Bei schwerwiegenden PC-Problemen, die mir den ganzen Tag versaut haben, hier ein schneller Versuch vor dem nächsten Absturz, endlich die Fortsetzung zu liefern.
TEIL 2: SAVOYER & DAUPHINER ALPEN
Di, 16.6.
Troistorrent – Morgins – Pas de Morgins (1371m) – Abondance – Thonon-les-Bains – Col de Cou (1117m) – Col de Terramont (1096m) – Col de Jambaz (1027m) – Mieussy – TaningesC: Municipal? 0 €; AE: Salade chevre chaud, Schnitzel Savoyarde, Eis, Rw 28,50 €
115 km – 13,7 km/h – 8:24h – 1500 Hm*
* statistischer Geschw./Zeit-Wert wegen Tacho-Ausfall, Hm entsprechen einer Schätzung anhand von Kartendaten
Unter einer Brücke zu schlafen ist gar nicht so schlecht, wenn man weiß, dass es nicht für immer ist. Das Zelt ist relativ trocken, aber der Morgen sehr kalt, die Hänge dampften vom vielen Wasser der Nacht und die Straße führt gar direkt in die Wolke hinein. Die Straße nach Morgins ist relativ steil, vor dem Ort flacht sie ab. Morgins ist eher ein Wintersportort, baulich aber noch ansehnlich. Nochmal steigt die Straße danach etwas, die Grenze ist unbewacht und mit einem idyllischen See am Pas de Morgins (letztes Bild in der Bildergalerie Teil 1) erreiche ich französischen Boden.
Da die Kälte anhält und die Wolken sehr tief hängen, aber in Richtung Genfer See Aufhellungen zu erkennen sind, streiche ich den Col du Corbier und wähle die direkte Route nach Thonon-les-Bains. Ein schönes Beispiel für die Savoyische Bauweise in den Bergen ist Abondance – wie auch ein schmackhafter AOC-Bergkäse der Region heißt. Aufgrund der direkten Route komme ich nicht durch die Gorges du Pont du Diable, dennoch bildet die Dranse auch noch im unteren Bereich eine Schlucht mit markanten Felszapfen, die aus den bewaldeten Hängen herausstehen. Sehr spät erst wird der Blick auf den Genfer See frei und wie bei großen Seen oft, bietet das Panorama wenig Attrakives für das Auge, die dunstige Luft tut ein Übriges. Immerhin erfüllt sich endlich mein Wunsch: es wird wärmer und sonniger. In Thonon überwiegt zunächst eine moderne, städtische Atmosphäre mit viel Verkehr. Ein paar Altstadtwinkel bieten etwas mehr Ruhe und noch entspannter ist es am Ufer, das unterhalb der Stadt liegt und u.a. mit einer Standseilbahn zu erreichen ist – groß ist der Höhenunterschied allerdings nicht. An Türmchen, Schlösschen,Yachthafen und Schwimmbad vorbei liegt im Osten ein halbwilder, schattenspendender Seepark oder -wald, der sich am Seeufer entlangzieht. Dort gibt es einen langen Kiesstrand, der sich in kleinere Buchten unterteilt und damit viele ruhige Badeplätze bereit hält – wovon ich urlaubsgerechten Gebrauch mache.
Hinter dem Strandwald liegt das pittoreske Chateau de Ripaille, das aber nur von der NW-Seite zugänglich ist. Vier Türmchen zieren den Bau, der als Einsiedelei gegründet einst den letzten Gegenpapst Felix V. beherbergte, der sich 1449 nach Amtsverzicht hierin zurückzog – da fällt das Rentnerleben doch relativ leicht. Heute können die Räume für diverse Anlässe gebucht und zudem mit Führung besichtigt werden. Das Schloss mit den vier charakteristischen Türmchen umgibt ein Rebenfeld, dem ein spritziger Weißwein abgewonnen wird. Zurück durch das etwas hektische und nicht ganz übersichtliche Thonon folgt alsbald nach der letzten Verzweigung ein sehr ruhige, waldreiche und nur mäßig steigende Auffahrt zum Col de Cou. Gelegentlich Panorama zurück zur Westseite des Genfer Sees. Probleme bereitet das klebrige Granulat, das immer wieder am Reifen festpappt (setzt sich fest und kann in den Reifen eindringen). Eine feche MTBikerin fährt mir voraus und wartet oben auf ihren offensichtlich älteren und deutlich abgehängten Partner.
Es folgen offene, liebliche Weiden- und Wiesenhügel, die noch weitere wohl ähnliche nette, aber nicht spektakuläre Pässe nördlich des Sees bereit halten. Vom Terramont kommend ist der Jambaz nur noch ein Überrollpass und es wird wieder schattiger samt kleinerer Schluchtabschnitte. Ich fahre die Talstrecke nach St. Jeoire nicht aus, sondern zweige über eine Weidelandschaft nach Osten ab. Hier eröffnen sich Panoramablicke nach Osten auf die alpine Bergwelt. Bei Mieussy zweigt eine weitere Passroute nördlich nach Les Gets bzw. Morzine ab – die Straße ist aber gesperrt. Durch meinen längeren Aufenthalt am Seeufer zuvor gibt mein Zeitplan ohnehin diesen Exkurs nicht mehr her und ich beende eine somit ziemlich leichte Etappe in Taninges. Mal wieder ist kein Personal mehr am Camping, aber leider ein Sanitärgebäude mit Geheimcode-Zugang. Zwar komme ich zu einer Dusche, als ich jedoch Gäste für den nächsten Morgen um die Nummer bitte, verweigert sich einer, der andere nennt mir ein unvollständige Nummer. Ich möchte hier nicht verschweigen, dass ich am nächsten Morgen auf dem Gelände eine „Buschtoilette“ suchen musste – ich weiß nicht, ob das im Sinne des Betreibers ist – selber schuld!
