: | 1 month(s), 28 |
: | 27.6.2013 23.8.2013 |
: | 4000 |
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Wenn mich vorher eine gefragt hätte, ob ich freiwillig im Urlaub um 5 Uhr aufstehen, mit dem Fahrrad mehr als 30.000 Höhenmeter erklimmen, regelmäßig bei 50° in der Sonne fahren wolle, hätte ich selbstverständlich nein gesagt.
Anders herum klingt es viel besser. Acht Wochen Urlaub im Westen der USA, von San Francisco nach Denver, Nationalparks besuchen, gutes Wetter garantiert, und das alles mit dem Fahrrad, toll!
Dieses ist nicht unsere erste Radreise. Wir, 2 Frauen,fahren seit 15 Jahren in jedem Urlaub los, nicht nur durch Deutschland und in Europa, sondern auch schon in Amerika. Aber noch nie waren wir acht Wochen lang nur in den Bergen unterwegs.
Dank unserer Erfahrung können wir unser Gepäck minimieren (je vier Taschen sind es trotzdem), wir haben Landkarten vom amerikanischen Radclub, in denen genau aufgeführt ist, wann es was zu kaufen oder eine Unterkunft gibt.
Und so machen wir uns munter auf den ersten Abschnitt dieser Strecke, der uns von S.F. durch ein fruchtbares Tal bis an den 1900m hohen Lake Tahoe führt, der als Refugium für die Reichen gilt. Zwei Tage müssen zum Einradeln genügen, schon fangen die Berge an. Wir merken zwar, dass es anstrengend ist, aber es tangiert uns nicht. Wir bestaunen die Felsenformationen, wir sehen Wasserfälle, wir hören Vögel zwitschern, wir registrieren die Autokarawane, die dasselbe Ziel hat wie wir und doch so viel langweiliger reist. Wir spüren die Jahrhunderthitze am Körper, sind aber so euphorisch, dass wir keine Zusammenbrüche erleiden. Außerdem passen wir auf uns auf, trinken viel, machen häufig Pausen, fahren sehr früh los und kommen immer rechtzeitig in einen Ort, wo wir uns wegen der Hitze oft ein Motel nehmen, um uns abkühlen zu können. Was sind wir stolz, als wir unseren Höhenrekord brechen und auf 2250m steigen. Die folgende Abfahrt verbremsen wir im Stau und feiern anschließend mit den Amis ihren Nationalfeiertag.
Der nächste Streckenabschnitt führt durch das leere heiße Nevada. Tagelang ändert sich oberflächlich gesehen nichts. Ein Reporter hat vor einigen Jahren von dem Highway 50 als der "loneliest road der USA" geschrieben, welche diese Strecke so berühmt gemacht hat, dass einige Individualisten sie benutzen, nicht nur wir. Jede erinnert sich von Filmen oder Bildern an schnurgerade Straßen, die ohne Schatten im Nichts auf einen Berg zulaufen. Auf dieser fahren wir tagelang. Die Geraden sind zwischen 20 und 40km lang, dann kommen die anstrengenden Steigungen, die fröhliche Abfahrt, und alles geht von vorne los. Alle ca 100 km taucht ein Ort auf, und zwischendurch ist äußerlich gesehen nichts.
Nicht für uns. Wir finden diese karge Landschaft faszinierend, weil wir Vergleichbares nicht in Europa sehen können. Die mit Salbeibüschen bedeckte Ebene flimmert im Licht, wir können weit in die Ferne gucken und manchmal in der Nähe Wildpflanzen in allen Farben bewundern. Wenn wir stundenlang auf die nackten braunen Berge zufahren, wissen wir nie, wie der Weg weitergeht. Wir spüren den Schweiß auf unserer Haut und die Anstrengung in den Beinen, wir atmen schwer und hören unser Herz schlagen. Wir sehen die Strecke nicht nur, wir erleben sie hautnah und mit allen Sinnen.
Und da nichts passiert, kommt unser Gehirn zur Ruhe. Hier in der Mitte vom Nichts können wir unsere Seele baumeln lassen, unseren Kopf freibekommen, den Alltagsgedanken entrinnen, in aller Gemütlichkeit über den Sinn des Lebens nachdenken. Es gibt keine Ablenkung durch Leuchtreklamen oder Sehenswürdigkeiten oder rasenden Verkehr. Es fühlt sich an wie eine Meditationssitzung - bei aller Anstrengung ganz entspannend.
