20. Tag, Ripoll – Barcelona (Zugfahrt Ripoll – La Garriga)Heute steht nun die letzte Etappe der Reise auf dem Plan; ich werde heute das Ziel der Tour, Barcelona, erreichen. Abermals kann ich aber leider nicht auf „originale“ Fotos zurückgreifen, sondern muss meinen Bericht mit Aufnahmen aus dem Vorjahr bebildern. Als ich nämlich nach einem gemütlichen Frühstück in einem Café in der Innenstadt von Ripoll aufbrechen will, stelle ich fest, dass meine Kamera ihren Dienst versagt und keine Bilder mehr speichert. Sehr ärgerlich, aber ich habe Glück im Unglück, denn ich bin am Ende meiner Radreise im Vorjahr (St.-Nazaire-Barcelona) auf demselben Wege nach Barcelona hineingefahren wie auch auf dieser Reise, so dass ich für den weiteren Bericht die dabei entstandenen Bilder verwenden kann. Die folgenden Bilder stammen daher nicht von der Tour, die Gegenstand dieses Berichts ist, passen aber trotzdem. Bis kurz vor Barcelona gibt es daher jedoch keine Bilder.
Nach dem bedauerlichen Ausfall meiner Kamera begegnet mir die zweite Widrigkeit dieser letzten Etappe auf der in Richtung Barcelona führenden Straße C-17, die mich nach meiner Michelin-Karte direkt nach Barcelona bringen sollte. Einige Kilometer südlich von Ripoll stellt sich nämlich heraus, dass sie ab hier, offenbar ganz neu, zu einer vierspurigen Autovía ausgebaut worden ist. Das war in meiner Karte noch nicht verzeichnet. Und obwohl von den Autobahnen in Spanien die Autovías, anders als die „echten“ Autobahnen (Autopistas), grundsätzlich auch für Fahrräder zugelassen sind, verkündet ein Schild ein ausdrückliches Fahrradverbot. ¡Mierda!
Ich finde ein kleines Sträßchen, dem ich noch ein paar Kilometer parallel der Autovía folgen kann, das aber schließlich wieder auf die Autobahn trifft, diesmal ohne ersichtliche weiterführende Alternative. Ich hätte ja die Weiterfahrt auf dem Seitenstreifen der Autovía trotz Verbots ernsthaft in Erwägung gezogen (ich hatte von meiner Tour im Frühling desselben Jahres in Andalusien bereits Erfahrung mit dem Radeln auf spanischen Autovías, wenn auch auf Abschnitten ohne Fahrradverbot), aber ich hätte mein Rad mitsamt Gepäck erst über die äußere und dann über die mittlere Leitplanke heben müssen, um auf die in meiner Fahrtrichtung „richtige“ Seite zu gelangen und bei starkem Autoverkehr beide Richtungsfahrbahnen überqueren müssen. Das war mir dann doch zu heftig.
Zähneknirschend fahre ich also die ganze Strecke zurück nach Ripoll und nehme den nächsten Regionalzug Richtung Barcelona (es handelt sich um die bereits erwähnte aus der Cerdanya von der spanisch-französischen Grenze kommende Bahnlinie).
Ich überlege zunächst, ob ich bereits in der nächsten größeren Stadt, Vic, aussteigen und weiterradeln soll, bleibe dann aber bis La Garriga im Zug, da ich nicht abschätzen kann, wie weit die neue und offenbar alternativlose Autovía mit Fahrradverbot reicht und bis wohin sie die in meiner Karte verzeichnete Straße inzwischen ersetzt hat. Selbst der meiner Karte zu entnehmende Ausbauzustand der C-17 lässt unangenehm starkes Verkehrsaufkommen erwarten.
Ab La Garriga, das bereits am Rande des Ballungsgebiets von Barcelona gelegen ist, geht es dann aber mit dem Rad weiter, da ich, nachdem ich ja anfangs mit dem Rad aus Paris herausgefahren bin, am Ende der Tour konsequenterweise auch nach Barcelona hineinradeln will und am Ziel der Radreise nicht mit dem Zug ankommen will. So angenehm, wie ich vor knapp drei Wochen aus Paris entlang der Seine herausgelangt bin, gestaltet sich die Fahrt durch die Vorstädte von Barcelona ins Stadtzentrum allerdings nicht. Schon im Vorjahr, als Barcelona ja schon einmal Endpunkt einer Radreise war, bin ich dabei fast verzweifelt. Schließlich gelange ich nach einigen Irrungen und aufgrund der Erfahrungen der Reise vom Jahr zuvor auf teilweise recht verkehrsreichen Straßen über Granollers, Montmeló und Cerdanyola del Vallès nach Sant Cugat del Vallès.