Am Abend passiert mir ein folgenschweres Missgeschick: Beim eigentlich unnötigen Abschließen des Rades an einem Laternenpfahl vor dem Restaurant fällt mein Tacho auf den Boden. Das ist schon häufiger passiert und hat noch nie geschadet. Diesmal fällt er genau auf einen Stellknopf, sodass innen irgendein Kontakt (Feder?) bricht. Damit lässt sich die Anzeige nicht mehr verstellen. Ich verfüge fortan weder über meine Daten noch über die Uhrzeit (ist meine einzige Uhr auf Tour). Für den Tag kann ich die Daten anhand der Karte ganz gut rekonstruieren, die Geschwindigkeit ist wie auch am Folgetag mit dem Durchschnittswert der gesamten Tour angegeben. Die einzige Angabe, die ich fortan verfolgen kann, ist die absolute Höhe. Länger als geplant rechne ich fortan tagsüber die Hm zusammen, die ich nach jedem Anstieg erreicht habe – Hirnarbeit extra sozusagen – bei langen Anstiegen eher einfach, im Hügelland zuweilen ziemlich stressig. Die folgenden Hm-Angaben sind also etwa genauso gut wie zuvor, nur eben etwas unbequemer ermittelt. Der nächste Tag wird zur Suche nach einem Ersatzmodell mit entsprechend weiteren Routenänderungen.
Das Essen ist fantastisch (Restaurant direkt an der Brücke, Glasfront). Nach dem zwar ordentlichen, aber spärlichen Essen des Vortages in der Schweiz: Allein die Vorspeise – warmer Ziegenkäsesalat mit vorzüglichem Dressing und Speck – ist nahrhafter als das gesamte Essen am Vorabend. Das mit Käse und Sahne in einer Terrine überbackende Schnitzel Savoyarde ist Genuss pur – wenn ich auch doch sehr betrübt und verärgert über meinen Schaden bin – immerhin ist so ein Tacho ja auch wieder ein Budgetsprenger – muss es immer die armen Teufel treffen?
Mi, 17.6.
Taninges – Les Gets – Morzine – Col du Ran Folly (1650m) – Col du Joux Plane (1712m) – Samoëns – Chatillon-s-Cluses (740m) – Cluses – Sallanche – Seuil de Megève (1100m) – Flumet*C: ? 0 €; AE: Salat Shrimps & Lachs, Pizza Margharita, Maroneneis, Cafe 23,90 €
108 km – 13,7 km/h – 7:53h – 2010 Hm
Nebel liegt über dem Tal, von dem eine relativ belebte Straße nach Les Gets hochführt – zunächst offen, dann durch eine Engstelle samt kleiner Schlucht. Les Gets ist nach Kartenlage ein großer Ort – doch es erwartet mich in Berge eingebettet eine reich bebaute Fläche mit wenig Menschen. Mal wieder einer reiner Wintersportort. Ein Betreiber eines Sportladens verweist mich für einen Radcomputer auf Morzine. Nun, da will ich ohnehin durch. Nach weiterer Auffahrt, liegt Morzine in einer kleinen Talsohle. Noch größer als Les Gets, schon die Ausmaße einer mittelgroßen Stadt einnehmend, ist auch Morzine ein Wintersportort. Zwar ist der Ort belebter als Les Gets – in punkto Fahrrad aber nicht wirklich mehr vorhanden. Ein Händler – eigentlich eher Ski- mit Radverleih – führt ein paar einfache Tacho-Modelle – jedoch keine mit Höhenmessung. Nächster denkbarer Ort auf meiner Route für ein solches Utensil ist Cluses.
Bei klarem Sonnenschein entfaltet sich die Fahrt über den Col du Joux Plane zu einer Traumtour. Blühende Bergwiesen überwiegen auf der steilen Anfahrt über den Col du Ran Folly, wasserbenetzte Felsen glitzern im gleißenden Sonnenlicht, Kühe grasen ihr schmackhaftes Sommerfutter, Brunnen spucken verschwenderisch das Quell der Berge aus. Oben eine Liftanlage, ein Rifugio etwas abseits, ein kreisförmiges, kitschig-blauleuchtendes Wasserbecken unterhalb. Um den Berg herum führt eine fast flache Halbhöhenstraße zum Col du Joux Plane. Nach Süden ein Panorama vom Feinsten: Das Mont-Blanc-Massiv im märchenhaften Schneekleid. Immer wieder ist die Perspektive atemberaubend neu – mal zwischen den Tannen als flüchtiger Fensterblick, dann ganz offen die Weite und Mächtigkeit der Bergwelt offenbarend. Am Pass selbst dann ein romantischer Bergsee, ein paar Enten sogar, dahinter grünbegraste Almweiden aufsteigend, über die Wanderer herunterkommen, im Staunen über das Panorama gegenüber. Ein Restaurationsbetrieb ist vorhanden, Bauarbeiter der derzeit gesperrten Straße machen Mittagspause. Als Radfahrer komme ich aber problemlos durch. Die Abfahrt ebenfalls sehr steil, sehr enge Kurven, stärker bewaldet als die Nordseite, mit vielen Ausblicken in das Tal und immer noch auf das Mont-Blanc-Massiv. Mittagsrast auf einer noch hoch gelegenen Bergwiese samt Traumblick. Die Hitze lässt mich länger verweilen.
