Hallo Alter!

Ich bin vor einem Jahr um die Ostsee gefahren und daher auch im Baltikum und Polen gewesen (allerdings nicht in Kaliningrad). Und wie immer wieder in Osteuropa war es eine tolle Reise, mit der Erkenntnis, daß man gar nicht so weit wegfahren muß, bis man in "exotische" Gegenden kommt. Den Text unten hab ich zwischenzeitlich mal an eine andere "Baltikumsplanerin" geschrieben, und da er heute natürlich auch noch zutrifft, werde ich mir die Tipperei sparen und copy-waste-etc...

Ich war 95 schon einmal in Estland, damals allerdings ohne Rad, in Tallinn und Tartu (zwei Wochen Abschlußfahrt mit meiner Klasse). Estland hat sich seither stark verändert: Inzwischen gibt es normale Supermärkte, westliche Autos etc. Der Westen überrollt das Ende der ehemaligen Sowjetunion... Dafür, daß die riesige Umbruchstimmung, die dort vor sechs Jahren noch zu spüren war, am abklingen ist sprechen nicht zuletzt auch die EU-Beitrittsverhandlungen der drei baltischen Staaten

Soviel zur Vorgeschichte (die ich im Kopf hatte, als ich im Herbst in Helsinki auf die Fähre nach Tallinn stieg). Heute ist Estland vom "Standart" her vielleicht in der Gegend Tschechiens anzusiedeln - dort gibt es allerdings mehr Campingplätze (bzw. überhaupt welche). Ich habe, glaube ich, keinen einzigen gesehen - wildzelten war aber kein Problem. Zusätzlich sind die Esten ziemlich offen und gastfreundlich (der gute Einfluß Finnlands??), so daß es kein Thema sein sollte, bei Bauern nach zwei Quadratmetern Wiese zu fragen (hab ich selbst allerdings nicht gemacht - Wasser zu bekommen war aber z.B. nie ein Problem). Sprachlich kommt man mit Englisch (und teilweise sogar Deutsch (Geschichte)) meist weiter.

Straßen: Auf der Euro-Map "Baltic States" (roter Deckel, in D wahrscheinlich vom RV-Verlag - meine ist aus Finnland - 1:800000) gibt es gelbe und weiße Nebenstraßen. Die gelben sind meist Schotterpisten, teilweise ziemlich grob und locker, die weißen immer (wenn sie überhaupt existieren!). So "hoch" der Standard sonst schon ist, die estnischen Straßen sind für europäische Verhältnisse beschissen!! Dafür hält sich der Verkehr in Grenzen (aber nicht vergleichbar mit Skandinavien!).

Preisniveau: Fast wie bei uns (vielleicht 80% bei Lebensmitteln), Sprit ist tierisch billig, aber zum Kochen brauchen wir ja nicht so viel ;-), man bekommt alles. Sicherheit sollte unproblematisch sein. Ich war allein unterwegs und habe mein Rad beim Einkaufen ohne schlechtes Gewissen draußen stehen gelassen. Ansonsten: Ich hab auch schon Kinder beauftragt, ein Auge drauf zu haben - dafür kann man dann ja vom Einkaufen ne Kleinigkeit mitbringen (als Rad"sportler" ist man in exotischen Ländern Kindern gegenüber immer "der Held" ;-) )...

Tallinn ist eine wunderschön verschlafene, nette Hansestadt....

Lettland ist einfacher als Estland, aber immernoch recht wohlhabend (was man v.a. an Riga sieht). Was gegenüber Estland auch fehlt, ist der skandinavische Einfluß - die Leute sind etwas reservierter, sprechen seltener eine Fremdsprache (außer Russisch). Insgesamt fand ich das Land etwas "blass", aber ich war ja auch nur dreieinhalb Tage da. Als tollen Ausgleich empfand ich Riga. Ich bin zwar kein Städtefan, aber Riga ist wirklich bereisenswert! Ach ja: Und die Straßen sind gaanz toll! Es gibt aber auch nicht so viele Nebenstraßen wie in EST. Lettland (engl. übrigens Latvia, wie auch auf lettisch - da bin ich lange nicht dahintergekommen) ist recht billig. Einfaches Hotelzimmer in Riga ca. 30 DM, richtige Billigabsteigen waren ausgebucht.