Sant Cugat ist Ausgangspunkt einer wunderschönen Strecke über die Gebirgskette der Serra de Collserola mit dem Tibidabo, dem Hausberg von Barcelona, von dem aus man mit traumhaften Ausblicken über die Stadt ins Zentrum der katalanischen Metropole rollen kann. So bin ich im Jahr zuvor in Barcelona angekommen, und das werde ich nun wiederholen. Daher gibt es nun auch endlich wieder Bilder, die aber, wie bereits erwähnt, wegen des Ausfalls der Kamera von der Tour des Vorjahres stammen.
Ein letztes Cerveza-Päuschen, bevor ich die letzten, nach der stressigen Fahrerei durch den Speckgürtel von Barcelona endlich wieder sehenswerten Kilometer der Reise in Angriff nehme. Im Hintergrund das Kloster von Sant Cugat.
Ab Sant Cugat schlängelt sich landschaftlich reizvoll eine verkehrsarme Straße (BP-1417) hinauf in die ca. 400 m hohe Serra de Collserola, die Barcelona vom Hinterland trennt. Der letzte Anstieg der Tour, die Steigung ist recht moderat.
Vom höchsten Punkt der Straße, nahe dem Gipfel des Tibidabo, dem Hausberg der Stadt, sind es noch ein paar Kurven abwärts, dann liegt mir Barcelona zu Füßen. Von ca. 400 m Höhe bietet sich ein traumhafter Panoramablick über die gesamte Stadt und das Mittelmeer.
Auf dem Tibidabo gibt es auch schon die ersten Sehenswürdigkeiten – hoch auf dem Berg die ab 1902 nach dem Vorbild der etwas früher begonnenen Basilique du Sacré-Cœur in Paris entstandene Kirche mit dem klangvollen katalanischen Namen „Temple Expiatori del Sagrat Cor“, auf Deutsch etwa „Sühnekirche des Heiligen Herzens“ und daneben ein historischer Vergnügungspark
sowie der von Norman Foster entworfene Fernsehturm Torre de Collserola.
Für die Abfahrt hinunter nach Barcelona kann ich zunächst, abseits vom Autoverkehr, eine mir schon aus dem Vorjahr bekannte unbefestigte Piste am bewaldeten Hang des Tibidabo mit weiteren fantastischen Ausblicken auf die Stadt und das Meer nutzen, die auch bei Mountainbikern recht beliebt ist.
Sie führt mich etwa auf halber Höhe zu der Stelle, an der die auf den Tibidabo führende Standseilbahn (Funicular de Tibidabo) ihre Talstation und die historische Straßenbahnlinie (katalanisch „Tramvia Blau“) ihre Bergstation hat (mittig im Bild).
Die „Tramvia Blau“, spanisch „Tranvía Azul“ hat, unschwer zu erraten, ihren Namen von der blauen Farbe ihrer historischen Fahrzeuge.
Die kurze, nur noch für touristische Zwecke genutzte Strecke ist der verbleibende Rest des einstmals ausgedehnten Straßenbahnnetzes Barcelonas. Seit einigen Jahren gibt es jedoch, außerhalb der Innenstadt, wieder zwei bislang separate, neu errichtete Straßenbahnsysteme (daneben gibt es noch die 1923 eröffnete und seitdem ständig erweiterte Metro (U-Bahn)).
Weiter abwärts rolle ich, der Avinguda del Tibidabo folgend, entlang der Strecke der „Tramvia Blau“.
Nun bin ich in der Innenstadt von Barcelona angekommen. Jetzt muss ich bis zu meinem gebuchten Hostel durch Hauptverkehrsstraßen und den Feierabendverkehr fahren, was sich aber als recht unproblematisch herausstellt. Teilweise gibt es sogar separate Radspuren. Immer wieder fallen Gebäude im für Barcelona typischen Jugendstil bzw. seiner spanischen Ausprägung, dem Modernismo, auf. Von den zahlreichen katalanischen Architekten, die zu Beginn des 20. Jahrhundert diesen Stil entwickelten, ist Antoni Gaudí zwar der bekannteste, aber bei Weitem nicht der einzige.
Ich erreiche schließlich die Plaça de Catalunya.
Hier beginnt die berühmte Touristen(nepp)-Meile Las Ramblas, die hinunter zum Hafen führt. Ganz in der Nähe finde ich dann nach einigem Suchen auch mein gestern online gebuchtes Hostel mit Mehrbettzimmer; sehr einfach, Jugendherbergsstandard für Backpacker, aber interessant mit sehr jungem Publikum aus aller Herren Länder. Ich hätte so kurzfristig wohl ohnehin nichts Günstigeres bekommen. Ich bin froh, dass ich auch mein Rad im Innern gut und sicher unterbringen kann und will mich hier ja auch gar nicht lange aufhalten, sondern mich nach Duschen und Umziehen noch ein wenig in der Stadt herumtreiben, zumal es bereits nach acht ist.