Mit wohl einigem Gummiabrieb auf den Felgen erreiche ich Samoëns. Malerische Häuserwinkel und Gassen, ein einladener Platz mit Bergkulisse, leckerer Kuchen aus der Konditorei – auch hier im Sportladen die Suche nach einem geeigneten Tacho sinnlos. Ich fahre die Südtangente nach Westen, überwiegend schattig und ohne Steigung. Man spart sich so die Talmulde bei Taninges und zweigt gleich ohne Ortsdurchfahrt bergauf nach Süden ab. Auch dieser Übergang mit Châtillon-s-Cluses stellt einen Pass dar. Im Tal liegt die Gewerbe- und Industriestadt Cluses, viele große Wohnblocks, breite Straßen, ein großer Brunnenplatz, schmachtende Hitze. Ich entdecke sehr schnell einen professionellen Radladen. Dieser führt nur die in Frankreich offenbar dominierende Marke Wintech (habe selbst Ciclomaster, VDO ist bei uns auch noch populär). Statt der kalkulierten 90 Euro kostet das Gerät 130 Euro, außerdem kabellos (mag ich eigentlich nicht, gibt aber mittlerweile keine Altnerative mehr bei Tachos mit Höhenmessung). Nächster Radladen irgendwo bei Bonneville, nicht auf meiner Route, Angebot soll eher kleiner sein. Lohnt der Umweg? – Ich überlege nochmal, frage am Brunnenplatz zwei Radrennfahrer. Sie empfehlen einen Laden in Sallanche. Auch nicht meine Route. Das Etappenziel Flumet ist aber mittlerweile über die Pässe Colombière und Aravis ohnehin nicht mehr erreichbar. So disponiere ich um und strample die extrem stark befahrene Flachstrecke nach Sallanche.
In Sallanche ist der Radladen gerade ungezogen, liegt am Ortseingang. Ebenfalls kompetent – aber wiederum nur Wintech. Er hat sogar nur das nächst bessere Modell für 160 Euro. Ich beschließe einen einfachen Tacho für 20 Euro zu kaufen (Sigma, kabelgebunden) für die Kilometerzählung und insbesondere als Uhr, verlege den Kauf des Hm-Tachos auf die Zeit danach in Deutschland (in der Summe immer noch günstiger, der Tacho kostete mich letztlich jetzt 85 Euro) und rechne die Höhenmeter wie diesen Tag bereits während des Fahrens hügelweise zusammen. Durch das flotte Tempo der Flachstrecke habe ich nun noch die Chance Flumet zu erreichen, was mir mit dem gemäßigten Anstieg über Megève auch gelingt. Zwar kenne ich Megève schon, nicht aber diese Auffahrt (bin umgekehrt abgefahren nach St. Gervais – und bei Regenwolken). Nochmal habe ich freie Blicke auf den Mont Blanc mit seinem Gletschereis, dass in Chamonix ganz tief ins Tal reicht. Im beschaulichen Flumet speise ich in einem Restaurant mit italienischer Küche.
Do, 18.6.
Flumet – Col des Saisies (1650m) – Hautluce – Col du Joly (1989m) – Beaufort – Staumauer Lac de Roselend unten (1450m) – Col de Méraillet (1605m) – Col du Pré (1703m/1748m) – (Arèches) – L’AmiC: L’Ami 7 € (Freizeitraum); AE: SV
97 km – 10,8 km/h – 8:59h – 2930 Hm
Da der Camping oberhalb von Flumet liegt, kann ich gleich den ersten Abzweig unmittelbar beim Camping zum Col des Saisies wählen. Damit spare ich einige Höhenmeter ein gegenüber den Abzweig direkt in Flumet (dafür musste ich die abends fürs Essen abfahren). Der Morgen wieder sonnig, wenn auch kühl. Mitten in den Bergen ein Märchenhaus – wohl eine Art Museum mit Märchenerzählung. Der Pass ist weitgehend offen, wenig spektakulär auf der Nordseite. Ich unterhalte mich ein Stück lang mit einem französischen Rennradler. Die Passhöhe wird wieder von skitouristischen Einrichtungen dominiert. Auf der Südseite dann verschwenderisch bunte Blumenwiesen.
Während die eigentliche Passtraße nach Beaufort einen Zwischenanstieg vollzieht, zweige ich nach Hautluce ab. Charmanter Ort, wo ich mich mit Käse und Wurst eindecke, aber das Brot vergesse – folgenschwer, denn es gibt nun lange keine Einkaufsquelle mehr. So fahre ich etwas unterernährt den gesamten Col du Joly hoch. Weite, offene Almwiesen, auf denen die braunfarbenen Tarine-Rinder weiden, die die Milch für den renommierten AOC-Käse Beaufort liefern. Die durchschnittliche Herstellungsmenge von Beaufort-Käse ist auf 5000 kg pro Kuh und Jahr begrenzt um seine hochwertige Qualität und eine extensive, umweltfreundliche Beweidung sicherzustellen. Die Käseleibe können bis zu 70 kg Gewicht erreichen. Insgesamt 11000 Kühe grasen in Savoyen für den Käse. Ein Beaufort-Käse enthält 8 mal mehr Kalzium als Milch oder Joghurt und lässt sich vielseitig verarbeiten – auch für Käsefondue. Den besten Beaufort gibt es leider erst ab November – wenn nach der Mindestreifezeit von 4-5 Monaten die Milch der Sommerweidezeit verarbeitet ist – der Käse ist dann gelblich und aromatischer im Gegensatz zum weißen Winterkäse, den es nun gewissermaßen paradoxerweise im Sommer gibt – gut ist er trotzdem.