Die paar kleinen Orten haben ihre Boomzeit hinter sich gelassen. Vor hundert Jahren lebten in Austin/Nevada teilweise 8000 Menschen auf einem Fleck, um nach Silber oder Kupfer zu buddeln, nun gammeln manche Häuser vor sich hin. Es sind 300 Bewohner übrig geblieben, die uns sehr freundlich begegnen. Ich habe keine Vorstellung, womit sie ihren Unterhalt verdienen können. Es gibt Touristen hier, Mountainbiker, Wanderer, diese Gegend ist nicht für die Masse geschaffen, nur für Individualisten.
Wir können uns in allen Dingen nur auf uns und unsere Erfahrung verlassen. Schaffen wir den nächsten Tag oder braucht unser Körper eine Pause? Wie viele Liter Flüssigkeit müssen wir mitschleppen? Welche Nahrungsmittel brauchen wir und können wir sie auch transportieren, ohne dass sie in der Hitze dahinschmelzen?
Bis hierhin scheinen wir alles richtig gemacht zu haben. Es geht uns gut, wir haben die weiten Strecken und die Hitze gut überstanden, nun sind wir in Utah und können kürzere Strecken fahren und das Canyonland genießen. Einfacher wird die Fahrt nicht, nur viel schöner.
Von Cedar City aus steuern wir "Zion" an, unseren ersten Nationalpark. Das bedeutet zunächst 800m Höhenverlust, die wir uns mühsam wieder hocharbeiten müssen und das gar nicht richtig wahrnehmen, weil uns die Schönheit der Felsenansammlungen so in unseren Bann schlägt, dass wir nur fasziniert in alle Richtungen schauen können, während unsere Beine die Tretbewungen vollziehen. Wir spüren ein so starkes Glücksgefühl, dass uns vor Freude die Tränen kommen. Wir sind gefangen von der Großartigkeit dieser Landschaft, die uns zu unserem ersten Nationalüpark Zion führt.
Diesen dürfen wir mit dem Fahrrad durchqueren. Die meisten Menschen fahren im Busshuttle von einer Station zur nächsten, wir haben freie Fahrt und bestaunen die riesigen Felswände rechts und links. Und auch als wir am nächsten Tag den Park auf einem anderen Weg verlassen, müssen wir uns viele Kilometer lang bergauf quälen, natürlich ist es schweißtreibend und fürchterlich anstrengend, aber dafür können wir an jeder Stelle halten und einen Blick zurückwerfen und staunen, wie viele Höhenmeter wir geschafft haben.
Auch die weitere Strecke zum Nordeingang des Grand Canyon ist nicht leicht zu fahren, es geht bergauf und bergab. Dafür erleben wir die Natur ganz intensiv, wir sehen Tiere, die aus dem Auto heraus niemand bemerken kann. Es ist schon erstaunlich, dass wir uns diesen Nationalpark inmitten einer Wüste vorstellten - hier an der Nordseite ist es ab 2000 m Höhe stark bewaldet, es gibt große Almwiesen, auf denen wir nicht nur eine Büffelherde sichten, sondern Wildpflanzen in allen Farbvariationen entdecken.
Während wir am Eingang 12 Meilen vor der echten Schlucht warten, dass wir unseren Eintritt bezahlen können, lesen wir ein Schild: "Campingplatz voll!"
Wir sind ganz geknickt. Das ist doch zu ärgerlich, wenn wir jetzt hier so weit entfernt zelten und immer erst 20 km zum Gucken fahren müssen. Ich frage noch einmal nach und wir erfahren, dass RadfahrerInnen selbstverständlich einen bevorzugten Platz erhalten! Nun strahlen wir wieder und noch mehr, als wir feststellen, dass wir uns direkt am Rand der Schlucht aufstellen dürfen. Beim Aufwachen ziehen wir am Reißverschluss und schauen in den Abgrund. Grandios! Es fehlen mir die Worte, um den Eindruck zu schildern, den dieser Canyon auf Menschen macht. Am besten beschreibt diesen ein Erlebnis vom nächsten Tag. Wir fahren an die Spitze der Nordschlucht. Am Ende der Straße steht ein Restaurant mit einer Terrasse, die direkt am Canyon endet. Dort sitzen wir, als eine japanische Reisegruppe schnatternd aus dem Bus kommt, diese gewaltigen Abgründe sieht, es schlagartig still ist und alle mit offenen Mündern staunen.