Nach Litauen kommt man als Deutscher nicht an jedem Grenzübergang!!! Ich bin deshalb 50km Umweg gefahren und mußte ein großes Stück auf der E67 (Via Baltica) zurücklegen, was nicht besonders angenehm ist! Besser gleich einen großen Grenzübergang (A-Straßen) einplanen - die o.g. Karte gaukelt einem viel mehr Möglichkeiten vor. Trotzdem ist es überhaupt kein Problem, über die Grenze zu kommen! Nochmal zur Karte: Ich habe keine bessere gesehen - trotzdem solltet Ihr nicht davon ausgehen, daß die (Neben)Straßen auch so in der Landschaft zu finden sind! Mein Brief an den Verlag mit Korrekturskizzen war mehrere A4-Seiten lang... Aber so ein bißchen Restabenteuer schadet ja nicht...

Tja, und dann Litauen: Mit Abstand das schwierigste Land in Europa, in dem ich bisher war. Ich kann kein Wort Russisch und nur etwa fünf Litauisch. Und ich fand nur einen Menschen, der Englisch sprach: Ein etwa zwölfjähriger Junge, der mit seiner Clique vor einem Supermarkt mein Rad bewunderte. Ach ja: der Supermarkt war in Kaunas (schon ganz im Süden) und das war _der erste_ in Litauen, den ich fand! Sonst gibts kleine Läden, in denen man dann mit Händen und Füßen einkauft. Litauen ist sehr arm für unsere Verhältnisse. Das heißt: Brot ist billig, Luxus wie Butter teuer... Und das heißt auch, daß man Reisende dort nicht gewohnt ist. Je exotischer das Land, desto exotischer ist man dort selbst. Und Litauen ist sehr exotisch - aber sehr spannend und deshalb sehr bereisenswert. Man muß es nur auf sich zukommen lassen. Leider ist der Verkehr auf den Hauptstraßen mörderisch (wörtlich!). Die Strecke von Kaunas nach Suwalki in Polen war kein Spaß.

Zur Sicherheit kann ich nicht viel sagen: Mir ist nichts passiert, ich habe weiterhin wild gezeltet, aber es gibt Länder, in denen ich definitiv ein besseres Gefühl habe. Campingplätze findet Ihr keine mehr. In Estland traf ich ein finnisches Radlerpärchen, die von Litauen erzählten, daß sie immer auf Bauernhöfen nach einem Platz für die Nacht gefragt haben und dann fast nie im Zelt schlafen durften, sondern eingeladen wurden. Allerdings sprachen die beiden etwas Russisch. Ich habe schon beim Wasserholen Probleme bekommen, weil die Leute einfach nicht verstehen konnten, was ich bin und will. Sehr ratsam wäre ein Wörterbuch oder eine Liste mit Dingen wie Hallo, Danke, Fahrrad, Zelt, Wasser..

Ach ja: Polen ist übrigens dann wieder richtig westlich, komfortabel usw. Und die deutschen Vorurteile (natürlich auch in meinem Hinterkopf) sind das einzige, was Dir wegkommen wird ;-) - schönes, angenehmes Land für die Rückfahrt.

Ich bin von Tallinn bis in die Nähe von Bremen gut 2000km gefahren. Grob von Tallinn an der Ostseeküste bis Riga, nach Panevezys in LT, Kaunas, Suwalki (PL), durch Masuren, südlich von Danzig durch und dann am Meer entlang nach Usedom.


Bei Fragen: Melde Dich !

Beni