Im unteren Bereich schaut man zu einer bedrohlich wirkenden Staumauer mit einer Art Wachturm auf. Die Passhöhe erlaubt weite Blicke auf die Bergwelt – der Mont Blanc ist wieder dabei. Mehrere scheinbar gute Pisten führen hier weiter, eine ist als MTB-Route ausgeschildert. Möglicherweise lässt sich der Pass auch durchgehend mit dem Reiserad nach St. Gervais befahren, möglicherweise auch über eine weitere Kammroute über den Col de la Fenêtre zur SO-Seite des Cormet de Roselend – ich kann allerdings nicht sagen, wie sich die Pisten später entwickeln. Flugs geht es für mich hinunter und ich komme im heißen Beaufort endlich zu meiner Brotzeit. Ein Schlösschen mit Rundturm und eine alte Brücke sind hier der Blickfang.
Auf den Spuren meiner 2005er Tour fahre ich nun Richtung Cormet de Roselend. Am Zwischenpass Méraillet beim See zweige ich allerdings Richtung Col du Pré ab. Zuvor mache ich jedoch ein kapitalen Fehler: Eine ganz kleine Straße zweigt von der Hauptroute ab. Nach Karte führt sie zum Stausee unter Auslassung des Méraillet-Passes. Doch ganz genau hingeschaut gibt es beim Stausee keine Durchfahrt. Nun – wer die Karten nicht richtig liest, muss es dann physisch erfahren: Ich fahre die steile Straße hinauf, urwaldartig mit Schlucht und umgeknickten Bäumen, zahlreiche Kiefernzapfen auf der Straße. Eine Schranke verweist auf Privatstraße. Dann stehe ich auf einmal vor einer großen Mauer – übermächtig und nahezu unwirklich. Es ist Staumauer des Roselend-Sees und es gibt kein Weiter. Also ca. 150 Hm umsonst und zurück und die langen und recht anstrengenden Schleifen hinauf zum Meraillet. Vielleicht war dieser Umweg aber auch mein Glück, wie die weitere Entwicklung zeigt.
Der Col du Pré ermöglicht schöne Panoramablicke über den Roselend-See mit der umliegenden Bergwelt. Leider ist der Himmel eingetrübt und eine drückende Tristess breitet sich aus. Offene Almwiesen mit den Tarine-Rindern prägen die Auffahrt. Restauration vor dem Pass. Der eigentliche Pass folgt nach einem Hochpunkt der Straße, der um ca. 45 m höher liegt als der Pass selbst – beide Punkte sind entsprechend angeschrieben. Eigentlich sollte man den Pass andersherum fahren. Die Westseite ist eine sehr enge und steile Straße, auf der man nicht viele Stellen ungebremst herunterfahren kann. Noch vor Arèches zweigt die Straße Richtung Cormet d’Arèches ab. Das spart Höhenmeter – aber man kommt an keiner Verpflegungsstation mehr vorbei. Immerhin ist es nicht weit bis zum Camping L’Ami. Nicht weit, aber höllisch steil. Es droht Gewitter, der Himmel tief dunkel.
Am Camping ist trotz eines Hauses kein Personal, es gibt keine Restauration, aber einige wenige Wohnmobilcamper sind vor Ort. Ich frage nach einer evtl. Essensgelegenheit hier, die nächste ist aber in Aréches. Ein Franzose, ein pensionierter Vertriebsleiter für Satellitentechnik, lädt mich an sein Wohnmobil zum Essen ein. Das Wohnmobil ist quasi ein kleines Haus. Seine Frau tafelt auf, was im Kühlschrank ist, Käse und Wurst habe ich ja auch noch selbst dabei – und ich komme sogar zu einem Glas Wein. Wegen seiner internationalen Tätigkeit kann der Franzose sehr gut Englisch. Leider erfährt Abendessen und Gespräch – auch über GPS naheliegenderweise – einen jähen Abbruch aufgrund des einsetzenden Gewitters. Danke für die Bewirtung! – Das Campinggebäude hat einen Essensraum, in dem ich zunächst weiterspeise. Bald kommt der Betreiber mit dem Auto wegen einer herausgesprungenen Sicherung. Er öffnet für mich einen Freizeitraum mit Tischtennisplatte und Schreibsekretär, damit ich ohne Zeltaufbau übernachten kann – in Anbetracht der Naturgewalten hätte ich sonst im Essensraum oder gar im Sanitärgebäude übernachten müssen. Hätte ich mich vorher nicht verfahren, wäre ich möglicherweise mit der Option Wildcamping weiter den Pass hochgefahren – das wäre fatal gewesen! – Danke schön für die großzügige Bereitstellung des Raumes!
Fr, 19.6.
L’Ami – Cormet d'Arèches (2108m) – Aime – Moutiers – Celliers – Col de la Madeleine (1993m)C: wild (Abstellkammer); AE: SV
81 km – 10,5 km/h – 7:42h – 2305 Hm
Die Auffahrt zum Cormet d’Arèches leidet ein wenig unter den kühlen Temperaturen, teils sehr windig und meistens stark bewölkt. Der aufsteigende Dunst schafft allerdings einige romantische Morgenimpresssionen am Stausee St-Guerin. Dort ist zwar ein kleines Bistro, was allerdings wohl nur zu besten Tages- und Sommerzeiten geöffnet sein dürfte. In dem weiten Kessel mit grünen und blumigen Almweiden, mit dem See und Hainen verteilen sich einige Bergbauernhöfe. Es gibt ein weit verzweigtes Pisten- und Wanderwegnetz. Die Offroad-Passage beginnt an einer Verzweigung nahe eines Bauernhofes – es ist nicht ausgeschildert, welche Piste zum Pass führt – nach Sichtperspektive und Kartenlage lässt sich aber sicher erkennen, dass man links weiterfahren muss. Zwar ist der Pass für mich nicht leicht zu fahren – zumal das Gewitter die Piste stellenweise aufgeweicht hat – aber insgesamt gesehen zähle ich den Cormet d’Arèches zu den noch mit Reiserad aktzeptabel fahrbaren Pässen. Der Offroad-Bereich der Südseite scheint mir rutschiger, sprich sandiger zu sein. Der Pass ist aber absolut lohnenswert – auch ist die Gegend als Wandergebiet zu empfehlen. Kleine und große Wasserfälle (letztere von der Straße nicht gut zu sehen bzw. nicht anfahrbar), eine abwechslungsreiche, wunderbare Blumenwelt und nach dem Guerin-See auch noch ein verträumter Feensee mit geheimnisvoll wirkenden dahingerollten Felsbrocken, an denen sich zahlreiche Murmeltiere herumtreiben. Im weiteren Verlauf gibt es am Pistenrand nach größere Mengen Altschnee. Oben starker Wind, Regen droht (fürs Foto habe ich extra die Windjacke ausgezogen, damit man mal das Forumstrikot sieht
).
