Hallo Liste,
in der hpv-mailing-liste erschien soeben ein Beitrag von Kurt Fischer, den ich euch nicht vorenthalten mag.
Gruß aus HH,
HeinzH.
Es folgt der Text von Kurt Fischer aus der hpv-mailing-liste
>>>Hallo,
Herbert Neher schrieb:
> ¿hat die monopolstellung von shimano nachteile fuer liegeradfahrer?
[...]
> ¿Hemmt shimano den fortschritt?
Diese Fragestellung ist für mich ein Rätsel, abgesehen davon dass zuerst
jemand definieren müsste, was unter Fortschritt zu verstehen ist.
Gegenfrage: Was glaubt ihr, dass Shimano in erster Linie anstrebt?
Klar, das war eine reine rhetorische Frage. Die wollen wie alle anderen
Firmen auch Geld verdienen, Umsatz machen, wie und womit ist denen im Grunde
völlig egal, Hauptsache es kommt Kohle rein. Das trifft natürlich nicht nur
auf Shimano zu, sondern auch auf alle anderen Betriebe, unter anderem auch
die Fahrradindustrie und ihre Händler.
Deshalb ist es für mich gar keine Frage, das Shimano und Konsorten schon
längst in den Startlöchern lauern und beobachten wie sich der Liegeradmarkt
entwickelt. Vielleicht haben sie schon was in den Schubläden, vielleicht
entwickeln sie noch, egal, es steht für mich außer Frage, dass sie nur
darauf warten, auf ein galloppierendes Pferd springen zu können.
Wir hatten hier schon mal die von mir initiierte Diskussion, ob Liegeradler
spezielle Komponenten brauchen. Antworten in der Tendenz: "Nee, brauch'n wir
nicht, hamm wer schon"
Schon damals musste ich mich über die Naivität von einigen wundern, die
scheinbar immer noch nicht sehen (wollen?), nach welchen Prinzipien unsere
Gesellschaft funktioniert. Genauso bei der Frage, ob das Liegerad je zum
Boom wird. Ja glaubt ihr denn wirklich, dass die Industrie sich so einen
Brocken entgehen lässt, der auf Jahre/Jahrzehnte hinaus einen fetten Gewinn
verspricht? Nicht wirklich, oder?
Und es komme mir jetzt keiner mit dem Argument, das Liegerad sei ja gar
nicht für alle geeignet und die Leute sähen es noch kritisch, usw...usf.
Sobald die Industrie den Braten riecht und zu der Überzeugung kommt, dass
sich mit Liegerädern ein Geschäft machen lässt, dann geht die Post ab, da
können die überzeugten HPV'ler sich auf den Kopf stellen. Natürlich wird das
dann nicht in erster Linie über umweltfreundliche Fortbewegung verkauft
werden, sondern über Image, Fun und Lifestyle. Bereits jetzt höre ich von
jedem fünften Kind: "Ui, so ein Rad möchte ich auch haben."
So weit sind wir also schon, ohne jede offizielle Werbung in Massenmedien,
ohne bunte Fanzines, ohne geschicktes Product Placement in
Familiensendungen, etc...
Und wenn in den Kindern erst mal die Besitzgier erweckt ist, dann ist es nur
noch eine Frage der Zeit, bis geschäftstüchtige Unternehmer aufspringen und
Shimano wird einer der ersten sein. Dann wird es spezielle Schaltungen mit
extra verstärkter Feder, Pedale, Tretkurbeln, Bremsen mit spezieller
Seilführung und noch viel mehr exklusiv für Liegeradler geben, was sich
unsere Phantasie derzeit noch nicht in ihren kühnsten Träumen ausmalen kann.
Brauchen wir nicht? Hähähä! Brauchen wir Zahnkränze mit 8, 9 oder gar 10
Ritzeln? Brauchen wir zig Schaltgruppen in geringfügig abgestuften
Qualitätsstufen mit nahezu jährlich wechselndem Design? Brauchen normale
Alltagsradfahrer vollgefederte, sauschwere MTB-Boliden aus dem Baumarkt, die
aussehen wie zusammengeschweißte Kanonenrohre? Brauchen wir luftig
durchlöcherte Helme die aussehen wie getrocknete Haifische?
Nun, wir brauchen sie genau so viel oder so wenig wie Stadtbewohner
allradangetriebene, tonnenschwere Geländewagen. Die Frage des tatsächlichen
Nutzens ist in unserer heutigen Konsum- und Wegwerfgesellschaft so ziemlich
der nebensächlichste aller Faktoren, es zählt das Image, das Feeling.
Es tut mir ja sehr leid, wenn ich jetzt ein paar hehre Illusiönchen
zerstöre, aber die Beziehung der Deutschen, vor allem der Deutschen Männer
zu ihren Fahrzeugen ist nicht rational. Wäre sie nämlich auch nur
ansatzweise vernunftbetont, es sähe auf unseren Strassen ganz anders aus.
