Der erste TagDer Start der Reise war an einem Mittwoch. Es war wieder einmal, wie in diesem Sommer üblich, sehr warm, Gewitter natürlich nicht auszuschließen. Der geplante, frühe Start verzögerte sich wie abzusehen bis um ca. 10 oder 11 Uhr. Vollbeladen (erstmals mit vier Taschen unterwegs) ging es einmal Richtung Innenstadt. Die letzte Reise war schon wieder länger her - war das Gewicht des Rades erstmals ein regelrechter Schock. An den ersten kleinsten Anstiegen in den Außenbezirken hatte ich nur einem Gedanken: "Was mache ich da gerade? Wenn sich das Rad schon nach nur 2 km so träge bewegt, wie soll ich da bis nach ... PAUSE ...
ich traue es mir ja gar nicht mal zu denken ... Lappland? oder sagen wir Schweden? ... sagen wir einfach mal Hamburg ... kommen? Aber Beruhigung - ich will ja eh nur die erste Tagesstrecke mit dem Rad fahren - der Zug wird mir dann schon helfen, voran zu kommen."
Mein erstes Ziel war nach 7 km das Geschäft meiner Schwester, wonach ich mich noch gebührend von Wien verabschieden wollte: noch einmal quer durch die Innenstadt und dann geht es nordwärts. Auf der Mariahilferstraße, wo ich noch eine Kleinigkeit zu erledigen hatte, war ich schon mal komplett durchgeschwitzt. Mit solchen Stopps - Fahrrad irgendwie so hinstellen, damit es nicht umfällt, anketten, Schweiß von der Stirn wischen, Fahrradhandschuhe und Helm ablegen - um in ein Geschäft gehen zu können, würde ich ab jetzt noch oft zu tun haben, schwante mir. "
Nur nicht an das große Ganze denken - ich mache heute nur eine ganz normale Tagestour ..."
Bei der Fahrt durch die Stadt war ich zum Glück oft damit abgelenkt, den Weg zu finden. An der Donau angelangt dann die ersten "Donauradweg-Reiseradler" - ich bin nicht allein
nur dass ich diesen Radweg nur quere und in eine komplett andere Richtung fahre ...
Jetzt habe ich bei einem kurzen Halt mein Fahrrad auch zum ersten Mal bewusst betrachtet - von da an wusste ich, man sieht mir an, dass ich so einiges vorhabe
Bei der Manövrierung durch die nördlichen Außenbezirke war der erste Schock dann auch schon vorbei, erstmals Gassen und Straßen, in denen ich noch nie zuvor war ließen ein erstes Gefühl vom Reisen aufkommen.
Diese Fahrt durch Wien verlief größtenteils wie ferngesteuert, ich mahnte mir ständig ein, mir keine Gedanken über irgendwas zu machen, nur ans nächste Abbiegen zu denken. Diese Fahrt ins Ungewisse - ohne bestimmtes Ziel und vor allem ohne Zeitplan, war eine enorme mentale Herausforderung. Bei meinen bisherigen Reisen wusste ich immer, dass ich nach 5 oder 7 Tagen wieder nach Hause fahren werde. Diesmal hatte ich einfach 5 Wochen Zeit, und mir keinen Plan gemacht, wann ich in diesem Zeitraum wieder zurückkommen will. Meine Ausrüstung, die ich mit hatte, war auch auf unbestimmte Zeit ausgelegt. Als dann endlich nach sicherlich 2 Stunden der Stadtrand erreicht war und die ersten Felder ins Sichtfeld rückten, kehrte erstmals ein wenig Ruhe ein.
