Wo hier so tolle Räder gezeigt werden, will ich mich nicht lumpen lassen und fange mal an, meine Räder peu a peu in chronologischer Reihenfolge dazu zu stellen. Die Fotos sind leider nicht allerbeste Qualität. Ich habe nur noch Abzüge, die ich digitalisieren mußte.
Mein altes Reiserad
Es gab zwei Gründe warum ich anno 88/89 dieses Rad baute: Zum einen war ich derzeit bei Guylaine beschäftigt und es reizte mich ein Rad nach meinen Vorstellungen zu bauen und zum anderen war es schlichtweg notwendig. Zuvor wollte ich zwecks Urlaub mit einem Freund gemeinsam von Frankfurt an den Atlantik. Dazu mußte das alte, getunte Familienrad Kettler Daxi herhalten. Mit zusätzlichen Lowridern, einer deutlich erweiterten Übersetzung und anderen Bremsen gedachte ich dies bewältigen zu können. Am ersten Tag kamen wir über den Taunus bis Lorch am Rhein. Dann war für mich Schluß und ich nahm die Bahn zurück. Ich war mir sicher, daß sich der Rahmen in Kürze in seine Bestandteile auflösen würde. Er flexte vom Anfahren bis zu stolzen Vmax von 37 km/h im Downhill. Mehr traute ich mich nicht bei dem Geflatter. Der Rahmen war für mein Vorhaben absolut untauglich und etwas Besseres mußte her.
Rahmen
An den Rahmen stellte ich zwei Hauptanforderungen: Mit Gepäck absolut flatterfrei und komfortabel muß er sein. Federelemente waren damals an Fahrrädern was Unbekanntes und so mußte die Auslegung des Rahmens für die gewünschten Eigenschaften sorgen. Viel Gabelvorbiegung für den Komfort. Damit ausreichend Nachlauf (72 mm) erreicht werden, mußte der Lenkkopfwinkel recht flach werden (70 º). Ein langer Hinterbau von 515 mm sorgt dafür, daß der Radstand groß wird, der hintere Gepäckschwerpunkt nicht hinter die Radachse kommt (Gewichtsverteilung), eine Werkzeugbox samt Luftpumpe zwischen Rad und Sattelrohr Platz hat und last but not least der Kettenschräglauf gering bleibt. Das Oberrohr habe ich stark abgesenkt um komfortabel über dem Rad stehen zu können. Damit das Sattelrohr nicht durchgebogen wird, wird eine lange MTB-Sattelstütze verwendet, die weit unter dem Schnittpunkt mit dem Oberrohr nach unten weiter geht. Ersatzspeichen finden darin von einem Korken gehalten ihren Platz. Das Oberrohr wurde bei Technobull in speziellen Prismen ovalisiert um quer muffenlos eingelötet zu werden. In unserer heimischen Werkstatt gab es zwar einen Autogenbrenner aber keine Rahmenlehre. Ein schwenkbarer Schraubstock an der hölzernen Werkbank montiert, gab zusammen mit einer Asbestplatte, einem Stück Blech, dem sprichwörtlichen Ziegelstein und einer Gewindestange mit Muttern meine Lötvorrichtung ab. Die Rohre wurden verstiftet (dünne Nägel quer durch Muffe und Rohre). Das Tretlagergehäuse hatte ich zuvor plan gefräst und hatte somit eine Bezugsfläche geschaffen, die ich zusammen mit einem geschliffenen Stahllineal zum Ausrichten und zur Kontrolle des zu lötenden Aufbaus nutzte. Der Hauptrahmen wurde Rohr für Rohr gelötet, der Hinterbau paarweise. Als Lot verwendete ich 56% Cadmium freies Silberlot. Bis auf die Kettenstreben (Sonderanfertigung für Technobull) kamen Columbus GT und SP Rohre zum Einsatz. Muffen: Bocama, Anlötteile: Silva und Guylaine sowie modifizierte Magura Anlötsockel. Eine abschließende Kontrolle auf der Guylainschen Richtplatte ergab keinen Verzug. Voila.
Bevor der Rahmen zum Beschichten weg gegeben wurde, diente er noch als Lötlehre für den Gepäckträger.
Gepäckträger
Der Gepäckträger wurde aus Rundstäben der edlen Aluminiumlegierung AlSi 0,5 (um lötbar zu sein) gebogen. Frühere Versuche mit um 12 cm herunter gehängten Packtaschen an dem zuvor erwähnten Kettlerrad haben gezeigt, daß das Fahrverhalten dadurch deutlich verbessert wird. Daher war es klar, daß eine zweite Ebene zum Einhängen der Packtaschen nötig ist. Der Gepäckträger hat eine 6-Punktaufhängung. Es war schon beieindruckend zu sehen, wie Herr Sattler (Technobull) den Gepäckträger mit dem Autogenbrenner lötete.