Nach drei weiteren Radtagen landen wir am Bryce Canyon, den wir dieses Mal wie alle Touristen einige Stunden lang abwandern; auch hier sind wir ganz gefangen von der Vielfalt.
Nach diesen grandiosen Eindrücken fällt es mir schwer, mich auf die weitere Bergstrecke mit den vielen wunderbaren Felsformationen einzulassen. Ich bin erfüllt von den bisherigen Eindrücken, unsere Erwartungen sind weit übertroffen, ich habe den Eindruck, ich kann gar nichts mehr aufnehmen. Es macht mir Mühe, Karten zu schreiben, weil mir keine neuen Worte einfallen für diese großartigen vielfältigen Landschaften.
Körperlich sind wir gut drauf. Wir haben weiterhin keine Probleme, in der Hitze Berge zu erklimmen, aber wir haben jetzt mehr Lust, andere Sachen als großartige Felslandschaften zu bestaunen. Also verändern wir die Strecke, die überhaupt nicht festgelegt war und machen uns auf in bewohnte Gegenden. Die Orte liegen zwar an der Autobahn, sind aber so klein, dass wir überhaupt keinen Lärmschock erleiden. Im Gegenteil, es ist nett, mal wieder durch Läden zu bummeln oder zwischen einer größeren Anzahl an Restaurants wählen zu
können.
Die Planung der weiteren Route ist nicht so einfach. Berge gibt es überall.
Entweder müssen wir viele Meilen lang auf einer Autobahn fahren oder in einem weiten Bogen über heftige Berge auf Straßen, von denen wir nicht wissen, welche Prozente die Steigungen betragen, ob sie viel befahren sind und keinen Seitenstreifen besitzen. Letztendlich begeben wir uns doch wieder in Richtung der Fahrradstrecke, um auch die beiden letzten Nationalparks zu durchqueren: Capitol Reef und Moab. Der letztere Ort ist die heimliche Mountainbike-Hauptstadt. Hierher düsen mit dem Rad auf dem Auto alle Fans dieser Sportart, um einen schwierigen Felsparcours zu meistern. Wir schauen uns lieber die wunderschönen roten Felsen an und erfreuen uns an den Bögen und Felsbrücken des Arches Nationalparks.
Von hier aus müssen wir die längste Etappe dieser Tour bewältigen. Es gibt fast 150 km lang nichts, nur einen kleinen Ort ohne Laden, mehrere Campingplätze mit Plumsklo und ohne Wasser.
Für zwei Tage können wir nicht die notwendigen 20l Flüssigkeiten mitschleppen. Wir fühlen uns fit und sind überzeugt, dass wir trotz der Berge auch diese Strecke schaffen werden. Und so ist es. Vollgestopft mit Lebensmitteln und Getränken fahren wir 50km lang eine fantastische Straße neben dem Colorado-River, rechts und links hoch aufragende rote Felsentürme und Felsenschlösser, eine tolle Abschiedsstrecke aus Utah hinaus. Und als die Straße vom Fluss abbiegt, befinden wir uns sofort in der Wüste, die erst endet, als wir nach 150 km in Fruita/Colorado landen.
Hier ist die Landschaft eine ganz andere. Der Fluss fließt in einem weiten fruchtbaren Tal, er kommt aus den echten Rocky Mountains, denen wir nun entgegen radeln. Wir bleiben im Tal, steigen jeden Tag ein wenig höher und sind ganz begeistert von dieser Gegend. Eigentlich wurde hier nur Ski gelaufen. In den letzten Jahren hat aber auch der Sommertourismus zugenommen, es gibt vielfältige sportliche Freizeitangebote wie Wandern, Vogelbeobachtungen, Angeln, Schwimmen, Klettern, Mountainbiking, Reiten; es gibt Kulturveranstaltungen, Feste und vieles mehr. Auf diese Weise stimmt die Infrastruktur, es gibt für uns eine Auswahl an Motels, die kleinen Orte sind alle restauriert und ganz schnuckelig, wir fühlen uns hier sauwohl.