Es waren jetzt weniger Menschen in der Umgebung und ich versuchte mir vorzustellen, dass ich gerade nach Lappland fahre - was jedoch nicht ging - zu weit war der Gedanke weg, zu unvorstellbar das Ganze. Realistischer war da schon der Gedanke, dass ich diese Nacht in Brünn verbringen möchte. Ich fühlte mich auch ein wenig ausgesetzt auf dieser Straße - man muss erwähnen, dass ich die letzten Wochen an nichts anderes gedacht habe, als an die Ausrüstung, den Start sogar um einige Tage verschoben, um auch ja alles mit zu haben. Kein Gedanke wurde im Vorfeld dafür verwendet, wie es sein wird, dann tatsächlich auf dem Rad zu sitzen und zu fahren. Von heute auf morgen nach diesem Vorbereitungsstress dann plötzlich auf dem Fahrrad zu sitzen war einerseits eine gewisse Befreiung, andererseits war es aber auch eine Herausforderung, ohne mental wirklich darauf vorbereitet zu sein, das Zuhause zu verlassen. Aber wie gesagt, gedanklich war ich an diesem ersten Tag auf einer Tagestour
Nach der Mittagshitze war der aufkommende, starke Wind die nächste Wetterkapriole. Verbunden mit dem sehr ungewohnten Lenkverhalten (Fronttaschen) und dem allgemein ungewohnten Gewicht des Fahrrades war es stellenweise nicht sehr einfach zu fahren. Druck, eine gewisse Strecke fahren zu müssen hatte ich zum Glück nicht, denn ich wollte sowieso am Abend von dort, wo ich es hin schaffe, nach Brünn fahren. Dieser erste Tag war von Anfang an dazu gedacht, um in das ganze relativ einfach hineinzukommen. Um nicht schon am ersten Tag mit dem Zug losfahren zu müssen, um einfach nur eine gewohnte Strecke fahren zu müssen. Und außerdem hat es einfach was an sich, direkt von zuhause mit dem Rad wegzufahren. Auch wenn mann dann nachher, zwischendurch Strecken mit dem Zug zurücklegt. Dieser Gedanke ist auf jeden Fall aufgegangen. Es ist um vieles angenehmer, so eine Reise langsam, in gewohnter Umgebung anzufangen.
Bei meiner ersten längeren Pausen in einem der ersten Dörfer außerhalb von Wien fing es dann tatsächlich zu regnen an - eine sehr willkommene Abkühlung! Ich freute mich regelrecht, meine Regenjacke herausholen zu müssen. Nie hätte ich da zu ahnen vermögen, wann ich meinen Regenschutz das nächste Mal benötigen würde. Aber dazu später mehr. Durch die ersten Dörfer ins Marchfeld (Richtung Osten) zu fahren war etwas komisch. Ich hatte mich nun schon so gut es ging mit meiner neuen Rolle als Reiseradfahrer abgefunden, es machte sogar schon etwas Spaß
Allein die Tatsache, dass ich bislang noch nie so nahe meiner Heimat mit dem vollgepackten Fahrrad unterwegs war, machte die Sache ungewohnt. Ein wenig Euphorie kam jetzt aber doch auf, im Regen durch solche alten Ortschaften zu fahren (in denen ich zuvor noch nie war) hatte etwas vom so ersehnten Reisen durch die weite Welt.
Als sich gegen Abend dann auch ein Ziel in meinen Kopf setzte, nämlich einen Zug nach Brünn zu erwischen, stieg meine Stimmung wieder, bzw. das Gefühl des Überfordertseins schwand. Ich wusste, dass diese Reise eine vollkommen andere Lebensweise mit sich bringen würde, ein anderes Leben, vor allem für unbestimmte Zeit. Genau das, was ich mir schon so lange gewünscht habe: Mit so wenig Sachen wie möglich, draußen, in der Welt, in der Natur zu leben. Nomadisch, jeden Tag wo anders schlafen. An diesem Tag kam das alles jedoch ziemlich überrumpelt.
Als ich schließlich an der March angekommen war und mich, wie auf meinen üblichen Tagestouren mit Essen aus dem Supermarkt eingedeckt hatte, war ich angekommen - und zwar auf einer stink normalen Tagestour! Der Gedanke, dass ich auf einer Reise durch Europa (eigentlich nach -
"gar nicht zu denken trauen" - Lappland) bin, wollte in meinen Kopf einfach nicht rein. Ich freute mich jetzt einfach auf die Zugfahrt. 10 km entlang der March flussaufwärts gingen sich noch aus und mein Tagesziel war erreicht. Die Aufregung verflog während der Zugfahrt und die Tatsache, dass man hier (beim Umsteigen) auf einmal eine andere Sprache spricht, ließ mich schlussendlich ankommen, dieses spezielle Gefühl, allein auf einer Reise zu sein, war wieder da. Die Fahrt ging durch die Ebene zwischen Karpatenvorland und Böhmischer Masse an der Thaya entlang. Ich freute mich, die nächsten Tage durch Mähren zu fahren, dann die Sudeten zu sehen.
Doch zuvor musste ich erstmal in der mir unbekannten Stadt mein, am Bahnhof zuvor gebuchtes, Hostel finden. Ich war nun also tatsächlich in Brünn, in der noch nie zuvor besuchten Nachbarstadt Wiens. Bereits im Dunkeln erreichte ich das von außen nur schwer als Hostel zu identifizierende Gebäude, in dem ich die Nacht verbrachte. Abendessen musste vom relativ weit entfernten Supermarkt angeschafft werden. Aus jetziger Sicht kaum vorstellbar dauerte dieser erste Abend noch relativ lange, verglichen mit den kommenden Tagen ist es unglaublich, wie motiviert ich da im Frühstücksraum ausgiebig zu Abend gegessen habe.