Bremsen
Mein Freund hatte sich von den Hydraulikrennbremsgriffen, die H.G. Sattler für ein Tandem entwickelt hatte, inspirieren lassen und beschloß, daß er so was, auf die eigenen Bedürfnisse abgestimmt, auch herstellen könne. Nach jeder Menge Tee, einigen Zeichnungen, der tatkräftigen Mithilfe von Helmut Stümpel (t) (Fräs- und Dreharbeiten) und einigen Stunden in der Werkstatt ging der erste Prototyp auf die Straße. Die Bremsgriffbefestigung am Lenker war noch nicht perfekt, so daß ich sie bei einer Neuauflage, wie im Foto zu sehen, verbesserte. Die Anlage besitzt am Griff keine Entlüftungsschraube und muß daher bei der Montage unter ständigem Ölnachschub vom Nehmer her, montiert werden. Riesen Sauerei und fummelig, zumal die Bremsleitung durch den Lenker und Vorbau führt. Der Vorbau besteht aus einer Rohrschweißkonstruktion die in den geteilten Lenkerkloben eingelötet wurde. Die Klemmung des Vorbaus sieht wie hier angeschnitten dargestellt aus:
Darunter kommt dann ein normaler Stronglight A9 Steuersatz mit Kontermutter zum Einsatz.
Antrieb
Bei meiner schlappen Kondition (Faulheitsbedingt) war klar, daß richtige Berggänge und ein fein gestuftes Getriebe her mußten. Das Schaltschema Halfstep plus granny ermöglicht dieses.
Als 19er Kettenblatt findet ein modifiziertes Rigida-Ritzel Verwendung. Der Rest ist TA. Der göttlich schaltende und robuste Shimano 600 EX Umwerfer mußte aus Platzgründen unten leider gekürzt werden. Man sieht`s an den Anlaufspuren um das Blech zu enthärten, wg. Bohrung.
Für den steilen Kranz 11-32 in 6-fach mußte ein geeignetes Schaltwerk her. Das Schrägparallelogramm damaliger Schaltwerke wie Shimano XT war nicht schräg / steil genug um zuverlässig zu schalten. Daher entschied ich mich für den Sachs Huret Duopar Eco.
Für die seitliche Schwenkbewegung sorgt das waagerechte Parallelogramm; für die Vertikalbewegung des kugelgelagerten Führungsrädchens eine Schwinge, die mit Hilfe der Kettenspannung dicht unter die Ritzel schwenken soll. Eine, von mir angebrachte, Zusatzfeder sorgt dafür, daß dies auch zuverlässig geschieht. Um die erforderliche Spannkapazität von 40 Z zu erreichen, habe ich die Stahlschwinge mit einem eingeschweißten Zwischenstück verlängert.
Ein Adapter zur Seilklemmung sorgt für richtige Übersetzungsverhältnisse für die Indexierung. Für weicheres Setzen der Kette beim Schalten unter Last wurden die Zähne der UG-Dura Ace-Ritzel „Daihard“ mäßig spitz zugeschliffen. Mittlerweile schleife ich UG-Ritzel nach dem Funktionsprinzip von HG um. Doch dazu später einmal. Das gesamte Getriebe schaltet 1A.
Auf dem Foto ist noch unten an der Kettenstrebe die Aufnahme für ein Stückchen Kette zu erkennen. Zusammen mit einem Kettenschloß läßt sich so leicht unterwegs das Schraubritzel lösen (wg. Speichenwechsel).
Ausstattung, wenn nicht schon zuvor erwähnt
Reifen: Michelin Highlite Tour Faltreifen, 37-622
Naben: Dura Ace, wg. 11er Ritzel, gab`s damals nur passend für Dura Ace Naben
Speichen: hinten: 2,34-1,75-2 mm, vorne DD 2-1,8 mm
Felgen: Alesa 917, 36L
Tret- und Innenlager: TA
Pedale: SR Lowfat mit Christophe-Haken miniD
Kette: Rohloff SLT99
Schalthebel: Suntour XC 4050
Sattelstütze: Kalloy
Sattel: Brooks B17 Standard
Lenker: SR Randonneur
Griffe: Grab On Maxi Kit
Spiegel: Mirrycle, verlängerter Auslegearm
Schutzbleche: SKS Bluemels Olympic
Scheinwerfer: Union H100, jetzt Elio Nova
Lampenhalter: Eigenbau, Niro
Dynamo: Union Walze
Rücklicht: Ulo
Ständer: ESGE mit Eigenbau Zusatzfeder gegen klappern
Lowrider: Blackburn, mittlerweile nach hinten versetzt
Erfahrungen
Die steifen Kettenstreben setzen die eingesetzte Energie gut um. Das Fahrverhalten läßt sich im allgemeinen als gutmütig und träge bezeichnen. Ab 40 km/h wird es geradezu handlich und lädt zum Räubern ein. Es ist mit vollem Gepäckbesatz locker möglich im Downhill auf kurvenreichen Strecken um Autos herumzuzirkeln. Heftiges Wackeln am Lenker verwindet zwar den Rahmen merklich, aber die sture Lenkgeometrie und die ausgewogene Gewichtsverteilung lassen die Bewegung sofort abklingen. Man fühlt sich einfach sicher. Der flache Lenkkopfwinkel in Verbindung mit dem großen Nachlauf hat aber einen deutlichen Nachteil. Bei niedrigen Geschwindigkeiten, bei dehnen noch nicht ausreichend große Kreiselkräfte durch die Laufräder zum Stabilisieren des Fahrverhaltens erzeugt werden, will der Lenker aufgrund der Gewichtskraft des Rades samt Fahrer aus der Mittellage zur Seite ausschlagen. Das nervt. Erst ab ca. 20 km/h hört das auf. Mit vollbeladenem Rad und einem Finger am Lenker bei Schrittempo nach einem geeigneten Zeltplatz Ausschau halten ist nicht. Erst als ich später die Lowrider umänderte, und ca. 8 cm nach hinten versetzte, wurde es mit Gepäck etwas besser. Der Gepäckschwerpunkt liegt jetzt in der Lenkachse.