Die coolen Rechner dagegen sitzen in den Vorstandsetagen von Shimano und Co.
Dort wird entschieden was produziert wird, und dort wird auch zu einem
erheblichen Teil entschieden, was gekauft wird.
Vergesst die freie (Kauf)-Entscheidung des mündigen Bürgers! Bis auf wenige
Ausnahmen wird das gezielt gesteuert, durch ein ganzes Bündel von
konzertierten, psychologisch genau ausgeklügelten Maßnahmen. So
ausgeklügelt, dass der einzelne felsenfest überzeugt ist, dass er genau
dieses Produkt aus freien Willen und Stücken unbedingt braucht. Das klappt
bei Autos, bei Rollschuhen, bei Kinderrollern, usf. Es möge mir jetzt bitte
jemand einen halbwegs überzeugenden Grund nennen, warum es gerade bei
Liegerädern nicht klappen sollte.
Das wird auch dadurch erleichtert werden, dass sich einfache Liegeräder in
hohen Stückzahlen sehr billig herstellen lassen. Ein zusammengepresstes
Hauptrohr, Räder, Sitz und Lenker dran, fertig. Erzählt mir nichts von
komplizierter Technologie! Ich habe selbst eigenhändig zwei Oké-Ja-Bausätze
zusammengeschraubt, es gibt nichts Simpleres. Das lässt sich für ein
Butterbrot herstellen und mit reichlich Gewinn verkaufen. Ist Schrott? Na
und? Dann wandert er halt in den Keller oder die Garage und teilt dort das
Schicksal von 85% der restlichen Räder. Hauptsache er wird gekauft, ob er
gefahren wird, juckt die Industrie einen feuchten Kehricht.
Es funktioniert im Grunde immer nach dem selben Schema: Zuerst kommen
Erfinder, Tüftler und Bastler zum Zug, die etwas mehr oder weniger Neues
entwicklen. Zuerst nur zum Spaß und registriert nur von Insidern. Allmählich
breitet sich die Idee weiter aus, meist langsam und zäh gegen den
allgemeinen Widerstand, wie bei allem was neu und ungewohnt ist. Und jetzt
kommen die Pioniere zum Zug. Menschen, die an die Sache glauben und aufgrund
ihres Charakters in der Lage sind, den Anfeindungen Paroli zu bieten und am
Ball zu bleiben. So entsteht nach und nach ein Netz, eine Infrastruktur.
Im Liegeradbereich ist dieses Netz in den letzten Jahren entstanden, das
Interesse der Öffentlichkeit erwacht allmählich, die Abwehrbewegungen werden
schwächer, es kommt früher oder später zu einer kritischen Masse, die einen
Schub auslöst. Der kommt heutzutage aber nicht mehr zufällig, denn zu diesem
Zeitpunkt ist schon längst die Industrie eingestiegen und erntet die Früchte
der von den Pionieren geleisteten Vorarbeit.
Das nur als kleiner Ausblick auf die Zukunft, da muss man wahrlich kein
Prophet sein, um offensichtliche Mechanismen zu erkennen.
Mag ja sein, dass das einigen hier nicht schmeckt, aber die Zeiten in denen
das Liegerad einer kleinen elitären Minderheit vorbehalten war, werden bald
vorbei sein. Spätestens mit den ersten großen Preisgeldern bei Wettbewerben
und dem damit verbundenem Profitum werden Lockerheit, Kameradschaftlichkeit
und Hand-in-Hand-Zielankünfte endgültig der Vergangenheit angehören. Also
genießt es solange es noch existiert.
Die UCI, der Rennsport an sich, ja das Radfahren überhaupt dürfte Shimano
genauso wie der restlichen Industrie ziemlich schnuppe sein, relevant ist
nur, dass die Hobbyfahrer das zu kaufen pflegen, was die Profis fahren. Das
wird im Liegeradbereich in absehbarer Zukunft nicht anders sein.
Ich persönlich habe nicht vor, mir meine Freude am Liegeradfahren durch die
kommende Entwicklung - und sie kommt so sicher wie das Amen in der Kirche -
kaputt machen zu lassen. Ich werde mich auch weiterhin entspannt auf meinen
Lieger schwingen, das Tempo wird mir auch weiterhin ziemlich egal sein, und
was die anderen für Räder fahren ist im Grunde nicht mein Problem und auch
nicht meine vorrangige Sorge. Hauptsache, ich kann auch in Zukunft wie auf
Wolken durch die Lande gleiten und ich glaube nicht, dass mich Shimano oder
die UCI daran hindern werden können.
Ciao,
Kurt<<<