Die Strecke verläuft in einem mehr oder weniger breiten Tal. Manchmal ist es so eng, dass der Radweg unter die Autobahn gebaut wurde, und auf anderen Abschnitten müssen und dürfen wir sogar die Autobahn benutzen. Wir steigen stetig an, bis wir in Vail landen, einem Skiort nicht weit entfernt von Aspen, der in der Innenstadt an einen Schweizer Bergort erinnert.
Nun liegt die letzte Herausforderung vor uns. Wir müssen noch zwei große Pässe überqueren, einer geht über 3500m und macht uns ganz unruhig. Machen wir in der Höhe schlapp? Bekommen wir Kopfschmerzen oder wird uns schwindelig? Im Internet gibt es nur Berichte von Rennradlern oder GepäckradlerInnen, die einen Shuttle benutzt haben. Schaffen wir die Steigungen? Wie es der Zufall will, finden wir hier in einer Radzeitung einen Artikel von einer Frau, die mit Gepäck über diesen Lovelandpass gefahren ist.
Es ist machbar, dann schaffen wir das auch!
Der erste 3000er ist ein Glücksfall. Die ganze Strecke fahren wir auf einem Radweg. Der schützt uns nicht vor heftigen Steigungen, im Gegenteil, manchmal müssen wir 12% schaffen, und das ist wirklich eine Herausforderung. Wir treffen viele Rennradler und Rennradlerinnen. Es gibt Angebote, die Menschen samt Rad auf den Berg zu fahren, von wo aus sie dann ohne Anstrengung und mit viel Spaß zurückrollen können. Wir sind die einzigen Gepäckfahrerinnen und ernten viel Anerkennung für unsere schweißtreibende Auffahrt. Immerhin müssen wir uns ca 1000m in die Höhe hieven!
Den ersten Pass meistern wir also mit Bravour, nun haben wir nur noch Respekt vor dem zweiten, aber keine Angst. Ein Tag Rast, und auf geht's. Wir fahren auf einer wenig befahrenen Straße - die Autos benutzen die Autobahn, die den Berg mit Hilfe eines Tunnels bewältigt. Nun hilft uns unsere ganze Erfahrung beim Hochfahren. Wir trinken viel, machen sehr regelmäßig Pausen und essen Kleinigkeiten. Wir wollen unseren Körper langsam an die Höhe anpassen, achten auf jedes Schwächezeichen! Die Steigung beträgt über viele Kilometer 4°-6°, das ist anstrengend, aber fahrbar.
Und es gibt so viel zu gucken. Hier stehen Nadelbäume, einige krank/braun von einem Käferbefall, wir sehen häufig Wasserläufe mit Biberdämmen, auf einem Stein steht ein Murmeltier und blickt uns an. Zu viel können wir nicht in der Gegend herumgucken; wir müssen aufpassen, dass wir auf der Straße bleiben. Wenn wir hinunter in den Abgrund schauen, wackelt das Rad zu sehr, weil unsere Geschwindigkeit eine sehr geringe ist.
Die letzte Kurve, und wir sind oben! Überschäumende Freude, ein Foto, der Loveland ist bewältigt: 3655m! Was für eine Höhe, die wir mit unserer eigenen Muskelkraft bewältigt haben!
Der Rest ist schnell beschrieben. Wir fahren bis nach Denver, verleben dort einige sehr schöne Tage. Es gibt viele Radwege bzw. Straßen mit Radstreifen. Das Wetter ist herrlich, die Leute sehr freundlich, die Stadt gefällt uns gut. Und als wir am letzten Tag zum Flughafen radeln, finden wir Radschilder auf der Schnellstraße, die uns bis dorthin leiten. Das haben wir bisher noch nie erlebt.
Insgesamt sind wir 4000 km geradelt!
Wenn ich über die stillgelegten Bahnstrecken lese, die zu Radwegen ausgebaut sind und ganz stolz über die Länge von mal 30, 50 oder sogar 70 km berichtet wird, bekomme ich Sehnsucht - nach den Weiten in Amerikas, die keine Begrenzung zu haben scheinen!