Ostersonntag 2016, Merseburg-Bad KösenDa ich ja gestern nur bis Merseburg geradelt bin, will ich heute von Naumburg mit dem Zug zurück, um die Tour von dort aus fortzusetzen. Ich rolle also von der oberhalb der Saale gelegenen Altstadt von Naumburg zurück zum Bahnhof. In Naumburg gibt es den kleinsten Straßenbahnbetrieb Deutschlands, eher eine Art Museumsbahn mit historischen Fahrzeugen.
Am Bahnschalter erfahre ich, dass der Fahrradtransport im Regionalverkehr in Sachsen-Anhalt und auch in Thüringen kostenlos ist. Prima; das kenne ich aus Sachsen anders; somit war die Fahrradkarte, die ich gestern für die Fahrt von Merseburg nach Naumburg am Automaten gelöst habe, überflüssig. Hätte man wissen müssen…
In Merseburg angekommen, setze ich die Radtour fort. Der Saaleradweg verläuft nun landschaftlich reizvoll überwiegend direkt am Fluss oder wenigstens in Sichtweite. Das Wetter ist freundlich, aber der Gegenwind aus Südwest hält an, mit Böen, die teilweise fast zu Schritttempo zwingen. Bisweilen recht zermürbend. Kein Wunder, dass fast alle der doch recht zahlreichen Radfahrer, die auf dem Saaleradweg unterwegs sind, mir entgegenkommen, also mit dem Wind fahren.
Am Horizont die Chemieindustrieanlagen von Leuna:
Der Radweg verläuft weiter recht idyllisch entlang der Saale.
In Weißenfels steige ich zu Fuß hinauf zum hoch über dem Saaletal gelegenen, recht beeindruckenden, erst teilweise sanierten frühbarocken Schloss Neu-Augustusburg, ab dem 17. Jahrhundert nur für einige Jahrzehnte Residenz des kurzlebigen Herzogtums Sachsen-Weißenfels und mir vom Zugfenster aus seit etlichen Jahren regelmäßiger Vorbeifahrt bereits vertraut.
Da ich noch nicht richtig gefrühstückt habe, suche ich in Weißenfels nach einer Möglichkeit, mich mit einer Kleinigkeit zu stärken, der Ort scheint aber an Gastronomie wenig zu bieten. Immerhin bekomme ich schließlich eine Bratwurst direkt am Saaleufer vor dem Vereinsheim eines Ruderclubs, der ein Fest veranstaltet; leider muss ich dabei aus dem Lautsprecher dröhnende Mallorca-Hits über mich ergehen lassen.
Wieder direkt entlang der Saale geht es weiter Richtung Naumburg.
Am Hang über der Saale Schloss Goseck.
Nun komme ich wieder nach Naumburg, das ich gestern ja „nur“ mit dem Zug erreicht habe. Ich radele wieder hinauf in die etwas oberhalb der Saale gelegene Altstadt, um mir den berühmten Dom ausgiebig anzusehen. Zusätzlich zum Eintrittsgeld zahle ich zwei Euro extra, um im Innern fotografieren zu dürfen. Als erstes fallen mir kleine Details auf, die mich sofort faszinieren, nämlich moderne Skulpturen auf den Handläufen der Geländer der Treppen zum erhöht, über der Krypta, gelegenen Ostchor.
Es handelt sich, wie ich später im Internet nachlese, um Gestaltungen des Magdeburger Künstlers Heinrich Apel. Auf dem südlichen Geländer der heilige Franziskus, der den Vögeln predigt:
Auf dem nördlichen Geländer (nach meiner eigenen, aber wohl naheliegenden Interpretation) die Höllenfahrt sündiger Seelen, von denen einige, darunter auch gekrönte Häupter und kirchliche Würdenträger, offenbar vergeblich, auf dem Leib der abwärts kriechenden drachenartigen Kreatur hinauf kletternd ihrem Schicksal zu entgehen versuchen.