Obwohl ich Barcelona einige Jahre zuvor bereits während eines mehrtägigen Aufenthalts (ohne Fahrrad) kennengelernt habe und mir auch am Ende der Radtour im Vorjahr hier einen ganzen Tag zur Erkundung der Stadt gegönnt habe, fällt mir nichts Besseres ein, als den Tag auf der, wie aufgrund meiner Erfahrung zu erwarten, touristisch überlaufenen, aber fußläufig gut zu erreichenden Plaça de Santa Maria mitten in der Altstadt ausklingen zu lassen. Es ist zwar chancenlos, einen Platz an einem der Tische vor den zahlreichen Restaurants zu bekommen, aber ich ergattere schließlich einen winzigen Stehtisch vor einem sehr netten Weinlokal, wo ich mit einigen Gläschen gutem vino tinto und einigen leckeren Tapas zufrieden die erfolgreiche Ankunft am Ziel meiner erlebnisreichen Radreise feiere, die ich vor knapp drei Wochen in Paris begonnen habe.
21. Tag, Sightseeing in Barcelona und Zugfahrt Barcelona – CollioureIch habe heute nur wenige Stunden, um mich in Barcelona umzusehen; am frühen Nachmittag werde ich bereits die Zugfahrt zurück nach Hause antreten, zunächst nur bis Collioure an der französischen Côte Vermeille, das mir noch vom Vorjahr in guter Erinnerung ist, um dann morgen und übermorgen, mit einer Übernachtung bei meinen Eltern in Stuttgart, mit TGV und ICE Dresden zu erreichen. Hätte ich nicht vor einigen Jahren in Barcelona (ohne Rad) einen Kurzurlaub verbracht und mir am Ende meiner Radreise im Jahr zuvor einen weiteren kompletten Tag in der Stadt mit zwei Übernachtungen gegönnt, hätte ich sicher einen längeren Aufenthalt vorgesehen. Da ich nun aber bereits das dritte Mal in Barcelona bin und somit die Stadt in der Vergangenheit zwar sicher nicht erschöpfend, aber immerhin mehr als nur oberflächlich erkundet habe, hält sich mein Bedauern über die knappe Zeit, die ich diesmal zum Sightseeing habe, in Grenzen.
Die Fotos stammen wieder von der Radreise vom Vorjahr. Hier der Arc de Triomf auf dem Gelände der Weltausstellung von 1888.
Die wenigen zur Verfügung stehenden Stunden nutze ich zunächst, um an der Baustelle der Sagrada Família vorbeizuschauen. Das Bauwerk, das mit vollständigem katalanischen Namen „Basílica i Temple Expiatori de la Sagrada Família“ heißt, auf Deutsch „Sühnekirche der Heiligen Familie“ (nicht zu verwechseln mit der gestern auf dem Tibidabo gesehenen Sühnekirche „Sagrat Cor“), hat mich schon bei meiner ersten Barcelona-Reise fasziniert, zum einen wegen der Architektur, zum anderen, weil daran seit ca. 130 Jahren gebaut wird. Ich bemerke den Baufortschritt gegenüber meinen beiden bisherigen Besichtigungen.
Die Kirche im Stil des katalanischen Modernismo gilt als das Hauptwerk von Antoni Gaudí, das er bis zu seinem Tod 1926 betreut hat, dessen Weiterbau sich nach seinem Tod und infolge des Spanischen Bürgerkriegs verzögerte und dann, verstärkt in den vergangenen Jahrzehnten, im Sinne von Gaudís Ideen und Konzeption (detaillierte Pläne des Meisters sind nicht überliefert) fortgeführt wurde und das nach derzeitiger Planung 2026, im hundertsten Todesjahr des Architekten, vollendet werden soll. Die viertürmige Westfassade, die auf den beiden vorigen Bildern zu sehen ist (die Leidensgeschichte Jesu symbolisierend) wurde 1976 fertiggestellt.
Die gegenüberliegende, von der äußeren Form her entsprechende viertürmige Ostfassade, die noch weitgehend zu Lebzeiten von Gaudí fertiggestellt wurde, thematisiert demgegenüber mit ihrer Gestaltung die Geburtsgeschichte Jesu.
Besonders beindruckend ist das zum damaligen Zeitpunkt (2011) erst seit wenigen Jahren im Rohbau fertiggestellte Gewölbe des Kirchenschiffs, von der Gestaltung an gotischen Kathedralen orientiert, aber letztlich mit einer eigenen Formensprache und statischen Konzeption, mit Pfeilern, die sich wie das Astwerk von Bäumen verzweigen.
