Es verbietet ja niemand Personen, die zwingend sitzen möchten, eine Platzkarte zu erwerben. In Ländern mit Platzkartenpflicht kommt es regelmäßig zu sowas:

https://nitter.net/pwolodarski/status/1548770187482128386#m

Da empfinde ich den Softblock bei der Buchung, den die Deutsche Bahn seit einiger Zeit einsetzt, als sinnvollere Lösung.

Dann hatte ich ja noch richtig Glück, dass ich die genannte Strecke Stockholm-Malmö im Juni 2022 gefahren bin und nicht einen Monat später. So waren zwar die eigentlich präferierten Morgenverbindungen ausgebucht, aber am Abend vorher konnte ich reisen und ersparte mir damit nebenbei noch eine weitere überteuerte Hotelübernachtung in Stockholm. Am folgenden Tag erlebte ich dann die Strecke Kopenhagen-Hamburg im Stehen und war doch froh, dass es auf diesem Abschnitt keine Reservierungspflicht gab. Sonst hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mitfahren dürfen.

Ich kann nur aus eigener Erfahrung von 7 Jahren Bahnfahren in China berichten. Ja, Züge waren ausgebucht, aber selten und wenn dem so war, hat man halt einen anderen genommen. IdR. waren aber immer Plätze auch kurzfristig zu bekommen. Das Reisen ist unkompliziert, angenehm und pünktlich, auch weil die Haltezeiten effektiv sind.

Gut, das Problem ist nicht unbedingt der Sitzplatz sondern eher, dass unbegrenzt Mitreisende zusteigen können/dürfen. Auch in China gibt es eine begrenzte Anzahl Stehkarten. Aber es ist eben begrenzt auf ein Maß, dass die Gänge frei sind.

Ich gönne wirklich jedem Erfolg und sozialen Aufstieg. Bei Dir fällt aber eine heftige Veränderung der Ansichten auf. Als Du noch Student warst, klangst Du völlig anders und das empfand ich als deutlich sympathischer. Deine Platzkartenansichten sind regelrecht verschroben. Sowas funktioniert nur aus Positionen, wo immer Alternativen, in der Regel in Form von Kraftfahrzeugen, verfügbar sind. Diese Möglichkeit hat längst nicht jeder.

Wenn ich tagsüber nach Berlin oder Dresden (das sind einfach mal zwei Beispiele) will oder muss, dann muss das frühmorgens hin und am Abend zurück funktionieren und das, ohne mich wochenlang vorher festzulegen. Es ist dann weder sinnvoll, erst nach dem Mittag oder am Abend vorher hin- oder am nächsten Tag zurückzufahren. Damit entfällt der Zweck der Fahrt. Prag geht auch noch oder besser wieder, Breslau wird schon zum Problem.

China ist ein typischer Fall eines Netzes, wo es einfach schon immer so war und wo früher auch nur ein paar Prozent der Bevölkerung überhaupt in der Lage war, sich weiter als ein paar Kilometer von der Wohnung wegzubewegen. Überall dort, wo es eine generelle Platzkartenpflicht gibt, spielt die Eisenbahn beim modal split keine echte Rolle. Dort deckt das Angebot den Bedarf nicht und es geht nicht um die Befriedigung des Mobilitätsbedürftnisses, sondern um Gewinn. Vergleiche das mal mit den Verhältnissen in Österreich und der Schweiz.

Du bist übrigens keine Ausnahme. Die Veränderung der Grundhaltung von linksalternativ bis -revolutionär zu erzkonservtiv habe ich schon öfter erlebt und sie hat mit dem Studienabschluss und dem Einstieg in Hierarchien im Berufsleben möglichst weit oben zu tun. Du bist nur der Erste, bei dem ich das mal loswerden muss.

Was machst du denn aktuell, wenn du nach Berlin oder Dresden musst und nicht in den überfüllten Zug reinkommst?

Das ist mir noch nie passiert. Einmal, aber das war im Sommer 1988 oder 1989 war es im 408 so voll, dass auch die Toiletten belegt waren.
Mit Platzkartenpflicht wird das Nichtmitkommen zur Regel und Spontanfahrten gehen praktisch nicht. Die Möglichkeit, nicht groß planen zu müssen, mach Freizügigkeit gerade aus. Anonsten wäre der Schlag in Gegenrichtung, dass auch die Fahrmöglichkeiten auf den Straßen bewirtschaftet werden. Alles, was aus der eigenen Gemeinde rausführt, ist vorher anzumelden und die Fahrten werden so limitiert, dass keine Staus auftreten.
Absurd? Nein, genau dasselbe.

Langes Wochenende am Sonntag (bzw.Pfingstmontag) Nachmittag Hamburg - Berlin. Habe ich schon zweimal erlebt, dass der Zugchef durchgesagt hat, entweder alle Fahrgäste ohne regulären Sitzplatz steigen aus oder der ganze Zug bleibt stehen, bis die Bundespolizei die Gänge geräumt hat. Von den Zuständen in den RE von Stralsund oder Rostock nach Hamburg oder Berlin gar nicht erst zu reden, aber nur, weil man da nicht reservieren kann.

Auf den Vergleich mit dem Straßenverkehr gehst Du nicht ein? Es muss schon gleiches Recht für alle geben. Reservierungspflicht ist für die Reisenden die schlechteste aller Möglichkeiten und ich begreife nicht, wie man sich sowas wünschen kann.

Nur die allerdümmsten Kälber
wählen ihren Fleischer selber

ist das Einzige, was mir dazu einfällt.

Davon abgesehen, alle stehenden Reisenden rauswerfen geht von vornherein nicht. Dafür gibt es weder eine technische Begründung noch eine juristische Handhabe. Dazu kommt, dass so etwas Vertragsbruch ist.

Das wiederholt du ja laufend.
Können wir uns bitte erst wieder darüber unterhalten, wenn du deine Forderung bis vor die Bundesgerichte ausgefochten hast?

Warum sollte ich darauf eingehen? Von mir aus gerne. Für Fahrräder dürften die Kapazitäten auch bei Voranmeldung dicke ausreichen. Und den Autoverkehr auf ein erträgliches Maß reduzieren würde ich auch lieber heute als morgen. Aber hey, wir leben in Deutschland. Das ist das Land, wo man ein sich vorschriftsmäßig verhaltendes Kind totfahren, hinterher noch in Gegenwart eines Polizisten die geschockte Mutter bepöbeln darf, sie hätte besser aufpassen müssen, und trotzdem seinen Führerschein behält. Das ist das Land, wo du in den Augen der Polizei ein Querulant bist, dessen Angaben man nicht mehr nachgehen muss, wenn massenhaftes Falschparken massenhafte Anzeigen nach sich ziehen. Da bin ich zu sehr Realist, um auf dem Gebiet auf Besserung zu hoffen.

Bei einer Reservierungspflicht, selbst für einzelne Wagen oder Züge bin ich ähnlich pessimistisch, zumal mit der Pflicht Reservierungen selbstverständlich im Preis inbegriffen und bis zur Abfahrt buchbar sein müssten.