Höhepunkt der Dombesichtigung ist natürlich der frühgotische Westchor mit den berühmten Skulpturen des namentlich unbekannten, sogenannten Naumburger Meisters aus dem 13. Jahrhundert. Am sogenannten Lettner, der den Chor vom restlichen Kirchenschiff trennt, eine für die damalige Zeit bemerkenswert lebensnahe Darstellung der Kreuzigungsszene
Die berühmte Uta von Naumburg, eigentlich Uta von Ballenstedt, mit ihrem Gemahl, Markgraf Ekkehard von Meißen
Die schöne, aber auch etwas unnahbar wirkende Uta ist zwar die bekannteste, aber nur eine von zwölf Skulpturen, die die zwölf Adeligen darstellen, die ursprünglich den Dom gestiftet hatten, darunter, direkt gegenüber, ein weiteres Paar, die gütig (oder verschmitzt?) lächelnde Reglindis mit ihrem Ehemann.
Die zwölf Stifterfiguren des Westchors in der Gesamtschau. Die lebendige und verblüffend authentische Wirkung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Naumburger Meister nicht wissen konnte, wie die Herrschaften wirklich aussahen, da sie etwa 200 Jahre vorher lebten.
Blick vom Kreuzgang auf die Osttürme
Ich verzichte aus Zeitgründen auf die sicher interessante Besichtigung des Domschatzes und sehe mir stattdessen eine Ausstellung über das Wirken des Naumburger Meisters in frühgotischen Kathedralen in Nordfrankreich an.
Ein letzter Blick auf den Dom,
dann geht es weiter auf dem Saaleradweg Richtung Westen.
Hier mündet am gegenüberliegenden Ufer die Unstrut in die Saale.
Die Saale verläuft um Naumburg in einer weiten Schleife; es bietet sich aus der Ferne noch einmal ein schöner Blick auf die „Skyline“ von Naumburg mit dem Bahnhof und dem Dom.
Ich komme nun in das Weinanbaugebiet Saale-Unstrut, das nördlichste und sicher auch eines der kleinsten in Deutschland.
Der weithin sichtbare Schriftzug im Weinberg ist mir seit Jahren vertraut, da er mir schon dutzende Male bei der Vorbeifahrt mit dem ICE von Dresden Richtung Frankfurt aufgefallen ist.
Kurz darauf erreiche ich den Kurort Bad Kösen; hier das Gradierwerk im Kurpark.
Hier beende ich die heutige Etappe; es waren nur knapp 60 km. Es fängt aber auch schon an zu dämmern. Immerhin war heute Nacht Zeitumstellung, so dass ich heute eine Stunde länger Tageslicht hatte als gestern (wobei ich gestern ja bereits gegen vier Uhr die Etappe beendet habe). Ein Hotel nehme ich mir in Bad Kösen nicht, sondern nehme den Regionalzug, um in meinem möblierten Zimmer in Erfurt, das ich wegen meines neuen Jobs dort gemietet habe, zu übernachten; die Zugfahrt dorthin dauert nur knapp eine Dreiviertelstunde, und morgen werde ich dann mit dem Zug nach Bad Kösen zurückkommen, um die Tour auf dem Saaleradweg von hier aus fortzusetzen.
Ostermontag 2016, Bad Kösen-JenaHeute habe ich nur noch bescheidene 40 km vor mir, so dass ich erst am späten Vormittag den Zug von Erfurt zurück nach Bad Kösen nehme. Ich brauche heute nur eine Packtasche, da ich heute Abend von Jena mit dem Zug wieder zurück nach Erfurt fahren werde.
Das Wetter wirkt unentschieden, sonnige Abschnitte wechseln mit bewölktem Himmel ab; den ganzen Tag über sieht es so aus, als ob es irgendwann doch noch anfangen wird zu regnen, so dass mich während der heutigen Etappe ständig die Sorge umtreibt, dass ich es wetterbedingt nicht einmal bis Jena schaffen werde, jedenfalls nicht trocken. Ich werde aber Glück haben.
Von Bad Kösen geht es weiter saaleaufwärts, und wieder kämpfe ich gegen den Wind an, den fast alle anderen Radler, da sie andersherum unterwegs sind, im Rücken haben. Hätte ich nicht heute auch besser andersherum, von Jena nach Bad Kösen, fahren sollen? Zu spät…
Trotzdem genieße ich die Fahrt entlang der Saale.
