft war hingegen ein Trauerspiel mit endlosen Feldern ohne Bäume und Tiere. Die Menschen wirkten auf uns zunächst etwas finster, doch sobald wir mit ihnen sprachen, merkten wir, dass auch sie offen und warmherzig waren.
Nach zwei Tagen erreichten wir Odessa und somit einen der Orte, die wir unbedingt auf unserer Reise sehen wollten. Da unsere Fähre nach Georgien, die wir vor Ort buchten, erst sechs Tage später fuhr, verbrachten wir fast eine Woche in Odessa und schliefen in einem kleinen Hostel. Wegen der Schönheit und des Charms der Stadt mit all ihren tollen Gebäuden, Bäumen, der grünen Strandpromenade und den guten Restaurants war der Aufenthalt wunderschön und erholsam. Dass der Staat in einer tiefen wirtschaftlichen Krise steckt und im Osten Krieg herrscht, merkte man allerorts deutlich, doch die Menschen gaben sich alle Mühe, ihre finanzielle Not zu verbergen und erschienen eher recht mondän.
Mittlerweile waren wir 4200 km gefahren
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In der gondel zum Strand in odessa by
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Fähre von Odessa nach Batumi Die Fahrt auf der "MS Greifswald" dauerte drei Tage und war wegen unsere supernetten Tischgesellschaft (ein schwedisches Paar, ein junger Kanadier, ein junger Japaner und zwei baltische Biker) ein großer Spaß, und durch das Fehlen von Spielkasinos, Shoppingmalls etc., die man auf Fähren sonst findet, ist dieses überwiegend von LKW-Fahrern genutzte Schiff wirklich toll. Eine riesige Freude für alle Reisenden waren zudem Delphine, die neben uns hoch sprangen.
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Überfährt odessa batumi by
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GeorgienDie Fahrt durch Georgien stellte im bildlichen und wahren Sinne den Höhepunkt unserer Reise dar. In Georgien sahen wir paradiesische Landschaften, unbeschreiblich schöne Bergkulissen, Bergwälder, Wasserfälle, Flüsse, Gärten, Burgen, Klöster, Felsformationen, uralte Kirchen und Wehrtürme, Bergdörfer, Gletscherränder, ... und trafen vor allem unendlich freundliche Menschen (beginnend beim ersten Zöllner und endend bei tanzenden Hostelbetreibern). Und überall liefen, standen und lagen Rinder, Schweine, Pferde, Esel, Schafe, Ziegen, Katzen und Hunde herum. Sie laufen dort durch die Dörfer (mit einem sehr freien Gang) und auf den Straßen, und die Autos fahren um sie herum. Um sich zu kühlen liegen sie auch gern in Tunneln.
In Georgien fuhren wir überwiegend auf Straßen, auf denen man mit unseren schmalen Reifen nur schwer fahren kann, über Schotter, Steine, Matsch durch staubigen Sand und kleine Flussläufe bei ziemlicher Hitze bergauf, auf, auf, auf, auf und -ab. Das schwierigste war allerdings, all den Versuchen zu entrinnen, uns mit selbstgebranntem Schnaps abzufüllen (am besten half es wenn man so tat als würde die eine von uns es dem anderen vehement verbieten zu trinken).
Innerhalb von zwei Wochen fuhren wir von Batumi zunächst nach Zugdidi und von dort aus in den touristisch ausgebauten aber dennoch (oder ggf. auch deshalb?) sehr schönen Ort Mestia, von dem aus viele Menschen Wanderungen, Mountainbiketours, Kleinbusfahrten und Ausritte in die fantastische Bergwelt des großen Kaukasus genießen. Von dort aus wären wir eigentlich mehrere Tage gewandert, doch schon die erste Wanderung bis zum Gletscherrand war so steil, dass unsere Knie nach dem Abstieg nach weiterem Radfahren statt Wandern zu schreien schienen. So fuhren wir am nächsten Tag weiter nach Ushguli, dem höchsten, permanent bewohnten Dorf Europas. Während wir zuvor auf super Asphalt gefahren waren, begann nun das Abenteuer auf unbefestigten Wegen durch atemberaubende Landschaft. Von Ushguli aus war es trotz Regens sogar möglich über den zumeist geschlossenen Pass auf einem schmalen Matsch-Sand-Stein-Weg zu fahren. Es war so anstrengend und so schön zugleich. Den steinigen langen Weg bergab begleitete uns über 70 km der liebste, treueste "wilde" Hund. Über Lenteki fuhren wir nach Kutaisi, wo wir zwei Tage blieben. Anschließend besuchten wir noch den Kurort Bordschomi und die Felsenklöster von Wardzia. Nachdem wir wieder in Batumi angelangt waren, verließen wir Georgien schweren Herzens aber voller wunderschöner Eindrücke. Mittlerweile waren wir 5200 km gefahren.