Nach der Fertigstellung wird die Sagrada Família insgesamt 18 Türme aufweisen, von denen die bislang fertiggestellten, die derzeit noch das Erscheinungsbild des Bauwerks prägen (vier in der Westfassade, vier in der Ostfassade, zusammen mit vier weiteren noch nicht errichteten in der im Bau befindlichen Südfassade die zwölf Apostel symbolisierend), die niedrigsten sein werden. Vier weitere, höhere Türme werden hinzukommen, mit Bezug auf die vier Evangelisten, ein noch höherer über der Apsis, Maria gewidmet, und schließlich im Zentrum, über der Vierung, der ca. 170 m hohe Hauptturm, Christus gewidmet, mit dem die Sagrada Família dann das Ulmer Münster als bisher höchste christliche Kirche knapp übertreffen wird.
Anschließend sehe ich mich noch kurz im Stadtteil Eixample um, in dem auch die Sagrada Família liegt, die einen der für diese weitläufige, planmäßige Stadterweiterung des späten 19. Jahrhunderts typischen quadratischen Blocks mit den abgeschrägten Ecken vollständig einnimmt. Dieses gleichförmige Raster aus quadratischen Häuserblocks prägt weite Teile der Innenstadt Barcelonas außerhalb der Altstadt. Hier befinden sich auch zahlreiche Bauwerke der katalanischen Jugendstilarchitekten. Besonders sehenswert ist die sogenannte „Manzana de la discordia“, ein Häuserblock, in dem Bauten gleich mehrerer der Vertreter des katalanischen Modernismo vereint sind – neben einem Gebäude von Gaudí (Casa Batlló) auch je eines der Architekten Lluís Domènech i Montaner, Josep Puig i Cadafalch und weiterer Baumeister mit ebenso klangvollen katalanischen Namen.
Die volkstümliche Bezeichnung des Ensembles, „Manzana de la discordia“, spielt mit der doppelten Bedeutung von „manzana“ im Spanischen: Zum einen „Häuserblock der Zwietracht“ in Anspielung auf die eventuellen beruflichen Rivalitäten der hier vertretenen hochrangigen Architekten, zum anderen „Apfel der Zwietracht“ mit Bezug auf die drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite, die sich in der griechischen Mythologie um einen goldenen Apfel mit der Aufschrift „für die Schönste“ streiten durften, also der sprichwörtliche Zankapfel.
Hier befindet sich auch der unterirdische Bahnhof „Passeig de Gràcia“, von dem aus ich nun meine Rückreise, heute zunächst nur bis Collioure, antrete. Mit dem Regionalzug mit problemloser Fahrradmitnahme (in Katalonien selbstverständlich, in vielen anderen Teilen Spaniens ist aber für das Rad selbst im Regionalverkehr eine Reservierung erforderlich) gelange ich parallel der Costa Brava zur französischen Grenze. Hier ist ein Umsteigen erforderlich, da hier die Spurweite von der iberischen Breitspur zur Normalspur wechselt. Ob der Umstieg im spanischen Portbou oder im französischen Cerbère war (beides hübsche kleine Küstenorte, die von den beeindruckend dimensionierten Gleisanlagen ihrer jeweiligen Grenzbahnhöfe dominiert werden), weiß ich nicht mehr, jedenfalls bin ich jetzt an der Côte Vermeille, die ich auf der Radreise im Vorjahr kennen und lieben gelernt habe.
In Collioure steige ich aus, finde zentral ein nettes, mit gut 50 € nicht allzu teures Hotel und nutze den Rest des Tages, um die Tour vor der endgültigen zweitägigen Bahn-Rückreise in diesem malerischen Küstenstädtchen gemütlich ausklingen zu lassen.
An der Côte Vermeille bin ich auf der Tour im Vorjahr und in den folgenden Jahren noch auf zwei weiteren Reisen (2012 und 2016) entlanggeradelt. Hoch oben in den Ausläufern der Pyrenäen, die hier ins Mittelmeer abfallen, erkenne ich den historischen Wachturm Tour de Madeloc, unterhalb dessen sich bis auf ca. 450 m Höhe eine wunderschöne Panoramastraße (D 86) zwischen Collioure und Banyuls-sur-Mer mit traumhaften Ausblicken über die Küste in zahlreichen Serpentinen schlängelt. Ein unbedingtes Muss für jeden, der mit dem Rad an der Côte Vermeille unterwegs ist; dieses Mal steht sie für mich nicht auf der Agenda, aber ich habe die Strecke bereits im Jahr zuvor und danach noch zwei weitere Male genossen.
Fortsetzung folgt…