Der hintere Gepäckträger ist rocksolid. Einfach steif. Nix wackelt. Würde ich wieder so machen. Nein, halt geht nicht. Herr Sattler (der Alulöter) ist mittlerweile gestorben. Also kompletter Eigenbau aus Stahlrohr. Das Konzept mit den tiefer gehängten Packtaschen hat auch Herrn Sattler überzeugt, so daß er es für seine Räder übernahm. Allerdings verzichtete er auf die 6-Punktaufnahme. Meines Erachtens geht dadurch etwas an Steifigkeit und Robustheit verloren
Das Übersetzungsspektrum hat sich als fast ausreichend erwiesen. Unten rum könnte es noch etwas tiefer gehen, 18 Z Kettenblatt. Oben rum reicht`s für über 60 km/h. Ab dann kurbele ich mir ne Klinke ans Ohr. Aber wann fährt man schon mal schneller, bei dem Luftwiderstand mit Gepäck. Es gab Einige, die beim Anblick meines großen Kettenblattes mit 38 Zähnen lachten und später beim Downhill sich von mir versägen lassen mußten, weil ihr Rahmen nicht mitspielte. Die Gangsprünge von durchschnittlich knapp 12% im Halfstepbereich sind mir mittlerweile zu grob.
Die Bremsen sind trotz größerem Geberkolben aufgrund einer schärferen Hebelkinematik des Gebers zumindest nicht schlechter als HS 66, die damals noch nicht auf dem Markt waren.
Der WIG-geschweißte Nirovorbau hat nach ca. 7000 km einen feinen Haarriss quer zur Schweißnaht bekommen. Dies wurde durch permanente Lastwechsel beim Pedalieren hervorgerufen. Die verwendete Legierung ist gegenüber Fluoridverbindungen sehr empfindlich. Möglicherweise ist beim Löten des Lenkerklobens etwas vom Flußmittel in den Stahl hinein diffundiert. Er wurde dann gekürzt, war eh zu lang, und noch mal geschweißt.
Dummerweise hatte ich mich überreden lassen, nur für einen Flaschenhalter Anlötösen anzubringen. Mehr brauche man nicht wenn man einen Wassersack dabei habe. Die Praxis hat gezeigt, daß ich nicht immer einen Wassersack dabei hatte, aber Durst. Eine Adapterlösung für einen weiteren Flaschenhalter sah nicht umwerfend elegant aus, war aber erforderlich.
Fazit
Der Bau und das Fahren dieses Rades haben sehr viel Spaß gemacht und ich habe sehr viel dabei gelernt. Sollte ich noch einmal ein starres Stahlrad bauen wollen, würde ich:
1. einen steileren Lenkkopfwinkel 71-73º wählen. Der Komfort käme dann nicht mehr von der flexenden Gabel, sondern von fetten Schlappen und einer gefederten Sattelstütze.
2. das Oberrohr nicht mehr irgendwo mitten auf das Sattelrohr treffen und dort enden lassen. Denn dadurch wird das Sattelrohr auf Biegung und Torsion belastet. Der Rahmen wird verwindungsfreudiger und ineffizienter. Ich würde zusätzliche Streben von der Verbindungsstelle Oberrohr/Sattelrohr zum hinteren Ausfallende einziehen.
3. nie mehr alle Leitungen gemeinsam im Rahmen verlegen. Wenn ich z.B. Probleme mit der Trittfrequenzleitung habe, aus welchem Grund auch immer, müssen um dran zu kommen, der Lenker samt Vorbau und das Innenlager demontiert werden. Dies liegt z.T. auch an der besonderen Vorbauklemmung. Würde ich so auch nicht mehr machen. Mit dem dann notwendig werdenden Entlüften der Bremsen (s.o.) dauert der Blues dann fast einen ganzen Tag.
1997 habe ich mir dann mal das oben erwähnte Kettler Daxi noch mal vorgeknüpft und den Rahmen gegen einen günstig erworbenen Stahl-Oversized-Rahmen ausgetauscht. Dieses Rad wurde dann peu a peu besser, so daß ich es fortan verwendete und mein geliebtes altes Reiserad seitdem im Keller steht. Seit 2000 ist es nicht mehr alleine. Besagter Nachfolger leistet ihm jetzt Gesellschaft. Aber das sind andere Geschichten.
Wolfram