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Mestia nach Uschguli (höchstes dauerhaft bewohnte dorf Europas) by
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Türkei (durch das Landesinnere)Durch die Türkei zu reisen hatten wir schon lange geplant, um die Kultur des Herkunftslandes vieler unserer Mit-Kreuzberger näher kennen zu lernen. Doch auf unserer 2600 km langen Fahrt durch das Landesinnere mussten wir leider feststellen, dass der Ausspruch eines türkischen Freundes "das zieht sich dort alles sehr", wirklich zutraf. So gelangten wir eigentlich erst nach 1000 km an den ersten wirklich schönen Ort, nämlich Kapadokien mit seinen einmaligen Felsformationen, Höhlenklöstern, unterirdischen Städten und dem Ihlara-Tal. Unsere Freude darüber, endlich Abwechslung von der langen, langen Fahrt auf dem Seitenstreifen der überdimensioniert erscheinenden Bundesstraße ohne schattenspendende Bäume und mit recht viel Müll über sieben Pässe von je ca. 2000 m Höhe wurde allerdings getrübt durch die Nachricht vom versuchten Militärputsch. Zunächst verunsichert entschieden wir uns trotzdem unseren Weg nach Izmir (über Kayseri, Konya und die Seenregion) per Rad fortzusetzen und trotzdem das Beste daraus zu machen. Während wir vorher täglich in Straßensperren geraten waren, in denen die Polizisten nur kurz und sehr freundlich nach unserem Weg gefragt hatten (auch ein wenig Türkisch gelernt zu haben empfanden wir hier als extrem angenehm), gab es von nun an keine Straßensperren mehr, aber überall wurden Fahnen jeglicher Größe gehisst, und es fanden sog. "Demokratieveranstaltungen" statt. Durchweg waren die Menschen extrem freundlich und großzügig, wir wurden überall zum Tee eingeladen und fühlten und überall sicher. Die Gesprächsthemen waren allerdings sehr beschränkt und kreisten um die Schönheit der Türkei. Nach weiteren ca. 1000 km auf besagten Straßen erreichten wir dann tatsächlich wieder eine Gegend, die uns sehr gut gefiel, und auf die wir uns so lange gefreut hatten: die Kalkterrassen von Pamukkale, die beeindruckende antike Stadt Ephesos (Efes), die Sehenswürdigkeiten Izmirs, das antike Pergamon und die fassettenreiche Stadt Bergama, die antike Stadt Assos inkl. Hafen und schließlich die Ausgrabungsstätte von Troja. Somit konnten wir nach einem Monat noch mit einem guten letzten Eindruck Abschied von der Türkei nehmen.
Ungefähr in Izmir hatten wir zeitlich und - wie sich später herausstellen sollte - auch örtlich die Mitte unserer Reise erreicht (Ende Juli, ca. 7200 km).
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Auf dem Weg nach und schließlich in Ihla...n Feldarbeitern by
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Einladung zu köfte und tee by
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Griechenland (türkische Grenze bis albanische Grenze) Über den Landweg erreichten wir die östliche Grenzregion Griechenlands und waren sehr froh und erleichtert nun hier zu sein; einerseits wegen des Militärputsches und andererseits weil wir nun merkten, wie sehr uns die Geschlechtertrennung im Alltag, die seit Bulgarien in jedem Land zuzunehmen schien, doch unangenehm berührt und belastet hatte. Auch wieder überall Bier trinken zu können war nicht schlecht. Sowieso stellte sich unsere Reiseroute durch Griechenland als fantastisch heraus. Wir kannten das Land zuvor nicht und wussten, dass man "eigentlich auf die Inseln muss", fuhren aber durch den Norden. Nicht nur die Ausgrabungsstätten, das Essen und die charmanten Menschen begeisterten uns, sondern zum Radfahren auch die Straßen: kleine, kurvige, fast verkehrslose Straßen führten uns durch Berge - vor allem auch vorbei am beeindruckenden Olymp -, entlang der Küste und durch hunderte von Oliven- und Weingärten. Wir genossen die Schönheit und Ruhe. Auch besuchten wir das bestgemachte Museum, in dem wir je waren: das Mausoleum von Philip II von Makedonien. Zum Wandern und Klettern fuhren wir in das zentral gelegene Meteora / Kastraki, das für seine Felstürme und -klöster weltberühmt ist, und wo es uns so gut gefiel, dass wir vier Tage blieben (auf einem perfekten Zeltplatz). Wir hätten gern auch ewig bleiben können. Doch gespannt auf das Kommende, fuhren wir die Berge weiter und erreichten nach zwei Tagen Albanien.
