Re: Nuvinci ritzeln

Posted by: Jenna Bekker

Re: Nuvinci ritzeln - 08/20/13 12:11 AM

So, Leute. Ich versuche mal mehrere Beiträge auf ein mal zu beantworten, vorallem die Frage von maush hinsichtlich der Vor-und Nachteile im Vergleich.

Ich finde beide prima. In Sachen Leichtlauf (Wirkungsgrad?) bemerke ich keinen Unterschied, aber ich find's sehr schwach von Fallbrook die Zahlen geheimzuhalten. Als hätten die keinen Prüfstand für sowas! Man kann wenn man sich den Aufbau anschaut aber davon ausgehen daß der Wirkungsgrad am unteren Randbereich am schlechtesten und bei 1:1 am besten ist, genau so fühlt sichs an, wenn auch auf der Grenze der Wahrnehmbarkeit, d.h. könnte Einbildung sein: nicht praxixrelevant. Überhaupt ist der Getriebewirkungsgrad wohl, wie man dem vorzüglichen Aufsatz von Bernd Rohloff zum Thema Systemwirkungsgrad entnehmen kann, wirklich nicht das wichtigste, und in Sachen biomechanischer Wirkungsgrad ist die Nuvinci wohl unschlagbar, dazu sag ich später noch was. Anders als ich bei so einem kraftschlüssigen Getriebe befürchtet hatte kann ich keinen Antriebsschlupf erkennen, das finde ich erstaunlich, wäre aber auch wohl nicht wirklich hinnehmbar. Toll an der Nuvinci ist die Leichtgängigkeit des Rückwärtstretens, man braucht, etwa beim Aufsteigen, das Pedal kaum anzutippen und zack ist es da, fast als wäre die Kette abgefallen. Die Nuvinci ist ein ziemlich fetter Klotz, nicht so kraß wie die Elannabe von Sachs, aber das Fahrrad bekommt in Sachen Weight&Balance schon einen spürbar dicken Hintern. Das nervt beim Tragen über U-Bahntreppen, beim Fahren ists nicht so schlimm. Im Lastschaltverhalten finde ich beide gut, allerdings mit Vorteilen für Nuvinci, denn je kleiner die Verstellgeschwindigkeit und -weg desto größer kann die Last sein. "Schaltet" man also langsam, so kann man das unter steter Vollast tun, und das geht bei Rohloff eindeutig nicht, Totpunkt hin oder her! Interessanterweise fügt es sich bei der Nuvinci daß ich viel häufiger und in viel kleineren Stufen (Stüfchen) schalte als mit der Rohloff, was in der Praxis heißt daß ich (wenn ich es denn will) eigentlich dauernd volles Rohr treten kann ohne für die Schalterei immer wieder ein paar Grad Kurbelwinkel lang Feuer rausnehmen zu müssen. Den Kettenschaltungsverfechtern ist damit ein wesentliches Argument genommen, ha! Toll ist an der Nuvinci auch die vollkommene Geräuschlosigkeit des Antriebs, wie ich das sonst bestenfalls vom Starrgangfahren (sogenannte Fixies) kenne. Die Rohloff summt in der unteren Etage (1.-7. Stufe) ein klein bißchen, was viele Autoren lautstark und aufgeplustert bekritteln. Mich störts wirklich nicht, ich finde das niedlich, es erinnert an Formel eins oder mehr noch an die alten SK-Zugmaschinen, die jammerten auch wenn sie beschleunigen mußten schmunzel Es ist bei Rohloff übrigens stark abhängig vom Ölstand, weniger Öl macht mehr Radau. Wenn du beim Fahren überraschend auf Sand oder in Matsch gerätst und *unverzüglich* einen sehr kleinen Gang brauchst ist the big R das richtige, du reißt beherzt am Drehriff, der Gang ist drin und du ziehst dich souverän aus dem Dreck. Die dicke Nuvinciwurst braucht dagegen um wirklich auf Kommandos am Drehgriff zu reagieren so etwa ne Viertelumdrehung des Hinterrades, da kanns in solchen Situationen eher mal sein daß du doch absteigst. Nuvinci ist an sich sehr wohl zum Klettern geeignet, nur eben ein dicker Brummer. (Naja, nimm eine Wasserflasche weniger mit oder wasweißich..) Ich bin in meiner, zugegebenermaßen, völlig unzulässigen Primärübersetzung einige Tausend Kilometer damit gefahren, auch meinen besagten vierhundert-Höhenmeter-Zwölfprozenter, und habe nicht die geringsten Probleme, das Ding läuft wie am ersten Tag. Natürlich ist da ne kleinste Primärübersetzung angegeben, aber da sollte man auf dem Teppich bleiben: diese Primärübersetzung berücksichtigt meines Wissens weder die Kurbellänge noch den Reifenquerschnitt, auch von Laufradgröße stand da nix; sie gilt für Elektromoppeds, fürs Tandem und mit Anhänger. Außerdem bin ich ein Untersiebzigkiloportiönchen, einige gestandenen Männer kommen auf das doppelte Lebendgewicht. Meine kleinste Kombination ist 34er Blatt zu 28er Ritzel, und die Praxis spricht: na aber locker!