Die Südseite ist dann nicht weniger sehenswert. Zunächst in den weiten Almweiden flächige weiße Blumenfelder, markante, mitunter zapfige Monolithe, Serienkaskaden, große Wasserfallschweife. Ist der Asphalt erreicht, wird das Tempo noch nicht wesentlich höher: sehr schlechte Fahrbahn, teils viel Granulat, sehr eng und ohne weite Sicht voraus, weil durch ein dichten Wald führend. Der Wald ist licht genug für herrliche kleine Blumenwiesen, glitzernendes Tropfwasser. Mittlerweile phasenweise Sonne und zwischen den Bäumen betörendes Himmelsblau – wundersam geradzu nach soviel Grau zuvor. Alsbald die Talsicht in das obere Isère-Tal und auf das gegenüberliegende Vanoise-Massiv. Kleine Dörfer, Brunnengeplätscher, Brotduft.
Im netten Ort Aime gute Versorgungsmöglichkeiten. Da ich doch eine Menge Zeit beiderseits des Arèches-Passes verbraucht habe, schließe ich die bergige Alternativroute auf der gegenüberliegenden Talseite aus und fahre die Hauptstraße nach Moutiers, womit ich meine 2005er-Alpentour kreuze. Die folgende Schnellstraße ist für Velos verboten, eine Alternativroute ist für Velos, wenn auch etwas verwirrend, ausgeschildert. Mehr Ruhe hat man dann nach dem Uferwechsel bei Aigueblanche, ein Kurgebiet folgt, idyllische Stimmung bei La Lechère.
Mit dem Col de Madeleine wiederhole ich einen Pass der 2007er-Alpentour –allerdings in Gegenrichtung. Gerade die NO-Seite hatte mir bei der Abfahrt sehr gefallen – es war aber übelstes Wetter und ich konnte den Pass nicht genießen. In gewisserweiße wiederholte sich auch dieses – mit noch einer Steigerung. Immerhin konnte ich diesmal doch eine ganze Menge Fotos machen, wenn auch bei trüben Himmel. Die angedachte Route auf der SW-Seite via Lac du Loup (wahrscheinlich bis dahin offroad) und weiter über Col de Chaussy (ein eindrucksvoller Serpentinenpass) musste ich streichen, denn… - Erste Gewitterpause irgendwo – noch eher im unteren Bereich (Villard). Dann Weiterfahrt bei sehr trist-drohenden Wolkenhimmel und merklicher Abkühlung Richtung Pass, teils starker, böiger Gegenwind und somit eine sehr schwere Auffahrt. (Michel Virenque, einstiger Bergkönig der TdF, bewertet den Madeleine als einen der schwersten TdF-Pässe. Sicherlich gibt es in meiner Historie und auch auf dieser Reise schwerere Pässe – doch was heißt das, wenn Tagesform und Witterungsverhältnisse eine doch sehr gewichtige Rolle spielen.)
Wohl ein Wunder, dass ich ohne die Regenfront den Pass erreiche, doch dann peitschen Sturmböen aus dem Tal Regen, tiefhängende Wolken und kalte Luftmassen über die offenen Berghänge am Madeleine. Bei regulären Witterungsbedingungen hätte ich nach Streichung des Col de Chaussy ein bequemes Zeitpolster für die Abfahrt und einen entspannten Abend in La Chambre gehabt. Eine Abfahrt wird aber unmöglich, zumal talwärts noch mehr Regen sich ansammelt. Denkbar eine gefährlich Teilabfahrt zum Wintersportort Lonchamp, dort völlig durchnässt und mit schlotternden Knien ein möglicherweise alternativlos teures Hotel aufsuchen – sofern überhaupt etwas geöffnet hat (meist nur Ferienappartments offen). Hier am Pass ist aber alles geschlossen, auch kein Unterstand. An dem Bistro mit Holzbohlen suche ich verzweifelt eine Nische. Wahrscheinlich ungewollt ist eine Abstellkammer für Regenschirme und Gartenstühle nicht abgeschlossen. Mehr als eine Stunde hoffe ich auf Entspannung. Doch Sturm und Regen werden noch heftiger. Wind pfeift durch die Ritzen. Ausichtslose Trostlosigkeit. Kalte Einsamkeit. Ich stapele in der Kammer die Stühle um, bereite eine Stelle zur Vesper vor – ein paar Vorräte habe ich noch. Irgendwie habe ich nun Platz für das Rad geschaffen und gerade ausreichend Platz über kleine Plastiktische als Liegefläche. An einigen Ecken tropft es durch die Decke. Mehr Luxus bietet die heutige Unterkunft nicht. Überlebt habe ich. Glücklich war ich nicht.
Sa, 20.6.
