Da ein Tommasini Reiserad eher ein Exot ist und auch nicht in der Galerie vertreten, habe ich mich dazu entschlossen mich anzumelden und das außergewöhnliche Rad kurz vorzustellen.
Ich bin der erste Besitzer und habe das Rad Anfang der 90er direkt beim deutschen Importeur gekauft. Da ja Tommasini Rahmen auf Maß fertigt, wurde auch auf die Nachfrage von spezialisierten Radhändlern (z.B. FahrradGesellschaft in Offenbach) eine Kleinserie vom Importeur geordert (die genaue Anzahl kenne ich nicht, es ist aber eine niedrige zweistellige Zahl). Als Vorbild für die Geometrie dient ein Klassiker, das Centurion Accordo GT. Die Geometrie ist keine 1:1 Kopie, sie trägt die Handschrift von Irio. Es sind auch die kleinen Details, die den Unterschied ausmachen: Beim Accordo GT sieht die Gabel aus wie an einer Stelle geknickt. Beim Tommsini ist die Gabel bis zum Ausfallende wirklich schön gleichmäßig gebogen. Die Kleinserie wurde mit klassisch dimensioniertem Columbus Cromor Rohr aufgelegt. Ich habe mich für einen nicht unterverchromten Rahmen in schwarz entschieden, es gibt diesen Rahmen aber auch noch komplett unterverchromt in schwarz/rot (ähnlich dem Centurion Accordo GT Design) mit Chromapplikationen. Das war mir damals etwas zu viel Bling Bling an einem Reiserad... Einfarbig schwarz mit dezenter gelber Schrift gefiel mir besser.
Das Rad ist mein zweites Reiserad. Davor bin ich ein 80er Jahre Koga Miyata MTB mit Turnstange und Hörnchen auf Radreise gefahren. Es gab bei mir damals den Wunsch nach größeren Laufrädern und einem Rennlenker. Auch weil ich schon ein Tommasini Super Prestige Rennrad hatte und mit dem Rad auf langen Strecken besser zurechtgekommen bin als mit dem Koga. Wer kennt nicht die eingeschlafenen Arme oder den verspannten Nacken vom MTB-Lenker auf langen, eintönigen Strecken. An der Sitz- und Lenkerposition kann man gut erkennen, dass das Reiserad wie ein Rennrad eingestellt ist. Nur ist der Rahmen/Vorbau einen Tick kürzer als bei meinem Rennrad und die Kurbeln sind länger (175 statt 170). Die Sitz- und Lenkerposition habe ich die letzten knapp 30 Jahre nicht anpassen müssen.
Ausgestattet ist das Rad mit einer (fast) kompletten Suntour XC Pro Grease Guard Gruppe incl. Steuersatz und Stütze. Nur der Umwerfer ist Suntour XC9000, da der Käfig der Vorgängergruppe wirklich alles (auch half-step) schaltet (Bridgestone hatte beim MB-1 damals einen XC Pro Umwerfer mit XC9000 Käfig verbaut). Das Innenlager ist eine Edco Patrone mit doppelter Lagerung auf der Zahnkranzseite und asymetrischer Achse. Bei 3-fach erhält man einen besseren Q-Faktor als beim nur symmetrisch lieferbaren XC Pro Grease Guard Innenlager. Am Cockpit sind Suntour 7-fach Lenkerendschalthebel und hochwertige Bremshebel von Dia-Compe verbaut. Die alternativen Suntour Superbe Pro Bremshebel hatten graue Hoods und entfielen somit für ein schwarzes Rad. Weiterhin ein Cinelli XA 26,0 Vorbau mit einem seeeehr breiten Mavic Lenker. Und ein Vetta SL Ledersattel. Das ganze komplettiert mit SPD-Pedalen der ersten Generation in der LX Variante (da waren die Lager besser als bei den 737). Die Laufräder habe ich selbst handgebaut mit DT Competition und eher seltenen und geösten Ritchey Pro Felgen in 17er Breite (optisch eher 19) Made in Italy. Am Koga bin ich immer "half-step and granny" gefahren. Hier hatte ich ein 54er Kettenblatt rumliegen und bin damit früher oft gross-gross gefahren. Vielleicht baue ich es mal wieder auf half step um. Auf dem Bild ist das Rad vor 3 Jahren auf dem Weg von Berlin nach Kopenhagen zu sehen. Die Strecke ist ja in gutem Zustand und so sind 28mm Schwalbe Marathon drauf. Die Reifenbreite und das Profil wähle ich immer je nach Beschaffenheit der Strecke. Bis 40mm breite Reifen bin ich schon gefahren, der Rahmen würde aber auch breitere Reifen vertragen. Da wir nur in den Sommerferien mit dem Rad unterwegs sind, ist es ohne Lichtanlage (notfalls haben wir Headlights, sind aber außer auf Kuba an einem Abend bisher nie in die Dunkelheit gekommen). Schutzbleche und Ständer mögen wir auch nicht. Bei Regen wird eben Rast gemacht oder es regnet so stark, dass es eh egal ist....