Meine Einstellung zu meiner Reise änderte sich nun dahingehend, dass ich von nun an als mein Ziel Polen angab. Soweit konnte es sich mein Kopf jetzt also schon vorstellen (auch aufgrund der Kartenstudie am Abend), Hamburg war unerreichbar.
Dieser erste Tag war aus künftiger Sicht in allen Belangen außergewöhnlich, was aber meiner Ansicht bei jeder Reise so ausfällt. Vom Frühstücken und letzten Zusammenpacken in der Früh noch in meiner Wohnung in Wien bis zum Abendessen und Auspacken im Hostel-Zimmer in Brünn um 11 Uhr Abends war es ein sehr langer Tag mit vielen Eindrücken, wie an kaum einem anderen Tag dieser Reise. Vor allem mein Kopf musste sich an diesem Tag umstellen, vom gewohnten, geplanten Leben, in ein schnelles Leben mit sehr vielen Sinneseindrücken. Weiters hatte ich selten so viel Energie, wie an diesem ersten Tag.
Es ist auch der Tag, an dem man im Hostel richtig einziehen will, alles wird sorgfältig ausgepackt, das Gebäude wird unbewusst als neue Wohnung angesehen. Ein paar Tage später dient ein Hostel nur mehr lediglich als Schlafplatz, den man spät abends bezieht und früh morgens wieder verlässt.
Geplant für den nächsten Tag wurde an diesem Abend nur mehr, dass die nächste Nacht, wenn möglich, im Zelt verbracht werden sollte. Ich machte mir zwar noch Gedanken, dass es klug wäre, noch ein paar Dutzend km nach Norden mit dem Zug zu fahren, um die Nacht im Gebiet der Sudeten verbringen zu können, war aber auch dafür offen, am nächsten Tag direkt von Brünn aus zu starten. Langsam überschlug ich auch die Zeit, die ich bis nach Schweden brauchen würde - und kam auf eine Woche: noch 2 Tage, um die Sudeten zu überqueren, 1 Tag, um nach Hamburg zu fahren (Zug), 3 Tage, um an der Nordsee entlang zu fahren und 1 Tag, um nach Kopenhagen zu fahren (Zug).
Das Ziel dieser Reise war zu diesem Zeitpunkt ja noch, entlang der Strecke nach Schweden ein paar interessante Abschnitte mit dem Rad zu fahren und den Rest mit dem Zug zurückzulegen, damit ich doch relativ schnell in Schweden bin, um dann dort die ursprüngliche Idee dieser Reise umzusetzen, nämlich Schweden von Süd nach Nord zu durchqueren, um das große Ziel Lappland zu erreichen. Wobei ich auch zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen bin, auch in Schweden gewisse Abschnitte mit dem Zug zu fahren - quasi um die verwendeten Rad-Kilometer in Mitteleuropa zu kompensieren. Für all das konnte ich während des ersten Tages natürlich überhaupt keinen Gedanken verwenden, am Abend machte ich aber trotzdem diese theoretische Überschlagsrechnung, die ich schon da für sehr optimistisch hielt.
Aber mir wurde zugleich bewusst, dass mein Pessimismus an diesem Tag vielleicht ein wenig übertrieben war und ich doch in absehbarer Zeit um einiges voran kommen könnte.
Das war also dieser erste Tag, leider ohne Bilder, aber auch solche werden noch folgen. Das Ganze ist jetzt ziemlich lang geworden, aber wie gesagt, der erste Tag hatte eine Sonderstellung. Denke ich an so manchen folgenden Tag, werden die künftigen Berichte um vieles kürzer Ausfallen, dafür wird es erstmals etwas über die bereiste Gegend zu sagen geben (am ersten Tag hat man erstens nichts gesehen, da Regen und zweitens kann ich als Einheimischer über meine Heimat schwer etwas sagen) und es wird Bildmaterial geben
Danke fürs Lesen, die folgenden Tage werden in Kürze folgen.
Als Service für den ersten Reisebericht habe ich einmal versucht, den Text zu gliedern. Ohne Absätze ist der Text nur schwer zu lesen und Dein Ziel ist ja sicher, dass der Bericht auch hier zur Geltung kommen kann. Bilder einzufügen ist auch eine gute Idee. Wie das geht, kannst Du hier nachlesen: HowTo: Bilder in Beiträge einfügen (Forum)