Col de la Madeleine – la Chambre – St. Rémy-de-Maurienne – Col du Grd. Cucheron (1188m) – Col de Champ-Laurent (1000m) – La Rochette – Allevard – Col du Barioz (1038m) – TheysC: Municipal 0 €; AE: Salat, Lasagne, Apfeltorte 15 €
100 km – 14,2 km/h – 7:00h – 1850 Hm
Der Morgen scheint schön. Wolken steigen aus dem Tal. Sonne kommt etwas unentschlossen aus dem leicht dunstigen Himmel. Der Schein trügt. Es ist bitterkalt. Die Hände bereits jetzt eher halbtaub. Eine Talabfahrt in der Frühe schon wegen der dichten Talwolken nicht ratsam. Warten auf mehr Sonne. Ich versuche mich warm zu machen mit festem Stampfen und Tanzen auf den Holzbohlen. Bereits nach 8 Uhr traue ich mich auf die Abfahrt. Die Talwolken haben sich gelockert, teils schöne Morgensonne, die Kälte bleibt, es ist immer noch sehr windig. Die Abfahrt ist sehr kurzweilig, da eine durchgehendes hohes Gefälle besteht. Größte Attraktion auf der SW-Seite sind die Pilzfelsen. In La Chambre folge ich zunächst dem Duft des frischen Brotes. Es ist nur angenehm auf den windgeschützten Plätzen der Cafes in der Morgensonne, sonst biestig unangenehm im kalten Wind, zumal mein Körper nicht gut erholt ist von der Nacht. Weiterfahrt im Isère-Tal. Stop bei einer Käsefabrikation von Beaufort-Käse mit Direktverkauf. Die Milch wird in riesigen Metallbottichen gequirlt, an der Theke gibt es eine opulente Käseauswahl. Eine einheimische Frau kauft riesige Mengen zusammen. Der Beaufort liegt auf einer Drehscheibe und das Messer folgt der Maßeinstellung eines Lasers. Für einen Fahrradnomaden ist aber selbst mit diesem Präzisionswerkzeug kaum eine angemessene kleine Scheibe abzuschneiden. 11 Euro das Kilo, auch viele andere vorzügliche Käse kosten zwischen 12 und 18 Euro das Kilo. Deutsche Käsepreise von 28-30 oder auch über 40 Euro für das Kilo vergleichbarer Käsequalität sieht man in Frankreich auch in den Supermärkten entweder kaum oder gar nicht (eher bei industriell vertriebenen Käsemarken).
Nach der Fahrt durch lichten Wald, entlang von lieblichenWiesen und durch kleine Dörfer beginnt bei La Corbière der Anstieg in die Hurtières-Berge. Damit beginnt eine Kette von Pässen, die erstaunlich unterschiedliche Landschaftsbilder haben. Da es sich um eine weitgehend unbekannte Alternative zu dem Einerlei des Isère-Tales zwischen Albertville und Grenoble handelt, möchte ich hier diese Routen nachdrücklich empfehlen. Es gibt auch zahlreiche Einstiege aus dem Isère-Tal, um einzelne Abschnitte zu fahren. Der längste und wohl auch schwierigste Anstieg liegt mit dem Col du Grand Cucheron gleich am Anfang. Viel Laubwald, unterbrochen von einer Wiesenebene, viele Walderdbeeren am Straßenrand. Der Fluss Gelon bildet ein wiesiges Längstal. Am Col de Camp-Laurent sind Birken und eine Art Hochmoorlandschaft zu sehen. Weiteres Auf und Ab via Wiesen und Wald. Mit La Rochette (Schloss, nette Häuser) ist das westliche Tor Savoyens erreicht. Mit den Departments Isère, Drôme und Hautes-Alpes folgt das Dauphiné, eine Region, die den Namen eines Titels der Herrscher des gleichnamigen ehemaligen Feudalstaates trägt. (Heute verteilt sich das Gebiet in die offiziellen, leider wenig charakteristischen Regionenbezeichnungen Rhône-Alpes und Provence-Alpes-Côte d’Azur.)
Nach einer fast flach zu fahrenden Schlucht nach Allevard folgt auf kleiner Straße ein ordentlicher Anstieg zum Barrioz-Pass. Mehr Autos als üblich sind unterwegs – eine Hochzeitsgesellschaft pendelt zwischen dem Hausfest hier am Berg und Allevard (Fotoshooting dort am künstlichen See mit Wasserfontäne). Die ausgelassene Festgemeinde winkt mir johlend zu. Da es in Theys wider Erwarten einen Camping Municipal gibt (bin einziger Gast nebst verlassener Wohnwagen) und zwei Restaurants, verbleibe ich hier vor dem nächsten Anstieg, wo ich auf absehbare Sicht keine Infrastruktur erwarte (noch ein Camping auf dem Berg, aber keine Restaurants mehr). Im besseren italienischen Restaurant ist am Samstagabend ohne Reservierung kein Platz zu finden. Die Alternative ist eine etwas heruntergekommene Kneipe, ausreichend zur Nahrungsaufnahme. Im kleinen Ort überrascht ein schmuckes Haus mit gemalten Fensterbildern. Der Tag schließt mit leichtem Regen, logischerweise nach viel kaltem Wind und überwiegend düsterem Wolkenhimmel.
So, 21.6.