Defekte Komponenten gab es genau keine. Nur Verschleiß. Eine hintere Felge habe ich letztes Jahr verschlissen (Topf ausgebrochen). Durch das aktuell extrem schwerere Gepäck braucht es da mehr Stabilität. Ich habe schon eine Sputnik rumliegen und werde die mit unterschiedlich dicken Speichen einspeichen. Derzeit ist eine klassische Mavic als kurzfrister Ersatz drin. Umbauten bei den Komponenten gab es nur eine: Die XTR V-Brake vorne und die Pedersson SE XC Bremse hinten sind durch einen Satz Tektro Mini-Vs mit Kool-Stops ersetzt worden. So bremst das Rad zwar nicht mehr ganz so brachial aber dafür harmonischer. Vor ein paar Jahren löste ein Garmin noch den Kilometerzähler ab.
Auch die Gepäckträger sind noch die Ersten. Vorne ein Tubus und hinten ein Blackburn MTB mit Platte. Früher bin ich nur mit Ortlieb Frontroller am Lowrider, dem Ortlieb Kanusack auf dem Gepäckträger und der Lenkertasche gefahren. Meine Frau war immer ohne Gepäck unterwegs. Dh. jeder hatte einen Frontroller für persönliche Dinge und die Campingausrüstung war im Kanusack. Jetzt sind wir mit Kind unterwegs und da habe ich noch zusätzlich 2 Backroller dazubekommen. Meine Frau hat nun auch 4 Taschen an ihrem Reiserad, die Zuladung ist aber sehr viel geringer als bei mir. Jetzt fährt das Kind ohne Gepäck. Wir benötigen inzwischen mehr Stauraum für Lebensmittel und natürlich Platz für die Sachen des Kindes....
Den Tommasini fahre ich nur als Reiserad. Dh. das Rad hängt in der Garage und wird vor der Radreise kurz entstaubt. Ohne Gepäck fährt sich das Rad ziemlich unterirdisch. Es ist, verglichen mit einem Rennrad, einfach nicht agil genug und "viel" zu schwer. Mit normalem Gepäck ist es eine Wucht. Da fährt es sich richtig gut. Also auch eine schnelle Serpentinenabfahrt lässt sich sicher und zielgenau durchfahren und es macht auch noch richtig Spaß. Ein wenig suboptimal ist die Lenkertasche. Da muss ich mich zwingen wirklich wenig Gewicht einzuladen, sonst fängt der Rahmen an aufzuschwingen. Besser wäre ohne Lenkertasche zu fahren, aber man hat sich einfach daran gewöhnt. Mit dem aktuell großen und wirklich schweren Gepäck (rund 30-40kg) mit Kind kommt der Rahmen dann an seine Grenzen. Hier merkt man, dass der Rahmen keine oversize-Rohre hat. Ab Tempo 25 fängt er dann an aufzuschwingen und ist auf Abfahrten nur noch im Untergriff wirklich zu halten. Aber das Gepäck wird auch wieder kleiner werden....
Gibt es etwas was ich mir an diesem Rad wünsche? Ja, einen dritten Flaschenhalter am Unterrohr.