Schmadde, beantwortet das deine Befürchtung?

Das wirklich einzigartige und berauschende an der Nuvinci ist die Stufenlosigkeit. Gehen wir mal vom unbeladenen Rad in der Ebene bei Windstille aus. Mit Rohloff fahre ich dann im 4. los, wechsle zum 8. und dann schalte ich im 11. das Getriebe ab, vielleicht noch später mal in die 12. Stufe. Ist die Straße und meine Tagesform gut, mein Zeitplan aber schlecht, so fahre ich auch mal im 13. Für den 14. Gang brauche ich auf jeden Fall Rückenwind. So sieht das aus. Das für mich größte Manko an der Rohloff ist daß sie oberhalb des elften oder spätestens zwölften deutlich zu grob gestuft ist. Die vielgerühmte "gleichmäßige", also lineare Stufung finde ich in den Schnellgängen einen depperten Unfug, denn der Luftwiderstand wächst nunmal proportional zum Geschwindigkeitsquadrat, und selbst dann hat man die Rechnung ohne die Reynoldszahl gemacht, nicht wahr, bei der ja wie wir alle wissen eine laminare zur turbulenten Strömung umschlägt. Diesbezüglich war die Elan von Sachs mit weitaus mehr Hirnschmalz gemacht, die war immerhin logarithmisch gestuft. Ein Jammer daß es die nicht mehr gibt!
Jetzt Nuvinci: Du stellst beim Anfahren die kleinste Übersetzung ein. In Kürzester Zeit hast Du Deine 90 rpm (oder was dir eben bequem ist) erreicht - und dabei bleibt es!! übers weitere Beschleunigen hinweg führst Du nun alle drei bis vier Kurbelumdrehungen ein Winzigstel Verstellweg am Drehgriff nach und trittst immer im idealen Drehzahlbereich, wie ein Stromerzeuger. Je schneller man wird, desto seltener werden natürlich die kleinen Verstellerchen am Getriebe. Unter wunderbar gleichförmigem Treten spürst Du die Geschwindigkeitsveränderung in erster Linie an der Zunahme der Windgeräusche an den Ohren! Das hat schon was von vollendeter Eleganz und Geschmeidigkeit, es ist schwer zu beschreiben. Auf Dauer ist das Fahren dann am besten mit einem Flugzeug zu vergleichen: auf das Gieren der Straße reagierst du mittels dem Lenker und auf das Nicken eben mit dem Drehgriff, der Motor bleibt aber immer schön mager auf Peak EGT. Die Nuvinci ist quasi ein Verstellpropeller. Wenn man sich dann noch für die Feineinstellung einen Tacho mit Trittfrequenzsensor zulegt und den konstanten Tritt durch laufendes Nachführen der Übersetzung ein wenig übt resultiert das in einer -wie ich finde- fast schon dramatischen Verminderung der Anstrengung bzw. Erhöhung der Durchschnittsgeschwindigkeit. Insofern finde ich die Nuvinci ideal für Überlandfahrt unter sehr wechselhaften Bedingungen wie Wind, Bodenbelag, Dünen bzw kleine Hügel. Außerdem ist sie -natürlich vom Gewicht und der Klemmbreite abgesehen!- wie geschaffen für Rennräder, dochdoch, denn die Nuvinci ist die per-fek-te! Maiskolbenkassette. Damit das leichtgängig funktioniert sollten die Schaltzüge unbedingt in großen Radien verlegt werden, da ist die Nuvinci sehr pingelig, und wenn das Schalten schwergängig wird ist der ganze Zauber dahin.
Eines stört mich an beiden beschriebenen Getrieben: keine akzeptable Rennlenkerlösung. auch bei beiden nicht toll: was da so alles an Öl raussifft, meine Nerven! Weiß zufällig jemand wo und wie man das bei der Nuvinci nachfüllt?? Ach ja, à propos, klarer Vorteil für Rohloff: der tolle Aftersalesservice. Der Grund warum ich nicht mit ner Nuvinci auf Fernreise gehen würde.
Weiterer klarer Vorteil von Rohloff: ist ne gaaanz andere Liga in Sachen Entfaltung. Daß ich der Nuvinci ein zweites Kettenblatt verpaßt habe war richtig und wichtig, beschert mir aber nun leider so einen überwunden geglaubten beknackten Kettenspanner!
Übrigens gibt es neuerdings einen elektrischen Servo, die nennen das "Harmony", der das Konstanthalten der Kurbeldrehzahl qua Getriebeverstellung übernimmt, also eine Automatik. Leider verdoppelt das den Preis und ist nicht sehr ausgereift, da man nun eine Batterie für den Servo mitschleppen soll, ich wäre ja eher für Nabendynamospeisung über nen Pufferkondensator. Verspricht aber ne spannende Entwicklung.

So, mehr fällt mir nicht ein.

Glasklares Fazit: man braucht auf jeden Fall beide!
Die fette sportlich-elegant-komfortable Nuvinci
und
Her Mechanical Majesty die erhabene Rohllsloff-Royce.