Theys – Col des Ayes (944m) – Col du Lautaret (984m) – Col des Mouilles (1020m) – Mas-Jullien – St. Martin-d'Uriage – Col Luitel (1262m) – Séchillienne – Laffrey – Monteynard – Vif – Avignonet – Le Collet de Sinard (881m) – MonestierC: Monestier 7,40 €; AE: Ravioli 5 € + SV
135 km – 12,7 km/h – 10:38h – 3120 Hm
Zu meiner Überraschung ist auch der zweite Anstieg ein Pass (Col du Lauteret, nicht auf Straßenkarten zu finden, nicht zu verwechseln mit dem bekannten 2000er am Massif des Ecrins bei Briançon, Passnamen sind in Frankreich mehrfach identisch vorhanden, vgl. Madeleine). Danach liegt in der Talsohle ein Dorf mit Mühle – hier ergeben sich fantastische Panoramablicke auf das hochalpine Belledonne-Massiv. Da es in der ersten Tageshälfte noch sonnig ist, kann ich auch das Panorama wenig weiter vom Croix de Revollat genießen. Man überblickt das weite Isère-Tal hinüber zur Chartreuse, in westlicher Ferne erkennt man die Agglomeration von Grenoble, dahinter das Vercors-Gebirge. Am frühen Mittag erreiche ich schließlich St-Martin-d’Uriage, das eigentlich Etappenziel des Vortages sein sollte. Ich enstchließe mich, die anspruchsvollere und längere Route über Chamrousse zu streichen, stattdessen die Alternative auf der Westseite um den Forêt de Prémol zu fahren.
In Uriage-les-Bains ist es noch so heiß, dass die Schokolade sofort wegschmilzt, wenig später friere ich am Col du Luitel, läuft der Schweiß wieder in Séchilliene, treibt der Wind kalt über den Lac Chaffrey und endet der Tag bibbernd bei eiskaltem Wind in Monestier. Der Sommer ist schwierig. Die einzige Attraktion der autobahnähnlichen, aber ziemlich steilen Prémol-Auffahrt ist der weite Panoramablick auf Grenoble und das untere Drac-Tal. Ganz anders dann die Welt am Col Luitel. Dort liegt ein mooriger See und eine unter Naturschutz stehende Fauna und Flora samt Informationszentrum lädt zum Entdecken ein. Birken, Blumen und Gräser, teils endemisch, erfreuen das Auge. Die Südseite des Col Luitel dann sensationell schön. Farbenprächitge Blumen, überhängende Bäume von dunkel bis lichten Kastanien, schmalste Straße (Achtung, schlechter Belag, keine Rennabfahrt!), felsige Kurvenwände, kleine Wasserkaskaden, urwaldartige Vegetation. Ein Rennradfahrer jagt grußlos auf der Suche nach seiner Bestzeit den Berg hoch – kann er das hier genießen? – In der Tat aber wäre es sinnvoll diesen Pass von Süden zu fahren – dann ist er allerdings sehr schwer – aber eben ein echter Geheimtipp.
Um meinen Zeitplan zu halten, opfere ich weiters den Col de Malissol. Die Auffahrt über ein einsames Strässchen zum Lac de Laffrey ist aber auch attraktiv. Dichter und uriger Wald, hin und wieder ein Panoramablick ins Romanche-Tal. Vor Laffrey stößt man auf die vielbefahrene, berühmte Route Napoléon. Der See ist leicht und in unmittelbarer Ortsnähe erreichbar. Selbst in einer windgeschützten Ecke verweile ich allerdings nur für die nötigste Picknickdauer. Wieder einsamer, jetzt durch offenes Hügelland, zunächst leicht aufwärts, dann bald abwärts, fährt sich die Verbindung von Laffrey nach Monteynard. Auf der folgenden Corniche du Drac herrscht wieder mehr Betrieb, ist auch eine wichtige Verbindungsachse nach Grenoble. Der Blick nach Westen beeindruckt zusammen mit dem Drac-See vor allem durch die Felsformationen der Montagne de Lans vom Vercors-Gebirge. Von der Trasse der Chemin de Fer de la Mure – heute eine begehrte Touristenbahn – sieht man allerdings nur zwei recht entfernte Viadukte. In St-Georges gibt es einen Bahnhof, wo ein paar Züglein herumstehen. Von Vif aus führt nun eine doch eher langweilige Route parallel zur Autobahn wieder ca. 500 Hm hinauf, die man zuvor auf der anderen Seite des Drac-Sees abfällt. Die Steigung ist sehr moderat. Doch es ist nur kalt und windig – einzig der Bergformationen im Westen bieten einen Blickfang – sind aber teils von dunklen Wolken umwoben. Den See sieht man auf der gesamten Strecke nicht. Insgesamt lohnt sich diese Umrundung des Drac-Sees nicht – fährt man nur eine Route, sollte man die Ostroute wählen. Weiter westlich gibt es noch ein Passroute, dann aber mit erheblich mehr Kilometern.
Bei Sinard und Avignonet führen Straßen zu den Ferien-Campings am See. Man muss dazu allerdings wieder etliche Höhenmeter runter und anschließend wieder rauf. Mein Plan zu einem Ruhetag auf einem FKK-Camping bei Avignonet verwerfe ich, denn bei der aktuellen Witterung wäre es nur sinnvoll, wenn dort Neandertalfelle verteilt würden.
Es gibt zudem dort keine Restauration, ist also für eine Zwischenübernachtung ungeeignet. Als ich spät in Monestier ankomme, finde ich nur mehrere für länger geschlossene Betrieb vor, im einzig verbleibenden Restaurant hat die Küche bereits geschlossen. Unweit hier und nahe dem Camping am Hang herrscht lauter Trubel. Irgendeine Art Fest, eine Musikgruppe spielt vor überwiegend jugendlichem Publikum – ein ziemlich kratzbürstiges Rock-Reggae-Gebräu – doch immerhin bekomme ich als Magenfüller noch einen Becher Ravioli mit Currysahnesauce und etwas Brot, sodass ich ergänzend mit meinen Käse- und Wurstvorräten doch noch gesättigt bin – als Zugabe schenkt mir der Standbetreiber noch ein Muffin. Der Camping ist ein wenig windgeschützt und mir so willkommen, zudem sehr gut ausgestattet, die Dusche der wohlige Luxus des Tages.