Über einen unbefestigten und steilen Waldweg geht es hinauf zur hoch über der Saale gelegenen Rudelsburg, zusammen mit der benachbarten Burg Saaleck eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten dieses Abschnitts des Saaletals.
Da die beiden Burgen schon seit dem 19. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der Tradition studentischer Verbindungen, insbesondere der Corps, spielten, gibt es im Umfeld mehrere von studentischen Korporationen gestiftete Denkmäler. Recht pathetisch das Löwendenkmal zum Gedenken an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Corpsstudenten.
Hier der junge Bismarck als Corpsstudent mit seiner Dogge Ariel.
Ich erreiche die Rudelsburg, deren Anblick von unten, von der Bahnstrecke aus, ich schon unzählige Male vom ICE aus genossen habe.
Die Rudelsburg liegt malerisch fast senkrecht hoch oberhalb des Scheitels einer engen Saaleschleife mit herrlichem Blick über das Saaletal. Um das ganze Panorama fotografisch einzufangen, hätte ich einen extremen Weitwinkel gebraucht; man muss sich die beiden folgenden Fotos einfach nebeneinander vorstellen.
Ich genieße die erste längere Abfahrt der Tour zurück ins Saaletal. Von hier habe ich auch einen Blick auf die andere der beiden Burgen, Saaleck.
Die steilen Felshänge des Saaletals
Kurz darauf erreiche ich Thüringen.
Ich bin immer noch im Weinanbaugebiet Saale-Unstrut, und kurz nach der Grenze zu Thüringen komme ich an einem Weingut mit Bewirtung auf einer Terrasse direkt am Saaleufer vorbei und nutze die Gelegenheit zu einer Einkehr. Ich gönne mir ein Bärlauch-Riesling-Süppchen und dazu ein Glas des hier erzeugten Rieslings. Sehr lecker.
Der Saaleradweg verläuft nun weiter landschaftlich sehr reizvoll durchs enger werdende Saaletal, teils auf gut asphaltierten Radwegen, teils über schwach befahrene Landstraßen.
Häufig führt die Strecke im Hang aufwärts, so dass sich schöne Fernblicke bieten. Hier der Blick auf die Camburg.
Im Hintergrund noch einmal die Camburg.
Bei Dornburg die Dornburger Schlösser hoch über der Saale
Ich nähere mich nun langsam Jena, der Gegenwind wird strammer und trübt ein wenig das Landschaftserlebnis.
Schließlich erreiche ich Jena, das ich noch gar nicht kenne, und das den Endpunkt meiner Kurzreise bildet.
Entgegen meiner ursprünglichen Vorstellung bin ich nun doch nicht die gesamte Strecke von Leipzig bis Erfurt geradelt, aber es war eine schöne Tour, ein guter Auftakt der Radfahrsaison, und ich habe viele interessante Eindrücke gesammelt.
Es ist erst kurz nach fünf, und mit dem Wetter hatte ich bis jetzt Glück gehabt. Ich beschließe, nach einem Bier auf dem Rathausplatz, noch ein wenig kreuz und quer durch die Stadt zu radeln und dann den Zug zurück nach Erfurt um kurz nach halb sieben zu nehmen. So bekomme ich noch einige Eindrücke von der Stadt, die ich mir sicher demnächst nochmal ausgiebiger ansehen werde.
Hier das Zeiss-Planetarium mit dem JenTower im Hintergrund
Vom Bahnhof Jena-West braucht der Regionalzug nur eine knappe halbe Stunde nach Erfurt.
Gegen zehn nach sieben bin ich dann in Erfurt. Nun habe ich nur noch ca. 20 min zu meiner Wohnung zu radeln. Und nachdem es, trotz meiner ständigen Befürchtungen, während der ganzen heutigen Tour trocken geblieben ist, fängt es nun an zu tröpfeln, und schließlich fahre ich die letzten Minuten im strömenden Regen und komme durchnässt in meiner Wohnung an. Das ist mir nun aber egal, es amüsiert mich eher, denn ich bin dankbar, dass das Wetter sich mit dem Regen bis jetzt geduldet hat und mich während der heutigen Etappe nur mit dem Wind etwas geärgert hat.