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Wanderungsende im Nachbardorf Kalampaka by
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Albanien (griechische Grenze bis Durres)Der Teil Albaniens, den wir durchreisten (von der griechischen Grenze bis Durres), stellte sich bezüglich der Vermüllung, der Städte und Strände allerdings als eine große Enttäuschung heraus. Wir verbrachten fünf Tage in Albanien damit uns zu wundern, was zum Teufel andere Besucher damit meinten, wenn sie von "beautiful untouched beaches" und "dschungelgleichen Wäldern" sprachen. Alles was wir sahen waren schrecklich befahrene Straßen, Müll überall, furchtbare Partystrände, neu hochgezogene Städte voller Hotels, mitleidserregender Bettlern, bettelnden Kindern, Menschen, die im Müll herumsuchten, Partytouristen, ... doch glücklicherweise auch ein paar wirklich schöne Bergdörfer, Olivenhaine, ein großartiger Pass an der Küste mit fantastischem Blick auf das Meer und die schöne osmanische Stadt Berat, in der wir einen Pausentag verbrachten. Uns wurde zwar berichtet, dass es noch weiterer vergleichbar schöne Städte geben solle und dass die Berge im Norden extrem schön sein sollen, doch wir entschieden uns trotzdem, die nächste Fähre nach Italien zu nehmen (über Nacht von Durres nach Bari). Mittlerweile waren wir 9000 km gefahren.
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Albanische Baukunst in Sarandë by
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Italien (von Bari nach Sizilien und Sardinien) Sehr glücklich darüber, nun in Italien zu sein, fuhren wir von Bari zur Fußspitze entlang der Südküste Calabriens. Vermutlich wäre es noch etwas schöne gewesen durch die Berge zu fahren, doch wir waren in den Wochen zuvor so viel auf und ab gefahren, dass unserer Beine sich wirklich über etwas Erholung freuten). Abermals fuhren wir an Tonnen von Müll vorbei und teils hindurch, und es war unmöglich zu übersehen und überhören, welchen Einfluss die Mafia auf die lokale Wirtschaft und Politik ausübt und wie sich dieses auf die Infrastruktur auswirkt: Trotz der architektonischen Schönheit der Städte scheint sich niemand um das öffentliche Wohlergehen zu kümmern und viele Gebäude verfallen. Innerhalb von fünf Tagen fuhren wir die 700 km um von S. Giovanni aus per Fähre nach Sizilien zu gelangen. Dort fuhren wir zuerst nach Taormina, zelteten in der Nähe und besichtigten die schöne aber sehr überlaufene Stadt und fuhren dann weiter nach Siracusa - einer der schönsten Städte, die wir je gesehen haben - und verbrachten dort einen Tag. Schließlich fuhren wir zum Ätna und umkreisten ihn - wie so viele Rennradfahrer, nur viel langsamer - innerhalb von zwei Tagen im Wechsel von Anstieg und Abfahrt, was herrlich war. Anschließend fuhren wir auf einer wunderschönen Panoramastraße durch das Landesinnere bis Palermo, wo wir Anfang August nach 10300 km ankamen. Nach drei Tagen der Erholung und des Genusses in dieser kontrastreichen, schönen und kaputten Stadt, fuhren wir per Fähre über Nacht (ohne Schlafplätze) weiter nach Sardinien.
Auf Sardinien fuhren wir entlang der Ostküste von Süd nach Nord und fanden es unglaublich schön und irgendwie wie von einem Designer für einen Werbekatalog entworfen (fast schon langweilig makellos, aber dann doch einfach so atemberaubend schön, dass es doch nicht langweilig ist). Am tollsten war die Fahrt entlang der Gorropu-Schlucht, die ebenfalls zu den schönsten Orten unsere Reise zählt.