Mo, 22.6.
Monestier – Col du Fau (899m) – Col de Cornillon (885m) – Col Accarias (892m) – Mens – Col St. Sebastian (926m) – les Payas – St.-Etienne-en-Devoluy – Col du Noyer (1664m) – Poligny – Col de Bayard (1248m) – Col de Manse (1268m) – AncelleC: ? 8 €; AE: SV
114 km – 12,6 km/h – 9:00h – 2580 Hm
Es bleibt windig, die Luft kalt, aber immerhin wird es heute sonnig. Die Entscheidung des gestrichenen Ruhetags war richtig, denn über dem Drac-See setzen sich die Wolken fest, wie ich mehrfach mit den Blicken zurück erkennen kann. Die folgenden Pässe bis zur Schlucht Souloise sind keine große sportliche Herausforderung, moderate Steigungen. Es sind eher offene Pässe, nur kleinere Waldpassagen. Die Faszination liegt in den unterschiedlichen Perspektiven über Getreide- und Blumenfelder – Rot der Mohn, Goldfarben die Gerste, Blau die Kornblumen. Dazu kuriose Felskulissen hinter den weiten Ebenen, nach Westen auch hochalpine Spitzen des Ecrins-Massivs.
Mit der Durchfahrt der Defilé de la Souloise kreuze ich wieder meine 2007er-Alpentour. Nicht weniger staune ich erneut über die Felsenge, die seltsamen Löcher und Ritzen in den Felsen, die eigenartig regelmäßige Muster abgeben, die übermächtigen Steinkolosse. Einen Umweg über den Col de Rioupes lasse ich aus. Doch schon die direkte Anfahrt nach St-Etienne-en-Devoluy verheißt einen großartigen Pass. Himmelwärts ragen spitze Berge heraus, in gereihter Ordnung, daneben wie selbstverständlich natürlich der Erde entsprungen „himmelgerecht“ am Horizont ein Kirchtürmchen (auch dort führt nochmal ein Straße hinter und über die Berge, die an der Défilé des Étroits sich wieder zu einer Straße bündelt). Eine kleine, enge Schlucht öffnet sich nach St-Etienne-en-Devoluy hin – auch eine Ausgangsbasis für eine Wintersportgebiet – doch weitgehend im Charme eines Bergdorfs erhalten und vor großartiger Bergkulisse – etwa mit dem wie eine Abruchkante in die Landschaft hineinragenden Pic de Bure. Ein kleiner, übervollgestopfter Laden hat eine große Auswahl an leckeren Spezialitäten, schönen Spielzeugen, originellen Kunsthandwerken, schicken Postkarten bis hin zum unvermeidlichen Kitsch. Weiter durch offenes Bergland und bei heftigem Wind folgt der etwas verwinkelte Anstieg zum Col du Noyer. Die stürmischen Windböen zehren an meinen Kräften, die Steigung ist ja schießlich auch nicht gering. Überall sieht man die Steinwälle der alten bäuerlichen Kultivierung der Bergwiesen. Die Blumenzonen ändern sich stetig, halten die Spannung auf die nächste Farbkomposition aufrecht. Das weite Panorama ändert sich bald in eine engeres, eine kurios anmutende Mondlandschaft ähnlich dem Col d’Izoard öffnet sich mit dem Richtungswechsel nach Osten. In vielfältigsten Farben bieten Alpenrosen, Buschwindrosen, Enzian, Steinblumen einen lieblichen Kontrast zu der herben Steinwelt. Gut für das Gemüt, das von den schon als brutal zu bezeichnenden Sturmböen immer wieder gedrückt wird. An der Passhöhe fliegt mein Käppi vom Kopf, chancenlos sehe ich es entschwinden. Zu meiner Überraschung gibt es am Passbistro ein Fangnetz, an dem ich mein Käppi doch noch einfangen kann. Man kann hier leckeren Heidelbeer- oder Himbeerkuchen essen.
Wohl nicht weniger anspruchsvoll wäre der Anstieg aus Osten, viele Serpentinen führen hinunter, stärker bewaldet und eng an Felswänden vorbei – ganz anders als die Westseite. Nach Osten weite Blicke über die sanft bergige Hochebene, über die die Route Napoléon verläuft, über die ich dann auch kurz fahre. Wie ein gerader Strich der Bayard-Pass – nicht der Erwähnung wert. Mit Blick auf Gap, aber noch vor Erreichen der Talsohle zweige ich nach Westen ab, immer noch heftigen Windböen ausgesetzt. Am Col de Manse ist ein Refuge Napoléon, die Landschaft schimmert in der Abendsonne leicht gülden. Im Nordwesten tun sich höhere Berge auf, die u.a. das Quellgebiet der Drac markieren. Nach kleinem Höhenabfall steigt die Straße weiter leicht an, über weite Weidelandschaft, wo man alsbald Ancelle erkennen kann. Auch hier dominiert Wintersport, sodass etliche touristische Einrichtungen geschlossen sind, der südliche Camping ist wieder mit Nummerncode ausgestattet, wirkt mit ausschließlich festen Wohnwagenplätzen völlig verlassen und ist mehr als Wintercamping gedacht. Ich campiere sodann auf dem nördlichen Camping. Leider ist auch diesmal bereits wieder überall die Küche geschlossen. Mein Selbstversorger-Dinner ist dann ein schräge Mischung aus Nusstorte, Dosencalamares, Wurst und Käse – das ich aufgrund der Kälte in den Sanitärräumen verspeise.
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