Im Norden Angekommen setzten wir über nach Korsika, wo wir entlang der Westküste innerhalb von anderthalb Tagen durch starken Wind und einen Wolkenbruch durch die herrliche Landschaft bis Ajaccio fuhren. Dort nahmen wir die abendliche Fähre nach Toulon (wieder ohne Schlafplatz).
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Fahrt von Troina nach Cefalú: zunächst n...a. auf den Etna by
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Frankreich Teil 1 (Via Rhona)Von Toulon fuhren wir zunächst nach Avignon, verbrachten in der beeindruckenden Stadt einen Pausentag mit Besichtigungen und trafen dort auf die Via Rhona, einen perfekt angelegten Radweg entlang des Rhône zwischen Genf und dem Mittelmeer. Obwohl wir traurig darüber waren, nun bereits wieder so nahe an Berlin zu sein und es plötzlich alles viel kühler und herbstlicher war, genossen wir die schöne Landschaft, den schnellen Fluss, das steigungsfreie Fahren und die schönen Ortschaften sehr.
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Erster Tag auf dem wirklich tollen Rhône...Atomkraftwerken by
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Schweiz (Jura-Route) So gelangten wir an den Lac Léman / Genfersee und folgten für vier Tage auf kleinen Straßen der Jura-Route durch die sagenhaft schöne Berglandschaft nahe der französischen Grenze bis Bern.
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Weitere Fahrt durch das malerische schwe... Sainte Ursanne by
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Frankreich Teil 2 (Elsass)An den anschließenden zwei Tagen fuhren wir durch das Elsass und hatten das große Glück, dass an diesem ersten Oktober-Wochenende überall Weinfeste in den malerischen Orten zwischen den Weinhängen stattfanden. Der 3. Oktober war zufälligerweise unser letzter Tag in Frankreich bzw. erster in Deutschland, und was machten wohl tausende von Deutschen am Feiertag? Sie kauften in Frankreich hunderttausende Liter Wasser in Flaschen.
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Zwei Tage im Alsace zwischen Weinhängen, Weinfesten und zauberhaften Weindörfern by
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Deutschland Teil 2 (von Karlsruhe nach Berlin)Wieder in Deutschland zu sein und wieder "guten Tag" zu sagen war zuerst schrecklich, doch wir gewöhnten uns langsam an den Gedanken des Zurückseins, während wir nach einem Verwandten-Rückkehr-Besuch erst entlang des Rheins bis Bonn und dann auf dem sehr schönen Radweg D4 durch die Landesmitte bis an die tschechische Grenze fuhren. Da wir erst am 29.10. in Berlin sein wollten und schon am 19. in Zittau waren, fuhren wir von hier aus zunächst an der Neiße durch herrliche Herbstwälder und dann an der Oder durch Naturschutzgebiete im Nebel bis Ueckermünde. Schönerweise begleitete hier wieder unser treuer Freund Paul für drei Tage. Trotz Kälte und Nässe genossen wir die surreale Schönheit und den Flug der tausenden als Zugvögeln durch den Nebel auf ihrer Reise um die halbe Welt.
Schließlich gelangten wir über den Berlin-Kopenhagen-Radweg zurück nach Berlin; nach 14400 km.
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Zurück in BerlinUnd nun sind wir zurück in Berlin. Es fühlt sich merkwürdig an, zurück zu sein, doch was absolut klar ist, ist dass wir so glücklich sind, uns den größten Lebenstraum erfüllt haben - so lange Rad zu fahren - und dass alles so extrem gut gelaufen ist! Keine Erkrankungen, keine größeren Schäden am Rad (nur 14 Platte bei Jonas ohne "Schwalbe Marathon Plus" und keine Platten bei Feliz mit "Marathon Plus", vier Speichenbrüche und zwei kaputte Naben durch all den Schlamm), keine Gefahrensituationen, keine Diebstähle, keine unerträglichen Situationen, keine unerreichbaren Ziele oder unbefahrbare Wege, keine bösen Menschen, keine bösen Tiere, ... es war perfekt. Das halbe Jahr fühlt sich an wie vier bis fünf Jahre, da wir durch das permanente Fortbewegen jeden Augenblick und jeden Kilometer der Reise so intensiv erlebt haben und nie ein Gefühl der "sinnlosen" Tätigkeit entstand. Wir freuen uns schon auf die nächste Reise!
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Berlin by
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